EU-Vergleich der Arbeitskosten und Lohnnebenkosten für das Jahr 2011
Das Statistische Bundesamt veröffentlicht regelmäßig alle Jahre wieder diesen Vergleich der Arbeitskosten. Einerseits wird zwar damit die häufig von Arbeitgeberseite in Talkshows wiederholte Behauptung widerlegt, dass Deutschland die höchsten Arbeitskosten habe. Andererseits sei immer wieder darauf hingewiesen, dass der Vergleich der Arbeitskosten im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu kurz greift. Diesen Kosten muss vielmehr die Produktivität gegenüber gestellt werden, also die Beziehung des Lohnsatzes in absoluten Zahlen mit der Arbeitsproduktivität, d.h. die Lohnkosten je erbrachter Leistung. Wegen ihrer viel engeren Beziehung zur Preisbildung sind die Lohnstückkosten ein weitaus besserer Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit als das Arbeitskostenniveau.
Lesen Sie hier zunächst die Meldung des Statistischen Bundesamtes und danach einige Anmerkungen von Wolfgang Lieb und unseres Lesers G.K. sowie eine Meldung des IMK.
„Arbeitgeber in der deutschen Privatwirtschaft bezahlten im Jahr 2011 durchschnittlich 30,10 Euro für eine geleistete Arbeitsstunde. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, lag das Arbeitskostenniveau in Deutschland damit innerhalb der Europäischen Union (EU) auf Rang sieben. Arbeitgeber in der deutschen Privatwirtschaft zahlten 32 % mehr für eine Stunde Arbeit als im Durchschnitt der EU, aber 12 % weniger als zum Beispiel im Nachbarland Frankreich. Belgien hatte mit 39,30 Euro die höchsten, Bulgarien mit 3,50 Euro die niedrigsten Arbeitskosten je geleistete Stunde.
Im Verarbeitenden Gewerbe, das besonders im internationalen Wettbewerb steht, kostete eine Arbeitsstunde in Deutschland 2011 durchschnittlich 34,30 Euro. Hier lag Deutschland im EU-weiten Vergleich auf Rang fünf. Eine Stunde Arbeit in der deutschen Industrie war 48 % teurer als im EU-Durchschnitt, aber 4 % billiger als in Frankreich.
Über einen längeren Zeitraum betrachtet nimmt Deutschland bei der Entwicklung der Arbeitskosten in der Privatwirtschaft eine Sonderstellung ein: Zwischen 2001 und 2011 hatte Deutschland mit + 19,4 % den mit Abstand geringsten Anstieg der Arbeitskosten aller Mitgliedstaaten der EU. Zum Vergleich: In Frankreich sind die Arbeitskosten in diesem Zeitraum mit + 39,2 % mehr als doppelt so stark gestiegen.
Arbeitskosten setzen sich aus den Bruttoverdiensten und den Lohnnebenkosten zusammen. Betrachtet man das Verhältnis der Lohnnebenkosten zu den Bruttoverdiensten ist es möglich, die Lohnnebenkosten unabhängig vom Verdienstniveau der einzelnen Mitgliedstaaten zu vergleichen. Im Jahr 2011 zahlten die Arbeitgeber in Deutschland in der Privatwirtschaft auf 100 Euro Bruttoverdienst zusätzlich 28 Euro Lohnnebenkosten. Damit lag Deutschland unter dem EU-Durchschnitt von 32 Euro und nahm mit Rang 16 einen Mittelplatz innerhalb der Europäischen Union ein. Auf 100 Euro Lohn wurden in Schweden (52 Euro) und Frankreich (50 Euro) die höchsten und in Malta (10 Euro) die niedrigsten Lohnnebenkosten gezahlt. Hauptbestandteil der Lohnnebenkosten sind die Sozialbeiträge der Arbeitgeber, also vor allem die gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen, die Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung sowie die Aufwendungen für die Lohn- und Gehaltsfortzahlungen im Krankheitsfall.“
Quelle: Statistisches Bundesamt
Anmerkung WL: Es ist die vergleichsweise geringe Steigerung der Lohnstückkosten, die Deutschland gegenüber seinen europäischen Nachbarn und in der Welt so wettbewerbsfähig gemacht und zu den hohen Leistungsbilanzüberschüssen geführt hat.
