Beschlüsse mit dem alten Bundestag: Die geballte Dreistigkeit

Beschlüsse mit dem alten Bundestag: Die geballte Dreistigkeit

Beschlüsse mit dem alten Bundestag: Die geballte Dreistigkeit

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Sowohl das Verfassungsgericht als auch die LINKE hätten laut manchen Beobachtern gegen die geballte Dreistigkeit der abgewählten Mehrheit einschreiten können – aber erwartungsgemäß wurde das unterlassen. Auch wenn es legal ist: Dass der alte Bundestag noch schnell weitreichende Änderungen beschließen will, ist eine Verhöhnung und Entwertung des selber proklamierten „Kampfes für die Demokratie“. Aber die Verantwortlichen werden mit dem Winkelzug wohl durchkommen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Nachdem an diesem Sonntag der Haushaltsausschuss des alten Bundestages dem Parlament empfohlen hat, die nötigen Grundgesetzänderungen für zusätzliche Schuldenaufnahmen zu beschließen, ist dafür nun eine Sondersitzung am Dienstag geplant, wie Medien berichten. Dieses Vorgehen ist wie weitere Aspekte rund um das Thema Bundestagswahl meiner Meinung nach skandalös. Auch wenn das Vorgehen der abgewählten Mehrheit nicht als illegal zu bezeichnen sein sollte, so ist es doch empörend.

AfD und LINKE hatten sich laut Medienberichten – getrennt voneinander – bemüht, die Sondersitzung zu blockieren, und stellten Anfang letzter Woche Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht. Auch Sevim Dagdelen vom BSW reichte einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein, um das Milliardenpaket für „Verteidigung und Infrastruktur“ zu stoppen. Aber das Gericht wies am Freitag mehrere Anträge gegen die einberufenen Sondersitzungen des alten Bundestags zurück. Die Anträge seien unbegründet, so die Richter in Karlsruhe. Der Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Volker Boehme-Neßler, schreibt in Cicero:

„Das Bundesverfassungsgericht hat gestern die Anträge mehrerer Abgeordneter von Linken und AfD gegen die Bundestags-Sondersitzungen verworfen. Die Entscheidungen aus Karlsruhe sind respektlos – gegenüber der Verfassung und gegenüber den Bürgern.“

Zum vom Verfassungsgericht nicht gestoppten Winkelzug des alten Bundestages schreibt sogar das Redaktionsnetzwerk Deutschland:

„Die Kanzlerschaft von Friedrich Merz wird nicht nur auf einer veritablen Wählertäuschung basieren, sondern auch auf einer Abkehr von bisherigen politischen Gepflogenheiten. Diese bestanden darin, nach einer Wahl mit dem alten Bundestag keine weitreichenden Beschlüsse mehr zu fassen. Wie sinnvoll das ist, zeigt sich gerade im aktuellen Fall der geplanten Grundgesetzänderung. (…) Die Mütter und Väter des Grundgesetzes würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, wie heutzutage mit ihrer damals sehr sorgsam austarierten Verfassung umgegangen wird.“

Das Verfassungsgericht und das BSW

Das Verfassungsgericht hat zusätzlich zu den Anträgen zum Thema alter Bundestag Anträge des BSW und Anderer zur Klärung von umstrittenen Wahlergebnissen abgelehnt, wie das Gericht in einer Pressemitteilung erklärt:

„Mit Beschlüssen vom heutigen Tag hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Anträge abgelehnt, die letztlich darauf zielen, eine Neuauszählung der abgegebenen Stimmen zum 21. Deutschen Bundestag wegen vermeintlicher Auszählungsfehler noch vor der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses zu erreichen. Die Anträge, im Einzelnen der Antrag im Organstreitverfahren der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW), die Verfassungsbeschwerde von Parteimitgliedern und Wahlberechtigten sowie die isolierten Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Vorgriff auf eine Wahlprüfungsbeschwerde von Wahlberechtigten, sind unzulässig.“

Reaktionen auf diese Entscheidung des Verfassungsgerichts finden sich in der Frankfurter Rundschau oder auf X hier oder hier.

Könnte die LINKE die Kriegskredite noch verhindern?

Zurück zur Frage der Abstimmung durch den alten Bundestag. Nach Ansicht mancher Beobachter könnten LINKE und AfD gemeinsam auf das sofortige Zusammentreten des neu gewählten Bundestages bestehen und damit dem fortgesetzten Wirken des alten Bundestags einen Riegel vorschieben. Ob sich das von Gesetzestexten so ableiten lässt, zu dieser Frage gibt es allerdings eine juristische Diskussion.

