Vorbemerkung Albrecht Müller: Die NachDenkSeiten werden auch künftig immer wieder auf interessante, fast schon modellhafte Initiativen aufmerksam machen. Was hier in Thüringen arrangiert wird, ist ein gutes Beispiel.
Von Julia Pöhlmann: Im eher beschaulichen Städtchen Zella-Mehlis findet sich Raum für eine kleine Initiative, die frischen Wind bringen will. Seit 2017 kooperiert der Kunst- und Kulturverein Zella-Mehlis e.V. dafür mit der Stadt und hat das Vereinskind „Aufwind“ aus der Taufe gehoben.
Die Initiative setzt sozio-ökologische und soziokulturelle Akzente in Stadt und Umgebung, bietet Raum zum Austausch und zum Anpacken.
Vorausgegangen sind, wie überall, langjähriges Ehrenamt, Projekte in Eigenregie und gewachsene Vereinsstrukturen.
Inzwischen gibt es ein wöchentliches Reparaturcafé, zweimal im Jahr kostenlose Gib- und Nimm-Märkte, an denen tausende von Kleidern, Büchern und Gebrauchsgegenständen aller Art die Besitzer wechseln, und ein winziges Stück „essbare Stadt“. Stadtbienen gehören genauso dazu wie Obststräucher und ein geräumiges Insektenhotel.
Für alle, die gern zuhören, gibt es Gesprächsreihen wie „Elefanten und Mücken“, die Menschen aus der Stadtgemeinschaft zueinander bringt. Zum Mitreden eignet sich „spruchreif“, eine Runde, in der auf den Tisch darf, was die Gemüter bewegt. Zurzeit ist das Frieden und die Sorge um denselben. Im Februar haben die Verantwortlichen ein Friedenslicht organisiert – in der Hoffnung, dass auch an anderen Orten Zeichen gesetzt werden.
Kooperationspartner gewinnt Aufwind auch von außerhalb: Ob Bauhaus-Uni oder das Thüringer Nachhaltigkeitszentrum, Gäste kamen in den letzten Jahren gern nach Zella-Mehlis.
Jugendworkshops und Vorträge zum kritischen Bewusstsein über KI runden das Angebot genauso ab wie Zeichenkurse, welche die Wahrnehmung nicht nur für den Blick schärfen.
Ein stückweit hängt es davon ab, wer bei Aufwind gerade aktiv ist: Junge Menschen, die noch etwas Zeit in der Heimat verbringen, Enthusiasten mit besonders grünem Daumen oder kritische Denkerinnen.
Wichtig ist den Verantwortlichen, dass Lücken geschlossen werden: Angebote, die der Stadt gut tun können und anderweitig nicht umgesetzt werden, stemmt die Initiative. In der aktuellen Zeit widmet sich Aufwind mehr und mehr dem Anliegen, miteinander im Gespräch zu bleiben. Unabhängig von politischer Einstellung oder, schlimmer, Kreuzen auf Wahlzetteln lädt Aufwind ein, zusammenzukommen, sich auszutauschen, ausreden zu lassen, sich auszuhalten. Auch, wenn’s mal weh tut. „Politik darf nicht die Macht haben, Menschen aus dem Gespräch zu bringen“, findet Verena Würfel vom Aufwind-Team.
Und einmal im Jahr wird richtig groß miteinander gesprochen: Gemeinsam mit Kooperationspartner Provinzkultur e.V. aus Suhl lädt Aufwind zum Dialog. So waren in den letzten Jahren schon Gerald Hüther, Nico Paech, Harald Welzer, Daniela Dahn, Erwin Thoma, Fabian Scheidler, Ralf-Uwe Beck, Susanne Dohrn, Simon Marian Hoffmann und andere zu Gast und haben miteinander oder mit dem Publikum gesprochen.
Im Frühjahr 2025 wird das Podium fünfköpfig: Zu den Schlagworten „Presse. Freiheit. Verantwortung.“ disktutieren Vertreter von Leitmedien und Alternativmedien gemeinsam.
Holger Friedrich, Verleger der Berliner Zeitung, und Albrecht Müller als Gründer der NachDenkSeiten geben sich genauso die Ehre wie Alexander Teske, der das Publikum durch seine Perspektive aus „inside Tagesschau“ um einige Einblicke bereichern wird.
Auch Jürgen Fasco, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt, und Markus Ermert, Redaktionsleiter der Südthüringer Tageszeitungen, sind gern der Einladung gefolgt. Soviele prominente Gesichter sind nicht oft in Zella-Mehlis versammelt, lassen die Organisatoren verlauten.
Hoffentlich ist es nicht der letzte Abend seiner Art – denn auch bei Aufwind wird die Luft dünner. Der neue Bürgermeister hat die Mittel bereits eingeschränkt, eine halbe Stelle kann nicht mehr besetzt werden. Welche Zukunft die Initiative hat und welcher Wind künftig in Zella-Mehlis weht, ist noch offen. Hoffentlich nicht zu rau, hoffentlich mehr als eine Brise und hoffentlich schaffen wir es, auch über diese Klippe hinweg miteinander im Gespräch zu bleiben.
Hier – wie auf dem oben abgebildeten Plakat – die Infos zur Veranstaltung:
Freitag, 21.3.2025 um 19:30 h, „Arena Schöne Aussicht“ in Zella-Mehlis
Gib- und Nimm-Markt September 2024, Foto von David Schütt
Sensenkurs essbare Stadt 2024, Foto von Thomas Höhn
„Welche Wahl haben wir“ – Podiumsdiskussion März 2024, Foto von Aufwind
junge Theatergruppe beim Maskenspiel 2018, Foto von Aufwind