Inzwischen lässt sich nicht länger leugnen, dass das politische Handeln nur selten den mehrheitlichen Interessen der Bürger entspricht. So deutlich wie nie zuvor stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer jahrzehntelang nie wirklich dem Wohle des Volkes dienenden Politik. Um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen: ein massives Zerbröseln der Infrastruktur (Straßen, Brücken, Schienen), aberwitzige Mietpreissteigerungen, immer schlechter werdende Dienstleistungen (Bahn, Post, Behörden, medizinische Versorgung, Banken), ein den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen nicht angepasstes und permanent unterfinanziertes Bildungssystem, ein von Drittmitteln abhängiges Hochschulwesen, ein sich ausweitender Niedriglohnsektor mit den daraus resultierenden Mini-Renten sowie eine gleichzeitige Zunahme krasser Armut und übermäßigen Reichtums. Diese Entwicklungen lassen sich ziemlich schnell auf die für den wiedererstarkten Raubtierkapitalismus typischen Privatisierungen zurückführen, aber damit ist noch nicht die Frage beantwortet, weshalb die politisch Verantwortlichen diesem Treiben nie ernsthaft Einhalt geboten haben und stattdessen eine enge Verbindung mit dem Kapital eingegangen sind. Darüber hinaus gibt es aber auch strukturelle Gründe für das den Interessen großer Bevölkerungsteile widersprechende Verhalten von Politikern, und genau darum soll es in den nachfolgenden Überlegungen gehen. Von Magda von Garrel.
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Repräsentative Demokratie
Der Begriff repräsentative Demokratie klingt zwar schön, bedeutet aber auch, dass die Bürger die Zusammensetzung der Parlamente und Regierungen nur in einem sehr geringen Maße beeinflussen können. Wir werden zwar alle paar Jahre zur Teilnahme an Wahlen aufgerufen, aber die zur Auswahl stehenden Bewerber werden nicht von uns, sondern von den Parteien ins Rennen geschickt.
Wenn überhaupt, wird dieses Vorgehen mit dem Hinweis begründet, dass eine Beteiligung der Bevölkerung an der Kandidatenkür viel zu aufwändig und kompliziert wäre. Dieses Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen, aber dann könnte man von den Parteien wenigstens erwarten, dass die von ihnen aufgestellten Kandidaten aus allen Schichten der Bevölkerung kommen.
Tatsächlich hatten wir noch nie eine Volksvertretung, die im Sinne eines Querschnitts der Bevölkerung repräsentativ gewesen wäre. Das Gros der Parlamentarier besteht aus Akademikern (insbesondere Juristen), was auch für viele der (ansonsten stark unterrepräsentierten) Frauen gilt. Ganz besonders schlecht sieht es mit der Vertretung armer oder anderweitig benachteiligter Bevölkerungsgruppen aus.
Fragwürdig sind auch die ganz legalen Parteispenden, die bis heute nicht vollständig offengelegt werden müssen. Im Regelfall sind die Spenden mit der Erwartung verknüpft, dass sich die Empfängerpartei darum bemüht, die Interessen des Spenders bevorzugt zu berücksichtigen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich schon die Frage, ob die in dieser Form praktizierte repräsentative Demokratie überhaupt noch als Demokratie im ursprünglichen Sinn des Wortes (Volksherrschaft) bezeichnet werden kann. Trotzdem sind viele Menschen (also nicht nur Abgeordnete und Regierungsmitglieder) davon überzeugt, dass wir es bei diesem Modell mit einer echten Demokratie zu tun hätten.
