Die Anfrage war dringend, das Ereignis allerdings schon ein paar Tage alt. „Die kanadische Regierung hat Sie jüngst auf ihre Sanktionsliste gesetzt“, so die E-Mail. „Sie zählen nach Sicht der Regierung in Ottawa demnach zu „Individuals who are assisting the Russian government in its full-scale invasion of Ukraine“. Auch weitere Begründungen für Sanktionen lieferte der Reporter von Papertrail Media gleich mit: Demnach unterstütze ich entweder den „military-industrial complex“ von Russland oder „die gewaltsame Umsiedlung ukrainischer Kinder nach Russland“. Oder ich sei einfach ein Putin-Versteher und manipuliere so die öffentliche Meinung. Fragesteller Frederik Obermaier ist, zusammen mit seinem Fast-Namensvetter Bastian Obermayer, Gründer eines sehr speziellen journalistischen Geschäftsmodells namens Papertrail Media aus München. Er sei für Spiegel und ZDF unterwegs, betont Obermaier und setzt auch gleich eine Frist für eine schnelle Antwort innerhalb von 24 Stunden. Von Hubert Seipel.
Das Ergebnis der Recherche steht kurz darauf im Spiegel und ZDF. „Kanada sanktioniert Putin-Biographen Hubert Seipel“, titelt das Magazin aus Hamburg, und das Zweite Deutsche Fernsehen aus Mainz berichtet stolz, der öffentlich-rechtliche Sender habe schon „Ende 2023 zusammen mit dem SPIEGEL aufgedeckt, dass „ausgerechnet Seipel, der jahrelang als Russland-Kenner von Talkshow zu Talkshow gereicht wurde und für seine Filme „Ich, Putin“ und „Putin – das Interview“ Anerkennung erhielt, heimlich Geld aus Russland bekommen habe – von dem Oligarchen und Putin-Vertrauten Alexej Mordaschow. Die Zahlungen waren als Zuschüsse für Seipels Bücher über Putin deklariert.“
Alexei Mordaschow hat in der Tat die Arbeit für meine Bücher, nicht die Filme, gesponsert. Es waren gut acht Jahre Arbeit, Dutzende Reisen nach Russland, Recherchen in den USA, Präsenz bei Minsk-2-Verhandlungen oder dem Helsinki-Treffen zwischen dem US- und dem russischen Präsidenten. Nicht zu reden von den regelmäßigen Reisen nach Berlin, wo übrigens auch Jan Hecker, der außenpolitische Berater Merkels, zu meinen Gesprächspartnern zählte.
Konkrete Einflussnahme auf den Inhalt oder die Erscheinung der Bücher waren juristisch ausgeschlossen.
Mordaschow ist weder Duzfreund des russischen Präsidenten noch kommt er aus dem russischen Sicherheits- oder Staatsapparat. Er ist erfolgreicher Unternehmer, der auch in Deutschland nicht nur wegen seiner Beteiligung an dem Touristik-Unternehmen TUI bekannt ist. Mordaschow saß über Jahre in wichtigen Gremien wie etwa der „Strategischen Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen“, ein Projekt der deutschen und der russischen Regierung. Er setzte sich für die deutsch-russischen Beziehungen ein, sponserte Jugendaustausch und war in Berlin auch bei der Bundesregierung ein gern gesehener Gast.
Bis zum Ukraine-Krieg: Seither steht er auf der Sanktionsliste, weil wir uns mit „Russland im Krieg befinden“, wie unsere scheidende Außenministerin Annalena Baerbock gerne sagt. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges erfolgt die Verurteilung nach einem kollektiven politischen Schuldspruch. Der Grund: Russe, reich, schuldig. Oligarch.
Im Amtsblatt der EU ist die Begründung wenig konkret:
„Alexei Mordaschow profitiert von seinen Verbindungen zu russischen Entscheidungsträgern. Er ist Vorsitzender des Unternehmens Servergroup. Sein Unternehmen ist Anteilseigner der Bank Rossiya, von der er 2017 etwa 5,4 Prozent hielt und die als persönliche Bank hochrangiger Beamter der Russischen Föderation gilt.“
Die Schlussfolgerung:
„Daher ist er für die Unterstützung von Handlungen oder politischen Maßnahmen verantwortlich, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine untergraben.“
Dass nun auch ich als Journalist von Kanada sanktioniert worden bin, habe ich wohl nicht zuletzt Papertrail Media und seiner internationalen Mobilisierung gegen mich zu verdanken.
