Argentiniens Präsident Javier Milei steht im Zentrum eines Skandals. Er hatte über das soziale Netzwerk X eine Plattform angepriesen, die zu diesem Zeitpunkt die Krypto-Währung $Libra auf den Markt brachte. Nach kurzem Höhenflug brach sie in wenigen Stunden wieder zusammen, eine Katastrophe für die meisten Anleger und ein satter Gewinn für einige Wenige. FBI und auch das US-amerikanische Finanzministerium haben sich eingeschaltet, da auch US-Investoren von dem Betrugsfall betroffen waren. Derweil darben die argentinische Wirtschaft und Gesellschaft. Der Konsum fiel um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr, selbst bei traditionellen Produkten wie Rindfleisch und Mate-Tee zeigen sich die Folgen der massiv gesunkenen Kaufkraft. Von Miguel Arndt.
Die Kryptowährung war nur wenige Minuten vor seiner Nachricht auf den Markt gebracht worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits wenige Teilnehmer den größten verfügbaren Teil gekauft. Im Laufe des Tages griffen dann über 44.000 weitere Investoren zu. Neun von ihnen stiegen frühzeitig aus und räumten dabei circa 85 Millionen US-Dollar ab. Der Rest machte Verluste, da der Kurs von zeitweilig 4,5 Dollar auf knappe 0,17 Dollar fiel.
Derartige Manöver werden in Fachkreisen als “Pump and Dump” bezeichnet: Eine bekannte Persönlichkeit pusht dabei das Produkt. Der US-Rapper Kanye West hatte kürzlich bekannt gegeben, man habe ihm zwei Millionen Dollar angeboten, um für eine ähnliche Operation zu werben.
Kurzzeitig wurde spekuliert, ob der Account gehackt worden sei. In einer weiteren Nachricht erklärte Milei jedoch, er hätte die Details der Operation nicht gekannt und seine vorige Mitteilung gelöscht, nachdem er mehr erfahren habe. Im selben Text griff er dann die “Politkaste” an, die er als “dreckige Ratten” bezeichnete.
Inzwischen wurde der aktuelle Betrugsfall den US-Behörden gemeldet. Das Justizministerium und das FBI haben laut Medienberichten mindestens eine Strafanzeige gegen die Hauptakteure erhalten. Der sogenannte “Bericht über kriminelle Aktivitäten” weist demnach ausdrücklich auch auf die Rolle Mileis hin.
Eine offene Frage ist derzeit noch, ob man Milei benutzt hat oder ob er Teil dieser Operation war. Beides wäre gleich verheerend für den von seinen Anhängern als Wirtschaftsgenie gepriesenen Politiker, der häufig als Professor und Doktor vorgestellt wird, ohne eines von beiden zu sein. So geschehen jüngst bei dem Preis, den ihm in der Schweiz das Liberale Institut übergeben hatte.
Letztes Jahr musste in Spanien ein Buch von ihm vom Markt genommen werden, da er dort als Absolvent der renommierten staatlichen Universität von Buenos Aires und Doktor der Universität von Kalifornien bezeichnet wurde. Milei studierte jedoch an einer wenig anspruchsvollen privaten Hochschule von Belgrano und war nie auf einer US-Universität. Sein Parteifreund Alberto Benegas-Lynch hatte ihm zwar kürzlich einen Ehrendoktortitel von seiner liberalen Oberschule für Wirtschaft und Firmenadministration verleihen lassen . Dies ist jedoch eine private Akademie, die keine Lehrbefähigung hat, um höhere akademische Titel zu erteilen.
Milei kannte auf jeden Fall die Organisatoren und hatte mehrfach Kontakt mit ihnen. Problematisch ist auch, dass er bereits 2022 – damals noch Abgeordneter – in zwei ähnliche Affären verwickelt war: als er für die Firma COINX warb, deren Betreiber später wegen Betrugs auf Grund eines Ponzi-Schemas festgenommen wurde, und wegen seiner Werbung für den Token Vulcano, der nach kurzer Zeit ebenfalls vollständig an Wert verlor.
