Die Erklärungsfalle – immer wieder ist zu beobachten, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritischen Gästen diese Falle gestellt wird. Das war auch gestern Abend in der ARD-Sendung Hart aber Fair zu beobachten. Eine Kurzanalyse. Von Marcus Klöckner.
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Louis Klamroth kann’s kaum glauben, und Roderich Kiesewetter bekommt einen Hustenkrampf: bei #hartaberfair schockiert Ole Nymoen die Weltkriegsnostalgiker mit einer Binsenweisheit: „ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung will lieber unter Fremdherrschaft leben als im Kampf… pic.twitter.com/r8f4pVL2JC
— Julian Adrat (@JulianAdrat) March 17, 2025
„Woher nehmen Sie die Gewissheit?“, fragt Moderator Louis Klamroth Buchautor Ole Nymoen. Das ist eine einfache, scheinbar unproblematische Frage. Doch in ihr liegt ein Abgrund. Aber der Reihe nach.
Nymoen hat gerade ein Buch geschrieben. „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde: Gegen die Kriegstüchtigkeit“, lautet der Titel (hier das NachDenkSeiten-Interview mit Nymoen). Das Buch ist ein starkes Statement gegen die Teilnahme am Krieg und für den Frieden. Es ist eine Art „Wunder“, dass Nymoen überhaupt zu Hart aber Fair eingeladen wurde und über seine Sicht sprechen darf. Der Krieg in der Ukraine läuft immerhin seit über 3 Jahren. Viele der grundlegenden Ansichten, die Nymoen vertritt, hätten schon längst vor 3 Jahren hoch und runter an- und ausgesprochen werden müssen. Das war aber nicht der Fall. So zum Beispiel die Feststellung, wonach viele Bürger eines Staates in einem Kriegsfall nicht zu den Waffen greifen wollen. Nymoen spricht diese Wahrheit offen in seinem Buch aus. Doch nun ist da: Klamroth. Der Moderator leitet zu seiner Frage mit folgenden Worten hin: „…was passiert unter einer fremden Herrschaft? Da schreiben Sie: ‚Dabei ist es eigentlich selbstverständlich, dass in jedem Krieg ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung lieber unter fremder Herrschaft leben, als im Kampf sterben will.‘ Woher nehmen Sie die Gewissheit?“
Da ist sie – die Falle der Erklärung. Nymoen antwortet wie folgt:
„Das entnehme ich erstmal der Nachrichtenlage. Denn auch in der Ukraine ist es so, dass es hunderttausende Männer gibt, die sich derzeit in Wohnungen verschanzen, die Angst haben, die Straße zu betreten, weil sie wissen, dass sie dort einfach gejagt werden; dass die Einberufungsbehörden kommen, dass die Männer dort in Vans gezerrt werden und ein paar Wochen später an der Front sind, gegen ihren Willen. Das heißt, es gibt unfassbare Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung. Ich verstehe, wenn Menschen Angst davor haben, dass ihnen das auch passiert. Ich kann irgendwo auch verstehen, dass man in den Krieg zieht. Aber es gibt auch wahnsinnig viele, die wollen das nicht und werden trotzdem dazu gezwungen.“
Das war eine hervorragende Antwort. Und oberflächlich betrachtet ließe sich leicht über Klamroths Frage hinweggehen, schließlich: Ein Gast einer TV-Sendung vertritt eine bestimmte Sicht. Der Moderator stellt eine Frage, möchte wissen, wie der Gast zu seiner Auffassung gelangt. Wo soll da das Problem sein? Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail.
Immer wieder ist im öffentlich-rechtlichen Polit-Talk zu beobachten, dass sich Gäste, die eine vom politischen Mainstream abweichende Meinung vertreten, mit Erklärungsfragen konfrontiert sehen. Sie sollen sich erklären. Sie sollen ihren Standpunkt begründen. Dagegen spricht, selbstverständlich, erstmal nichts. Allerdings werden Fragen der Moderation, die den Gast zum Erklären bringen, dann zu einer Falle, wenn es keine soliden Gründe für die – nennen wir es – „Forderung“ nach einer Erklärung gibt. Was heißt das?
