„15 Jahre Lagerhaft für den Autor!“

„15 Jahre Lagerhaft für den Autor!“

„15 Jahre Lagerhaft für den Autor!“

Ein Artikel von Renate Dillmann

„Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ betitelt Ole Nymoen, bekannt vom Podcast „Wohlstand für Alle“, sein neues Buch beim Rowohlt-Verlag, nachdem er zuvor mit Wolfgang M. Schmitt bereits ein Buch zu „Influencern“ sowie ein Kinderbuch („Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“) veröffentlicht hat. Der junge Autor bezieht damit Position in einer Debatte, die angesichts der Militarisierung – Stichworte: Aufrüstung, Herstellung von Kriegstüchtigkeit bei der Bevölkerung, eventuelle Wiedereinführung der Wehrpflicht – in Deutschland dringend notwendig erscheint. Im Interview mit den NachDenkSeiten erklärt Nymoen, was er an der Außenpolitik von Nationalstaaten und ihren Kriegen kritisiert und warum einige pazifistische Positionen zu kurz greifen. Das Interview führte Renate Dillmann.

Renate Dillmann: Im Bundestagswahlkampf kam es zu einem regelrechten Überbietungswettbewerb bezüglich dem, was künftig in Deutschland für die Aufrüstung ausgegeben werden soll – am Ende waren nicht einmal fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts genug. Inzwischen wird über zwei gigantische „Sondervermögen“ für Aufrüstung und Infrastruktur in Höhe von xxx Milliarden (wer weiß, was den deutschen Politikern noch einfällt) verhandelt und die Schuldenbremse soll für Rüstungsbeschaffung außer Kraft gesetzt werden. Parallel dazu will die EU weitere 800 Milliarden für gemeinsame Rüstungsprojekte und zur Unterstützung der Ukraine ausgeben. Würden Sie bestreiten, dass diese Kosten für die Aufrüstung der BRD notwendig sind?

Ole Nymoen: Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn wir wissen nicht einmal, zu welchem Zweck der designierte Bundeskanzler derart aufrüsten will. Offiziell heißt es natürlich: nur zu Verteidigungszwecken! Aber schon vor drei Jahren, kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine, erklärte Friedrich Merz im Bundestag, Deutschland müsse bereit sein, „in dieser Welt seine Interessen zu definieren, und vor allem bereit sein, diese Interessen auch durchzusetzen.“ Dazu zähle „nicht nur, aber auch die Fähigkeit, das eigene Territorium zu schützen und zu verteidigen“.

Merz erklärte damals also: Deutschland muss bereit sein, über die eigenen Grenzen hinauszudenken und seine Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Was dafür tatsächlich „notwendig“ ist, das möchte ich nun nicht mühevoll ausrechnen müssen. Für mich ist im Kriegsfall nämlich nicht die Rolle des Machers eingeplant, sondern die des nützlichen Idioten, der mit der Waffe in der Hand tötet und stirbt. Daher werbe ich für einen Blick, der sich nicht mit einzelnen Staaten gemein macht. Stattdessen muss es darum gehen, zu erkennen: Die Kriege werden nie im Interesse derer geführt, die in ihnen sterben.

In der Einleitung zu Ihrem Buch sprechen Sie davon, dass die führenden deutschen Politiker, die im Augenblick nationale Geschlossenheit einfordern, zuvor mit neoliberaler Härte für prekäre Jobs, neue Formen von Armut und steigende Besucherzahlen der „Tafeln“ gesorgt haben, während gleichzeitigt ein DAX-Rekord den nächsten jagte. Ist das ein Widerspruch?

Durchaus. Auf der einen Seite sagt dieser Staat: „Jeder ist für sich selbst verantwortlich.“ Solidarität ist für alle maßgeblichen Politiker ein Wert, der bestenfalls bei der Ein-Herz-für-Kinder-Gala gelebt wird. Dass die einen immer reicher werden, während die anderen jeden Euro zweimal umdrehen – das ist für einen Friedrich Merz, eine Alice Weidel oder einen Robert Habeck nun einmal der Lauf der Welt, und viele von ihnen wollen diese Tendenz sogar verstärken. Etwa durch Steuersenkungen für Reiche, während für die Ärmsten die Mehrwertsteuer erhöht wird.

