Die Grünen wollten eine Volkspartei sein und verloren immer mehr die Gunst der Wähler. Nach dem Bruch der Ampelkoalition mit Robert Habeck einen Kanzlerkandidaten aufzustellen, wirkte vermessen – andererseits aber auch folgerichtig angesichts des grünen Sendungsbewusstseins, über dem Rest der Bevölkerung zu stehen. In seinem Buch „In falschen Händen. Wie grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern“ analysiert Bernd Stegemann auf mitreißende Weise die Widersprüche im Konzept und im Agieren dieser Partei. Von Irmtraud Gutschke.
„Zuversicht“ und „Zusammen“ – die Wahlplakate für Robert Habeck und Annalena Baerbock waren gedruckt, bevor das Signal aus Washington kam. Als eine seiner ersten Amtshandlungen kündigte Donald Trump das Pariser Klimaschutzabkommen und stoppte mit dem Dekret “Unleash American Energy” die 300 Milliarden Dollar Fördermittel, die von der Biden-Administration für die Entwicklung klimafreundlicher Energien vorgesehen waren.[1] Fassungslos hörte Annalena Baerbock der Rede von J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu. Ein Fußtritt für die transatlantischen Vasallen – auch andere Anwesende mussten es so empfinden. Aber bei ihr kam die Ahnung hinzu, dass sie nach der Wahl den Posten würde räumen müssen, wo sie sich doch so schön in Pose stellen konnte und der zudem noch einträglich war. Dass es ihr von vornherein an Eignung mangelte, nie würde sie es sich eingestehen. Wo kämen wir hin, wenn die Grünen eine Niederlage zugeben würden. Gleich kündigten sie an, „America First“ mit „Europa United“ entgegenzustehen.[2] Als Herausgehobene fühlten sie sich ja schon immer.
Das ist die Wurzel ihrer Probleme. Mit ihrem Alarmismus haben sie Angst vor der Zukunft verbreitet und sind für viele Menschen abschreckend geworden. Sie haben das Gegenteil von dem erreicht, was sie erstrebten. Schon vor dem Bruch der Ampel trat das deutlich zutage. Zwar fuhren die Grünen bei der Bundestagswahl prozentual geringere Verluste ein als die SPD, doch wurde diese auch dafür abgestraft, dass sie mit ihnen eine Koalition eingegangen war. „Grüne Politik wird als schlimmstmögliche Form eines übergriffig-untätigen Staates erlebt“, schreibt Bernd Stegemann. „So wie jedes Milieu, dessen Ideologie sich als hegemonial empfindet, verwechseln die Grünen den Zuspruch der eigenen Blase mit der Meinung in der Bevölkerung.“ [3]
Eine „Milieupartei“ – als Professor an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ kennt Stegemann diese Szene und weiß sie sprachmächtig zu analysieren. Es ist die neue akademische Mittelklasse derjenigen, die sich in ihrem Streben nach Selbstverwirklichung allen anderen überlegen fühlen. Menschen auf dem Ego-Trip: Sie leben meist in Innenstädten, wo sie mit dem Fahrrad unterwegs sein können, aber in Zeiten von Homeoffice dürfen sie auch der Landlust frönen. Der Soziologe Andreas Reckwitz hat sie in seinem Buch „Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne“ der traditionellen Mittelklasse, der Oberklasse und der prekären Klasse gegenübergestellt und die Unterschiede in Lebenswirklichkeit und -vorstellungen verdeutlicht. [4] Wobei die neue Mittelklasse ihre Werte – vom Erziehungsstil über das Gesundheitsverhalten und die Freizeitaktivitäten bis hin zum politischen Kosmopolitismus – als Distinktionsmerkmal beansprucht. Was die ökonomische Lage betrifft, können manche froh sein, durch ihre gutsituierten, in der traditionellen Mittelklasse verwurzelten Elternhäuser, auf die sie nun herabschauen, ökonomisch abgesichert zu sein.
