Merz-Einladung für Netanjahu nach Deutschland: Rechtsbeugung und Eingriff in die Gewaltenteilung?

Merz-Einladung für Netanjahu nach Deutschland: Rechtsbeugung und Eingriff in die Gewaltenteilung?

Merz-Einladung für Netanjahu nach Deutschland: Rechtsbeugung und Eingriff in die Gewaltenteilung?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Friedrich Merz hatte in seiner Funktion als designierter Kanzler den vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen Völkerrechtsverbrechen in Gaza mit Haftbefehl gesuchten israelischen Premier Benjamin Netanjahu nach Deutschland eingeladen und zugesichert, dass er „Mittel und Wege“ finden wird, dass „er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist“. Damit würde Merz allerdings massiv die Gewaltenteilung verletzen, denn die etablierten Festnahme- und auch Überstellungverfahren befinden sich in ausschließlicher Verantwortung der Judikative. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, wie das Justiz- und Innenministerium diese Ankündigung von Merz aus rechtlicher Perspektive bewerten. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Schon zuvor hatte Merz Ende Januar erklärt, dass er „alles tun“ werde, um „eine entsprechende Vollstreckung dieses Spruchs des Internationalen Strafgerichtshofs abzuwenden“.

Sollte diese Einladung tatsächlich erfolgen, so würde die neue Bundesregierung damit, wie unter anderem der Professor für Straf- und Völkerrecht an der Universität Göttingen und Richter am Kosovo-Sondertribunal in Den Haag Prof. Dr. Kai Ambos in einem Beitrag mit dem Titel „Rechtsbruch mit Ansage“ darlegt, „in einen Konflikt mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) geraten und außerdem einen innerstaatlichen Gewaltenteilungskonflikt hervorrufen“.

Festnahme- und Überstellungspflicht eindeutig im Völkerrecht festgelegt

Die 125 Vertragsstaaten des IStGH sind zur Zusammenarbeit mit diesem verpflichtet, wie es Artikel 86 des IStGH-Statuts festlegt. Diese Verpflichtung umfasst explizit die Vollziehung von IStGH-Haftbefehlen, das heißt die Festnahme und Überstellung der vom IStGH gesuchten Tatverdächtigen. Die persönliche Immunität eines Staatsoberhaupts hindert diese Verpflichtung zur Festnahme, wie auch der Völkerrechtler Ambos ausführt, in keiner Form. Denn eine solche Immunität gilt zwar im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr, nicht aber vor dem IStGH. Das ist eindeutig im Artikel 27 des IStGH-Statuts geregelt.

Ambos erklärt dazu ergänzend:

„Ein Vertragsstaat, der aufgrund eines IStGH-Haftbefehls eine Person verhaftet und an den IStGH überstellt, handelt nicht national, sondern im Auftrag des IStGH. Nach der Rechtsprechung der IStGH-Berufungskammer gilt diese Immunitätsausnahme auch gegenüber Nicht-Vertragsstaaten (wie Israel und Russland) und zwar aufgrund von Völkergewohnheitsrecht (Prosecutor v. Al Bashir, Appeals Chamber, 6.5.2019, para. 103 ff.).“

Es bleibt folglich festzuhalten: Deutschland ist als IStGH-Vertragsstaat zur unbedingten Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Durchsetzung von IStGH-Haftbefehlen – und zwar ohne Ansehen der Person.

Massive Verletzung der Gewaltenteilung

Neben der Unterminierung des IStGH würde eine Verhinderung der Festnahme von Netanjahu auch nur möglich sein, wenn Merz, also die Exekutive, massiv in das Festnahme- und Überstellungsverfahren und damit in die proklamierte Unabhängigkeit der Judikative eingreift. Dabei wäre, darauf weisen mehrere Völker- und Verfassungsrechtler hin, insbesondere eine politisch motivierte Weisung an den zuständigen Generalstaatsanwalt, einen IStGH–Haftbefehl nicht zu vollstrecken, zweifelsfrei rechtswidrig. Ähnliches gilt für die Nichtbewilligung einer zulässigen Überstellung an den IStGH. Dies wäre umfassend völkerrechtswidrig.