Dieses Land produziert auf der einen Seite einen gigantischen Reichtum, auf der anderen Seite verfallen Schulen und Kinder bekommen nicht einmal ein warmes Mittagessen. Die Räson dieses Staates besteht sicherlich nicht darin, für alle ein angenehmes Leben zu schaffen. Und das behauptet auch keiner, im Gegenteil: Permanent werden die Bürger darauf eingeschworen, den Gürtel enger zu schnallen, Lohnsenkungen oder Kürzungen der Sozialleistungen hinzunehmen. Und was passiert, sobald Krieg ist? Dann soll sich das ganze Volk als große Solidargemeinschaft missverstehen. Da stimmt doch etwas nicht!

Sie treten mit Ihrem Buch gegen eine regelrechte Selbstverständlichkeit im Bewusstsein der Mitglieder dieser Gesellschaft an. Aber ist es nicht selbstverständlich, dass man „sein“ Land verteidigt, wenn es angegriffen wird? Würden Sie sich nicht verteidigen, wenn Ihre Wohnung, Ihr Leben, das Leben Ihrer Liebsten in Gefahr ist?

Die Souveränität des eigenen Staates und das eigene Überleben sind aber nicht dasselbe. Wenn ich als Privatperson auf offener Straße angegriffen werde, dann wehre ich mich mit eigener Gewalt gegen einen fremden Übergriff. Wenn hingegen ein Staat angegriffen wird, dann zwingt dieser seine Bürger – ob sie wollen oder nicht, ob sie sich mit dem Staat identifizieren oder nicht –, im Land zu bleiben und für ihn zu kämpfen. Dabei steht garantiert nicht der Schutz der Bevölkerung an erster Stelle – die muss ja als Soldat kämpfen oder steht als Zivilbevölkerung unter Beschuss. Stattdessen geht es um die Souveränität des Staates. Zwischen dem Sicherheitsbedürfnis des Bürgers und dem des Staates besteht ein Widerspruch – auch wenn das gern geleugnet wird, wenn von „unserer Sicherheit“ die Rede ist.

Am Ende der Einleitung schreiben Sie: „Dass Staaten sich durch permanente Gewalt nach innen wie nach außen kennzeichnen, ist eine der Kernthesen dieses Buches.“ Können Sie erläutern, wieso es zum Wesen von Nationalstaaten gehört, immer wieder zum Mittel kriegerischer Gewalt zu greifen? Ist es nicht vielmehr so, dass Staaten für (Rechts-)Frieden und sozialen Frieden im Innern und für friedliche Beziehungen nach außen sorgen?

Staaten sind nichts weiter als Gewaltmonopolisten. Das halten die klassischen Staatstheoretiker ihnen gerade zugute. Man denke an Hobbes, demzufolge der Staat mit seinem Gewaltmonopol den „Krieg eines jeden gegen jeden“ beendet. Da stellt sich nur die Frage: Wenn der Staat angeblich bloß dazu da ist, die Gewalt im Inneren eines Gemeinwesens zu unterbinden – wieso rüstet sich dann ein jeder Staat permanent auf, um diese Gewalt auf erweiterter Stufenleiter – soll heißen, im Krieg – fortzuführen?

Meine Antwort ist simpel: Ein Staat ist eben nicht ein freier Verband von Menschen, die sich zusammengefunden haben, um gemeinsam Gesellschaft zu machen – sondern ein Herrschaftsbereich, der in ökonomischer und militärischer Konkurrenz zu anderen Gewaltmonopolisten steht. Und diese Konkurrenz enthält immer das Potential, dass Konflikte nicht nur „zivil“, beispielsweise mit Handelssanktionen, geführt werden. Stattdessen enthält diese Staatenwelt immer schon das Potenzial der militärischen Gewalt.

Sie schreiben: „Ich möchte nicht auf Menschen schießen, von denen mich nichts Substanzielles trennt und mit denen ich wahrscheinlich ein angenehmes, kooperatives, friedliches Leben führen könnte – wären da nicht die Machthaber dieser Welt, die anderes mit uns vorhaben.“ Das hört sich an wie eine moderne Formulierung der ehemals internationalistischen Arbeiterbewegung. Wenn es so ist, dass Staaten vor allem ihre eigenen Interessen in der Konkurrenz der Staaten verfolgen, die mit denen der Bevölkerung wenig zu tun haben, warum können sie dann trotzdem darauf zählen, dass ihre Bevölkerungen meist ziemlich geschlossen hinter ihnen stehen und am Ende sogar in den Krieg ziehen?