Die Artikel im Spiegel und ZDF sind ein schönes Beispiel, wie die Firma operiert. Die Arbeit der Investigativ-Firma Papertrail, die als Dienstleister für Print und Fernsehen arbeitet, aber selten genannt wird, ist meist nur journalistischen Insidern bekannt. Es ist ein gegenseitiges Geschäft. Es waren Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, die den Shitstorm initiierten, der im November 2024 gegen mich von Spiegel und ZDF und mit einer Reihe ausländischer Zeitungen wie etwa Guardian oder Washington Post ausgelöst wurde. Sie alle arbeiten wie Papertrail mit der internationalen Journalistenplattform ICIJ in Washington.
Nicht nur die Washington Post beruft sich in ihren damaligen E-Mails an mich auf Papertrail. Es war eine gut koordinierte internationale Aktion.
The Washington Post, 4. November 2023, T13:15:47+0100
„My name is Elahe Izadi and I am a media reporter with The Washington Post. As you are aware, we are working with Paper Trail Media and the International Consortium Investigative Journalists …”
Die dringende Anfrage aus London per E-Mail beruft sich gleichfalls auf die gemeinsame Kampagne.
Urgent Query from the Guardian, 5. November 2023, T10:38:57+0100)
„Our reporting is … part of a collaborative investigation with the International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), the Washington Post, Le Monde, Paper Trail Media and other media organisations.”
Es ist eine neue und sehr effektive Art des Arbeitens, dominiert von dem gleichen Blick und der gleichen Mission: Der Westen gegen den Rest der Welt – ohne Rücksicht auf Verluste.
Das Maximum herausholen
Bastian Obermayer und Frederik Obermaier waren einst Redakteure der Süddeutschen Zeitung und haben vor Jahren Papertrail Media gegründet, weil sie bei ihrem alten Blatt für investigativen Journalismus „nicht das Maximum herausholen konnten“, erklärten sie in einem Interview mit dem Magazin Medieninsider. Seither sind sie mit ihrer Firma als selbstständige Unternehmer unterwegs. Das Geschäftsmodell: ein Recherchebüro mit Spezialisierung auf investigativen Journalismus. Und mit wem sie mit Vorliebe arbeiten, um schwarze Zahlen zu schreiben, haben sie gleichfalls erzählt. Vorrangig mit wichtigen internationalen Netzwerken wie dem Internationalen Konsortium für investigative Journalisten, kurz ICIJ, oder mit OCCRP. Das „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ ist ein mehrheitlich staatlich finanziertes Netzwerk von Journalisten-Organisationen mit Sitz in Washington, die wiederum in vielen verschiedenen Ländern zu Hause sind.
Die Vorliebe steht auch auf der Papertrail-Webseite.
„… We are the journalists behind the #PanamaPapers, #ParadisePapers #SuisseSecrets #XinjiangPoliceFiles and #VulkanFiles. Together with OCCRP, ICIJ … we worked on the #StoryKillers, #CyprusConfidential, #WorldOfPain, the #RussianAssetTracker and more. Stay tuned.”
Die zwei amerikanischen Organisationen OCCRP und ICIJ arbeiten eng zusammen. Die Spezialität des OCCRP ist es, die Zusammenarbeit von Medienorganisationen rund um den Globus zu organisieren. „Jeder, der eine globale Geschichte machen möchte, kann zu OCCRP kommen und 100 Reporter bekommen“, sagt Drew Sullivan. Drew Sullivan ist der breiten Öffentlichkeit unbekannt, aber der 60-jährige Amerikaner ist einer der einflussreichsten Journalisten der Welt. Er ist Gründer und Leiter des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) – mit einem millionenschweren Jahresbudget und mit Niederlassungen in Washington, Amsterdam und Sarajewo. Rund 200 Mitarbeiter sind auf alle Kontinente verteilt. Die Medienpartner gehören zur Elite des journalistischen Mainstreams weltweit: The New York Times und The Washington Post in den USA, The Guardian in Großbritannien, Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung in Deutschland oder Le Monde in Frankreich.