Auch die relativ höheren Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe sollte man nicht isoliert betrachten. Die exportierende (im internationalen Wettbewerb stehende Industrie) profitiert vom vergleichsweise niedrigen Arbeitskostenniveau etwa in den Dienstleistungsbranchen, wo Vorleistungen für die Produktion nachgefragt werden.
Quelle: Friederike Spieker
Die Statistik des Statistischen Bundesamtes belegt aber dankenswerterweise ein weiteres Mal, dass die angeblich überhöhten Lohnnebenkosten ein schier unausrottbarer deutscher Mythos sind. Deutschland liegt unter dem EU-Durchschnitt von 32 Euro und nimmt mit Rang 16 einen Mittelplatz innerhalb der Europäischen Union ein.
Dabei ist selbst diese Statistik nicht die ganze Wahrheit: Zu den hier erfassten „Lohnnebenkosten“ werden auch die freiwilligen oder tariflich abgesicherten Leistungen, wie Betriebsrenten oder sonstige sozialen Leistungen der Unternehmen gezählt. Die hier angegebenen „Lohnnebenkosten“ sind also nicht etwa die gesetzlich auferlegten, um die es in der Politik in aller Regel geht. Die Senkung der Lohnnebenkosten (also die paritätische Finanzierung der Rente oder der gesetzlichen Krankenversicherung, Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung) war stets der Hebel für die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme und für den Sozialabbau.
Anmerkung unseres Lesers G.K.: Auch diese Daten dokumentieren das seit ca. 15 Jahren betriebene deutsche Lohndumping. Im Jahre 2000 lagen die deutschen Arbeitskosten je Stunde in der Privatwirtschaft innerhalb der EU-27 noch auf Platz 4, unter Einschluss des nicht zur EU zählenden Norwegen auf Platz 5. Im Jahre 2011 sind die hiesigen Arbeitskosten auf Platz 7 zurückgefallen, unter Einschluss Norwegens sogar auf Platz 8.
Bereits zur Jahrtausendwende wies der deutsche Außenhandel einen Außenhandelsüberschuss auf, was der von den Neoliberalen gestreuten Behauptung widerspricht, die seit Ende der 90er Jahre betriebene “Lohnzurückhaltung” sei zur Erlangung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit notwendig gewesen.
Die im OECD-Vergleich schwache Wirtschaftsentwicklung in Deutschland seit Ende der 90er Jahre bis zum Jahre 2005 hatte ihre Ursache nicht in mangelnder deutscher Wettbewerbsfähigkeit, sondern in einer aus dem hiesigen Lohndumping resultierenden Binnenmarktschwäche. Ab dem Jahre 2006 wurde diese Binnenmarktschwäche durch das schrittweise Hochfahren der deutschen Exporte und Außenhandelsüberschüsse überkompensiert. Die Negativfolgen dieser massiven deutschen Exportfixierung und dem daraus resultierenden drastischen Hochfahren der hiesigen Außenhandelsüberschüsse haben sich mittlerweile zu einem handfesten Problem für die Eurozone entwickelt.
Im Beitrag der Nachrichtenagentur Reuters heißt es unter Bezugnahme auf das Statistische Bundesamt:
“Im Verarbeitenden Gewerbe, das besonders stark im internationalen Wettbewerb steht, kostet eine Arbeitsstunde durchschnittlich 34,30 Euro. Hier liegt Deutschland im EU-weiten Vergleich auf Rang fünf. Eine Stunde Arbeit in der Industrie war 48 Prozent teurer als im EU-Durchschnitt, aber vier Prozent billiger als in Frankreich.”
