Die Aufführung neigt sich langsam dem Ende zu. Das Ende des Stücks wird noch geschrieben, aber es ist klar, dass es ein trauriges Ende sein wird, die Katharsis bleibt aus. Die Regisseure denken bereits über die nächste Aufführung nach, das Publikum bleibt allmählich weg, während der Hauptdarsteller noch tobend seinen Totentanz vorführt. Ihm ist bewusst, dass er nicht als Held in Erinnerung bleiben wird, aber er wird immer noch von dem Schwung getragen, träumt vom riesigen Applaus, vom Triumph, hofft auf eine Art Wunder. Aber die Welt ist grausam, es gibt keine Wunder. Ein Beitrag von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.
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Wolodymyr Selenskyj ist wieder in Form. Der ukrainische Präsident wettert gegen Viktor Orbáns Veto und hält dem ungarischen Ministerpräsidenten nicht nur eine Lektion in Sachen „Europäismus“, sondern erwartet auch, dass die Europäische Union (EU) in solchen Fällen eine Lösung findet. Er sagte, die EU müsse eine Lösung finden, um zu verhindern, dass „einzelne Personen“ Entscheidungen blockieren, die für den gesamten Kontinent wichtig sind. Was die EU jetzt am meisten brauche, seien schnelle Entscheidungen und klare Instrumente, um sich vor unnötigen Blockaden zu schützen. Es besteht kein Zweifel daran, dass Selenskyj in einer „demokratischen“ Ukraine dieses Problem schon längst gelöst hätte. Er würde einfach alle Kräfte verbieten, die sich ihm in den Weg stellen.
Wir sehen auch seit einiger Zeit, dass Selenskyj sich in den Fluren von Brüssel bewegt, als wäre er zu Hause. Er bittet nicht, er fordert, dann belehrt er.
Doch bevor wir denken, dass er sich einen solchen Ton nur gegenüber Viktor Orbán erlauben würde, möchte ich daran erinnern, dass er und sein Team in den vergangenen drei Jahren unter anderem bereits gegen den deutschen Bundeskanzler oder Joe Biden ausgeteilt haben. Denn er darf alles! Doch Donald Trump und sein Vizepräsident haben ihm jüngst gezeigt, wo er hingehört. Es stimmt, Joe Biden hat dies auch gezeigt, wenn auch nicht so schroff. Es scheint jedoch, dass Selenskyj auch daraus nichts gelernt hat und dort weitermacht, wo er aufgehört hat – natürlich nur dort, wo er kann. Wir können uns vorstellen, was hier passieren wird, wenn die Ukraine überhaupt in die Europäische Union aufgenommen wird – übrigens im Geiste des Antirussismus!
Kein Wunder, wenn jemand so angefeuert wird, wie es bei Selenskyj der Fall war. Aber auch das wird eines Tages ein Ende haben. Die Vereinigten Staaten brauchen den „großen Krieger“ nicht mehr, aber die Europäische Union benutzt ihn immer noch. Aber eines Tages wird Brüssel auch die Hand loslassen, wenn die neue Show einen neuen Mann braucht. Aber bis dahin kann Selenskyj immer noch die Rolle des großen Verteidigers Europas spielen.
Ende der Vorstellung
Doch die Vorstellung geht langsam zu Ende. Die Bühne ist übersät mit Toten und winselnden Verwundeten. In der Ferne: zerstörte Städte, verbrannte Felder. Noch eine Weile können wir mit dem Finger auf Moskau zeigen und all dies Putin zuschreiben – seine Verantwortung ist unbestreitbar. Aber die Stunde der Wahrheit wird kommen, und die Ukrainer werden Selenskyj, der 2019 mit dem Versprechen des Friedens gewählt wurde, fragen, was er getan hat, um das Land in diese Lage zu bringen – genauer gesagt, was er nicht getan hat. Die gleiche Frage kann aber auch den Vereinigten Staaten gestellt werden, deren derzeitiger Präsident in der Rolle des Friedensstifters schwelgt, als habe Washington nichts mit den Ereignissen zu tun. Die bedauernswerten europäischen „Willigen“ sind immer noch am konsequentesten, und vor russischer Gefahr kreischend marschieren sie weiter zur Frontlinie.
Aber zurück zum ukrainischen Präsidenten, der, wenn es nach ihm ginge, vielleicht nie ein Friedensabkommen unterzeichnen würde. Dabei bekommt er bereits zum dritten Mal in den letzten drei Jahren die Chance, den Krieg zu beenden – natürlich mit ernsthaften Kompromissen, aber es könnte immer noch Leben retten.