Bastian Obermayer hat schon gute Erfahrungen mit beiden Organisationen gemacht – mit den Panama-Papers etwa, jenen vertraulichen Unterlagen eines panamaischen Offshore-Dienstleisters, die durch ein gezieltes, gigantisch großes Datenleck 2016 an die Öffentlichkeit gelangten. Ein anonymer Whistleblower hatte die Unterlagen zunächst der Süddeutschen Zeitung zugespielt. Anschließend koordinierte das Internationale Konsortium ICIJ mit Hilfe von OCCRP die einjährige Datenauswertung und weitere Recherchen. Für ihre Recherchen zu dieser Affäre erhielten das ICIJ 2017 und auch Bastian Obermayer den Pulitzer-Preis. Sein Bild prangt nun auf der Webseite der Organisation OCCPR über dem Projekt Pegasus.
„An allem, von den „Panama-Papers“ bis zum „Pegasus-Projekt“, waren OCCRP-Reporter maßgeblich beteiligt“, bestätigt Drew Sullivan die Unterstützung in einem Interview mit dem NDR. Das ist das eine.
Millionen vom State Department
Das andere, was er noch nach langem Zögern zugibt: Das Geld für die Gründung von OCCRP kam von der US-Regierung, und die Regierung benutzt die Organisation auch politisch. Und seither sponsert Washington mit rund 50 Millionen US-Dollar.
Mehrere internationale Medien, namentlich Mediapart (Frankreich), das US-amerikanische Drop Site News (DSN), Il Fatto Quotidiano (Italien) und Reporters United (Griechenland), haben seit Anfang 2023 den Umfang der staatlichen Förderung recherchiert. Auch ein Fernsehteam des NDR war mit von der Partie. Die Reporter John Götz und Armin Ghassim interviewten Drew Sullivan mehrmals sehr konkret zu den Vorwürfen: Demnach hat die US-Regierung zwischen 2014 und 2023 rund 50 Prozent der Gelder von OCCRP gestellt. Das gehe aus den jährlichen Finanz-Prüfberichten (Audits) von OCCRP und öffentlich einsehbaren Dokumenten von US-Behörden hervor.
Hinzu kommen 1,1 Millionen Dollar, die es von der Europäischen Union erhalten hat, und 14 Millionen Dollar, die sie aus sechs europäischen Ländern erhalten haben:
Die Millionen der Regierung werden von der US-Behörde für internationale Entwicklung USAID an OCCRP bezahlt, allerdings mit konkreten Bedingungen, wie die zuständige Programmmanagerin Shannon McGuirre von USAID erklärt, die für OCCRP verantwortlich ist. „In einer Kooperationsvereinbarung gibt es eine Klausel, die sich „substanzielle Beteiligung nennt“. Dank dieses Vertrags kontrolliert das State Department den jährlichen Arbeitsplan und das Personal der vermeintlich unabhängigen Organisation OCCRP. „Wer also wird Chefredakteur, wer ist CEO, wer ist leitender Redakteur und so weiter,“ beschreibt Mike Henning, langjähriger USAID-Manager für die Abteilung „Demokratie“, die konkrete staatliche Einflussnahme.
Es ist nicht die einzige Einschränkung, die OCCRP dank der staatlichen Gelder hinnimmt. Auch inhaltlich bestimmt die US-Regierung, was geht und was nicht. Die Organisation darf „keine kritischen Berichte über die Vereinigten Staaten“ oder amerikanische Unternehmen machen, räumt der Gründer und Chef Drew Sullivan auf Nachfrage der NDR-Reporter ein. Gelegentlich sind die Gelder direkt an die Bedingung geknüpft, dass das OCCRP damit gegen „geostrategische Gegner der USA wie Venezuela oder Russland recherchiert“. Möglicherweise auch gegen mich.
Die Vorgaben haben einige der größten deutschen Verlage oder ARD und ZDF, Spiegel, Zeit oder Süddeutsche nicht daran gehindert, regelmäßig mit der amerikanischen Lobbyorganisation zusammenzuarbeiten. Die Süddeutsche Zeitung teilte auf taz-Anfrage mit, „sie habe über die Finanzierung Bescheid gewusst, sei aber gerade in keine gemeinsamen Projekte involviert. Der Spiegel teilt mit, für künftige Kooperationen sei entscheidend, „dass die Rechercheergebnisse eines Partners unserer journalistischen, dokumentarischen und rechtlichen Prüfung standhalten“, so das Blatt aus Berlin.
