Bundesregierung zum Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999: „Einsatz war nicht völkerrechtswidrig“

Bundesregierung zum Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999: „Einsatz war nicht völkerrechtswidrig“

Bundesregierung zum Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999: „Einsatz war nicht völkerrechtswidrig“

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 24. März jährt sich zum 26. Mal der erste „völkerrechtswidrige Angriffskrieg“ in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. An diesem waren auch Bundeswehrsoldaten beteiligt, die ohne explizites UN-Mandat 400 Kampfeinsätze flogen und dabei über 200 Raketen auf das Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien abfeuerten. Ein souveränes Land, das weder Deutschland noch einen NATO-Partner je angegriffen hatte. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, ob die Bundesregierung noch plant, sich für diesen völkerrechtswidrigen Angriff bei der Bevölkerung von Serbien und Montenegro zu entschuldigen. Gerade auch eingedenk der Tatsache, dass die NATO massiv Streu- und Uranmunition einsetzte und 40 Prozent der von NATO-Bomben verstümmelten Opfer Kinder waren. Die Antwort wirft ein bezeichnendes Licht auf das Völkerrechtsverständnis der Bundesregierung. Von Florian Warweg.

Faktencheck zur Darlegung des Sprechers des Auswärtigen Amtes: War der NATO-Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Operation Allied Force) wirklich, wie von ihm im Namen der Bundesregierung behauptet, vom Völkerrecht gedeckt?

Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Sebastian Fischer, erklärte auf der Bundespressekonferenz anlässlich des 26. Jahrestags des NATO-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Namen der Bundesregierung:

„Die Haltung der Bundesregierung ist, dass der damalige Einsatz nicht völkerrechtswidrig war, sondern dem Schutz des Kosovo diente.“

Mit dieser Sicht und Darstellung der Sachlage isoliert sich das Auswärtige Amt allerdings von allen gängigen Völkerrechtsinterpretationen. Denn nach Artikel 2, Ziffer 4 der UN-Charta ist jede (!) Art der Anwendung militärischer Waffengewalt verboten. Es gibt im Gegensatz zur Behauptung des AA-Sprechers kein Völkergewohnheitsrecht zu einzel- oder multistaatlichen „humanitären Interventionen“, da bis heute keine entsprechende allgemeine Rechtsüberzeugung in der internationalen Staatengemeinschaft dazu existiert. Dieses Recht haben nach wie vor nur Organisationen der Vereinten Nationen. Und der UN-Sicherheitsrat hatte zu keinem Zeitpunkt Zwangsmaßnahmen gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien nach Artikel 42 der UN-Charta beschlossen, geschweige denn einzelne Staaten (Artikel 42, 48) oder die NATO als Regionalorganisation (das wäre dann Artikel 53) dazu ermächtigt.

Auch der Ausnahmefall nach Artikel 51, auf den gern verwiesen wird, der Notwehr und Nothilfe zugunsten eines angegriffenen Staates rechtfertigt, lag nicht vor. Denn weder hatte Jugoslawien ein NATO-Mitglied militärisch angegriffen noch ein angegriffener souveräner Staat um Nothilfe gebeten.

Deutschland hat zudem nur wenige Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung mit seiner Teilnahme an dem NATO-Angriff massiv gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag und die eigene Verfassung verstoßen. Das deutsche Grundgesetz, das sollte man sich generell nochmal in Erinnerung rufen, erlaubt bis heute den Einsatz von Gewalt ausschließlich zur Verteidigung (Artikel 87a, GG):

Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“

Einen Angriffskrieg verbietet das Grundgesetz in Artikel 26 Absatz 1 und fordert darüber hinaus in Satz 2 sogar dazu auf, die Führung eines Angriffskrieges unter Strafe zu stellen.

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag erlaubt den Einsatz deutscher Waffen sehr explizit „nur in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“. Im Wortlaut heißt es dort unter Artikel 2:

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.“

Der Bundeswehreinsatz gegen Jugoslawien, bei dem deutsche Luftwaffen-Piloten über 400 Kampfeinsätze flogen und dabei über 200 Raketen des Typs AGM-88 HARM auf jugoslawisches Gebiet abfeuerten, überschritt ebenso die Grenzen, die das „Out-of-area-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 gezogen hatte. Denn das Urteil, auf das gerne von entsprechender Stelle rekurriert wird, erlaubt Einsätze ausdrücklich nur, wenn diese „im Rahmen und nach den Regeln“ eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden. Weder die UN-Charta noch der NATO-Vertrag, der seine Mitglieder ausdrücklich auf Beachtung der UN-Charta und das geltende Völkerrecht verpflichtet, legitimieren einen völkerrechtswidrigen Angriff.

