Stimmen aus Russland: Wie die Mordwinen ihre Identität schützen

Stimmen aus Russland: Wie die Mordwinen ihre Identität schützen

Stimmen aus Russland: Wie die Mordwinen ihre Identität schützen

Gábor Stier
Ein Artikel von Gábor Stier

Das im europäischen Teil Russlands zwischen den Flüssen Oka und Sura gelegene Mordwinien, eine Nachtzugfahrt von Moskau entfernt, mit weniger als einer Million Einwohnern, ist weder durch den Krieg noch durch die „militärische Spezialoperation“, wie es hier genannt wird, aus seiner gewohnten Routine gerissen worden. In den letzten Jahren hat sich die Region immer dynamischer entwickelt, und man hat gar nicht das Gefühl, an einem gottverlassenen Ort zu sein. Gábor Stier sprach über die Situation in der Region, die Herausforderungen, die Beziehungen innerhalb Russlands und den „Multikulturalismus“ in Russland mit Artjom Alexejewitsch Zdunow, dem Oberhaupt der Republik Mordwinien, der einer neuen Generation technokratischer Politiker angehört. Éva Péli übersetzte das Interview aus dem Ungarischen.

Die Bewohner von Mordwinien sind freundlich, direkt und behandeln die Ungarn wie Verwandte. Die einheimischen Mordwinen – Erzja und Mokscha – bewahren stolz ihre Identität und betrachten sich gleichzeitig als Teil der russischen Zivilisation, als selbstbewusste Bürger eines großen Staates.

Gábor Stier: Die Stellung einer Region wird im Wesentlichen durch ihre Gegebenheiten, Lage, Bodenschätze und Geschichte bestimmt. Was ist die Grundlage von Mordwinien in dieser Hinsicht? Worauf kann die Republik Ihrer Meinung nach am meisten stolz sein?

Artjom Alexejewitsch Zdunow: Wir sind stolz auf unser Land, auf unser Volk. Das ist die Grundlage. Was die geografische Lage Mordwiniens angeht, so sind wir in einer glücklichen Position, denn wir sind in der Nähe der russischen Hauptstadt. Es gibt eine gute Verkehrsinfrastruktur zwischen Saransk und Moskau, und vor Kurzem wurde die Autobahn M12 zwischen Moskau und Kasan gebaut, die uns schneller in unsere Hauptstadt bringen wird. Täglich verkehren mehr als 20 Züge zwischen den beiden Städten, man kann die Hauptstadt bequem in einer Nacht erreichen, aber es gibt auch Flugverbindungen, wobei ein Flug nach Moskau nur eine Stunde pro Strecke dauert. Es geht nicht nur um den Personenverkehr. Moskau und Umgebung sind nämlich ein riesiger Markt, sodass die Nähe zu dieser Region eine große Chance für uns darstellt.

Wichtig ist aber auch die gute Erreichbarkeit Mordwiniens, die für den Tourismus ein beachtlicher Faktor ist. Wir sind auch stolz auf das traditionell starke wissenschaftliche Potenzial der Republik – unsere Universität gilt als eine der besten des Landes –, das sich in der Entwicklung der Region widerspiegelt, die neben der Industrie vor allem auf der Landwirtschaft basiert. Wir legen einen besonderen Schwerpunkt auf Biotechnologie und Biomedizin, die die Grundlage für eine fortschrittliche pharmazeutische Industrie bilden, und ich kann Ihnen sagen, dass Studenten aus der ganzen Region, aus dem Föderationskreis Wolga und sogar aus Moskau an unsere Universität kommen. Glücklicherweise verfügen wir über Bodenschätze, wir haben also alles, was wir zum Beispiel für die Zementherstellung brauchen. Die strategische Lage der Region und ihre Bodenschätze bilden zusammen mit dem qualifizierten Humankapital eine gute Grundlage für die Entwicklung der Republik.

Was sind die größten Herausforderungen?

Das größte Problem ist immer im Kopf. Jeder Wirtschaftswissenschaftler wird Ihnen sagen, dass selbst die fortschrittlichsten Volkswirtschaften nicht genug Geld für alles haben. Deshalb muss man seine Prioritäten richtig setzen. Der Mensch und die Familie stehen im Mittelpunkt unseres Denkens. Daher legen wir, wie ich bereits erwähnt habe, großen Wert auf die Bildung, auf die Verbesserung der Bedingungen für Studenten, und es gibt zum Beispiel ein spezielles Programm zur Unterstützung von Studenten, die bereits Familie haben.

Sie haben die Frage der Ressourcen, des Geldes angesprochen. Wie abhängig ist Mordwinien vom föderalen Zentrum?

