Jan van Akens Plädoyer für eine sogenannte Verteidigung kippt die Programmatik der LINKEN

Jan van Akens Plädoyer für eine sogenannte Verteidigung kippt die Programmatik der LINKEN

Jan van Akens Plädoyer für eine sogenannte Verteidigung kippt die Programmatik der LINKEN

Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Jan van Aken (Ko-Vorsitzender der Linkspartei) hat in einem Interview zentrale Teile des Programms der LINKEN hinter sich gelassen und mit der Annäherung an NATO-Darstellungen zu den Ursachen des Ukrainekrieges die Friedenspolitik der Partei weitgehend in ihr Gegenteil verwandelt. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hier zunächst meine Mitschrift des Interviews mit Jan van Aken im Deutschlandfunk am 26.02.2025:

„Wir brauchen Geld für die Landesverteidigung. Da sind wir uns alle einig. Russland ist ein Aggressor. Deshalb braucht es Landesverteidigung. Jetzt ist aber die große Frage, wofür brauchen wir dieses Sondervermögen? Da geht es gar nicht um Landesverteidigung, da geht es nicht um Russland; da geht es darum, dass die Bundeswehr ausgestattet wird, um überall auf der Welt militärisch eingreifen zu können. Das finde ich falsch. … Deutschland wird nicht am Hindukusch, Deutschland wird an der Grenze zu Russland verteidigt.“

Wie die NATO-Lobby weist Jan van Aken trotz der vielen völkerrechtswidrigen Kriege der NATO und der USA seit dem Ende des Kalten Krieges alleine Russland die Eigenschaft zu, ein Aggressor zu sein. Seine Wortwahl impliziert zudem, dass Russland kein europäisches Land ist. Damit folgt er der Propaganda der Leitmedien unseres Landes.

Das Narrativ, der Ukrainekrieg sei als reine Aggression Russlands zu verstehen, übergeht unter anderem den Anteil der USA am Putsch in Kiew 2014, in dessen Verlauf eine neutralitätsorientierte und demokratisch gewählte Regierung gewaltsam durch eine NATO-orientierte sogenannte ›Übergangsregierung‹ ersetzt wurde; die USA hatten in diese Entwicklung laut der US-Außenpolitikerin Victoria Nuland 5 Milliarden US-Dollar investiert. Zu dieser Sichtweise schrieb die Zeitung nd am 4.9.2024 in einem Bericht über das Buch von Petra Erler und Günter Verheugen „Der lange Weg zum Krieg“:

Die der Ukraine zugedachte Rolle hatte ein US-Demokrat, Adam Schiff, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Kongresses, bereits 2020 … auf eine einprägsame Formel gebracht: ‚Die Vereinigten Staaten helfen der Ukraine und ihren Menschen, damit wir dort gegen Russland kämpfen können und nicht hier gegen Russland kämpfen müssen.‘“

Solch zynischen Ausdrücke imperialistischer Denker sind seit dem Beginn des Kalten Krieges immer wieder zu finden. Putin sei es anfangs darum gegangen, so Verheugen/Erler, „mit einer Parallelstrategie aus militärischer Aggression und gleichzeitigen Verhandlungen (…) der Ukraine die Neutralität abzutrotzen“. Mit dem Abbruch der Verhandlungen westlicherseits im Frühjahr 2022 sei dieser Plan zerschlagen worden. Seitdem befinde sich der Krieg in der Aufrüstungsspirale.

Die Forderung nach einer Politik der reinen Landesverteidigung baut immer noch auf dem Narrativ der Aggressivität Russlands auf; damit basiert sie auf einer „Begründung“, ohne validen Grund.

Jan van Aken übergeht zusätzlich die Erkenntnis, dass im Atomzeitalter nur Diplomatie Sicherheit bringen kann – das bedeutet den Aufbau einer Friedensordnung der gemeinsamen, weil gegenseitigen Sicherheit, wie sie der Vertrag zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten und z.B. die europäische Charta von Paris (1990) einfordert.

Eine auf das Militärische ausgerichtete sogenannte Sicherheitspolitik ist in einem Erdteil mit ca. 140 Atomreaktoren, die ununterbrochen gekühlt werden müssen, nicht zu verantworten. Die Gefahr einer Havarie und eines weiteren Kontrollverlustes im Vorfeld eines Atomkriegs ist viel zu hoch.

Jan von Aken erfährt Unterstützung für seine brisante Haltung u.a. von der Ko-Vorsitzenden der LINKEN, Ines Schwerdtner, die im DLF-Interview zum Bundeswehr-Sonderfonds, der aktuell nach der Bundestagswahl Thema geworden ist, fragte, ob es nicht besser sei, „die Schuldenbremse abzuschaffen, um wirklich nachhaltig die Finanzen zu schaffen.“

Kontrast zum Parteiprogramm

Die beiden Vorsitzenden der LINKEN stehen in ihrer offenen Haltung gegenüber dem Militär nicht alleine: Schon vor Jahren überreichte der Thüringer Ministerpräsident Ramelow (LINKE ) dem Bundewehr-Verband 383, der sich an vielen Einsätzen wie dem in Mali beteiligt hatte, während einer militärischen Zeremonie auf dem Erfurter Petersberg das Fahnenband seines Bundeslandes. Und Gregor Gysi formuliert in diesem Zusammenhang auf die EU bezogen:

Wir müssen uns – von der CSU bis zur Linken, aber auch mit Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmerverbänden, Künstlern und Wissenschaftlern – darauf verständigen, dass wir unsere Grundfesten von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gemeinsam verteidigen. Bei Steuern und vielen anderen Themen können wir streiten, aber an diesen drei Fundamenten darf nicht gerüttelt werden.“

Mit diesen Positionen stellt sich ein relevanter Teil der LINKEN bis in ihre Spitze außerhalb der eigenen Programmatik – Im LINKE-Programm befindet sich die Aussage, dass die internationale Politik der Partei auf vier Prinzipien aufbaut:

Frieden durch kollektive und gegenseitige Sicherheit, Abrüstung und strukturelle Nichtangriffsfähigkeit. Solidarische Politik der Überwindung von Armut, Unterentwicklung und Umweltzerstörung. Einsatz für eine demokratische, soziale, ökologische und friedliche Europäische Union. Reform und Stärkung der UNO.

Wir fordern … ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat. Unabhängig von einer Entscheidung über den Verbleib Deutschlands in der NATO wird Die Linke in jeder politischen Konstellation dafür eintreten, dass Deutschland aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses austritt und die Bundeswehr dem Oberkommando der NATO entzogen wird. …“

Die Friedenskräfte in und außerhalb der Linkspartei stehen vor der großen Aufgabe, alle Anlässe wie die Ostermärsche und die Feiern zum 80-jährigen Ende des Zweiten Weltkrieges zu nutzen, um die Friedensordnung einzufordern, die u.a. die Charta von Paris (ähnlich wie das Programm der LINKEN) fordert:

Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden. Wir verpflichten uns daher, bei der Festigung von Vertrauen und Sicherheit untereinander sowie bei der Förderung der Rüstungskontrolle und Abrüstung zusammenzuarbeiten.

Titelbild: nitpicker / Shutterstock