Bundesregierung verweigert Auskunft zur Anzahl der Wahlbeschwerden durch Auslandsdeutsche

Bundesregierung verweigert Auskunft zur Anzahl der Wahlbeschwerden durch Auslandsdeutsche

Bundesregierung verweigert Auskunft zur Anzahl der Wahlbeschwerden durch Auslandsdeutsche

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 23. April um 24:00 Uhr endet für Auslandsdeutsche die Frist zur Einlegung von Einsprüchen wegen der verhinderten Teilnahme an der Bundestagswahl 2025. Auslandsdeutsche, die sich derzeit bei der Bundeswahlleiterin beschweren, erhalten folgende Standardantwort: „Die Schwierigkeiten vieler im Ausland lebender Deutscher und die Herausforderungen, denen die beteiligten Stellen in dem bestehenden Verfahren begegnen, sind der Bundeswahlleiterin und auch dem verordnungsgebenden Bundesministerium des Innern und für Heimat bekannt.“ Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, wie viele Beschwerden bisher von Auslandsdeutschen eingereicht worden sind. Ebenso kam die Frage auf, wieso das Auswärtige Amt nach eigenen Angaben vom 21. Februar bei 213.000 registrierten Auslandsdeutschen nur 9.000 Stimmzettel nach Deutschland transportierte. Von Florian Warweg.

Die NachDenkSeiten erhielten in den Wochen nach der Wahl zahlreiche Zuschriften von auslandsdeutschen Lesern, in großer Mehrheit in EU-Europa lebend, die uns schilderten, wie ihre Wahlunterlagen oft erst an dem Freitag oder Samstag vor der Wahl oder teilweise auch erst an den Tagen danach bei ihnen eintrafen und sie daher nicht an der Wahl teilnehmen konnten. Mehrere Leser schickten uns auch die Antwort des Büros der Bundeswahlleiterin, nachdem sie dort Beschwerde eingelegt hatten.

Exemplarisch veröffentlichen wir einen Beschwerdebrief einer Leserin (Name verifiziert und uns bekannt) an die Bundeswahlleiterin und die darauffolgende Antwort:

Sehr geehrte Frau Bundeswahlleiterin,

hiermit reiche ich Beschwerde bei Ihrem Amt ein, da ich als Auslandsdeutsche von den Bundestagswahlen 2025 am 23.2.2025 abgehalten wurde.

Im Dezember 2024 beantragte ich meinen Wahlschein beim Wahlamt (…) in L. (Ort und Wahlkreisnummer ist der Redaktion bekannt). Am 8. Januar 2025 bestätigte mir das Wahlamt den Eingang meines Antrags (Wahlschein Nr.& Wählerverzeichnis ist der Redaktion bekannt), dass „Sie aber die Stimmzettel erst voraussichtlich Anfang Februar 2025 erhalten“ (Originalzitat).

Am 6.Februar 2025 erhielt ich die E-Mail vom Wahlamt L(…). : „Wir haben nun heute die Stimmzettel erhalten. Ihre Briefwahlunterlagen werden heute noch mit der Post verschickt“ (Originalzitat).

Am 24. Februar 2025 kam der Wahlbrief hier an, was mir vom Postamt in M. (Ort und Land ist der Redaktion bekannt) bescheinigt wurde.

Am 24.Februar 2025 füllte ich den Stimmzettel sofort so aus, wie ich auch gewählt hätte, unterschrieb den Wahlschein und sandte beides zurück nach L. (Ort in Deutschland).

Hiermit lege ich Beschwerde beim Bundeswahlamt in obiger Sache ein, denn ich wurde von meinem Recht auf die Wahl abgehalten.

Mit freundlichem Gruß, M.S. (Vollständiger Name ist der Redaktion bekannt)

Darauf erhielt die NachDenkSeiten-Leserin am 10. März folgende Antwort:

Sehr geehrte Frau S.

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 9. März 2025. Wir bedauern, dass Ihnen bei dieser Bundestagswahl eine rechtzeitige Stimmabgabe nicht möglich war!

Die Schwierigkeiten vieler im Ausland lebender Deutscher und die Herausforderungen, denen die beteiligten Stellen in dem bestehenden Verfahren begegnen, sind der Bundeswahlleiterin und auch dem verordnungsgebenden Bundesministerium des Innern und für Heimat bekannt. Selbstverständlich steht es Ihnen – wie allen Wahlberechtigten – frei, Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl einzulegen.