Die im Vergleich zur gesamten Privatwirtschaft höhere Platzierung der Arbeitskosten des deutschen Verarbeitenden Gewerbes (Rang 5 innerhalb der EU; unter Einschluss Norwegens Rang 6) bedeutet im Umkehrschluss, dass die deutschen Arbeitskosten im Dienstleistungssektor im EU-Vergleich in etwa Rang 9 (unter Einschluss Norwegens ca. Rang 10) einnehmen. Leider macht das Statistische Bundesamt hierzu keine gesonderten Angaben.
Wegen der im Vergleich zum hiesigen Dienstleistungssektor günstigeren Entwicklung der Löhne und Gehälter beim stärker im internationalen Wettbewerb stehenden Verarbeitenden Gewerbe wird des Öfteren behauptet, der deutsche Export sei in den vergangenen Jahren von der “maßvollen Entwicklung” der deutschen Lohnkosten (die sich vor allem im Dienstleistungssektor abgespielt habe) nicht sonderlich stark forciert worden. Selbst wenn dies für die Kernbelegschaften der Exportwirtschaft zutreffen sollte, dann bedeutet dies keineswegs, dass die deutsche Exportwirtschaft nicht vom hiesigen Lohndumping (und erst recht vom Sozial-und Unternehmenssteuerdumping) profitierte. Hierzu schreibt Friederike Spiecker im NachDenkSeiten-Beitrag “Welche Verantwortung kommt der Lohnpolitik bei der Lösung der Euro-Krise zu?“:
“In Marktwirtschaften mit einigermaßen funktionierendem Wettbewerb spiegelt die Preisentwicklung die Entwicklung der Produktionskosten wider. Gesamtwirtschaftlich, d.h. über alle Produktions- und Vorleistungsstufen hinweg betrachtet, bestehen die Produktionskosten eines Landes aus den gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten. (Nur die Preise importierter Vorleistungen wie Rohstoffe fließen als eigenständige Größe in die gesamtwirtschaftlichen Produktionskosten und damit in das gesamtwirtschaftliche Preisniveau ein.) Denn einerseits beruhen alle in der Produktion verwendeten Vorleistungen letzten Endes auf Arbeit, also etwa auch die Kosten für das Sachkapital, das eine Form „vorgetaner“ Arbeit darstellt. Andererseits tragen alle Branchen – vom privaten Dienstleister bis hin zur öffentlichen Infrastruktur – auf die eine oder andere Weise zum Angebotspreis der Exporteure bei. Mit anderen Worten: Ein internationaler Vergleich nur der industriellen Lohnstückkosten griffe zu kurz.”
Hierzu ein konkretes Beispiel: Die als Folge der rot-grünen “Arbeitsmarktflexibilisierung” massiv angestiegene Zahl prekär beschäftigter Leiharbeiter in der Industrie taucht in den Gewinn- und Verlustrechnungen der dem Verarbeitenden Gewerbe zugeordneten Exportindustrie nicht unter der Position “Personalkosten” auf, sondern unter den Betriebskosten, denn die Zeitarbeitsbranche ist im Berichtswesen des Statistischen Bundesamtes dem Dienstleistungssektor zugeordnet. Das durch die Ausweitung der Leiharbeit betriebene Lohndumping spiegelt sich somit nicht in den auf die Industrie bezogenen Lohnkosten und damit auch nicht in den industriellen Lohnstückkosten wieder. Es ist daher Friederike Spiecker zuzustimmen, wenn sie schreibt, dass in Bezug auf die Beurteilung der Lohnstückkosten der Exportindustrie die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten (die auch den Dienstleistungssektor beinhalten) von Relevanz ist.
Die Überschrift des nachfolgenden, von der Frankfurter Rundschau auf Basis eines Beitrages der Presseagentur dapd veröffentlichten Artikels, ist ganz im Geiste der neoliberalen Ideologie formuliert:
“Privatwirtschaft: Arbeit in Deutschland teurer als im EU-Durchschnitt“.