Ich würde es nicht als Abhängigkeit bezeichnen, denn Mordwinien ist in föderale Programme und nationale Projekte eingebunden. Im Grunde genommen verwenden wir diese Mittel, um beispielsweise Schulen zu entwickeln und zu modernisieren, um Innovationsprojekte und Gesundheitsinfrastruktur zu finanzieren. Die auf diesen Mitteln basierende Modernisierung war in den letzten drei Jahren besonders beachtlich. Gleichzeitig versuchen wir, so unabhängig wie möglich zu sein, und in diesem Sinne haben wir in den letzten Jahren die hohe Verschuldung unseres Haushalts in den Griff bekommen. Das ermöglicht uns, mehr und mehr eigene Programme zu starten, Kulturfestivals zu organisieren oder sogar einen Fußballverein zu gründen, da es in Saransk ein riesiges Stadion gibt, das rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft 2018 gebaut wurde.

Die demografische Situation in der sogenannten entwickelten Welt ist heute eine ernste Herausforderung. In Russland ist das nicht anders. Wie gehen Sie hier in Mordwinien mit dieser Herausforderung um?

Hier in der Region haben immer mehr Familien drei bis vier Kinder, und wir versuchen, diesen Trend aufrechtzuerhalten, insbesondere mit dem Wohnungsbauprogramm für junge Menschen, mit Vorzugsdarlehen und anderen Unterstützungsmaßnahmen. Dies ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine wirtschaftliche Angelegenheit. Ganz zu schweigen davon, dass wir auch dazu beitragen, die traditionellen Werte und die Familien, die die Grundlage der Gesellschaft bilden, zu erhalten.

Wie steht es in Mordwinien mit der Modernisierung? Wie weit ist die Digitalisierung fortgeschritten? Inwieweit ist es den mehr als tausend kleinen Dörfern der Republik gelungen, ihre historische Rückständigkeit zu überwinden? Wie viel Prozent dieser Dörfer haben zum Beispiel Gasleitungen und eine Kanalisation?

In der Republik liegen die Siedlungen weit voneinander entfernt, sodass die Gasversorgung der Dörfer nicht billig ist, aber auch so wird zu 100 Prozent in die mordwinischen Haushalte Gas geleitet, und wir tun es kostenlos.

In dieser Hinsicht nimmt die Republik den ersten Platz unter den russischen Regionen ein. Das Gleiche gilt für das Internet. Heute ist das nirgendwo mehr ein Problem, und wir arbeiten daran, dass es überall eine ausreichende Versorgung gibt. Auch im internationalen Vergleich schneidet die Region bei der Digitalisierung gut ab. Der Ausbau der Infrastruktur hat höchste Priorität.

Sie ist auch notwendig, die Menschen vor Ort beklagen sich über den Zustand der Straßen …

Sehen Sie, dort, wo das Wetter so extrem ist, wo die Temperaturen so stark schwanken, gibt es Frost, und folglich sind Schlaglöcher meist ein Problem. Wir sind uns der Situation bewusst und haben die letzte Zeit dreimal so viele Straßen gebaut und modernisiert wie in den Vorjahren. In vielen Fällen haben wir dies in internationaler Zusammenarbeit und unter Einsatz neuer Technologien getan.

Auf Russland wird außerhalb von Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg oder eben Sotschi in der westlichen Welt oft herabgeschaut. Wie ist das Verhältnis zwischen der tiefen Provinz, der – wie es heißt – „Glubinka“, und dem Zentrum? Wie schnell verringert sich die Kluft zwischen dem ländlichen Russland und seinen „Hauptstädten“?

Was verstehen Sie unter „Glubinka“? Das gibt es in Russland nicht mehr, das war typisch für das 19. Jahrhundert. Gehen Sie in ein Restaurant, in ein beliebiges Stadttheater, und Sie werden sehen, dass von der sogenannten Glubinka keine Rede mehr ist. Es gibt Bibliotheken, wie man sie im Ausland nicht überall findet. In unserem Land wird sehr viel gelesen. Jede Region hat eine Universität.

Ich verstehe das, und ich habe es mit eigenen Augen gesehen, aber trotzdem gibt es in Europa nur sehr wenige Informationen über die russische Provinz, über die russischen Regionen, und so denken viele Menschen, dass Russland außerhalb von Moskau und St. Petersburg nicht im 19. Jahrhundert, sondern im Mittelalter angesiedelt ist.