Im „Kommunistischen Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels heißt es: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Davon bin ich ebenso überzeugt. Auch wenn Menschen verschiedene Sprachen sprechen oder unterschiedlichen Kulturen entstammen, gibt es keinen sachlichen Grund, weshalb sie aufeinander losgehen und sich massakrieren sollten. Das tun sie nur, weil man es ihnen befiehlt – und weil sie gelernt haben, alles durch eine nationale Brille zu betrachten.

Wer sein Leben lang erzählt bekommt, dass er zu einem wunderbaren Staatsvolk gehört, das leider Gottes durch äußere Feinde bedroht ist – der wird dann oftmals auch zu jeder Gräueltat bereit sein und seine Waffen auf Menschen richten, von denen ihn in Wahrheit überhaupt nichts trennt. Besonders eindrucksvoll kann man das in Romanen über den Ersten Weltkrieg nachlesen, etwa in Erich Maria Remarques Klassiker „Im Westen nichts Neues“. Dort merken die Soldaten selbst, dass die feindlichen Kämpfer ihnen eigentlich viel weniger gefährlich sind als die eigenen Oberbefehlshaber. Schon vor knapp 100 Jahren war das vielen Menschen klar, aber heute scheint es vergessen worden zu sein. Deshalb greife ich in meinem Buch auf solche Klassiker zurück.

Die neue deutsche Aufrüstung wurde in der „Zeitenwende“-Debatte damit begründet, sie sei „für unsere Freiheit, unseren Wohlstand, unsere Demokratie“ (Olaf Scholz) notwendig. Der nächste große Krieg wird vermutlich im Namen von „Demokratie“ gegen sogenannte „autoritäre Regime“ geführt. Welche Rolle spielt diese Art von Legitimation? Eine gewisse Heuchelei ist ja unübersehbar …

Im Krieg geht es nie um Moral. Aber natürlich werden permanent moralistische Begründungen für Kriege vorgebracht, denn irgendwie müssen die eigenen Militäreinsätze der eigenen Bevölkerung schmackhaft gemacht werden. Wer seine Gegner als autoritäre Despoten verunglimpft, der hat damit schon einen guten Grund für die eigene Gewalt gefunden: Mit „so einem“ kann man eben nicht verhandeln, da helfen nur Waffen!

Und die meisten Bürger, deren größte Freiheit darin besteht, nach einem zehnstündigen Arbeitstag auf Instagram zu verkünden, dass sie die Grünen doof finden – ebendiese Bürger lassen sich diesen Kampf im Namen der Freiheit dann auch einleuchten.

Um Wahrheit geht es dabei nie, stattdessen wird zu den größten moralischen Kalibern gegriffen. Besonders beliebt sind in der internationalen Politik Hitler-Vergleiche, wie man auch am Beispiel des Ukraine-Kriegs sehen kann: Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj bedenken sich seit drei Jahren permanent gegenseitig mit verqueren historischen Analogien. Aber um Antifaschismus geht es in diesem Kampf garantiert keiner Seite.

Ein bemerkenswerter Satz in Ihrem Buch lautet „Denn Krieg ist nicht falsch, weil er verboten ist. Er ist falsch, weil einige wenige Menschen über die Leichenberge anderer gehen können, um ihre Interessen durchzusetzen.“ – wobei mit den „wenigen Menschen“ wohl die Funktionäre von Staaten gemeint sind. Mit diesem Satz weisen Sie darauf hin, dass das von Friedensfreunden oft beschworene Völkerrecht eigentlich keine besonders taugliche Berufungsinstanz gegen Kriege ist. Warum ist es das nicht? Und warum spielt es für die Friedensbewegung eine so große Rolle?

Das Problem mit dem Völkerrecht ist simpel: Es ist ein zahnloser Tiger, da es keine übergeordnete Instanz gibt, die es überwacht. Im Inneren eines Staates ist das anders, dort gibt es eine klare Hierarchie: Wenn in Deutschland ein Bürger gegen einen anderen gewalttätig wird, dann kann dieser sich darauf verlassen, dass der Staat das ermittelt und bestraft. Auf der einen Seite steht dann der straffällig gewordene Bürger, auf der anderen die exekutive und judikative Gewalt.

Zwischen den Staaten ist das schwieriger. Mächtige Staaten wie die USA, Russland oder China sehen sich nicht an internationales Recht gebunden. Sie verweisen zwar gerne darauf, wenn ein Feindesstaat dieses Recht bricht. Aber wenn sie selbst einen Krieg vom Zaun brechen, dann ist ihnen das Völkerrecht egal, da sie eh niemand zur Rechenschaft ziehen kann. Die USA haben sogar ein eigenes Gesetz, mit dem sie sich erlauben, eine Invasion in den Niederlanden zu starten, sollte tatsächlich einmal ein US-Amerikaner vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen.