Identität und Moral im Kampf um Anerkennung und Macht
Zunächst ging es ja nur darum: „Das sensible Ich klagt eine heile Welt ein, weil es sich darin wohlfühlen möchte. So wird die Ökologie durch die Brille der eigenen Empfindung betrachtet, und so werden Umwelt und Gesellschaft zu Objekten, die dem eigenen Wohlbefinden dienen sollen.“ [5] Die Natur wird zum Empfindungsobjekt wie ein geliebtes Haustier. „Man würde vieles dafür tun, aber der Grund dafür ist die eigene Gefühlsbindung und kein Bewusstsein von der Eigenlogik des Lebewesens.“ Aus dieser Perspektivverschiebung folgt der seltsam infantile Stil der Grünen. Wie Teenager, die nicht erwachsen werden wollen, nerven sie mit lautstarken Forderungen und beleidigtem Trotz. „Man fühlt sich von der schmutzigen Welt persönlich gekränkt und ist darum permanent entrüstet. Ein falsches Wort oder ein Auto, das mit dem falschen Motor fährt, werden zum Skandal, hinter dem die realen Zusammenhänge verschwinden. Das empörte Ich wird zum Maßstab, durch den Nebensächliches gewaltig und Wichtiges unsichtbar wird.“ [6] Radikaler Individualismus: „Es geht nicht um die Verbesserung der Welt, sondern um das gute Gefühl sich als Verbesserer der Welt in Szene zu setzen.“
Kluge Diagnosen, treffsichere Formulierungen: Anregend und erhellend ist die Lektüre. Auch für diejenigen, die damit gemeint sind? Könnten sie denn aus ihrer Haut? So abgehoben sie einem scheinen mögen, so dünnhäutig sind sie auch. Die neue akademische Mittelklasse vergrößert sich zusehends. Viele möchten dazugehören in der Hoffnung auf ein angenehmes Leben. Das führt zu einem permanenten Kampf um Selbstoptimierung, der mit Überforderung und Neid, Wut, Angst, Verzweiflung und Sinnlosigkeit einhergeht.
Auftrumpfender Individualismus sucht nach Feldern der Bestätigung. Da kann sich Grüner Hochmut leicht mit identitätspolitischer Erregung verbünden. „Der menschliche Wunsch, kein Opfer sein zu wollen, wird abgelöst von dem Wunsch, als Opfer besondere Aufmerksamkeit zu genießen.“ [7] Überdeutlich tritt einem das im medialen Mainstream entgegen. Und zunehmend nervt es, wie identitätspolitische Forderungen Allgemeingültigkeit beanspruchen, während sie doch Ausdruck von Konkurrenz sind. „Eine identitätspolitisch sortierte Gesellschaft verstärkt die individuellen Ansprüche und stößt zugleich diejenigen vor den Kopf, die sich nicht als Opfer nach vorne drängeln. (…) Identität und Moral werden zu Waffen im Kampf um Anerkennung und Macht (…) Tugendsignale und Opferidentitäten führen zu einem endlosen Überbietungswettbewerb, wer die meisten Ansprüche erheben darf und wer auf keinen Fall dazu berechtigt sein soll.“ [8]
Wie eine Protestbewegung als Partei ihre Ideale hinter sich ließ
