Die Indizien für Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl wiegen schwer. Das BSW sollte Ergebnisse überprüfen lassen – auch wenn nicht ausgemacht ist, dass eine solche Überprüfung zu Gunsten der Partei ausgehen würde. Bereits die aktuell geplante dreiste Ignoranz gegenüber dem neuen Parlament bezüglich neuer Super-Sonderschulden für Waffen stößt viele Bürger vor den Kopf. Untätigkeit bezüglich des umstrittenen Wahlergebnisses könnte das Vertrauen in die Demokratie zusätzlich erheblich beschädigen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Es gibt zahlreiche Indizien, dass es bei der Bundestagswahl zu Übermittlungsfehlern, zu nicht beförderten Auslands-Stimmen und anderen Unregelmäßigkeiten gekommen ist, wie z.B. die „Tagesschau“ berichtet hat. Auf X hat etwa der EU-Abgeordnete des BSW Fabio De Masi angekündigt, dass die Partei prüft, ob sie die Wahl, unter anderem wegen der Probleme bei der Auslandsbriefwahl, anfechten kann. Weitere Infos hat De Masi hier oder hier oder hier auf X veröffentlicht. In diesem Artikel geht die FR auf die Frage ein, in der Berliner Zeitung erklärt der ehemalige Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe, der erfolgreich die Abgeordnetenhauswahl von 2021 in Berlin angefochten hat, auch die Bundestagswahl untersuchen zu wollen. Auf den NachDenkSeiten ist auf das Thema Wahlanfechtung etwa Florian Warweg in den Artikeln Verhinderte Wahlteilnahme von Auslandsdeutschen, das Desinteresse der Bundesregierung und weitere Unregelmäßigkeiten und Plant BSW rechtliche Anfechtung der Wahl und wie sieht es mit Änderung des Parteinamens aus? eingegangen.
Ich würde eine Überprüfung der Wahl durch das BSW begrüßen: Angesichts der vielen Indizien zu Unregelmäßigkeiten sowie der Knappheit des Ergebnisses für das BSW und der darum bestehenden „Mandatsrelevanz“ ist eine Überprüfung bestimmter Bereiche meiner Meinung nach nicht nur gerechtfertigt, sondern auch geboten, um das Vertrauen in Wahlvorgänge nicht massiv zu beschädigen. Der Prozess, gemeinsam für die Aufklärung von möglicherweise fehlerhaften Vorgängen bei der Bundestagswahl zu kämpfen, könnte zusätzlich den Zusammenhalt unter den Anhängern des BSW stärken.
Es geht nicht darum, das BSW nun „in den Bundestag zu klagen“ – es wäre auch keineswegs ausgemacht, dass die Partei die fünf Prozent überschreiten würde, wenn z.B. fehlende Stimmen aus dem Ausland (in welcher Form auch immer) noch einfließen würden. Denn dafür müssten von den Deutschen im Ausland ja erheblich mehr als fünf Prozent für das BSW stimmen, um die fehlenden 13.435 Stimmen bei den insgesamt 213.255 Auslandsdeutschen aufzuholen, die im Wählerverzeichnis gemeldet sind. Es entstünde noch ein weiterer Effekt – man könnte dann strategisch abstimmen und durch die Unterstützung des BSW einen Verbleib der Grünen in der nächsten Bundesregierung wahrscheinlicher machen. Diese Gedanken entkräften aber keineswegs die schweren Indizien bezüglich formaler Mängel beim Wahlvorgang.
Der Verlauf der Bundestagswahl hat angesichts der Zitterpartie um das BSW die Aufmerksamkeit auf einige weitere fragwürdige Besonderheiten rund ums Wahlrecht gelenkt: So ist es zum Beispiel nicht akzeptabel, dass der neue Bundestag selber über die Rechtmäßigkeit seiner Zusammensetzung entscheiden soll. Zu diskutieren wäre auch, dass durch die jetzige Form der Fünf-Prozent-Hürde massenweise Wählerstimmen wertlos werden – bei der letzten Bundestagswahl waren das laut der Initiative „Mehr Demokratie“ weit über sechs Millionen Stimmen oder dreizehn Prozent.
Wenn das BSW noch in den Bundestag einziehen sollte, dann kommen möglicherweise die Grünen in die neue Bundesregierung – das wäre zwar fatal, aber fataler als die gegenwärtige Situation lässt es sich doch ohnehin kaum ausdenken. Zumal das Wahlergebnis ja nun wohl vorerst dreist ignoriert werden soll, um noch mit dem alten Parlament Super-Sonderschulden für Waffen durchzusetzen.
Angriff auf „die Demokratie“
Eine Überprüfung ist noch kein Urteil. Das gilt in diesem Fall umso mehr, als die Ergebnisse einer Überprüfung oder einer Einbeziehung von Auslandsstimmen theoretisch auch zu Ungunsten des BSW ausgehen könnten, wie oben beschrieben wird. Trotzdem: Sollte sich die Partei zu einer Überprüfung/Anfechtung von Wahlergebnissen entschließen, wird das BSW voraussichtlich von vielen Seiten als „deutscher Trump“ beschimpft werden, der die Rechtmäßigkeit einer Wahl und damit „die Demokratie“ angreift. Das wird vermutlich auch unabhängig von der Schwere und der Güte der Einwände gegen die Wahl passieren. Aber das muss man aus Richtung der „parteiübergreifenden Kriegspartei“ und der ihr verbundenen Medien nicht überbewerten: Die, die dann rufen, haben uns schließlich sehenden Auges an den Punkt geführt, an dem wir nun stehen – unter anderem geopolitisch und volkswirtschaftlich, mit einem massiven Rechtsruck inklusive. Aus dieser Richtung kann und muss man Moralpredigten und die überbetonte Sorge um „die Demokratie“ nicht mehr für voll nehmen. Auch darum: Keine Angst vor „schlechter Presse“.
So manches Verhalten von BSW-Personal auf Landesebene war nicht klug, auf den NachDenkSeiten habe ich das hier oder hier kritisiert. Aber man sollte der Partei wegen der Vorgänge in den Bundesländern meiner Meinung nach nicht auf Bundesebene das Vertrauen entziehen. Wie oben schon gesagt, ist es extrem dringlich, dass das BSW als starke Stimme gegen Aufrüstung und für Verständigung mit Russland (und auch mit den USA) im Bundestag vertreten ist. Die essenzielle Oppositionsarbeit im Bundestag ist eine völlig andere Ebene als die Vorgänge in Thüringen und Brandenburg, das sollte man sich bei der nächsten Wahlentscheidung bewusst machen.
Wegen der aktuell noch einmal gesteigerten Meinungsmache für Eskalation und Aufrüstung ist es doppelt wichtig, dass die Stimmen des BSW im Bundestag (und in der Folge auch in den Medien, Talkshows etc.) vertreten sind, wie gerade auch Albrecht Müller in diesem Artikel betont hat. Es ist sehr unglücklich, dass in der brisanten aktuellen Situation keine konsequente Stimme gegen Militarisierung im Parlament sitzt. Dass die ebenfalls militaristische und zudem neoliberale AfD diese Rolle ebensowenig übernehmen kann wie eine (unter anderem) bei den Fragen zu Frieden und Russland immer wieder enttäuschende LINKE – das ist offensichtlich.
Titelbild: Tatjana Meininger / Shutterstock