Nymoen spricht etwas aus, was im Grunde genommen „banal“ ist. Alleine schon der gesunde Menschenverstand lässt einen wissen, dass ein großer Teil der Menschen nicht kriegerisch eingestellt ist. Ein großer Teil der Bürger eines jeden Landes will nicht in den Krieg ziehen – selbst wenn das eigene Land angegriffen wird. Denn in den Krieg zu ziehen bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass das eigene Leben sehr schnell enden wird, oder aber man verstümmelt oder schwer traumatisiert zurückkehren wird, ist sehr groß. Die Abwägung zwischen „Weiterleben“ in einem besetzten Land und Sterben in einem Krieg ist nun mal nicht so eindeutig pro Krieg zu beantworten, wie es Kriegstreiber in der Öffentlichkeit darstellen.
Mit anderen Worten: Klamroth bringt Nymoen dazu, etwas zu erklären, was im Grunde genommen gar keiner Erklärung bedarf. Das Wissen um die Realität von Nymoens „Sichtweise“ müsste die Grundlage für Klamroths Moderation sein. Und auf dieser Basis ließen sich dann „Erklärungsfragen“ stellen – und zwar zum Beispiel an Kiesewetter, der zu erklären hätte, wie ein demokratisches Land dazu kommt, Bürger gegen ihren Willen auf der Straße aufzugreifen und zum Töten oder Getötetwerden an die Front zu schicken.
Machen wir uns nichts vor: Das Bild von Ukrainern, die allesamt mit großem Willen in den Krieg gegen Russland ziehen, um ihre Freiheit und ihr Land zu verteidigen, ist ein maximal propagandistisch aufgeladenes Bild. Es ist ein politisches Bild, das dazu dient, uns in Deutschland dazu zu bringen, die politische und militärische Unterstützung des Krieges abzusegnen.
An dieser Stelle von Hart aber Fair wird etwas wie unter einem Brennglas sichtbar: Nämlich das, was nahezu immer der Fall ist, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur „Diskussion“ einlädt. Die Moderatoren sind viel zu oft parteiisch. Mehr oder weniger offen, mehr oder weniger camoufliert richten sie ihre Moderation, ihre Fragen, ihr Einhaken und ihr Nichteinhaken an den politisch opportunen „Wahrheiten“ aus.
Was ohnehin selten vorkommt, aber wenn dann doch mal ein kritischer Geist, der der vorherrschenden Politik grundsätzlich widerspricht, zu Wort kommen darf, stellen die Moderatoren ihm reihenweise „Fallen der Erklärung“. Kritische Gäste müssen sich erklären, bis sie schwarz werden. Sie müssen erklären, dass Wasser nass und die Sonne heiß ist. Da kann die Moderation überhaupt gar nicht „kritisch“ genug „nachhaken“. Während die Gäste mit der Mainstreammeinung sagen können, was sie wollen. „Der Krieg muss nach Russland getragen werden?“ Kein Problem. Wer so etwas sagt, dem stellen Journalisten nicht die Erklärungsfalle. Stattdessen gibt es: Grünes Licht und Daumen hoch! Die implizite Komplizenschaft mit der vorherrschenden Politik wird an vielen Stellen deutlich, wo journalistische Objektivität dringend nötig wäre.
Nymoen hat klasse pariert. Seine Antwort war klug, durchdacht. Die Erklärungsfalle ist nicht zugeschnappt. Aber nicht jeder reagiert so. Selbst sehr erfahrene Akteure verheddern sich bisweilen, weil sie einen schlechten Tag haben, sie auf dem falschen Fuß erwischt und die richtigen Argumente gerade nicht zur Hand haben. Und schon ist die Bloßstellung erreicht.
Aber es gibt ein Gegenmittel. Das ist der Gegenangriff, nämlich: Die Falle der Erklärung sofort identifizieren, ansprechen und sich nicht auf sie einlassen. Als Gast in einer der prominentesten Polit-Talkshows des Landes darf man einen gewissen Wissensstand von der Moderation erwarten.
Titelbild: Screenshot Hart aber Fair