Es gelten die Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes: Der Einspruch muss schriftlich beim Deutschen Bundestag innerhalb von zwei Monaten nach dem Wahltag eingehen. Er ist zu begründen. Die Frist zur Einlegung von Einsprüchen endet am 23. April 2025 um 24:00 Uhr. Weitere Informationen über das Wahlprüfungsverfahren sowie ein ausführliches Informationsblatt finden Sie hier.

Wir bitten um Verständnis, dass die Bundeswahlleiterin an dieser Stelle keine weiteren Informationen bereitstellen kann. Die Sachverhaltsaufklärung sowie die rechtliche Bewertung erfolgen im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Ihr Auskunftsteam Bundestagswahl
Büro der Bundeswahlleiterin

Die Standardantwort der Bundeswahlleiterin verweist in der Antwort explizit auf das Bundesinnenministerium (BMI) als „verordnungsgebendes Bundesministerium“ beim Wahlablauf und auch was den Wissensstand um die „Schwierigkeiten vieler im Ausland lebender Deutscher“ in Bezug auf die Teilnahme an der Bundestagswahl angeht. Die „Antwort“ des BMI-Sprechers, bei der Frage nach der Anzahl der Beschwerden von Auslandsdeutschen jede Auskunft zu verweigern und ausschließlich auf die Bundeswahlleiterin zu verweisen, überzeugt nicht. Zudem hatte das BMI gegenüber dem Bundestag bei einer ähnlichen BSW-Anfrage einige Tage zuvor ganz anders geantwortet. Doch dazu später mehr.

Auswärtiges Amt mit fragwürdigem Verständnis des Wahlrechts

Noch aufschlussreicher als die Nicht-Antwort des BMI ist die Antwort des Auswärtigen Amtes (AA) auf die Frage, wieso nur eine so geringe Anzahl von Wahlunterlagen über den Kurierdienst des Auswärtigen Amtes verschickt worden ist – obwohl allen Beteiligen zu dem Zeitpunkt schon klar war, dass eine klassische postalische Zusendung für viele Auslandsdeutsche eine Nichtteilnahme an der Wahl bedeuten würde:

„Das Auswärtige Amt hat den Kurierweg geöffnet, und zwar auf freiwilliger Basis, weil uns als Bundesregierung in Gänze die Möglichkeit der Beteiligung auch im Ausland lebender deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger ein sehr wichtiges Anliegen ist.“

Den Kurierdienst in Anbetracht der realen Situation als „freiwillige Serviceleistung“ des AA darzustellen, ist eine gewagte These. Noch viel gewagter ist aber die Aussage, dass der Bundesregierung „die Möglichkeit der Beteiligung auch im Ausland lebender deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger ein sehr wichtiges Anliegen ist“.

Das Grundgesetz legt in Artikel 38, Absatz 1 eindeutig fest:

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“

Es ist kein Zufall, das besagter Artikel 38, Absatz 1 als allererstes von „in allgemeiner … Wahl“ spricht. Das Kriterium der Allgemeinheit fordert, dass alle Wahlberechtigten den gleichen Zugang zur Wahl besitzen. Dies wurde den Auslandsdeutschen durch die bekannten „Schwierigkeiten“ zu Abertausenden verwehrt. Dass die AA-Sprecherin in diesem Zusammenhang von der „Möglichkeit der Beteiligung auch im Ausland lebender deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger“ spricht, und dies dann noch als „wichtiges Anliegen“ bezeichnet, spricht Bände über das eingeschränkte verfassungsrechtliche Verständnis, das derzeit im AA zu herrschen scheint. Denn das Auswärtige Amt tut hier so, als sei die Beteiligung von den für die Wahl registrierten Auslandsdeutschen an der Wahl eine nette Geste der aktuellen Bundesregierung und nicht ein verfassungsrechtlich verankertes Recht, welches gebrochen wurde.

Selbst die Tagesschau spricht mit Verweis auf Recherchen des NDR und der Süddeutschen davon, dass mitnichten die durch die vorgezogenen Neuwahlen verkürzten Zusendungsfristen für diesen Skandal der verhinderten Wahlteilnahme von Auslandsdeutschen verantwortlich waren, sondern vor allem „Nachlässigkeiten, Planungsfehler“ sowie die (wenig nachvollziehbare) Entscheidung, „besonders langsame Versandarten“ für die Versendung der Briefwahlunterlagen zu wählen. Honi soit…

Wieso antwortet das BMI dem BSW anders als den NachDenkSeiten?

