Wie weiter in Syrien? Viele haben das Vertrauen in die Vereinten Nationen verloren

Wie weiter in Syrien? Viele haben das Vertrauen in die Vereinten Nationen verloren

Wie weiter in Syrien? Viele haben das Vertrauen in die Vereinten Nationen verloren

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Am Wochenende wurde in Syrien der 14. Jahrestag der Revolution gefeiert, während im Küstengebiet in den letzten Tagen über 1.500 Menschen bei Massakern starben. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Gewalt und forderte den Schutz aller Syrer. Die USA und Russland legten gemeinsam eine einstimmig angenommene Erklärung vor, die auf die UN-Resolution 2254 (2015) Bezug nimmt. Einige Staaten wollten Israels militärisches Vorgehen in Syrien konkreter benennen, was nicht umgesetzt wurde. Israel hat nach dem Fall des Assad-Regimes strategische Positionen besetzt und syrische Militärstellungen bombardiert. Die Hayat Tahrir al-Sham (HTS), ursprünglich als Al-Qaida-Ableger gegründet, spielt eine zentrale Rolle im aktuellen Konflikt. Von Karin Leukefeld.

Mit Demonstrationen und Straßenfesten wurde am 15. März (Samstag) in Städten Syriens an den 14. Jahrestag der Syrischen Revolution erinnert. Die Feste fanden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Fahnen wurden geschwenkt, Süßigkeiten verteilt, revolutionäre Lieder hallten durch die Straßen, beschreibt es der Nachrichtensender Al Jazeera aus Katar und ähnlich auch türkische Medien. Hubschrauber kreisten über den Menschen, die sich den Berichten zufolge in großen Mengen versammelt hatten und warfen Konfetti und Rosen herunter. „Rosen sind ein Symbol für Frieden, sagen die Leute“, berichtete der Al-Jazeera-Reporter in Damaskus. „Stellen Sie sich vor, 14 Jahre lang haben die Hubschrauber über diesem Land Fassbomben auf die Menschen geworfen.“ Doch nun sei die Zeit des Friedens und der Versöhnung angebrochen „und aus den Hubschraubern werden Rosen geworfen“.

Im Küstengebiet des Landes feierten die Menschen nicht. Mehr als 1.500 Menschen, zumeist Zivilisten, waren nach dem 6. März bei Menschenjagd und Massakern ums Leben gekommen. Bewaffnete Kräfte der „Allianz zur Befreiung der Levante“, Hayat Tahrir al-Sham (HTS), – die weithin als „ausländische extremistische“ Kräfte bezeichnet wurden – hatten Menschen wahllos erschossen, gedemütigt und gejagt, die sie als „Überbleibsel des Assad-Regimes“ verfolgten. Sie reagierten auf einen Aufstand ehemaliger Offiziere und Soldaten der syrischen Armee, den diese „Küstenschild“ genannt hatten. Die HTS-Truppen waren schließlich in der Überzahl und schlugen den Aufstand nieder.

UN-Sicherheitsrat weitgehend einer Meinung

Zwei Mal war der UN-Sicherheitsrat in der vergangenen Woche zusammengekommen, um über die „Situation im Mittleren Osten, Syrien“ zu beraten. Am 10. März (Montag) tagten die Vertreter der 15 Mitgliedsstaaten hinter verschlossenen Türen, am 14. März (Freitag) wurde eine „Stellungnahme des Präsidenten“ verabschiedet. Den derzeitigen Vorsitz des Sicherheitsrates hat Dänemark, deren UN-Botschafterin Christina Markus Lassen die Stellungnahme vortrug.

Der Sicherheitsrat verurteile die „weit verbreitete Gewalt in den syrischen Provinzen Latakia und Tartus seit dem 6. März – einschließlich der Massentötung von Zivilisten der alawitischen Gemeinschaft“, hieß es in der Erklärung. Die Übergangsbehörden seien aufgefordert, „alle Syrer ohne Unterschied zu schützen“. Die Erklärung, deren Entwurf gemeinsam von den USA und Russland bereits am 10. März vorgelegt und anschließend unter den 15 Mitgliedern diskutiert worden war, wurde einstimmig angenommen. Verurteilt würden die „Angriffe auf die zivile Infrastruktur“, alle Seiten seien aufgefordert, „umgehend jegliche Gewalt und aufrührerische Aktivitäten“ einzustellen. Der Schutz der Zivilbevölkerung, der Infrastruktur müsse gewährleistet sein, ebenso alle „humanitären Aktivitäten“. Der Zugang zu den betroffenen Gebieten und Personen müsse gesichert sein, die humanitäre Unterstützung in ganz Syrien sei „schnell zu erhöhen“.