Dazu kann ich nur sagen, dass Sie kommen und sich selbst ein Bild machen sollten. Sie werden sehen, wie gut unsere jungen Leute vorbereitet sind, was sich in ihren Ergebnissen bei den verschiedenen Studentenolympiaden widerspiegelt, aber auch in ihrem Stolz auf ihr Land. Was Europa betrifft, die Europäer, die Sie erwähnt haben, so haben wir sie vom Faschismus befreit, und das ist der Dank dafür. Sie verbergen die wahren Informationen vor ihren eigenen Gesellschaften und schauen auf Russland herab. Und jeder, der versucht, die wirkliche Situation aufzuzeigen, der wird als Propagandist verleumdet. Das ist das Europa von heute! Es hat den Eisernen Vorhang fallen lassen und sich abgeschottet! Wegen der Sanktionen ist es heute nicht leicht, nach Russland zu kommen, aber wie wir sehen, haben Sie keine Angst davor. Habt keine Angst, jeder ist willkommen!

Wenn wir Mordwinien von Ungarn aus betrachten, kommt uns in erster Linie die finno-ugrische Verwandtschaft in den Sinn, denn Mordwinisch (Ersjanisch und Mokscha) ist die viertgrößte finno-ugrische Sprache nach Ungarisch, Finnisch und Estnisch. Was unternimmt der russische Staat, um den Ersja und Mokscha zu helfen, ihre Sprache und Kultur zu bewahren? Welchen Stellenwert haben die Situation der finno-ugrischen Völker und die finno-ugrische Frage in der Politik des russischen Staates, der Republik Mordwinien?

Bei einem Spaziergang durch die Stadt werden Sie feststellen, dass die Schilder dreisprachig sind, dass die Informationen in den öffentlichen Verkehrsmitteln sowohl auf Russisch als auch auf Mordwinisch gegeben werden, dass es ein ethnisches Theater gibt und dass in den unteren Klassen der Schulen neben Russisch auch die Sprachen Erza und Mokscha unterrichtet werden. Bücher und Lehrbücher werden in diesen Sprachen veröffentlicht. Wir tun viel, um diese beiden finno-ugrischen Sprachen und Kulturen zu erhalten. Zum Beispiel entwickeln wir Übersetzungsprogramme und künstliche Intelligenz für diese Sprachen. Wir veranstalten Festivals, denn junge Menschen tragen diese Sprachen und Kulturen weiter. Aber es ist nicht möglich, eine Sprache zu bewahren, wenn sie nicht in den Familien verwendet wird, wenn Traditionen nicht gepflegt werden, wenn Bräuche verloren gehen. Der Staat allein reicht dafür nicht aus.

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist dies einer der Gründe, warum die mordwinische Bevölkerung zwischen den letzten beiden Volkszählungen leicht zugenommen hat und jetzt 40 Prozent der Bevölkerung der Republik – etwa 850.000 Einwohner – ausmacht.

Die Einheimischen sind stolz auf ihre Identität, die vom Vater an den Sohn weitergegeben wird, und der Staat unterstützt den Erhalt von Kultur und Sprache. Vor allem aber sehen sie sich als Teil einer großen Zivilisation und innerhalb dieser als eine kleine Nation. Man könnte sagen, dass sie sowohl „Russen“ als auch Mordwinen sind.

Das wirft die Frage der europäischen Identität auf, wovon man viel redet, doch diese einheitliche Identität ist weniger ausgeprägt. Anders als in Russland, wo die verschiedenen Völker sich in erster Linie für Russen halten, in diesem Rahmen als Tataren, Tscherkessen oder Mordwinen betrachten. Was ist das Geheimnis? Sie müssen es wissen, denn Sie sind in Tatarstan geboren und haben dort in einer hohen Position gearbeitet, Sie waren Premierminister in Dagestan und haben mordwinische Wurzeln. Wie funktioniert der Multikulturalismus in Russland? Worin besteht der Unterschied zwischen der westlichen und der russischen Praxis des „Multikulturalismus“?

Russland wurde einst aus Fürstentümern gebildet und hat sich dann ausgedehnt, daher ist es sehr vielfältig. In gewissem Sinne ist Russland ein Schmelztiegel der Völker, eine riesige unabhängige Zivilisation, in der aber jedes Volk die Möglichkeit hat, seine eigene Kultur, seine eigene Identität zu bewahren. Dazu tragen die Schulbildung, die Universitäten, die Bücher in den Sprachen der Nationalitäten bei, all die Dinge, die ich bereits erwähnt habe. So ist es möglich, sich als Teil des Russischen Reiches, dann der Sowjetunion, eines riesigen Staates, zu fühlen und gleichzeitig ein Ersja, ein Mokscha, ein Tatar zu bleiben … Es ist sehr wichtig, die Möglichkeit zu haben, seine eigene Identität zu bewahren. Einheit und Vielfalt sind also in dieser Zivilisation gleichermaßen vorhanden. Aber Verzeihung, wir denken nicht wirklich darüber nach, für uns ist es eine Selbstverständlichkeit. Erinnern Sie sich an die Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion, welche Schwierigkeiten wir damals hatten. Aber das war schnell vorbei – wir sind ein solches Volk, dass wir nicht lange Feinde sein können, es ist unmöglich, uns gegeneinander aufzubringen. Jeder, der versucht, sich solche Ziele zu setzen, sollte zuerst die Geschichte Russlands lesen.