Die Grünen entstanden aus einer Protestbewegung und wurden zu einer Partei, die Regierungsbeteiligung anstrebte. Diesbezüglich habe es damals schon Warnungen gegeben, wie Stegemann schreibt. Er zitiert den Soziologen Niklas Luhmann, dass die Lösung ökologischer Probleme viel schwieriger sei als gedacht. „Unversehens geht so eine Theoriediskussion in moralische Frageformen über und das Theoriedefizit wird mit moralischem Eifer kompensiert.“ [9] Hinzu kommt, wie der Soziologe Ulrich Beck betonte, dass die „ökologische Kritik die schärfste Bremse“ ist, „die man gegen die industrielle Eigendynamik ziehen kann“. [10] Im Rahmen unseres derzeitigen Wirtschaftssystem sei das gesamtgesellschaftlich kaum zu verwirklichen. „Gefahrenbewusstsein und schwindende Bereitschaft, ökologische Zerstörungen hinzunehmen, sind vor diesem Hintergrund der Reflex eines privilegierten Existierens in einer mit großem Aufwand geschützten Nische.“ [11]
Zu Machtpolitik gehört es, die eigenen Interessen als die der Allgemeinheit auszugeben. Von persönlichem Erfolgsstreben sind die Angehörigen keiner Partei frei. Im Agieren der Grünen allerdings lag das Dilettantische besonders klar zutage. Heuchlerische Augenauswischerei, mit solcher Anmaßung vorgetragen, dass man sich darüber ärgern musste: In Deutschland per Mülltrennung das Weltklima retten – nun gut, man macht mit, auch wenn man nicht dran glaubt. Aber die Verunsicherung durch das Heizungsgesetz und durch steigende Energiepreise aufgrund von höheren CO²-Abgaben hat die Grünen Stimmen gekostet. Und das Schlimmste: 1980 als Antikriegspartei gegründet, sind die Grünen zur Kriegspartei geworden. Die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene unter Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer gab im Frühjahr 1999 grünes Licht für die Beteiligung Deutschlands an der Bombardierung Serbiens durch die NATO – und zwar ohne Beschluss des für solche Fälle zuständigen UN-Sicherheitsrates. Diese Linie setzt sich fort bis zu den kindischen Worten der deutschen Außenministerin , „Russland ruinieren“ zu wollen. Was immer Trump tut, per Waffenlieferungen wollen die Grünen dafür sorgen, dass das Gemetzel in der Ukraine weitergeht.
Dass Kriege Menschenopfer fordern und zudem Klima-Killer sind, interessiert die Umweltaktivisten offenbar nicht. Stattdessen wurden Sanktionen zum Schaden der deutschen Wirtschaft vorangetrieben. Umweltschädliches Fracking-Gas soll kein Problem sein, wenn nur Putin nicht daran verdient, auch wenn man das oft so genau nicht sagen kann. Das US-Militär stößt mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre als ganze Länder wie Dänemark oder Portugal. [12] Und Noch-Wirtschaftsminister Habeck wünscht sich eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind 150 Milliarden Euro pro Jahr, also 25 Prozent des Bundeshaushalts. Wie das zulasten des Sozialen gehen wird, interessiert schon nicht mehr. In ihrem eifrigen Bellizismus könnten die Grünen womöglich gar schlimmer sein als die CDU. Am Wahlabend gab es von Robert Habeck kein Wort zur Umweltrettung, aber weinerliche Empörung, dass die „Amerikaner gegen Europa arbeiten“, indem sie den „Kriegstreiber Putin“ unterstützen. Umso wichtiger sei es für seine Partei, „Verantwortung zu übernehmen“.