Die Erklärung nimmt auch Bezug auf die UN-Sicherheitsratsresolution 2254 (2015) und fordert alle Staaten auf, „die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Unversehrtheit Syriens zu achten und sich jeder Handlung oder Einmischung zu enthalten, die das Land weiter destabilisieren könnte“. Die syrische Interimsführung wird aufgefordert, „entschlossen“ der Bedrohung entgegenzutreten, die „von ausländischen terroristischen Kämpfern“ ausgehe. Syrien sei verpflichtet, die UN-Sicherheitsratsresolutionen zur Terrorismusbekämpfung einzuhalten. Das Geschehen müsse „schnell, transparent, unabhängig, unparteiisch und umfassend“ untersucht werden, alle, die Gewalt gegen Zivilisten angewandt hätten, seien zur Rechenschaft zu ziehen. Der UN-Sicherheitsrat nahm zudem die Berufung eines unabhängigen Untersuchungskomitees zur Kenntnis, ebenso die Entscheidung, ein „Komitee für zivilen Frieden“ einzurichten. Der politische Prozess müsse „von Syrern für Syrer“ geführt werden, wurde in der Erklärung der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 (2015) zitiert. „Alle Syrer, egal welcher ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit“, hätten das Recht, über „ihre Zukunft friedlich, unabhängig und demokratisch zu bestimmen“.

Israel beim Namen nennen

Aus einem UN-Protokoll über die Diskussion im UN-Sicherheitsrat am 14. März geht hervor, dass die 15 Mitgliedsstaaten sich weitgehend einig über den Wortlaut und die allgemein gehaltene Sprachregelung der Erklärung waren. Bei einem zentralen Punkt allerdings gab es unterschiedliche Ansichten, wie das Protokoll vermerkt. Ein Teil der Mitgliedsstaaten, darunter die so genannten „A3 plus“-Staaten – Algerien, Sierra Leone, Somalia und Guyana –, wollten das militärische Vorgehen Israels konkreter benennen.

Sie wollten in dem Zusammenhang die militärischen Aktivitäten Israels nach dem Ende der Assad-Regierung in Syrien benennen, da diese die Instabilität des Landes förderten. Der Vorschlag war, eine Formulierung aus einer Erklärung vom 17. Dezember 2024 zu übernehmen, in der „der Respekt des Abkommens zwischen Israel und Syrien aus dem Jahr 1974 gefordert wird, in dem die Grundsätze für die Pufferzone auf dem Golan vereinbart waren, die von der UN-Mission UNDOF (UN-Beobachtermission zum militärischen Auseinanderrücken (Disengagement)“ auf den Golanhöhen kontrolliert werden. Alle Parteien müssten diese Verpflichtungen „einhalten, Ruhe bewahren und Spannung abbauen“. In der Stellungnahme heißt es nun lediglich, „alle Staaten“ seien aufgefordert, „die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Unversehrtheit Syriens zu achten und sich jeder Handlung oder Einmischung zu enthalten, die das Land weiter destabilisieren könnte“.

Am 19. März wird der UN-Sicherheitsrat über die Lage in den von der UN-Mission UNDOF kontrollierten Gebieten diskutieren, am 25. März wird die politische und humanitäre Entwicklung Syriens erneut auf der Tagesordnung stehen.

Vertrauen fehlt

Angesichts der systematischen Missachtung des internationalen Rechts und der UN-Charta durch Israel haben viele Menschen in Syrien und in der Region das Vertrauen in die Vereinten Nationen verloren.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der HTS in Damaskus zogen israelische Truppen durch die UN-Pufferzone auf dem Golan, durchbrachen Sperrzäune und drangen nach Syrien ein. Inzwischen hat Israel fünf strategische Hügel eingenommen, einschließlich syrische Stellungen auf dem Berg Hermon (Jbeil Scheich). Von dort kann Israel die gesamte Telekommunikation zwischen Beirut und Damaskus abhören. In der UN-Pufferzone auf dem Golan hat Israel angefangen, 6 Militärbasen zu errichten. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu fordert eine entmilitarisierte Zone südlich von Damaskus, einschließlich der syrischen Provinzen Sweida, Deraa und Qunaitra. Tagelang bombardierte die israelische Luftwaffe syrische Militärstellungen im ganzen Land. Bei den mehr als 500 Luftangriffen wurden alle militärischen Stellungen, Lager, Flughäfen und Häfen der ehemaligen syrischen Armee zerstört.

Ob Gaza, Westjordanland, Libanon oder Syrien

Die absichtliche Vernichtung ziviler und militärischer Infrastruktur und Lebensgrundlagen, das systematische Töten auch von Frauen und Kindern, Angriffe und Verwüstung von Kliniken, Schulen, Kirchen und Moscheen, von Wohnungen und Lebensgrundlagen, Folter von Gefangenen, Einsatz von weißem Phosphor – es gibt kein Halten für die israelische Armee. 2.000 Pfund Bomben werden über Wohngebieten abgeworfen und Bomben, die mit künstlicher Intelligenz Zielpersonen suchen und mit ihnen Dutzende Menschen töten, kommen zum Einsatz.

Bunkerbrechende Bomben gehören zum Standardarsenal der israelischen Luftwaffe, wie im Fall des Angriffs auf den Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah. Bei diesem Angriff auf ein Wohnviertel von Beirut setzte Israel mehr als drei Mal so viele bunkerbrechende Bomben ein, als die US-Luftwaffe während der ganzen Irak-Invasion 2003 nutzte.