Genau deshalb ist es auch so hilflos, wenn Linke und Friedensaktivisten auf das Völkerrecht pochen: Denn das taugt den Staaten dieser Welt nur als moralistische Berufungsinstanz.

Ihr Artikel in der Zeit hat einen regelrechten Shitstorm ausgelöst – mit vielen guten Wünschen, wohin Sie doch gehen könnten. Da haben Sie im Land der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Pressefreiheit eine, zugegeben abweichende, Meinung geäußert, und umgehend werden Forderungen nach 15 Jahren Lagerhaft laut. Was ist da los?

Ja, einer der Kommentatoren wünschte mir sogar russische Lagerhaft – wohlgemerkt unter Klarnamen! Er kann von Glück sprechen, dass ich nicht bei den Grünen bin, sonst hätte ich wahrscheinlich geklagt.

Die Logik dieser „Kritiker“ ist denkbar simpel: Dass ich das Recht habe, meine Meinung frei zu äußern, steht für sie bereits für die unleugbare Menschenfreundlichkeit dieses Systems. Deshalb sollte ich mein Recht auf Meinungsäußerung bitte nicht derart überstrapazieren und mich stattdessen in Reih und Glied einordnen. Der Autoritarismus solcher Liberaler spricht für sich selbst.

Was diese Kritiker gerne verschweigen: Menschen wie ich wurden auch in der Bundesrepublik lange Zeit mundtot gemacht. In den 50er-Jahren wurden sie unter Konrad Adenauer anhaltslos ins Gefängnis gesperrt. Bald darauf folgte das KPD-Verbotsverfahren, das (milde ausgedrückt) nicht gerade nach modernen, rechtsstaatlichen Prinzipien verlief. Bis in die Gegenwart werden Sozialisten mit Berufsverboten belegt. Die Freiheitlichkeit des öffentlichen Diskurses ist also nie einfach gegeben. Sie wurde in der Bundesrepublik vor allem dadurch möglich, dass man alle maßgeblichen Kritiker erst einmal marginalisiert hat. Heute leistet man sich ab und zu abweichende Meinungen, aber das kann schnell wieder anders laufen.

Sie sind ein junger Autor, sozusagen eine Stimme der jungen Generation, nicht der altgedienten Friedensbewegung, die gerade nicht fassen kann, warum die Politik der „Zeitenwende“ bzw. der „Kriegsertüchtigung“ nicht Massen auf die Straßen bringt. Was denken Sie über das politische Bewusstsein Ihrer Altersgenossen?

Eine Mehrheit der jungen Leute lehnt – Stand 2024 – eine neue Wehrpflicht ab. Ein gewisses gesundes Eigeninteresse scheint also noch zu existieren. Dennoch merke ich immer wieder, wie selbst Linke den Kampf für das eigene Land als notwendige Pflicht anerkennen.

Dass vor gut hundert Jahren die Menschen in den Schützengräben gekämpft haben – das finden alle wahnsinnig. Aber immer in der Zeit, in der man selbst gerade lebt, ist die Pflicht, fürs Vaterland zu kämpfen, so dringend wie nie zuvor. Verrückte Welt!

Zum Schluss schreiben Sie, dass Sie Ihre Meinung, nie für etwas kämpfen zu wollen, revidiert haben. Wofür würden Sie kämpfen?

Ich bin ein klassischer Sozialist. Ich würde gern in einer Gesellschaft leben, in der das Marx‘sche Diktum gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“

Dafür leiste ich jeden Tag Überzeugungsarbeit, um jungen Menschen klarzumachen: Diese Welt könnte anders organisiert sein. Ohne willkürlich gezogene Grenzen, ohne permanente Konkurrenz. Für diese Vision lohnt es sich zu kämpfen – und dazu brauche ich keine Waffengewalt, sondern höchstens die Waffe der Kritik.

Titelbild: © Mark Büschel

Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Hamburg 2025, Rowohlt Verlag, gebundene Ausgabe, 144 Seiten, ISBN 978-3499017551, 16 Euro

Erscheinungstermin: 11. März 2025

Das Interview führte Renate Dillmann, Autorin von: Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. Köln 2024

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