Vonseiten des BSW und der AfD gibt es nun Aufrufe an die LINKE, die Kriegskredite durch eine Abstimmung mit der AfD zu verhindern. Die LINKE hat das erwartungsgemäß abgewehrt: „Wir als Linke arbeiten weder in dieser noch in einer anderen Frage mit der verfassungsfeindlichen AfD zusammen“, erklärte LINKEN-Parlamentsgeschäftsführer Christian Görke am Sonntag laut Medien. Zudem gebe es für das Vorgehen der AfD keine Rechtsgrundlage. Gregor Gysi von der LINKEN argumentiert auf der juristischen Ebene folgendermaßen, wie er auf X geschrieben hat:

„Die Auffassung der AfD und auch des Herrn Ulrich Vosgerau, dass die neuen Abgeordneten von AfD und Linken zusammen die unverzügliche Einberufung des neuen Bundestages verlangen und erreichen können, ist schlicht und einfach juristischer Unsinn. (…)Die künftigen Abgeordneten können überhaupt keinen zulässigen Antrag an die bisherige Bundestagspräsidentin stellen, weil sie noch keine Abgeordneten im Sinne des Grundgesetzes sind. Voraussetzung ist die Konstituierung des Bundestages. Erst dann beginnen die Rechte der Abgeordneten. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch die Abgeordneten des neuen Bundestages die Konstituierung beschließen können. Die Regelung von einem Drittel der Abgeordneten gilt in diesem Falle aber nicht. (…).“

Der von Gysi erwähnte Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau schreibt dagegen zu der Frage in einem längeren Beitrag auf X unter anderem:

„Unser Versuch, den verfassungsändernden Staatsstreich der noch-Mehrheit im bereits abgewählten Bundestag doch zu unterbinden, ist im Kern gar nicht unsere eigene Idee, sondern folgt unmittelbar einer Anregung des BVerfG. Wir hatten gegenüber dem BVerfG sorgfältig dargelegt, daß eine Einberufung des alten Bundestages geraume Zeit nach Konstituierung der Fraktionen des neuen Bundestages und einen Tag vor Feststellung des amtlichen Endergebnisses der Bundestagswahl (ab dem wohl auf jeden Fall der neue und nicht der alte Bundestag einzuberufen gewesen wäre!) nicht in Frage kommt, sondern, wenn schon, durch die Bundestagspräsidentin der neue Bundestag zu konstituieren gewesen wäre und sich dann auch über Vorschläge zur Verfassungsänderung hätte unterhalten können. (…).“

Auch Sahra Wagenknecht vom BSW sagte zu der Frage laut Medien, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Ablehnung der oben erwähnten Eilanträge noch einmal darauf hingewiesen habe: „Der neue Bundestag muss zusammentreten, wenn ein Drittel der Abgeordneten das verlangt“. Wagenknecht rief die LINKE zur Abstimmung auf, um „das größte Schulden- und Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik“ zu verhindern. Dafür müsse die LINKE auch gar nicht mit der AfD zusammenarbeiten. „Sie müsste der Präsidentin des Bundestages einfach nur mitteilen, dass sie die sofortige Einberufung des neuen Bundestages verlangt“, sagte Wagenknecht dem RND.

In einem aktuell kursierenden Offenen Brief an die LINKE werden die Parlamentarier dringend gebeten „den Bundestag spätestens am 18.03.2025 um 8:00 Uhr zu konstituieren und die erste Sitzung einzuberufen, um eine geplante Verfassungsänderung zu verhindern“. Sevim Dagdelen vom BSW schreibt auf X:

„Die #Linke hat die historische Chance, die #Kriegskredite für unbegrenzte Aufrüstung zu verhindern. Sie müsste nur ein Mal über das unsinnige Brandmäuerchen springen, um mit den falschen das Richtige zu machen: den neu gewählten Bundestag einzuberufen und so den Kriegsbesoffenen die rote Karte zeigen.“

In dem relevanten Artikel 39 des Grundgesetzes heißt es laut Medien: „Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages.“ In Absatz 3 sei zudem geregelt: „Der Bundestag bestimmt den Schluss und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.“ Von insgesamt 630 Sitzen im neuen, 21. Bundestages entfallen auf AfD und Linkspartei zusammen 216 Sitze, ein Drittel liegt bei 210 Sitzen.

Delegitimierung des Staates?

Die vergangenen Tage waren geprägt vom extrem fragwürdigen Vorgehen der abgewählten Mehrheit im Bundestag. Dazu kam am Wochenende der unverblümte Jubel zahlreicher Journalisten über den „Coup“ der Grünen, die sich in den Verhandlungen zu dem Schulden-Deal „teuer verkauft“ hätten.

Es mag legal sein, mit den alten Mehrheiten noch schnell über eine weitreichende Zukunft bestimmen zu wollen. Trotzdem ist der mit zielstrebiger Entschlossenheit begangene Schritt ein Schlag ins Gesicht der Wähler und eine Verhöhnung der eigenen Floskeln zum „Kampf für die Demokratie“. Angesichts des durch das Handeln der alten Mehrheit verursachten Vertrauensverlusts bei vielen Wählern könnte man ja fast von einer versuchten Delegitimierung des Staates sprechen.

Titelbild: Ryan Nash Photography / shutterstock.com

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