Er hätte diesen Krieg mit den Istanbuler Gesprächen stoppen können, doch anscheinend brauchte er gar nicht so sehr unter Druck gesetzt zu werden, dies nicht zu tun. Dann wäre der 24. Februar 2022, der Beginn des Krieges, nur noch ein böser Traum. Nun ist seine bittere Enttäuschung natürlich verständlich, denn damals versprachen ihm westliche Gönner von Kaczynski über Johnson bis Blinken, die nach Kiew gepilgert waren, ihn bis zum Schluss zu unterstützen. Doch bereits Ende 2022 konnte er erkennen, dass diese Unterstützung für den Sieg nicht ausreichen würde. Nach einer erfolgreichen Offensive in Charkiw und Cherson hätte er immer noch einen guten Frieden schließen können. Aber nein, er glaubte stattdessen an die große Gegenoffensive, die dann im Sande verlief. Seitdem, seit dem Sommer 2023 sind die Ukrainer auf der Verliererstraße. Sicher, er hat auch einen realitätsfernen Siegesplan vorgelegt – wir haben ja von der sogenannten Selenskyj-Formel gehört – aber man kann einen Krieg nicht mit hochtrabenden Aussagen gewinnen.
Der ukrainische Präsident hat sich von der Realpolitik abgewandt und sich dem zugewandt, was er wirklich kann: der PR. Er reiste in seinem T-Shirt im Militärdesign um die Welt. Zunächst wurde er mit großen Ovationen und Tränen der Sympathie begrüßt, doch dann schmolz diese Begeisterung langsam dahin. In der Zwischenzeit starben jeden Tag Hunderte von Menschen und mehr als zehn Millionen verließen die Ukraine.
Die Aussicht auf Frieden rückte immer weiter in die Ferne, und es wurde immer deutlicher, dass Kiew von Bedingungen wie in Istanbul nur noch träumen könnte. Die Ukraine hat zwar nicht die von Russland geforderte nur 85.000 Mann starke Armee – obwohl die Verlängerung des Krieges zur Erschöpfung und Auslöschung der wichtigsten Sicherheitsgarantie der Ukraine, ihrer starken Armee, führen könnte –, aber sie wird etwa 20 Prozent ihres Territoriums verlieren, ihre Bodenschätze werden ihr als Entschädigung weggenommen, und es wird kaum noch Menschen geben. Die Bevölkerung des Landes, einst fast 50 Millionen, hat sich halbiert.
Selbst von der NATO träumen nur noch die, die wirklich blind sind. Als eine Art Ausgleich besteht noch die Chance auf eine europäische Integration, doch paradoxerweise könnte dies die ersehnte Europäische Union schwächen. Hinzu kommt, dass die westliche politische Elite, die hinter Selenskyj steht, in mehreren Ländern verliert oder dabei ist zu verlieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der alte-neue Präsident seines bisher größten Unterstützers ihm den Laufpass gibt. Und um noch eins draufzusetzen, wird er zusehen müssen, wie Washington und Moskau ihre Beziehungen festigen und von „fetten Deals“ sprechen. Der europäische Mainstream hält noch mangels einer besseren Option durch, aber wie lange noch? Währenddessen trösten sich Brüssel und Kiew gegenseitig mit der Aussage, dass wir zwar nicht gewonnen haben, Moskau aber auf jeden Fall eine strategische Niederlage erlitten hat.
Dritte Chance auf Frieden
Die Ukraine erhält nun eine dritte Chance auf Frieden, aber „Bankova“ (Anm. Red.: Standort der Büros der Präsidialverwaltung in Kiew) zögert noch immer. Sie träumt von besseren Bedingungen, aber in der Zwischenzeit gehen ihr das Land und die Armee aus, und wenn das eintritt, hat Russland sein strategisches Ziel erreicht.
Denn die nächste Chance wird von einem Land ohne Meereszugang handeln, das noch drastischer entvölkert ist. Ein Land mit einem starken Nationalgefühl, voller Stolz und Frustration, aber immer noch ein vormodernes Land und langsam ohne Menschen. In dieser Situation ist der Kurs, den Selenskyjs Name vorgegeben hat, immer unhaltbarer, und die Ukraine muss in jeder Hinsicht neu aufgebaut werden.
Wir müssen mit dem ethnisch begründeten Nationalismus brechen, die grassierende Korruption zurückdrängen und das Land wieder aufbauen. Es besteht eine gute Chance, dass dies inmitten einer sich verschärfenden politischen Krise und der wachsenden Müdigkeit des Westens geschieht. Damit bleibt uns die identitätsstiftende Russophobie, das zerstörerische Gift, das uns einst hierhergeführt hat. Und die verbliebenen Ukrainer werden ihren Enkeln – wenn sie jemanden haben, der sie auf die Welt bringt und großzieht – erzählen können, dass die Welt ein paar Jahre lang auf sie geschaut hat …
Selenskyj versucht nun, mit Unterstützung des europäischen Mainstreams, der von der neuen Situation verwirrt ist, die letzte Chance zu nutzen. Er kämpft ein Rückzugsgefecht gegen sein einst als friedensstiftend auftretendes Ich, aber er kann den Lauf der Dinge nicht mehr ändern. Die gehetzte Führung in Brüssel, die die neuen Realitäten ablehnt, kann er aber noch eine Weile in ihren Illusionen stärken und damit Europa viel Schaden zufügen. Doch der Frieden ist unausweichlich – so, wie es klar scheint, dass Selenskyjs Zeit abgelaufen ist.
Dieser Beitrag ist zuerst auf dem ungarischen Portal Moszkvater erschienen.
Titelbild: Shutterstock / Eurostock
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