Die Opposition in Argentinien fordert nun Aufklärung und eine schnelle Untersuchung.
Der Skandal, der noch dazu einen der Investoren in den USA betrifft und Rechtsklagen im Ausland mit sich bringen könnte, kommt zu einem denkbar ungünstigen Moment: Milei will kommende Woche in die USA reisen, um dort Unterstützung für ein neues IWF-Darlehen zu suchen, das seine Regierung bereits seit Monaten zu bekommen versucht.
Ein neues Darlehen wird seit letztem Jahr immer wieder angekündigt, kam jedoch bisher nicht zustande. Ein Grund ist, dass der IWF die Aufhebung der Devisenkontrollen sowie eine Abwertung des argentinischen Pesos von 30 Prozent fordert. Beides will die Regierung jedoch nicht tun, da es ein Wiederaufflammen der mühsam eingedämmten Inflation bedeuten würde.
Entgegen der Vorgaben verbrennt die Regierung weiterhin die knappen Dollarreserven im Bestreben, den Peso stark zu halten. Anstelle der 9,5 Milliarden Dollar, die laut Vereinbarung mit dem IWF zu Jahresende als Reserve hätten vorliegen müssen, besteht ein Minus von etwa zehn Milliarden, so hoch wie im Dezember 2023.
Denn trotz der vielen Vorschusslorbeeren läuft Mileis Wirtschaftspolitik alles anderes als gut. Die Konjunktur will weiterhin nicht anspringen. Die Bauwirtschaft ist um 25 Prozent eingebrochen, die Industrie um neun und die angekündigte “V-Erholung” (eine bildliche Darstellung Mileis, wonach die Wirtschaft nach den Einschnitten von allein wieder steil abheben wird, also ein “V” in der Wachstumsgraphik) ist nirgends zu erkennen.
Die einzigen Wirtschaftsbranchen, bei denen eine gewisse Erholung besteht, sind zum einen die Landwirtschaft. Diese schneidet jedoch nur im Vergleich mit dem extrem trockenen Vorjahr gut ab. Und zum anderen die Bergbau- und Energiewirtschaft, was jedoch hauptsächlich auf die staatliche YPF und die anlaufende Ausbeutung des Shale Oil- und Gasfeldes Vaca Muerta sowie auf den Lithium-Export zurückgeht. Beide Sektoren sorgen jedoch nur für vier Prozent der Arbeitsplätze im Land.
Insgesamt sind seit dem Amtsantritt Mileis fast 200.000 registrierte Arbeitsplätze verloren gegangen. Dazu kommen Zehntausende von Zeitverträgen und eine unbekannte Menge irregulärer Stellen. Insgesamt 12.214 Firmen mit Angestellten haben seit Dezember 2023 aufgegeben.
Die offizielle Behauptung, die Armut sei gesunken, ist bei gleichzeitiger steigender Arbeitslosigkeit nicht haltbar. Laut dem Ökonomen Daniel Schteingart geht diese auf einen methodologischen Fehler bei der Bemessung zurück.
Ein Indiz für die gestiegene Armut sind die Verbraucherzahlen: Allein im Dezember fiel der Konsum um 18 Prozent gegenüber dem schon schwachen Vorjahr. Für den Einzelhandel war es das schlechteste Jahr in zwei Jahrzehnten. Der Fleischkonsum ist der Niedrigste seit 100 Jahren, aber auch Milchprodukte und sogar Mate-Tee zeigen Negativrekorde.
Besonders tragisch wirkt dabei der Verkaufsrückgang in den Apotheken: Hauptsächlich auf Grund der Kürzungen bei den Rentnern, die einen Löwenanteil der Haushaltskonsolidierung zu erleiden hatten, sowie im staatlichen medizinischen Apparat wurden 18 Millionen Medikamente weniger als im Vorjahr verkauft.
Die Preise vieler Medikamente sind zudem auf Grund des zu starken Pesos deutlich über der Inflation gestiegen, sodass sie für viele Menschen unerschwinglich geworden sind.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
Titelbild: Durch KI (Grok) generiertes Symbolbild
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