Grüne Verbotspolitik brachte ökologische Themen in Misskredit
„Politik der organisierten Lüge“ nennt Prof. Birgit Mahnkopf die Erzählung von einem „grünen Kapitalismus“. Beim „European Green Deal“ und beim „Clean-Deal“ der Biden-Administration habe es sich vielmehr um Elemente einer kompetitiven Wachstumsstrategie gehandelt. Zudem „zielen diese Deals auf eine exorbitante Steigerung der Energieproduktion, insbesondere für die Entwicklung und den Einsatz von digitalen Technologien für zivile und militärische Zwecke (…) Schon für die wenigen Jahre von 2022 bis 2026 rechnet die internationale Energieagentur (IEA) mit einer Verdreifachung des Energieverbrauchs.“ (…) Daher sei absehbar, dass der Energiebedarf auch in den kommenden Jahren weiterhin auch durch fossile Brennstoffe sowie durch den Ausbau der gefährlichen Atomenergie gedeckt werden wird.[13]
Hochmut, moralische Selbstverzauberung und Ignoranz gehen mit einer radikalen Vereinfachung komplexer Probleme einher, so Bernd Stegemann. Mit Panikmache wollten die Grünen für sich selbst werben und verunsicherten die Bevölkerung. Wie dilettantisch sie in ihrem politischen Aktivismus waren, konnte niemand übersehen. „Je öfter Grüne Parteipolitik zum Regierungshandeln wird, desto eindimensionaler wird Ökologie als Verbotspolitik durchgesetzt und desto größer werden die Widerstände gegen ökologische Themen.“ [14]
Was Bernd Stegemann Reaktivität nennt, davor haben schon Wissenschaftler wie Armin Nasehi und Ingolfur Blühdorn gewarnt, die früher durchaus mit den Grünen sympathisierten. [15] Aber statt auf wachsende Ablehnung zu reagieren, wiederholen die Grünen bis heute „alte Muster: Wenn die eine Belehrung nicht fruchtet, braucht es noch mehr davon“. Nicht weit ist dann auch der „dämlichste Satz der deutschen Politik: Wir müssen unsere Politik besser erklären.“ [16]
Fazit:
„Von einem ökologischen Umbau ist die Industriegesellschaft weiter entfernt als vor vier Jahren. Konnte damals noch die Stärke der Wirtschaft für kostspielige Transformationen genutzt werden, so weisen inzwischen alle Prognosen in die Rezession. Fand vor vier Jahren ökologische Politik viel Zuspruch in der Öffentlichkeit, hat sich das Thema durch absurde Gesetzesvorhaben und unsinnige Klimaproteste für viele in ein Hassobjekt verwandelt. Und schließlich hat die kulturelle Dominanz des Grünen Milieus, die sich in Zeitungen, ÖRR, Universitäten und Kultureinrichtungen manifestiert, zu einer wachsenden Reaktanz der Bevölkerung geführt.“ [17]
Gekränkte Zauberlehrlinge. Wie haben sie sich gegenseitig im Gefühl ihrer Großartigkeit bestärkt, sich als Oberlehrer der Nation gefühlt. Tatsächlich ließen sich einige Leute von ihnen verzaubern, der große Rest aber möchte nichts mehr mit ihnen zu tun haben.
Bernd Stegemann: In falschen Händen. Wie Grüne Eliten eine ökologische Politik verhindern. Westend Verlag, 174 S., br., 18 €.
Annalena Baerbock: Die Lotsin geht von Bord
Stegemann über die Grünen: „Kritik wird als Angriff auf den Staat und die Demokratie beklagt“
Titelbild: Wirestock Collection / Shutterstock
[«1] tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/trump-gruene-infrastruktur-100.html
[«2] gruene.de/artikel/america-first-europa-united
[«3] Stegemann, S. 12
[«4] Andreas Reckwitz: Das Ende der illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Edition Suhrkamp 2019
[«5] Stegemann, S. 10
[«6] Stegemann, S. 11
[«7] Stegemann S. 21
[«8] Stegemann, S. 25
[«9] Niklas Luhmann: Ökologische Kommunikation, Opladen 1986, S. 19
[«10] Ulrich Beck: Gegengifte. Die organisierte Verantwortungslosigkeit, Frankfurt am Main 1988, S.93
[«11] ebenda, S. 95
[«12] insideclimatenews-org.translate.goog/news/18012022/military-carbon-emissions/….
[«13] nd-aktuell.de/artikel/1188495.gruener-kapitalismus-nicht-oekologisch-sondern-elektrisch.html
[«14] Stegemann, S. 93
[«15] Armin Nasehi: Kritik der großen Geste, C.H. Beck 2024; Ingolfur Blühdorn: Unhaltbarkein auf dem Weg in eine andere Moderne, Edition Suhrkamp 2024
[«16] Stegemann, S. 166
[«17] Stegemann, S. 163f