Wie sieht das Verhältnis der Republik zu Ungarn aus?

Unsere Beziehungen zu Ungarn sind sehr gut, und zwar nicht nur wegen unserer finno-ugrischen Verwandtschaft. Es gibt starke wirtschaftliche Verbindungen, zum Beispiel in der Kabel- und Waggonindustrie oder in der Landwirtschaft, wo es ernsthafte Pläne und gemeinsame Projekte gibt. Die derzeitige Situation, die wir nicht verschuldet haben, und die Sanktionen erschweren natürlich die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Viele Projekte sind gestoppt oder nicht umgesetzt worden.

Die finno-ugrische Zusammenarbeit wird auch durch die zunehmenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen erschwert. Ist es in einer solchen internationalen Situation überhaupt möglich, über Zusammenarbeit zu sprechen? Natürlich haben die Probleme in diesem Bereich schon lange vor dem Krieg in der Ukraine begonnen, und Estland hat bereits am finno-ugrischen Kongress in Saransk 2007 nicht teilgenommen.

Kluge Menschen bleiben in jeder Situation zumindest im Dialog mit anderen. Genau das tut Ungarn derzeit, sodass sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht verschlechtert haben. Welchen Sinn hat es zum Beispiel, die kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu kappen? Wir schicken immer noch Einladungen zu den verschiedenen Festivals an alle Orte, die sie vor 2022 besucht haben. Wir verstehen, wenn ein Land einem anderen politischen oder militärischen Bündnis angehört, aber warum sollten die sportlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Beziehungen darunter leiden?

Natürlich wirkt sich der Konflikt in der Ukraine nicht nur in diesem Bereich aus. Inwieweit und auf welche Weise spüren die Einwohner der Republik diesen Krieg?

An den militärischen Sonderoperationen sind Menschen aus allen Regionen beteiligt. Das ist ganz natürlich, denn unsere Leute verteidigen das Vaterland. In der Zwischenzeit tun wir unser Möglichstes, um sicherzustellen, dass der soziale und wirtschaftliche Bereich durch diese Situation nicht beeinträchtigt wird.

Wie viele Menschen aus Mordwinien nehmen an den „speziellen Militäroperationen“ teil? Wie viel Zulage erhalten diejenigen, die jetzt zur Armee gehen?

Die Zahlen ändern sich ständig, aber unterm Strich geht es hier um den Schutz russischer Interessen, und keine Region ist davon ausgenommen. Die Angriffe auf Russland sind weit fortgeschritten, und wir verteidigen unsere Interessen.

Und wie viel Geld wird in Mordwinien an diejenigen gezahlt, die einen Vertrag mit der Armee unterschreiben und damit freiwillig an die Front gehen?

Das ist geregelt, und zu den 400.000 Rubel (ca. 4.200 Euro), die das föderale Zentrum gibt, legt die Region noch 1,3 Millionen Rubel dazu.

Wie wirkt sich diese Situation auf die Wirtschaft aus, und wie kann die soziale Stabilität aufrechterhalten werden?

Alle Einrichtungen in der Republik, von den Krankenhäusern bis zu den Theatern und Schulen, funktionieren wie gewohnt, und Straßen werden gebaut. Das Leben geht also weiter, und die Stabilität wird durch diese Situation nicht beeinträchtigt. Die Sanktionen haben den Prozess der Ablösung von Importen beschleunigt, was sich in der Region besonders bemerkbar macht, zum Beispiel bei der Kabelproduktion oder der Pharmaindustrie.

Das sagten auch die Bewohner, mit denen ich gesprochen habe, und das Einzige, was sie erwähnten, war die gestiegene Inflation …

Ja, es gibt eine Inflation, aber auch die Löhne steigen. Der Durchschnittslohn liegt derzeit bei etwa 40.000 Rubel (etwa 400 Euro), aber in einigen Branchen kann man zwischen 80.000 und 200.000 Rubel verdienen. Aber für Bedürftige, zum Beispiel kinderreiche Familien, bietet die Republik zusätzliche Unterstützung.

