Anfang Oktober 2024 mache ich mich für mehrere Monate auf den Weg nach Kuba. Was wird einen diesmal erwarten? Die Nachrichten der letzten Zeit klangen nicht optimistisch: weiterhin Abwanderung vor allem junger Leute Richtung USA, Treibstoffmangel. Aufgrund der vielfältigen Schwierigkeiten habe ich mir erst gar keine großen Pläne gemacht: Was klappt, das klappt. Ein Bericht über die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage auf der karibischen Insel von Eric Fischer.
Am Flughafen standen weniger Taxis als sonst. Benzin ist knapp. Im altersstarken Moskwitsch meiner Freunde, das ideale Auto für Kuba, ging es zur Unterkunft. Der ÖPNV hat weiterhin mit defekten Bussen und Dieselmangel zu kämpfen und fährt deshalb nur spärlich.
Foto: Alltag: Schlange an der Tankstelle – Quelle: Eric Fischer
Einiges hat sich trotzdem gegenüber dem Vorjahr geändert. Das Lebensmittelangebot ist wesentlich breiter und sicherer geworden. Der Haken dabei: Der Verkauf erfolgt vorwiegend in den neu entstandenen MIPYMES – private Händler bzw. Kleinunternehmer, die die Lebensmittel in den USA für Dollar kaufen und auf der Insel für Peso verkaufen. Dies läuft meist über Familienbande. Die Preise sind zwar zum Teil gesunken, aber für die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung immer noch viel zu hoch. So kostet eine 30er-Packung Eier 3.200 Peso – das entspricht 9,41 Euro gemäß dem informellen Kurs Dollar-Peso von 1:340 – und ein Zehn-Pfund-Paket Hähnchenteile 3.400 Peso (10 Euro).
Aus dem Peso-Einzelhandel für Lebensmittel verschwand der Staat fast völlig. In den größeren Supermärkten werden die Artikel für MLC, ein Devisen-Äquivalent, verkauft.
Die Alternative Bauernmarkt funktioniert auch nur bescheiden. Bei den Kooperativen gibt es außer „Sattmacher“ wie Kochbananen, Süßkartoffeln oder Maniok kaum etwas Frisches (siehe Titelbild), und bei den privaten Händlern sind die Preise zwar auch etwas gesunken, aber immer noch für viele unerschwinglich. So sind die Schlangen vor den Läden teilweise geringer geworden, aber die Probleme für den einfachen Kubaner bleiben …
Am 11. Oktober gab es nach 20 Tagen ohne Gas zum Kochen – die hauptsächliche Art in Kuba – wieder Gasflaschen in meinem Municipio [Gemeinde, Anm. d. Red.]. Während einige dieses Glück hatten, kam auf andere dann der nächste Schlag.
Der erste „Blackout“ bzw. „grande apagon“ erwischte uns eine Woche später, Freitagmittag, beim Anstellen beim privaten Händler für Hähnchenteile. Als alles eingekauft war, ging es nach Hause – und kein Strom. Erst am nächsten Tag war offensichtlich, dass er nicht so schnell wiederkommt. Also Lebensmittel retten! Neben dem Strom fielen so auch die zentrale Wasserversorgung, das Mobilfunknetz und Internet aus.
Foto: Reparaturarbeiten im Vorort von Havanna – Quelle: Eric Fischer
Dann kam der Hurrikan im äußersten Osten am 21. Oktober, als in Havanna wieder Licht brannte. Er spielte verrückt: Erst orientierte er sich auf die Küste bei Guantanamo zu, zog dann aber vor der Küste ostwärts, um dann wieder auf die Küste zuzumarschieren und dann am äußersten Zipfel Kubas über San Antonio del Sur, Baracoa und Maisi seine Spur der Zerstörung zu hinterlassen. Es gab – für Kuba ungewöhnlich – acht Tote, zwei Menschen werden noch vermisst, wobei durch den Stromausfall die Informationskette empfindlich gestört war. Außerdem war der Boden durch die regionale Trockenheit sehr trocken und konnte die Wassermassen nicht aufnehmen.