„Zensur im NDR“
Als die Recherche im Dezember 2024 veröffentlicht werden soll, steigt der NDR aus und legt den Film mit den sehr klaren Interviews auf Eis. Der Sender hatte in der Vergangenheit selbst mit OCCRP kooperiert. Zuvor hatte OCCRP-Chef Drew Sullivan Druck ausgeübt und mit juristischen Schritten gedroht. Die Entscheidung ist kaum nachzuvollziehen. NDR-Journalisten recherchieren monatelang und finden heraus, dass die US-Regierung dem größten weltweiten Investigationsnetzwerk Millionen bezahlt und Themen bestimmt, denen das Netzwerk zu folgen hat.
Mediapart (Frankreich), Drop Site News (USA), Il Fatto Quotidiano (Italien) und Reporters United (Griechenland) veröffentlichen, was sie während der langen Recherche herausgefunden haben, und werfen dem NDR Zensur vor.
Der von der NDR-Pressestelle angeführte offizielle Grund für die Entscheidung: Im ganzen Sender habe sich keine Redaktion gefunden, die die Recherche in ihrem Programm zum Thema machen wollte. Dem Thema mangele es zudem an Relevanz, argumentieren die zuständigen Führungskräfte in einer E-Mail an Mediapart. Die Recherche sei von „geringem Interesse“ für die NDR-Zuschauer.
Wer sich den Film anschaut, kommt zu einem anderen Schluss.
Für Papertrail Media hat sich bislang nicht viel geändert. Von OCCRP habe man natürlich nie einen Cent genommen, erklärt Frederik Obermaier unaufgefordert.
Die Obermayer und Obermaier haben mir in ihren Spiegel-Artikeln weder in meinen Filmen noch in meinen Büchern konkrete Fehler nachgewiesen. Der Spiegel hatte zuvor nicht nur den Putin-Film über den grünen Klee gelobt, sondern, ebenso wie auch die Zeit, Auszüge aus meinen Büchern gedruckt. Offenkundig waren die Kollegen damals nur zu dumm, die pure Putin-Propaganda zu erkennen.
Auch der NDR konnte in seinem Untersuchungsbericht keine konkreten Fehler in meinen Filmen feststellen – abgesehen von selbstständigem Denken und Abweichungen vom journalistischen Mainstream, da ich nach monatelangen Recherchen meine Unabhängigkeit als Autor offenkundig verteidigt habe.
„Seipel behielt sich etwa in den (Film)Verträgen vor, dass „Änderungen am Treatment nur mit seinem Einverständnis erfolgen durften“, monierte der Spiegel nach der Veröffentlichung des NDR-Untersuchungsberichts. Vertragsklauseln, dass er entsprechend „den Vorgaben und Wünschen“ des NDR zu arbeiten habe, „strich er unwidersprochen“.
Wie weit die Paranoia der Kollegen nach der Zeitenwende gehen kann, zeigt eine E-Mail des Spiegel auf dem Höhepunkt des Shitstorms kurz vor Weihnachten 2023:
„Im Nachgang unserer Berichterstattung über ihre Russlandbücher ist die Frage aufgekommen“, so der Spiegel-Kollege Stefan Weigel „im Auftrag der Chefredaktion“, ob es denn schon zu meiner Zeit als Spiegel-Redakteur – wir sprechen von 1979 – „Auffälligkeiten gegeben haben könnte“ und ob mein Wechsel zum Stern 1985 (also vor 40 Jahren) bereits mit diesem Thema in irgendwelcher Form inhaltlich zusammengehangen haben könnte.
Meine Antwort, gleichfalls per E-Mail:
„Sie haben recht. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Ich empfehle Ihnen, auch die Jahre 1956/57 ins Visier zu nehmen. Damals wechselte ich vom Kindergarten in die Volksschule. Möglicherweise war dieser Wechsel bereits vom KGB gesteuert, um mich zielsicher für die Zeit beim Spiegel und der ARD vorzubereiten.
Frohes Fest, Hubert Seipel.“
Seither habe ich vom Spiegel selbst nichts mehr gehört.
Titelbild: Screenshot von Paper Trail Media