Untermauert wird diese Ansicht mit Hinweisen auf die den Bürgern (zumindest auf Landesebene) gewährten Partizipationsmöglichkeiten in Form von Volksentscheiden und -begehren, wobei in neuer Zeit die Einrichtung von Bürgerräten hinzugekommen ist. Einmal davon abgesehen, dass die schon älteren Beteiligungsinstrumente immer mit großen Hürden verbunden sind (insbesondere dem mühsamen Einsammeln vieler gültiger Unterschriften), stellen sich nur selten die von den Bürgern erhofften Ergebnisse ein. Oft bleibt es bei einem artigen Dankeschön für das gezeigte Engagement im Rahmen einer ansonsten völlig folgenlosen Anhörung und/oder dem (nur selten eingelösten) Versprechen, die Anregungen in gesetzgeberischer Hinsicht berücksichtigen zu wollen. Jahrelange Nichtbefassung kann auch eine Variante sein, wie sich am Beispiel des (später zu einem Volksentscheid umgewandelten) Berliner Volksbegehrens „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ ablesen lässt.
Lobbyismus
Viel erfolgreicher können Protestdemos sein, allerdings auch nur dann, wenn sie von einer starken Lobby unterstützt werden. Mit Hilfe der Agrarlobby ist es Anfang 2024 den protestierenden Bauern gelungen, einige ihrer zentralen Forderungen (insbesondere die Wiedereinführung des vergünstigten Dieselpreises) durchzusetzen.
Demgegenüber laufen auch noch so große Demonstrationen ins Leere, wenn sie den von Lobbyisten jeweils verfolgten Interessen entgegenstehen. Aus diesem Grund werden Friedensdemonstrationen in der von der Rüstungslobby beherrschten Politik nur in Form einer üblen Verunglimpfung der Teilnehmer beachtet, obwohl bekannt ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung keinen Krieg will.
Mindestens genauso übel erging es den in den Corona-Jahren demonstrierenden Menschen, denen die damalige Maßnahmenpolitik zu weit ging. Diese Menschen wurden sofort und diesmal mit großer Unterstützung der im Regierungssinn massiv beeinflussten Bürger als verantwortungslose Egoisten abgestempelt und kriminalisiert. Kurzum: Die Pharma-Lobby hatte auf ganzer Linie gesiegt.
Diese Beispiele dürften bereits ausreichend verdeutlicht haben, dass Lobbyisten über die Macht verfügen, die Politiker (nicht nur in Deutschland) nach ihren Wünschen zu lenken. Mit anderen Worten wird die den politisch Verantwortlichen auf dem Papier zugestandene Gewissensfreiheit nicht allein durch Ausübung des Fraktionszwanges stark beschnitten.
Trotz der ihnen gegebenen Macht sind Lobbyisten im Grunde genommen aber auch nur Ausführende, die im Interesse ihrer jeweiligen Arbeitgeber intervenieren, bei denen es sich in aller Regel um die von sehr reichen Menschen gegründeten Konzerne und Organisationen handelt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt allerdings auch unsere aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende Abhängigkeit von den USA.
So oder so haben wir es bei allen wichtigen politischen Entscheidungen mit einem dreistufigen System zu tun. An der Spitze stehen die (früher zumeist im Hintergrund agierenden) globalen Strippenzieher, dann folgen die von ihnen beauftragten Lobbyisten, die dafür sorgen, dass die Interessen ihrer Arbeitgeber möglichst weitgehend von den vor Ort agierenden Politikern durchgesetzt werden. Kurz ausgedrückt: Die Befehlskette besteht aus einem sehr hoch angesiedelten Befehlsstand und zwei darunter liegenden Ausführungsebenen.
In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Lobbyisten oft und gern mit der (Vor-)Formulierung von Gesetzestexten betraut werden, die den Parlamentariern anschließend in überarbeiteter oder sogar unveränderter Form zur Abstimmung vorgelegt werden.
Gelegentlich treffen sich die Mächtigen dieser Welt (zum Beispiel im Rahmen internationaler Konferenzen) auch ganz direkt mit den jeweils „führenden“ Politikern, um die ohnehin angelegten „freundschaftlichen Bande“ noch weiter zu festigen. Über ganz besonders enge Beziehungen verfügen Politiker, die vor ihrer parlamentarischen Tätigkeit ihr Geld bei marktbeherrschenden Firmen verdient haben. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Der frühere Berliner Finanzsenator Kollatz war bei der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers tätig, und vom jetzigen Kanzlerkandidaten Merz ist bekannt, dass er beim größten Vermögensverwalter der Welt (also bei BlackRock) als Aufsichtsratsvorsitzender gearbeitet hat.