Sofort griffen die bereits in Bereitschaft versetzten Kräfte der Zivilverteidigung und Armee ein und retteten Menschen aus den entlegenen Dörfern.
Nach dem Durchzug des Zyklons begannen sie, die Infrastruktur wiederherzustellen und leichte Reparaturen an den Häusern, insbesondere den Dächern durchzuführen. Erschwerend kam hinzu, dass der Regen in der Region nicht nachließ. Erstmals war auch die zentrale Verkehrsstraße von Guantanamo nach Baracoa entlang der Küste schwer in Mitleidenschaft gezogen und so auch der Transport der notwendigen Güter beeinträchtigt worden.
Foto: Vorbereitung auf den zweiten Hurrikan: Müllbeseitigung in Havanna – Quelle: Eric Fischer
Kaum waren der Zyklon und der grande apagon vorüber, kam der nächste Zyklon auf Kuba zu. Diesmal war wieder der Westen, die Provinzen Pinar del Rio und Artemisa im Visier.
Er kam am 6. und 7. November dann hauptsächlich über Artemisa übers Land, hinterließ aber auch in der Nachbarprovinz Mayabeque schwere Schäden. Insbesondere die Landwirtschaft erlitt starke Verluste.
Foto: Sturzfluten im äußersten Osten Kubas während des ersten Hurrikans
Durch den Hurrikan kam es nach der vorsorglichen Abschaltung des Energienetzes wiederum zu einem landesweiten „Blackout“, der noch einschneidender war und länger als der vorherige dauerte.
Als bei uns in Havanna wieder Strom da war, besuchten wir einen Freund auf seiner Finca im Süden der Stadt. An der Stromleitung wurde gearbeitet, in ein bis zwei Tagen gab es dann auch endlich wieder Elektrizität. Hier ist sie noch viel notwendiger, da in diesem Campo auch die Gasversorgung davon abhängt. Fünf Tage Fufu (Bananenpüree) und Brot sind genug. Teile des angebauten Gemüses, Bäume und Sträucher wurden weggeweht bzw. fortgeschwemmt …
Beeindruckend die Gelassenheit des Vaters: „Wir haben doch schon ganz andere Sachen erlebt!“
Im Osten Kubas war die Lage nach der Wiederherstellung einiger Normalität weiterhin angespannt. Stromabschaltungen bis zu 20 Stunden am Tag gab es des Öfteren. Dabei spielten allerdings auch kriminelle Machenschaften eine Rolle, insbesondere nördlich von Santiago.
Es war beeindruckend, wie sich die Menschen in dieser Lage gegenseitig halfen. Erst mussten die Hilfskräfte ans östliche Ende der Insel, ein paar Tage später ging es in die entgegengesetzte Richtung.
Unterstützung in dieser schwierigen Lage kam auch aus dem Ausland. So sendeten Venezuela, Brasilien, Russland, Japan große Hilfslieferungen.
Kuba empfängt übrigens nicht nur Hilfe, es leistet diese auch in vielen Ländern der Welt. Weiterhin arbeiten kubanische Ärztinnen und Ärzte in Italien, vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas. Eine Zusammenarbeit im Bildungswesen wurde erst kürzlich mit Panama verlängert.
Wie geht es wirtschaftlich weiter?
Der letzte Zyklon hinterließ auch auf der Handelsmesse FIHAV seine Spuren, sodass sie ab dem dritten Tag geschlossen und in separaten Treffen in den Hotels der Stadt fortgeführt wurde.
Trotz dieser vielen Schwierigkeiten gab es auch Lichtblicke: Für die jungen Touristen entstand eine Hotelreihe am Malecón mit vielfältigen Möglichkeiten.
Foto: Malerarbeiten in Havanna
Man gewinnt außerdem den Eindruck, dass sich die Regierung nicht mehr von immer wieder vorkommenden Katastrophen vom wirtschaftlichen Entwicklungsweg, der in den Lineamentos beschlossen und vom Volk vor der Pandemie bestätigt wurde, abbringen lässt, wie das früher teilweise der Fall war. Es wird häufig die weitere Bautätigkeit im Hotelwesen kritisiert, obwohl der Tourismus zurzeit nicht wächst. Dieser soll aber weiterhin die Mittel erwirtschaften, die für die Modernisierung der Industrie notwendig sind.