Israel ist ein UN-Mitgliedsstaat, doch keines seiner in aller Öffentlichkeit stattfindenden Kriegsgräuel hat bisher den UN-Sicherheitsrat dazu gebracht, Artikel 7 der UN-Charta zu aktivieren. Dieser Artikel enthält eine Reihe von spürbaren politischen und wirtschaftlichen Strafmaßnahmen und Waffenembargos, die der Sicherheitsrat gegen Israel in Kraft setzen könnte. Allein eine Debatte darüber, geschweige denn eine Abstimmung, würde für Aufmerksamkeit sorgen.

Und so bleibt es einer bewaffneten Widerstandsbewegung im Jemen überlassen, dem Armenhaus der arabischen Welt, auf ihre Art mit einseitigen Strafmaßnahmen gegen Israel und deren Partner vorzugehen. Die Ansar Allah, auch Houthi-Bewegung genannt, greifen US-Kriegsschiffe im Roten Meer an und solche Schiffe, die Ladung für Israel tragen. Zunächst, um einen Waffenstillstand im Gazakrieg zu erreichen. Aktuell, um Israel zu zwingen, die Belagerung des Gazastreifens aufzuheben, damit Trinkwasser, Lebensmittel, Medikamente, Decken, Fertighäuser und Benzin die Menschen erreichen.

Israel hat bereits früher mit Luftschlägen auf Jemen reagiert. Nun haben die USA und Großbritannien einen Großangriff auf Houthi-Stellungen durchgeführt. Mindestens 31 Personen, darunter auch Kinder, wurden getötet. Russland forderte die USA auf, die Angriffe einzustellen und diplomatisch zu handeln.

Mit den USA, Großbritannien und Frankreich sitzen drei Veto-Mächte am Tisch des Sicherheitsrates, die Israel mit Waffen, Geld, Aufklärung und Spezialkräften unterstützen, sie bemühen keine Diplomatie. Anstatt mit den Houthis zu reden, hat die Trump-Administration gegen die Bewegung Sanktionen verhängt. Auch Russland und China, die ebenfalls ein Veto-Recht haben, gelingt es nicht, das israelische Wüten zu stoppen. Für die Menschen der Region bedeutet die „Sicherheit Israels“ die Vernichtung ihres Lebens, Missachtung ihrer Rechte und gewaltsame Landnahme.

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2254

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2254, auf die in der aktuellen Syrien-Erklärung des Sicherheitsrates verwiesen wird, stammt aus dem Jahr 2015. Zehn Jahre lang wurde im Sinne dieser Resolution unter dem Dach der Vereinten Nationen (in Genf) ein Dialogprozess zwischen einem Teil der syrischen Opposition, syrischer Zivilgesellschaft und Vertretern der syrischen Regierung (von Bashar al Assad) vorbereitet, ohne je zu einem Ergebnis zu kommen. Syrien hatte immer wieder gefordert, die Diskussion in Syrien fortzusetzen, ohne Einmischung von außen. Der Westen warf Damaskus vor, den Prozess zu verschleppen und nicht daran interessiert zu sein.

Die Vorgängerorganisation der heutigen Machthaber in Syrien, Hayat Tahrir al-Sham (HTS), war die Nusra Front, die (nach offiziellen Angaben) im Januar 2012 von Abu Mohammed al-Golani, heute Ahmad Al-Sharaa, gegründet und in Deir Ez-Zor, im Osten Syriens, als „Syrien-Vertretung der Al Qaida“ aufgebaut worden war. Die regionalen und internationalen, teilweise staatlichen Unterstützer der Nusra Front setzten sich nach der Verabschiedung der UNSR-Resolution 2254 (2015) vergeblich dafür ein, dass die Organisation als „syrische Opposition“ in den Dialogprozess am Sitz der UN in Genf einbezogen wurde. Der katarische Nachrichtensender Al Jazeera veröffentlichte 2015 ein ausführliches zweiteiliges Interview mit Al Golani. Darin machte er u.a. deutlich, dass man kein Interesse habe, den Westen anzugreifen. Ziel sei, die Assad-Regierung zu stürzen.

Ein Jahr später erhielt Al Jazeera 2016 ein „exklusives Video“ mit der Erklärung von Al Golani, dass die Nusra Front sich von Al Qaida trenne und sich in „Front für die Befreiung der Levante“ umbenannt habe, Jabhat Fath al Sham. Aus dieser wurde schließlich Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die „Allianz für die Befreiung der Levante“.

Die Umwandlung half nicht. Die Nusra Front und ihre Folgeorganisationen standen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen auf einer internationalen Liste von Terrororganisationen, die bei den Vereinten Nationen und den meisten Staaten, einschließlich USA und Russland, vorlag. Ihr Gründer und Führer Abu Mohammed al-Golani, stand ebenfalls auf der Liste. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Titelbild: © Karin Leukefeld