Da die Löhne in Moskau höher sind, höre ich, dass viele Menschen dorthin gehen, um zu arbeiten. Wie wirkt sich diese Migration auf den lokalen Arbeitsmarkt aus?

In Großstädten sind die Löhne im Allgemeinen überall höher, aber auch die Preise. Wir tun viel in diesem Bereich, sodass wir den niedrigsten Warenkorb im gesamten Föderationskreis Wolga haben. Die Lebensmittel werden im Wesentlichen vor Ort produziert, und die Preise auf den Bauernmärkten sind noch niedriger.

Russland hat sich in der neuen internationalen Situation eindeutig nach Osten und Süden orientiert. Wie wirkt sich das auf das Leben in der Republik aus? Sind westliche Waren und Investoren verschwunden und sind Chinesen, Inder und Araber gekommen?

Zunächst einmal haben bei Weitem nicht alle westlichen Unternehmen Russland verlassen. Und diejenigen, die weggegangen sind, wurden erfolgreich durch einheimische Unternehmen und Waren ersetzt, vor allem auf der Grundlage des internen Potenzials. Aber der Handel zwischen Mordwinien und China hat sich fast verdreifacht, und mit Indien hat er sich verdoppelt. Diese Handelsbeziehungen gab es schon immer, aber jetzt importieren und exportieren wir mehr in diesen Relationen. Europa hat die Tür für uns geschlossen, aber andere haben sie weiter geöffnet. Trotz der Sanktionen gibt es keine Warenknappheit, und das Leben wird durch diese Situation überhaupt nicht gebremst. Diejenigen, die sich Sanktionen ausdenken, versuchen, damit ihre Konkurrenten zu töten, ohne ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu beeinträchtigen.

Ich habe das selbst erlebt, aber wissen Sie, dass manche Leute in Europa dem Irrglauben unterliegen, dass es in Russland keine Waschmaschinen mehr zu kaufen gibt, weil die Chips in die Raketen eingebaut sind …

Ach was! Gehen Sie in ein Geschäft, das Haushaltsgeräte verkauft. Europa hat dem russischen Markt den Rücken gekehrt, aber das Vakuum wurde von anderen ausgefüllt.

Heißt das, dass Europa Russland verloren hat?

Es hat es noch nicht verloren, aber Europa wird immer weiter zurückgedrängt und verliert seine früheren Positionen. Es hat sich von Russland abgeschnitten, das in dieser Situation nach anderen Partnern suchte. Diese Strategie ist nach hinten losgegangen, und die Statistiken zeigen, dass es die europäischen Unternehmen sind, die am meisten unter dieser Abkehr gelitten haben. Was in der Zwischenzeit an Lügen über uns verbreitet wird, ist uns gleichgültig.

Wie wird Ihrer Meinung nach die Veränderung der Weltordnung, einschließlich des Konflikts zwischen den Slawen und des Einfrierens der Beziehungen zum Westen, die Situation der Menschen auf dem russischen Land, in Mordwinien und in ganz Russland verändern?

Bleiben wir bei den Sanktionen. Diese Situation spornt uns an, beschleunigt Entwicklungen, die ohne sie viel langsamer oder gar nicht stattgefunden hätten. Die Abkehr und die Selbstisolierung des Westens sind also nicht nur Herausforderungen für uns, sondern auch eine Chance, die wir zu ergreifen versuchen. Aber wir wollen unter diesen Umständen nicht die sozialen und kulturellen Bindungen verlieren. Und wir wollen auch nicht die Menschen verlieren, die mit uns sympathisieren, weil sie in Europa unter Druck stehen. Niemand muss sich Sorgen um die russische Wirtschaft machen, wir werden die Situation lösen, wir werden auch unsere Interessen schützen, aber der Verlust der menschlichen Beziehungen ist schade. Vielen Dank, dass Sie mit mir auf Russisch gesprochen haben. Wir wollen nicht verlieren, was unsere Vorfahren im Laufe der Jahrhunderte geschaffen haben. Gott ist mit uns, wir schützen einfach die Interessen unserer Brüder und Schwestern. Danke, dass Sie dies in Ihrer Wahrheit zeigen. Das ist sehr wichtig für uns, denn Sie und Ihre Kollegen stellen eine große Stärke dar. Wir sind immer offen für eine Zusammenarbeit!

Das Interview ist zuerst auf dem ungarischen Portal Moszkvater erschienen.

Titelbild: Der ungarische Journalist Gábor Stier im Gespräch mit Artjom Alexejewitsch Zdunow, dem Oberhaupt der Republik Mordwinien (rechts im Bild). – Quelle: privat

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!