Ein gegenwärtiger Schwerpunkt sind die Stabilisierung der Energieversorgung und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Wenn die sich im Bau befindlichen Solaranlagen mit mehr als einem Gigawatt dieses Jahr ans Netz gehen, wird ein Großteil des täglichen Energiedefizits von etwa 50 Prozent der erforderlichen Energiemenge ausgeglichen. Mittlerweile sind zwei Solarparks ans Netz gegangen. Dazu werden weiter Gebiete für Windkraftanlagen erkundet. Im ländlichen Raum spielen auch Biogasanlagen eine wichtige Rolle. Mit einem Ende letzten Jahres gefassten Regierungsbeschluss werden auch Großverbraucher in die Pflicht genommen, etwas zur Stromgewinnung beizutragen und ihren Strom selbst zu erzeugen. Durch die vielen neu gegründeten Lebensmittelläden (Gefriertruhen, Kühlschränke etc.) erhöhten sich der Stromverbrauch und der Haushaltsabfall beträchtlich. Die anfallenden Stromkosten sind immer noch relativ günstig und die Müllabfuhr kostenfrei. Letzteres belastet nicht nur die Umwelt, sondern auch die Transportkapazitäten der Müllabfuhr.
Foto: Aushang der Stromtarife, die sich gegenwärtig in Überarbeitung befinden
Mit einer entsprechenden Stabilität des Energienetzes, u.a. durch seine geplante Dezentralisierung, existiert die Basis für eine weitere Entwicklung der Industrie. Kuba hat dabei vielfältige Möglichkeiten: Ausbau der Informatik-/Softwarebranche, Reaktivierung und Modernisierung weiterer alter Rum-Destillerien, Entwicklung einer Handwerksindustrie (z.B. Möbel aus hochwertigem Holz), um nur einige zu nennen.
Foto: Hier soll 2025 ein russisches Handelsunternehmen einziehen, Verkauf von Textilien und weiteren Non-Food-Artikeln geplant
Die medizinische Biotechnologie ist bereits heute ein Stern am kubanischen Wirtschaftshimmel. Medikamente gegen Diabetesfuß, Lungenkrebs u.a. haben erneut auf Kubas Biotechnologie aufmerksam gemacht. Die Branche könnte ein Exportschlager für Kuba sein, wenn nicht die Blockade die Herstellung der Produkte behindern würde. Die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mit China und Russland wurde im letzten Jahr auf eine neue Stufe gehoben. Eine russische Bank investiert elf Millionen Dollar in BioCubaFarma für die Entwicklung neuer geriatrischer und onkologischer Medikamente. BioCubaFarma umfasst mittlerweile 46 Unternehmen, von denen 33 in Kuba und 13 im Ausland tätig sind. In China wurde am 1. November letzten Jahres erstmals eine Filiale von BioCubaFarma eröffnet, die sich zu 100 Prozent in kubanischer Hand befindet. Das kubanische Portfolio beinhaltet nicht nur die Entwicklung und Vermarktung von Medikamenten, sondern mittlerweile auch von medizinischen Geräten, die in Kuba entwickelt und produziert werden.
Anfang des Jahres begann man mit einem neuen Ansatz zur Wirtschaftsbelebung. In der Provinz Pinar del Rio wurde eine Fläche von 5.000 Hektar erstmals an ein vietnamesisches Unternehmen verpachtet. Dies kann sein Personal direkt einstellen. Als Saatgut kommt vietnamesischer Hybridreis zur Anwendung, Düngemittel, Herbizide und andere Hilfsgüter können direkt importiert werden. Die Vorbereitungen liefen bereits, um die vietnamesischen Erfahrungen an die kubanischen Bedingungen anzupassen. Wenn das Projekt Erfolg hat, ist sicherlich mit Nachahmern zu rechnen.