In diesem dapd-basierten Beitrag der Frankfurter Rundschau heißt es einleitend:
“Die Deutschen bewegen sich bei den Arbeitskosten in der Privatwirtschaft im oberen Drittel. Das zeigt ein europaweiter Vergleich. Die Arbeitskosten in Deutschland sind deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Für eine geleistete Stunde bezahlten die Arbeitgeber aus der deutschen Privatwirtschaft im vergangenen Jahr durchschnittlich 30,10 Euro, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Damit lagen die Kosten hierzulande rund ein Drittel über dem Durchschnittsniveau innerhalb der Europäischen Union. In den 27 Mitgliedsstaaten lag der Betrag für eine Arbeitsstunde bei 22,80 Euro.”
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Presseagentur dapd den Leserinnen und Lesern suggerieren möchte, der auch international erhobene Vorwurf des deutschen Lohndumping entbehre jeglicher Grundlage. Die durchschnittlichen Arbeitskosten pro Stunde der EU 27-Staaten werden jedoch durch die osteuropäischen EU-Beitrittsländer massiv nach unten gedrückt. Nicht nur die Arbeitskosten je Stunde, sondern auch die Produktivität liegt in der deutschen Privatwirtschaft erheblich über dem EU 27-Durchschnitt. Die deutschen Lohnstückkosten, welche neben den absoluten Arbeitskosten auch die Produktivität berücksichtigen, sind im europäischen Vergleich sehr wettbewerbsfähig (ablesbar an den sehr hohen deutschen Exporten und Außenhandelsüberschüssen). Zudem erfahren nur jene Leserinnen und Leser des von der FR veröffentlichten dapd-Beitrages, welche online die dort verlinkte Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes aufrufen, dass die Arbeitskosten in der deutschen Privatwirtschaft im Vergleich zu den übrigen 27 Staaten der EU zwischen 2001 und 2011 den geringsten prozentualen Anstieg aufweisen. Im Beitrag der Pressagentur dapd selbst wird hierüber jedoch nicht informiert.
Neue Zahlen bestätigen Trend der IMK-Analyse: Arbeitskosten wachsen in Deutschland besonders langsam
Deutschland liegt bei den Arbeitskosten für die Privatwirtschaft weiterhin an siebter Stelle hinter wichtigen nord- und westeuropäischen Handelspartnern. Und im vergangenen Jahrzehnt sind die Arbeitskosten in der Bundesrepublik weitaus langsamer gewachsen als in allen anderen EU-Ländern. Die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass sich der vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung seit Jahren beschriebene Trend auch 2011 fortgesetzt hat. “Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft muss sich niemand Sorgen machen, sie ist hervorragend”, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. “Allerdings hat diese Entwicklung zwei Seiten: Das lange Zeit relativ geringe Wachstum der Löhne in Deutschland hat die Exportwirtschaft enorm beflügelt, doch es gab nur schwache Impulse für die Binnennachfrage. Dadurch hat es zu den riesigen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen und den bedrohlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichten im Euroraum beigetragen. Jetzt ist eine Beschleunigung bei den Löhnen und beim Konsum in Sicht. Das ist auch dringend nötig, denn angesichts der Nachfrageschwäche bei wichtigen europäischen Handelspartnern hängt die deutsche Konjunktur in diesem und im nächsten Jahr am privaten Konsum.”
Betrachtet man nur die Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe, lag Deutschland laut Statistischem Bundesamt 2011 – wie im Vorjahr – an fünfter Stelle. “Die Rekordgewinne, die viele Unternehmen im vergangenen Jahr verbucht haben, zeigen, dass gerade die deutsche Industrie damit sehr günstig positioniert ist”, betont Horn. Zudem seien die Zahlen für das verarbeitende Gewerbe zwar wichtig, sie dürften aber nicht isoliert betrachtet werden. So profitiere die Industrie vom vergleichsweise niedrigen Arbeitskostenniveau in den Dienstleistungsbranchen, wo zahlreiche Vorleistungen nachgefragt werden.
Quelle 1: idw
Quelle 2: Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung
Quelle 3: IMK Report Nr. 68, Dezember 2011 [PDF – 474 KB]