Die Behauptung der Sprecherin des Justizministeriums, dass dies alles sehr „komplex“ sei und man daher keine grundsätzliche Aussage zur Recht- oder Unrechtmäßigkeit des Merz’schen Vorhabens treffen könne, ist daher nicht zutreffend und lediglich eine verbale Nebelkerze.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 26. Februar 2025

Frage Jessen
Ich will ein Thema aufrufen, das vorhin in den Wartesaal verschoben wurde, Stichwort: Haftbefehl gegen Netanjahu.

Herr Kall, sind deutsche Polizeibehörden gehalten, internationale Haftbefehle umzusetzen, wenn die betreffende Person in den Geltungsbereich deutschen Rechts gerät?

Kall (BMI)
Was den IStGH und Haftbefehle des IStGH angeht, ist das eine völkerstrafrechtliche Frage und damit eine Frage an das BMJ oder das AA.

Dr. Strauß (BMJ)
Ich kann gern für das BMJ ergänzen. Die Zusammenarbeit Deutschlands mit dem Internationalen Strafgerichtshof folgt gesetzlichen Regeln. Sie sind im Einzelnen komplex. Sie können sie insbesondere im Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof nachlesen.

Zusatzfrage Jessen
Ich bin zwar auch kein Jurist, aber meine Kenntnis ist, dass internationale Haftbefehle von Staaten, die den IStGH anerkennen, wie es Deutschland tut, umgesetzt werden müssen, wenn eine Person in den Handlungsbereich deutscher Rechtsorgane gerät. Davon gehe ich aus.

Gibt es in Deutschland rechtsfreie Räume, in denen sich die Zielperson eines internationalen Haftbefehls aufhalten könnte, ohne dass deutsche Behörden, seien es Polizei- oder Justizbehörden, Eingriffsmöglichkeiten hätten?

Dr. Strauß (BMJ)
Ich mache mir die von Ihnen genannte Bewertung nicht zu eigen und kann nur auf das verweisen, was ich gerade gesagt habe. Das alles ist gesetzlich geregelt, und das Verfahren ist im Einzelnen recht komplex.

Zusatzfrage Jessen
Bedeutet die Regelung, dass deutsche Justiz- und Polizeibehörden gehalten sind, internationale Haftbefehle in Deutschland zu vollstrecken, ja oder nein?

Dr. Strauß (BMJ)
Dazu wurde sich an dieser Stelle schon verschiedentlich geäußert. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Frage Warweg
Ich bin ein bisschen überrascht über Ihre Nichtantwort an den Kollegen. Denn das ist selbst für Laien sehr ersichtlich. Wenn man sich sowohl das beim Internationalen Strafgerichtshof als auch die Umsetzung in der deutschen Gerichtsbarkeit anschaut, dann gibt es überhaupt keine Frage. Das müssen die deutschen Behörden umsetzen. Darauf basiert auch meine Frage.

Die Forderung von Merz, die Festnahme von Netanjahu zu verhindern, impliziert einen massiven Eingriff in die Gewaltenteilung, denn er muss in die etablierten Festnahme- und auch Überstellungsverfahren eingreifen.

Sehen das Justiz- und das Innenministerium auch nur irgendeinen Bereich der Legalität, in dem Herr Merz als dann aktueller Kanzler in dieser Form in die Gewaltenteilung eingreifen dürfte?

Dr. Strauß (BMJ)
Auch Ihre Bewertung dieses potenziellen, hypothetischen Vorgangs mache ich mir hier nicht zu eigen. Wie ich gerade schon gesagt habe, bewerten wir keine hypothetischen Fragen. Insbesondere bewerten wir als Sprecherinnen und Sprecher einer aktuellen Bundesregierung nicht Fragen, was eine mögliche zukünftige Bundesregierung machen wird.

Zusatzfrage Warweg
Meine Frage war grundsätzlicher Art, ob es irgendwelche Fälle gibt, in denen ein Kanzler als Vertreter der Exekutive in Bereiche, die eigentlich ausschließlich die Judikative betreffen, eingreifen kann. Das sollte im Bereich Ihrer Expertise sein, und das können Sie auch so grundsätzlich beantworten.

Dr. Strauß (BMJ)
Noch einmal: Die Zusammenarbeit Deutschlands mit dem Internationalen Strafgerichtshof folgt gesetzlichen Regeln. Diese finden Sie im Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Selbstverständlich kann der Bundeskanzler nicht Landesjustizverwaltungen Weisungen erteilen.

Noch einmal: Das Verfahren ist gesetzlich geregelt und im Einzelnen komplex.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 26. Februar 2025