Die Nord Stream 2 AG ist derzeit Gegenstand eines Konkursverfahrens in der Schweiz. Ziel des Verfahrens ist es, eine Einigung zwischen den Gläubigern der AG zu erzielen. Wenn dies nicht bis Mai gelingt, werden sämtliche Aktiva der AG, insbesondere der einzig noch intakte Nord-Stream-Strang, öffentlich versteigert. Die einzig bisher bekannten Hauptinteressenten für den Erwerb sind US-Investoren mit Verbindungen zur Trump-Regierung. Ein Großteil der Gläubiger sind wiederum „Staatskonzerne“ aus Deutschland (Uniper), Österreich (OMV) und Frankreich (Engie). Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, welche Schritte die Bundesregierung plant, um zu verhindern, dass Deutschland, was die Gasversorgung angeht, komplett abhängig von den USA wird. Von Florian Warweg.
Die fünf Hauptgläubiger von Nord Stream 2 und die Optionen der Bundesregierung
Vor dem Kantonsgericht im Schweizer Zug, dem Sitz der Betreibergesellschaft von Nord Stream 2, läuft derzeit, wie eingangs erwähnt, ein Konkursverfahren. Die Nord Stream 2 AG ist eine 100-prozentige Tochter der russischen Gazprom AG. Entgegen der medialen Darstellung in Deutschland war Nord Stream 2 aber mitnichten ein „rein russisches Projekt“. Fünf große westeuropäische Energiekonzerne, davon drei mit einem hohen Staatsanteil, hatten sich zu 50 Prozent mit Zahlungen von je 950 Millionen Euro an den Gesamtbaukosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro beteiligt.
Die Großgläubiger sind:
- Der Energiekonzern Uniper, der sich derzeit zu 99,12 Prozent im Besitz des Bundes befindet. Hierüber hätte die Bundesregierung also einen relevanten Hebel, um Einfluss auf das laufende Konkursverfahren zu nehmen und eine Versteigerung an US-Investoren zu verhindern.
- Dann folgt der österreichische Energiekonzern OMV, an welchem die Republik Österreich zu 31,5 Prozent beteiligt ist. Auch hier hält ein mit Deutschland verbündeter EU-Staat gute Karten in der Hand, um einen Konkurs der Nord Stream AG und damit potenziellen Verkauf an US-Investoren abzuwenden.
- An dritter Stelle ist der französische Energiekonzern Engie zu nennen, der sich ebenfalls zu einem signifikanten Anteil (23,6 Prozent) im Besitz des französischen Staates befindet.
Dann folgen noch zwei Konzerne ohne größere staatliche Teilhabe. Zum einen Wintershall Dea, dessen verbliebene russische Aktiva zu 67 Prozent dem deutschen Chemieunternehmen BASF gehören, ein Unternehmen, das vor den Sanktionen zu den größten Kunden russischen Erdgases gehörte und auch künftig auf preiswerte Energie angewiesen ist, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Zum anderen der britische Energiekonzern Shell plc, der mehrheitlich im Besitz institutioneller Investoren wie BlackRock, Vanguard und Norges ist. Shell hat, wie Jens Berger bereits in diesem Artikel ausführte, seine Geschäftsbeziehungen mit Russland komplett und langfristig eingestellt und setzt voll auf LNG-Importe. Shell ist daher, zumindest objektiv betrachtet, der Einzige der fünf Großgläubiger, der kein Interesse an der Wiederaufnahme von Erdgastransport mit günstigem russischen Gas hat.
Eine Inbetriebnahme in der jetzigen Unternehmensform und unter Regie von EU-Staaten und Konzernen wäre also durchaus möglich, wenn der entsprechende politische Wille und wirtschaftliche Sachverstand da wären. Mit Österreich und Frankreich könnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell eine Einigung erzielen, denn beide Länder und deren Industrien leiden ebenfalls massiv unter den Sanktionen und würden von den signifikant preiswerteren Gasimporten aus Russland profitieren (russisches Gas war vor Kriegs- und Sanktionsbeginn um den Faktor 7 günstiger als US-LNG). Ähnliches gilt für BASF. Shell wiederum ließe sich, als profitorientierter Konzern, sicherlich über finanzielle Anreize (denkbar wäre u.a. eine Art der Auszahlung) ebenfalls mit ins Boot holen.
Win-Win für USA und Russland – Deutschland als großer Verlierer
Doch was passiert, wenn den europäischen Gläubigern keine Einigung gelingt? Dann werden die Pipelines wie dargelegt öffentlich versteigert. Russische Bieter sind derzeit aufgrund der anhaltenden Sanktionen von dieser Versteigerung ausgeschlossen. Theoretisch könnten deutsche Bieter und sogar die Bundesregierung selbst mitbieten – aber da wären Aufwand und Kosten um ein Vielfaches höher als via einer vorherigen Einigung unter den fünf Haupt-Gläubigern. Gerät Nord Stream 2 dann ab Mai tatsächlich unter den Auktionshammer, gibt es, Stand heute, derzeit nur US-Investoren als potenzielle Bieter. Neben dem US-Investor Stephen P. Lynch (die NachDenkSeiten berichteten) hat laut Financial Times ein weiterer Interessent seinen Hut in den Ring geworfen. Dabei soll es sich um den ehemaligen MfS-Mitarbeiter, Gazprom-Manager und Chef der alten Nord Stream 2 AG, Matthias Warnig, handeln. Diesem werden beste Kontakte sowohl in den Kreml als auch ins Weiße Haus nachgesagt und er soll im Namen bisher anonym verbleibender US-Großinvestoren agieren. Laut übereinstimmenden Medienberichten soll er bereits mit der neuen US-Regierung und russischen Vertretern in Verhandlungen stehen.