Politische Situation
Dass es während der Zeit der Stromausfälle zum Töpfeschlagen gekommen sein soll, mag sein. In meiner Umgebung blieb alles ruhig, selbst in den Schlangen vor den Läden gab es keine Ausfälle wegen des tagelangen Stromausfalls.
Man fragt sich eher: Wieso sind die USA derart verbissen in ihrer Haltung gegenüber Kuba? Wie tief muss dieser Inselstachel im Fleisch des nördlichen Nachbarn stecken? Wie groß muss dessen Angst vor dem südlichen Nachbarn sein?
Wieso agieren etwa 100 sogenannte NGOs, bezahlt vom NED, USAID und anderen staatlichen US-Stellen, gegen Kuba, die täglich über die sogenannten sozialen Medien, Internet u.a. ihre Hetze absondern? Wieso verfolgt eine über 1.000 Personen starke Abteilung des US-Außenministeriums alle Handels- und Finanzhandlungen Kubas?
Es ist einfach diese Alternative: eine Gesellschaft, in der Geld nicht die erste Geige spielt, in der Gesundheit und Bildung eine herausragende Bedeutung haben, in der trotz extremer finanzieller Not die Kultur und Kunst gepflegt und bewahrt werden.
Foto: Französische Kunst im Zentrum Havannas auf dem Plaza de Armas
Dieser alternative Entwurf zum gegenwärtigen neoliberalen Kapitalismus liegt den Herrschenden in der EU und Nordamerika doch schwer im Magen.
Die Bundesregierung folgt dem US-Kurs, obwohl sie in der UN-Hauptversammlung auch immer gegen die US-Blockade stimmt. Kein Zucken, nachdem Bundesbürgern das einfache US-Visum nach einem Kuba-Besuch verwehrt wird. Wie auf anderem Terrain: Kadavergehorsam gegenüber den USA.
Deshalb wird auch hierzulande täglich erzählt: Kuba sei isoliert, nur Russland und China helfen, wenn es notwendig ist. Doch stimmt das?
Wieso arbeiten dann trotz aller Restriktionen US-Wissenschaftler auf medizinischem, meteorologischem Gebiet zusammen? Das erste kubanische Medikament befindet sich in den USA in der dritten Phase der Medikamentenerprobung und damit kurz vor der Zulassung. Wieso ist Kuba seit dem 1. Januar Partnerland der BRICSplus? Warum unterstützt Japan, der engste Partner der USA in Asien, die Insel immer wieder mit großen Hilfslieferungen? 2023 haben Südkorea und Kuba diplomatische Beziehungen aufgenommen und untersetzen die wirtschaftliche Zusammenarbeit nunmehr auch politisch. Kuba hat einen Beobachterstatus bei verschiedenen asiatischen Organisationen und Bündnissen, so bei der ASEAN, Shanghai-Gruppe, Euroasiatischen Union, ist Teil der Neue-Seidenstraße-Initiative Chinas und anderen. In verschiedenen lateinamerikanischen Organisationen ist die Insel sowieso aktiv, so in CELAC, ALBA etc.
Sieht so Isolation aus? Nun gut, mit dem alten Europa hat Kuba nicht mehr viele Gemeinsamkeiten: ökonomische Zusammenarbeit ja, aber politisch gibt es nicht mehr viel Übereinstimmendes trotz schöner gemeinsamer Erklärungen. Dazu müsste die EU erst einmal von ihrem hohen Ross herunterkommen und die Veränderungen in der politischen Weltlandschaft akzeptieren.
Nun wird sich mancher fragen: Soll ich unter diesen Bedingungen nach Kuba fliegen? Die Antwort lautet: JA!
Foto: Flug von Santiago nach Havanna: unkomplizierteste und preiswerteste Reisemöglichkeit zwischen beiden Städten für Touristen derzeit
Gerade in dieser schwierigen Zeit für Kuba ist jeder Flug dorthin auch ein Zeichen der Solidarität.
Titelbild: Bauernmarkt am Wochenende in Havanna – Eric Fischer