Kanzleramt ließ BND-These vom Laborunfall in Wuhan wissenschaftlich prüfen – will Bevölkerung aber Ergebnis verschweigen

Kanzleramt ließ BND-These vom Laborunfall in Wuhan wissenschaftlich prüfen – will Bevölkerung aber Ergebnis verschweigen

Kanzleramt ließ BND-These vom Laborunfall in Wuhan wissenschaftlich prüfen – will Bevölkerung aber Ergebnis verschweigen

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Laut übereinstimmenden Recherchen von NZZ sowie SZ und ZEIT sollen der Bundesregierung detaillierte Informationen vom deutschen Auslandsgeheimdienst BND und Wissenschaftlern vorliegen, die darauf schließen lassen, dass Covid-19 durch die Manipulation eines bestehenden Virus verursacht wurde („Wahrscheinlichkeit 80 bis 95 Prozent“) und aus einem Biolabor stammt, dem chinesisch-US-amerikanischen „Wuhan Institute of Virology“. Das Kanzleramt soll höchstpersönlich die Untersuchung zum Laborursprung initiiert haben. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund unter anderem wissen, ob die Bundesregierung diese Berichte bestätigen kann und wieso in dieser Angelegenheit das „Geheimhaltungsinteresse“ vom Kanzler stärker bewertet wird als das öffentliche Interesse der Bevölkerung an Aufklärung. Von Florian Warweg.

Am 12. März titelte die Schweizer Tageszeitung NZZ:

„Der deutschen Regierung liegen plausible Indizien vor, dass das Coronavirus aus dem Labor in Wuhan kommt“

Weiter heißt es in dem Artikel:

„Nach NZZ-Informationen gab es in den vergangenen Wochen einen Austausch mehrerer spezialisierter Wissenschaftler beim deutschen Auslandsgeheimdienst, dem Bundesnachrichtendienst, den das Bundeskanzleramt initiiert hat. Die ersten Treffen fanden bereits im vergangenen Jahr statt. Teilnehmer der Runde waren unter anderem bekannte Virologen. Dabei gingen die Forscher in mehrfachen Treffen auch der Frage nach der Herkunft des Virus nach.“

Verfasst hat den Artikel der ehemalige BILD-Chefredakteur Johannes Boie, Inhalt und Ausrichtung des Artikels sind also durchaus mit kritischer Distanz zu begegnen.

Die Darlegungen im Artikel decken sich in fast allen Punkten mit den ebenfalls am 12. März veröffentlichten Recherchen von ZEIT und SZ. Interessant ist die unterschiedliche Gewichtung. Während die SZ titelt, „Coronavirus: BND glaubt an Laborunfall als Ausgang der Corona-Pandemie“, legt die ZEIT mit dem Titel „Coronavirus: Tiefrot als „Geheim“ gestempelt“ den Schwerpunkt darauf, dass das Kanzleramt den Verdacht des BND „seit fünf Jahren streng unter Verschluss gehalten“ hätte.

Der ZEIT-Artikel wurde verfasst von Georg Mascolo, dem Leiter des „Rechercheverbundes von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR“ sowie von Holger Stark, dem Ressortleiter „Investigative Recherche und Daten“ der ZEIT. Beiden gelten als eng vernetzt mit deutschen und anderen westlichen Geheimdiensten und als Ausspielstationen für entsprechende Informationen. Auch bei deren Artikel ist also Vorsicht angesagt.

Auftrag direkt aus dem Kanzleramt

Laut deren Version soll der BND Anfang 2020, also noch zur Amtszeit von Angela Merkel, vom Bundeskanzleramt beauftragt worden sein, die Herkunft des damals neuartigen Sars-CoV-2-Virus zu untersuchen. BND-Präsident Bruno Kahl hätte persönlich das Kanzleramt über die nachrichtendienstliche Operation und die Bewertung des Dienstes informiert. Die Laborthese wurde laut SZ und ZEIT mit einer Wahrscheinlichkeit „von 80 bis 95 Prozent“ bewertet. Das Kanzleramt entschied dann allerdings, die brisante Einschätzung des eigenen Nachrichtendienstes unter Verschluss zu halten.

Grundlage für die Bewertung des BND waren laut den Recherchen aus München und Hamburg insbesondere Material, das im Rahmen einer Operation des deutschen Auslandsgeheimdienstes mit dem Codenamen „Saaremaa“ beschafft wurde. Unter anderem soll der BND so in den Besitz von internen wissenschaftlichen Daten aus chinesischen Forschungseinrichtungen, darunter dem „Wuhan Institut für Virologie“, gelangt sein. Das Institut gilt als eine der führenden chinesischen Einrichtungen für Viren-Forschung, mit enger Kooperation und Co-Finanzierung aus den USA (die enge Anbindung des Wuhan-Labors an die USA wird bezeichnenderweise weder von SZ noch der ZEIT oder NZZ thematisiert). In diesem Material soll der BND auf Hinweise auf die als riskant geltende „Gain-of-Function“-Experimente, also der künstlichen Veränderung von in der Natur vorkommenden Viren, sowie auf zahlreiche Verstöße gegen Vorschriften für die Laborsicherheit gestoßen sein.

Nach dem Regierungswechsel Ende 2021 informierte BND-Präsident Kahl umgehend Olaf Scholz über die BND-These des Laborursprungs des Corona-Virus. Nicht unterrichtet wurde allerdings das für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages und ebenso wenig die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ende vergangenen Jahres soll die Bundesregierung dann entschieden haben, externe Wissenschaftler, darunter mehrere bekannte Virologen, mit der Überprüfung der BND-Erkenntnisse zu beauftragen. Damit wären wir dann wieder bei der eingangs erwähnten Recherche der NZZ, dass auch die dort beteiligten Wissenschaftler mehrheitlich zu dem Schluss gekommen sein sollen, dass zahlreiche Indizien für eine Laborherkunft sprechen.