Vielsagend ist in diesem Zusammenhang auch die „Antwort“ der Bundesregierung auf eine Anfrage des BSW-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko. Dieser hatte die Bundesregierung nach der Wahl gefragt, „wie viele der etwa 213.000 Auslandsdeutschen, die sich vor der Bundestagswahl 2025 ins Wählerverzeichnis haben eintragen lassen, rechtzeitig ihre Wahlunterlagen erhielten und abgestimmt haben“ sowie „in welchen Staaten gab es nach Kenntnis der Bundesregierung die meisten Probleme bei der rechtzeitigen Zustellung der Wahlunterlagen“. Im Gegensatz zur Antwort des BMI auf der BPK gab es in dem Fall keinen Verweis auf die angeblich ausschließliche Zuständigkeit der Bundeswahlleiterin. Die Antworten auf die beiden Fragen lauteten:

„Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wie viele der Auslandsdeutschen, die sich vor der Bundestagswahl 2025 ins Wählerverzeichnis haben eintragen lassen, rechtzeitig ihre Wahlunterlagen erhielten und ihre Wahlstimmen abgegeben haben.“

Sowie in Bezug auf die zweite Frage:

„Eine Quantifizierung und Reihung, in welchen Staaten es die meisten Probleme bei der rechtzeitigen Zustellung der Wahlunterlagen gab, ist der Bundesregierung nicht möglich.“

Dass es der Bundesregierung angeblich nicht möglich sei, festzustellen, in welchen Staaten Auslandsdeutsche die meisten Probleme bei der Zustellung der Wahlunterlagen hatten, ist nicht glaubwürdig. Es ist offensichtlich, dass sie kein Interesse daran zeigt, dies herauszufinden, aber gegenüber dem Bundestag zu behaupten, die deutsche Exekutive hätte in diesem Zusammenhang keine Möglichkeiten zur „Quantifizierung und Reihung“ ist mutmaßlich eine Lüge. Denn hier fehlt es an politischem Willen zur Aufklärung, aber nicht, wie vorgegeben, an fehlenden rechtlichen und praktischen Mitteln, diese Aufklärung zu leisten.

Wie erklärt sich der signifikante Unterschied der offiziell Wahlberechtigten zwischen vorläufigem und amtlichem Endergebnis?

Auf einen bisher fast gar nicht beachteten Aspekt bei der aktuellen Bundestagswahl macht der emeritierte Wirtschaftsprofessor Prof. Dr. Werner Müller, der mittlerweile in Spanien lebt und ebenfalls seine Wahlunterlagen zu spät erhalten hat, aufmerksam: In einem Beitrag mit dem Titel „Ist das endgültige Endergebnis endgültig?“ weist er darauf hin, dass die Zahl der Wahlberechtigten zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen amtlichen Endergebnis von 60.490.603 auf 60.510.631 gestiegen ist, also um insgesamt 20.028 Personen.

Eine Aktualisierung der Wählerlisten fällt als Erklärung weg, dann hätten die Zahlen ja sinken müssen. Denn es war bekannt, wer zwischen der Erstellung des Wählerverzeichnisses und dem Wahltag das 18. Lebensjahr vollenden würde. Nicht vorhersehbar war wiederum, wer zwischen diesen Tagen versterben würde und dann am Wahltag nicht mehr wahlberechtigt wäre. Die Zahl hätte, so die Argumentation von Prof. Dr. Müller, also sinken und nicht steigen müssen. Der Einwand ist durchaus berechtigt und relevant.

Abschließend bleibt festzuhalten: Die zahlreichen „Pannen“, nachgewiesene Unregelmäßigkeiten, scheinbar teilweise bewusst zu spät losgeschickte Wahlunterlagen sowie bis heute nicht vollumfänglich vorliegende Wahldaten in Verbindung mit der anschließenden Verweigerung der Bundesregierung und verantwortlichen Bundesbehörden, diese Vorfälle zeitnah und objektiv aufzuklären, haben der Glaubwürdigkeit von Politik und der Institution Bundestagswahl schweren Schaden zugefügt.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 12. März 2025