Würde beispielsweise ein Konsortium rund um Matthias Warnig die Pipeline ersteigern und dabei auf volle Unterstützung sowohl aus Russland als auch den USA setzen können, wäre die Bundesregierung zwischen den in dem Fall gleichlautenden Interessen zweier Großmächte gefangen. Deutschland hätte sich damit in ein selbstverschuldetes energiepolitisches Schachmatt manövriert.
Denn bereits jetzt stammen, Stand 2024, 91 Prozent aller deutschen LNG-Importe aus den USA, Tendenz weiter steigend.
Kämen dazu noch die 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, die über Strang B von einer nun in US-Hand befindlichen Nord-Stream-2-Pipeline transportiert werden können, wäre Deutschland sowohl bei LNG- wie bei Pipeline-Gas zu großen Teilen von US-Lieferanten abhängig. Zudem könnten die USA als Mittelsmann von Nord Stream zwischen Russland und Deutschland ohne viel Zutun ordentlich Gewinne abgreifen – ein US-Beamter erklärte dazu gegenüber der Financial Times offen und frei:
„Die US-Investoren würden damit ‚Geld für nichts‘ kassieren.“
Ebenso würde so ein Vorgehen Washington ermöglichen, damit seine Beziehungen zu Russland weiter auszubauen und Deutschland in Folge in eine noch weitere Energie- und auch politische Abhängigkeit zu treiben.
Fazit: Win-Win für die USA und Russland. Der große Verlierer: Deutschland. Wer verschließt vor diesem Szenario in bester Vogel-Strauß-Manier die Augen? Die Bundesregierung.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 5. März 2025
Frage Warweg
Die Nord Stream 2 AG ist, wie Sie wissen, derzeit Gegenstand eines Konkursverfahrens in der Schweiz. Ziel des Verfahrens ist auch, eine Einigung zwischen den Gläubigern und der Nord Stream 2 AG zu erzielen. Wenn das bis Mai 2025 nicht gelingt, muss das Gericht Konkurs eröffnen, und sämtliche Aktiva inklusive des noch intakten Strangs würden dann öffentlich versteigert. Die einzigen bisher bekannten Interessenten sind US-Investoren mit Verbindungen zur Trump-Regierung. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Plant die Bundesregierung eine Verhinderung dieser anstehenden Versteigerung, indem sie sich mit den Hauptgläubigern der Gazprom AG einigt? Das wäre ja vor allem Uniper – da hält der Bund 99,12 Prozent der Anteile -, das österreichische Energieunternehmen OMV – da hält die österreichische Republik über 30 Prozent der Anteile – sowie der Engie mit über 23 Prozent Staatsanteil. Die Frage geht im Zweifel, denke ich, an das BMWK. Gibt es da Planungen – auch zusammen mit Österreich und Frankreich -, den Konkurs zu verhindern?
Greve (BMWK)
Das BMWK ist weder am Konkursverfahren noch an etwaigen Verkaufsgesprächen beteiligt. Zu Fragen zum Verfahren bitten wir Sie daher, sich ans Insolvenzgericht zu wenden. Das betrifft auch alle Fragen zu einem etwaigen Verkauf.
Zusatzfrage Warweg
Dazu habe ich noch eine Verständnisfrage. Wie gesagt, einer der großen Hauptgläubiger ist Uniper, wo der Bund fast einen hundertprozentigen Anteil hält. Sie können mir hier jetzt nicht erzählen, dass Ihnen das nicht bewusst ist. Dahinter steht also durchaus eine Einflussmöglichkeit der Bundesregierung. Die Alternative wäre, dass US-Investoren Nord Stream 2 kaufen und dann die energiepolitische Abhängigkeit – Ost wie West – von den USA besteht. Das kann doch auch nicht in Ihrem Interesse sein?
Greve (BMWK)
Ich kann das an dieser Stelle nicht weiter kommentieren. Das Insolvenzgericht ist zuständig. Eigentümerin der Nord-Stream-2-Pipeline ist die Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz. Die Gesellschaft befindet sich zu hundert Prozent im Eigentum von Gazprom Russland. Die Nord Stream 2 AG steht unter Aufsicht eines sogenannten Sachverwalters, da das genannte Konkursverfahren anhängig ist.
Zusatzfrage Warweg
Es ging mir um die Gläubiger. – Sieht der Kanzler das ähnlich indifferent wie das BMWK?
Regierungssprecher Hebestreit
Herr Warweg, Sie waren ja vorgestern nicht da, deshalb muss ich das noch einmal nachtragen: Die letzte Röhre der Nord-Stream-2-Pipeline, die es noch gibt, ist nicht zertifiziert. Es gibt keinerlei Gasabhängigkeit zu Russland, und es gibt auch keine Pläne, wieder in eine Abhängigkeit von Russland zu geraten oder russische Gaslieferungen nach Deutschland zu bringen. Insofern stellt sich die Frage, die Sie haben, uns und auch dem Bundeskanzler nicht.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 05.03.2025
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