Im Rückblick erklärte selbst Altbundeskanzler Gerhard Schröder, dass der Bundeswehr-Einsatz gegen Jugoslawien völkerrechtswidrig war. Bei einem Gespräch im Rahmen des sogenannten „ZEIT Matinee“ hatte er am 9. März 2014 erklärt:

Ich habe ( …) gegen das Völkerrecht verstoßen. Wir haben unsere Tornados nach Serbien geschickt, und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt, ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“

Es bleibt festzuhalten: Die aktuelle Bundesregierung fällt mit der in der Bundespressekonferenz kommunizierten offiziellen Darstellung einer angeblichen Rechtmäßigkeit des NATO-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht nur hinter die Einschätzung von Altkanzler Schröder zurück, sondern – und das wiegt weit schwerer – wischt geradezu nonchalant das Gewaltverbot der UN, festgehalten in Artikel 2 Ziffer 4, als nicht relevant zur Seite. Wohlgemerkt, hierbei handelt es sich um den zentralen Pfeiler der internationalen Friedensordnung:

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Dieses Ignorieren und Umdeuten von zentralen völkerrechtlichen Aspekten durch die Bundesregierung bei gleichzeitiger Postulation einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ ist wohl als die eigentliche „Zeitenwende“ zu bezeichnen. Eine Zeitenwende, die bereits 1999 begann …

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 19. März 2025

Frage Warweg
(zum 26. Jahrestag des Beginns des NATO-Einsatzes im Kosovo) In wenigen Tagen, am 24. März, jährt sich der erste völkerrechtswidrige Angriffskrieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. An diesem waren auch deutsche Soldaten beteiligt, die ohne explizites UN-Mandat 400 Kampfeinsätze flogen und dabei über 200 Raketen auf das Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien abfeuerten – ein souveränes Land, das weder Deutschland noch einen NATO-Partner je angegriffen hatte.

Vorsitzender Szent-Iványi
Herr Warweg, tun Sie mir bitte einen Gefallen und stellen Sie Ihre Fragen präzise und ohne langen Anlauf? Denn dann werden wir hier alle schneller fertig, und Sie bekommen im Zweifel schneller Ihre Antwort.

Frage Warweg
(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich) – Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, ob die Bundesregierung anlässlich dieses Jahrestags plant, sich für diesen völkerrechtswidrigen Angriff mit deutscher Beteiligung ohne UN-Mandat bei der Bevölkerung von Serbien und Montenegro zu entschuldigen.

Fischer (AA)
Herr Warweg, wir beide haben dieses Thema schon einmal diskutiert –

Zusatz Warweg
Letztes Jahr.

Fischer (AA)
– genau, letztes Jahr -, und an der Antwort hat sich nichts geändert.

Zusatzfrage Warweg
Aber Sie können es ja trotzdem noch einmal explizit formulieren. Zu sagen, ob Sie sich dafür entschuldigen – ja oder nein -, kostet Sie jetzt auch nicht so viel.

Fischer (AA)
Ich werde jetzt in Ihre Polemik nicht einsteigen. Die Haltung der Bundesregierung ist klar und hat sich im letzten Jahr nicht geändert.

Zusatzfrage Warweg
Das heißt, die Bundesregierung bleibt dabei, dass die Beteiligung deutscher Soldaten beim Angriff gegen die Republik Jugoslawien nicht völkerrechtswidrig war?

Fischer (AA)
Die Haltung der Bundesregierung ist, dass der damalige Einsatz nicht völkerrechtswidrig war, sondern dem Schutz des Kosovo diente.

Zusatz Warweg
(ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

Fischer (AA)
Wie gesagt, wir haben diese Diskussion letztes Jahr schon einmal geführt. Sie können das Video vom letzten Jahr gerne erneut ausspielen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 19.03.2025