Gestern trafen sich Militärs aus zwanzig westlichen Ländern in London. Darunter auch ein Bundeswehrgeneral. Premier Starmer hatte geladen. Er will eine „Koalition der Willigen“ zusammenstellen, die nach einem Waffenstillstand den „Frieden“ in der Ukraine absichert. Dabei hatte Russland bereits mehrfach klargestellt, dass es keine NATO-Truppen in der Ukraine duldet. Geht es Starmer, Macron und Co. wirklich um die Friedenssicherung? Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es, dass diese „Koalition der Willigen“ ein Störmanöver im Friedensprozess zwischen den USA und Russland ist. Wenn ihr uns Europäer nicht mitreden lasst, wird es auch keinen Frieden geben, so die perfide Logik, die hinter diesem Manöver stehen könnte. Von Jens Berger.
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Bereits kurz nach Aufnahme der amerikanisch-russischen Verhandlungen zur Beendigung des Ukrainekrieges meldete sich auch der politisch-mediale Komplex Europas zu Wort. Ohne dass irgendjemand die Europäer darum gebeten hätte, diskutierte man in den Hauptstädten eifrig, ob und wie viele Truppen der europäischen NATO-Länder nach einem Waffenstillstand zur „Friedenssicherung“ in die Ukraine entsendet werden können. Großbritannien und Frankreich waren gleich vorne mit dabei, Polen und Deutschland reagierten eher abwartend. Die ganze Debatte ist dabei an Skurrilität und Absurdität kaum zu überbieten.
Um das zu verstehen, muss man sich zunächst vor Augen führen, was genau ein Friedensabkommen eigentlich erreichen soll. Im Idealfall sollte es – wie der Name ja schon sagt – dauerhaften Frieden gewährleisten und der kann nur erreicht werden, wenn beide Seiten keinen Grund haben, erneut zu den Waffen zu greifen. Wenn man sich nun aber die Debatte anschaut, die auch in Deutschland geführt wird, erkennt man schnell, dass sie unter sehr einseitigen Vorzeichen steht: Hier ist Russland der alleinige Aggressor, dem man zunächst einen Waffenstillstand abringen muss, um dann Russland mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine und einer einseitigen militärischen Absicherung des Abkommens von weiteren Angriffen auf die Ukraine abhalten soll. Glaubt man den Falken, wären dafür – je nach Quelle – zwischen 40.000 und 200.000 Soldaten samt militärischen Geräts und der nötigen Infrastruktur nötig. 200.000 schwer bewaffnete NATO-Soldaten auf ukrainischem Boden? Das wäre de facto eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und die ist für Russland selbstverständlich nicht akzeptabel. Warum also dieses Gerede?
Zur Einordnung: Großbritannien hat rund 80.000 aktive Soldaten, Deutschland und Frankreich kommen jeweils auf rund 180.000. Diese Zahlen beziehen sich jedoch auf alle Waffengattungen und beinhalten den gesamten Überbau, also auch Logistik und Verwaltung. Ob diese drei Staaten überhaupt 200.000 aktive Soldaten zur „Friedenssicherung“ in die Ukraine entsenden könnten, ist also eher unwahrscheinlich. Doch um diese Zahl ging es gestern in London auch gar nicht mehr. Laut BBC hat man die Zahl bereits auf „rund 20.000“ gesenkt und die sollen dann auch nicht „in Frontnähe“, sondern im ukrainischen Hinterland eingesetzt werden. Ohnehin wolle man eher mit Luftwaffe und Marine „ukrainische Städte, Häfen und Infrastruktur“ sichern. Nur was hat das überhaupt mit einer „Friedenssicherung“ zu tun? Was die Briten dort umreißen, ist ein Verteidigungsbündnis – eine einseitige Sicherheitsgarantie für die Ukraine durch die europäischen NATO-Staaten. Man könnte es auch „NATO-Mitgliedschaft light“ nennen.
Der gesamte Gedanke dahinter hat mit einer echten Friedenssicherung nichts zu tun, da er sich ausschließlich auf die Sicherheitsinteressen der Ukraine, nicht aber die Sicherheitsinteressen Russlands fokussiert. Allein die Idee, Russland würde im Rahmen von Friedensverhandlungen ganze Armeen aus NATO-Staaten direkt an seiner Grenze akzeptieren, ist absurd. Wer soll in diesem Szenario eigentlich die russischen Sicherheitsinteressen garantieren? Diese Frage ist unsinnig? Keinesfalls. Schließlich war es die Ukraine, die mit Rückendeckung des Westens das Minsker Abkommen gebrochen hat, das nach 2015 den Waffenstillstand im Donbass gewährleisten sollte.
Niemand hat die „Koalition der Willigen“ gerufen und außerhalb NATO-Europas werden derlei Planspiele bestenfalls mit Kopfschütteln bewertet. Da Russland diese Planspiele niemals akzeptieren wird, stellen sie ohnehin keinen konstruktiven Beitrag zu den Verhandlungen zwischen den USA und Russland dar. Sie sind ein Stinkefinger der Herren Starmer und Macron in Richtung Washington und gleichzeitig eine Verzögerungstaktik, stehen sie einem baldigen Waffenstillstand doch massiv im Weg. NATO-Europa will keinen Frieden in der Ukraine. Das ist die bittere Wahrheit.
Wie sollte ein Frieden, wenn er denn kommt, sonst gesichert werden? Die bloße Idee, eine Demarkationslinie in der Ukraine von beiden Seiten mit waffenstarrenden Armeen absichern zu wollen, ist abstrus. Nun sind die Diplomaten gefragt. Der beste Frieden ist der Frieden, bei dem beide Seiten kein Interesse daran haben, ihn zu brechen. Umgekehrt wird nämlich ein Schuh draus! Der Westen müsste Russlands Sicherheit garantieren und die BRICS-Staaten müssten die Sicherheit der Ukraine garantieren. Würden russische Soldaten auf chinesische Blauhelme schießen? Würden ukrainische Soldaten auf britische Friedenstruppen schießen? Auch hier sollte das Militär jedoch gar nicht im Vordergrund stehen. Für einen dauerhaften Frieden müssen alle weltpolitisch wichtigen Akteure ins Boot geholt werden – die USA, aber auch China, Indien und der Rest der BRICS-Staaten. Je weniger die EU bei den Friedensverhandlungen zu sagen hat, desto eher besteht die Hoffnung, dass diese Verhandlungen auch zu einem dauerhaften Frieden führen können. Nun sind Visionäre gefragt. Aus dem Schlachtfeld Europas könnte so die Wiege einer neuen, dauerhaften Sicherheitsarchitektur werden. Seien wir also realistisch, versuchen wir das Unmögliche. Doch was ist die Alternative?
Titelbild: Lightspring/shutterstock.com