Frage Warweg
Zur Causa Bundestagswahl und zu den Auslandsdeutschen: Jene Auslandsdeutsche, die sich derzeit beim Bundeswahlleiter wegen ihrer Nichtteilnahmemöglichkeit an der Bundestagswahl beschweren, erhalten eine Standardmail, in der erklärt wird – ich zitiere ganz kurz – „Die Schwierigkeiten vieler im Ausland lebender Deutschen und die Herausforderungen, denen die beteiligten Stellen in den bestehenden Verfahren begegnen, sind der Bundeswahlleiterin und auch dem verordnungsgebenden Bundesministerium des Innern bekannt.“

Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Wie viele Beschwerden wurden denn mit Stand 11. März 2025 bisher von Auslandsdeutschen eingereicht? Die Zahlen werden dem BMI als verordnungsgebendes Ministerium ja sicher vorliegen.

Harmsen (BMI)
Die zuständige Stelle, um genau diese Fragen zu beantworten, ist die Bundeswahlleiterin. Insofern müssten Sie auch die Fragen nach den Zahlen dorthin richten.

Zusatz Warweg
Die Bundeswahlleiterin hat ja auf Ihr Ministerium verwiesen, aber gut.

Damit die ganze Last nicht nur auf dem BMI liegt, noch eine Frage an das Auswärtige Amt: Im Januar 2025 hatte das Außenministerium angesichts der sich anbahnenden Probleme bei der Zustellung der Wahlunterlagen an die 213 000 registrierten Auslandsdeutschen die Verpflichtung übernommen, den diplomatischen Kurierdienst für die Briefwahlunterlagen zu nutzen und für den Rücktransport der Briefwahlunterlagen Sonderkuriere einzusetzen. Nach eigenen Angaben Ihres Ministeriums hier am 21. Februar sollen dabei insgesamt 9000 Wahlunterlagen in die Kurierstelle des AA geliefert worden sein.

Wie erklärt man im Rückblick diese doch sehr geringe Zahl durch das AA-Kuriersystem transportierter Briefwahlunterlagen, Frau Deschauer?

Deschauer (AA)
Herr Warweg, ich denke, wir haben uns zu dem ganzen Themenkomplex hier ausführlich und auch im zeitlichen Rahmen geäußert. Ich möchte kurz auf eine Passage in Ihrer Einleitung hinweisen. Es geht keineswegs um eine Verpflichtung des Auswärtigen Amts. Das Auswärtige Amt hat den Kurierweg geöffnet, und zwar auf freiwilliger Basis, weil uns als Bundesregierung in Gänze die Möglichkeit der Beteiligung auch im Ausland lebender deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger ein sehr wichtiges Anliegen ist. Insofern besteht keinerlei Verpflichtung. Die Zuständigkeiten haben wir schon in der Antwort auf Ihre vorherige Frage geklärt. Das würde ich auch mit Blick auf eine Bewertung so handhaben wollen. Meine Kollegen schauen gerade zu und sagen, dass ungefähr 11 000 solcher Briefwahlunterlagen über den Kurierweg ihren Weg zurück nach Deutschland gefunden haben.

Wir haben hier, denke ich, auch sehr umfänglich erläutert, dass der Kurierweg als freiwillige Serviceleistung des Auswärtigen Amtes natürlich nicht den sehr umfänglich genutzten und so auch eigentlich vorgesehenen postalischen Weg ersetzt, sondern nur ergänzt. Ich habe die Statistiken nicht dabei, aber die überwiegende Anzahl derjenigen deutschen Staatsangehörigen, die sich registriert haben und an der Bundestagswahl teilnehmen wollten, lebt im europäischen Ausland und hat unserer Annahme nach den sehr regulären und sehr zuverlässigen postalischen Weg aus unseren europäischen Nachbarländern genutzt.

Zusatzfrage Warweg
Da gibt es andere Berichte, aber gut. – Können Sie die Belege dafür, dass das so problemlos geklappt hat, wie Sie es geschildert haben, noch nachliefern?

Deschauer (AA)
Ich habe nichts nachzuliefern, weil ich Ihnen hier eine sehr umfängliche ergänzende Serviceleistung zu den vielfältigen Serviceleistungen, die wir hier schon angebracht haben, erbracht habe. Noch einmal: Wir als Auswärtiges Amt waren unterstützend tätig und keineswegs verpflichtet. Wir haben das aber sehr gern getan. – Dabei möchte ich es gern belassen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 12.03.2025

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