Wie bereits dargelegt, sollte man die Recherchen und Ausführungen von NZZ, SZ und ZEIT aufgrund der Autoren, des Zeitpunkts der Veröffentlichung sowie der einseitigen Beschuldigungen in Bezug auf China bei völliger Ignoranz der US-Rolle mit entsprechend kritischer Distanz wahrnehmen. Die freie Journalistin Aya Velazquez, die sich mit zahlreichen Recherchen zu den Hintergründen der Corona-Krise und den ungeschwärzten RKI-Leaks einen Namen gemacht hat, geht in diesem Beitrag ebenfalls auf die einseitig anti-chinesische Ausrichtung in dem Beitrag von Mascolo & Co ein:

Gleichzeitig spricht der Umgang der Bundesregierung auf der BPK mit der Thematik dafür, dass das Kanzleramt hier auf jeden Fall etwas verschweigen will.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 12. März 2025

Frage Spiekermann (ZDF-Hauptstadtstudio)
Ich beziehe mich auf eine Recherche der „Süddeutschen Zeitung“ und der „ZEIT“. Danach heißt es: Der Bundesnachrichtendienst glaubt an einen Laborunfall als Ausgang der Coronapandemie. Darin steht auch, dass mitunter zu 80 bis 90 Prozent schon sehr früh davon ausgegangen wurde.

Vielleicht eine Frage an Sie, Frau Hoffmann, und auch an das Innenministerium: Was können Sie mir dazu sagen, bzw. können Sie mir das bestätigen?

Vize-Regierungssprecherin Hoffmann
Wir haben die Berichterstattung natürlich zur Kenntnis genommen, können uns aber, wie das hier von dieser Stelle aus gute Praxis ist, zu nachrichtendienstlichen Tätigkeiten und Erkenntnissen nicht äußern. Wir unterrichten ja insbesondere die zuständigen geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestags in solchen Angelegenheiten, aber wir können uns hier von dieser Stelle nicht dazu äußern.

Harmsen (BMI)
Da der Bundesnachrichtendienst dem Bundeskanzleramt untersteht, würde ich hier auch auf eine Stellungnahme verzichten.

Frage Warweg
Ich versuche dann noch einmal mein Glück. Die „NZZ“ berichtet im Zusammenhang dieses Treffens von verschiedensten Virologen beim BND in den letzten Monaten, dass die Treffen vom Bundeskanzleramt initiiert worden sind. Frau Hoffmann, könnten Sie zumindest bestätigen, dass die Berichterstattung korrekt ist, dass diese Treffen von Wissenschaftlern, vor allem namhaften Virologen, mit Vertretern des Bundesnachrichtendienstes beim BND vom Bundeskanzleramt initiiert worden sind?

Hoffmann
Auch diesen Bericht haben wir zur Kenntnis genommen. Ich würde aber bei meiner Aussage bleiben.

Zusatzfrage Warweg
Der deutschen Bundesregierung sollen als Resultat der Treffen beim BND – ich zitiere ganz kurz – detaillierte Informationen vorliegen, „die mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf schliessen lassen, dass das Virus SARS-CoV-2 von Menschenhand durch die Manipulation eines bestehenden Virus geschaffen wurde und dass es aus einem chinesischen Labor stammt.“ Zitat Ende.

Verfügt die Bundesregierung über diese Art der geschilderten Informationen, ja oder nein? Könnten Sie zumindest dazu etwas sagen? Damit hängen Sie sich ja noch nicht weit aus dem Fenster.

Hoffmann
Ich habe doch gerade gesagt, dass wir uns zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen von dieser Stelle aus nicht äußern. Jetzt fragen Sie mich genau danach. Nein, wir äußern uns nicht dazu.

Zusatz Warweg
Manchmal ändert man ja seine Haltung.

Hoffmann
In drei Minuten? Das ist nicht meine Art.

Frage Spiekermann
Noch eine Zusatzfrage: Sie sagen, Sie äußern sich hier nicht dazu. An welcher Stelle würden Sie sich möglicherweise dazu äußern?

Hoffmann
Präzise kann ich dazu nichts sagen, aber allgemein ist es ja so, dass die Bundesregierung zu diesen Themen, also auch zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, die geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages informiert.

Frage Warweg
Noch eine Verständnisfrage: Das ist ja schon eine Thematik, die auch einen Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung interessiert. Können Sie kurz darlegen: Bis wann überwiegt das Geheimhaltungsinteresse, und bis wann überwiegt aus Sicht der Bundesregierung das Interesse der Öffentlichkeit, diese Informationen auch transparent zu machen?

Hoffmann
Ich äußere mich von dieser Stelle als Regierungssprecherin – wir als Sprecherinnen und Sprecher hier von der Sprecherbank – grundsätzlich nicht zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen.

Zusatzfrage Warweg
Darf ich noch ganz kurz nachfragen? Es war ein Treffen beim BND, zugegeben, aber ein Großteil der Informationen kommt ja von Virologen und Wissenschaftlern. Sie sagen also: Nur weil diese Informationen im Kontext des BND-Gebäudes getroffen worden sind, können Sie sich nicht dazu äußern, obwohl die Äußerungen größtenteils von Wissenschaftlern mit einem rein zivilen Hintergrund kommen.

Hoffmann
So ist es.

Zusatz Warweg
Das ist keine Antwort auf meine Frage.

Hoffmann
Sie haben mich gefragt, ob es so ist, und ich sage: So ist es. Ja.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 12.03.2025

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