Machtsicherung erfolgt aber nicht nur auf der politischen Schiene, sondern beispielsweise auch über ein Sponsoring von Medien und Wissenschaftsinstituten, sodass wir es inzwischen mit einer großen Zahl von Journalisten und Wissenschaftlern zu tun haben, die völlig unkritisch die von den Geldgebern gewünschte Meinung vertreten. Aus diesem Grund ist es mittlerweile zu einer starken und damit demokratiegefährdenden Einschränkung der Meinungsvielfalt gekommen.
Parlamentarische Privilegien
Dass wir es mit einer weitgehend an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeilaufenden Politik zu tun haben, lässt sich teilweise auch auf die den Parlamentariern gewährten Vergünstigungen zurückführen. So steht den Abgeordneten nach nur wenigen Jahren der parlamentarischen Zugehörigkeit eine Altersversorgung zu, von der die meisten Bürger nur träumen können.
Doch damit nicht genug: Für Fehlentscheidungen müssen die politisch Verantwortlichen nicht einmal dann geradestehen, wenn diese ein Verpulvern von Steuergeldern in Milliardenhöhe verursacht haben. Abgeordnete dürfen (oft hoch dotierte) Nebentätigkeiten ausüben und werden auch für kriminell anmutende Machenschaften (Beispiel Maskendeals) nicht ernsthaft belangt.
Darüber hinaus werden sie von allen möglichen Seiten hofiert, mit Freikarten überschüttet und im Rahmen diverser Empfänge kostenlos bewirtet. Nicht zu vergessen die vielen Auslandsreisen und das Dienstwagenprivileg, das in ganz besonderem Maße dazu geeignet ist, bei den Benutzern ein Gefühl der eigenen Bedeutung hervorzurufen.
Sorgen um die eigene Zukunft müssen sich Abgeordnete und Regierungsmitglieder nur höchst selten machen, da ihnen nach dem Ende ihrer parlamentarischen Tätigkeit immer noch zahlreiche Wege offenstehen. Etliche der abgewählten oder aus anderen Gründen ausgeschiedenen Politiker können beispielsweise in ihre Kanzleien zurückkehren oder gut bezahlte Posten in großen Wirtschaftsunternehmen antreten. Zu den darüber hinaus gegebenen Optionen gehört die Aufnahme einer hoch dotierten Vortragstätigkeit.
Mit anderen Worten führen die Politiker ein von Armut und existenziellen Sorgen befreites Leben, weshalb es ihnen schwerfallen dürfte, sich in die Situation des nicht privilegierten Teils der Bevölkerung wirklich hineinfühlen und -denken zu können.
Ablenkungsmanöver
Unter den geschilderten Vorzeichen sind auch die von den Oppositionsparteien angekündigten Versprechen, sich stärker für die Interessen der Bevölkerung einzusetzen, nicht sonderlich ernst zu nehmen – vor allem dann nicht, wenn Wahlkampf herrscht und sich die aus diesem Grund zelebrierte Volksnähe darin erschöpft, mit dem Finger auf andere zu zeigen. So wird derzeit den Wählern mit großer Intensität eingeredet, dass es ihnen mit einer auf Abschiebung und Abschottung setzenden Migrationspolitik viel besser ginge.
Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Der Zuzug vieler Flüchtlinge ist ein schwerwiegendes Problem, und zwar speziell für die Kommunen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es ohne Ausbeutung und die zahlreichen Kriege, an denen sich die Rüstungsfirmen dumm und dusselig verdienen, gar nicht so viele Flüchtlinge gäbe. Wir haben es also auch in dieser Hinsicht mit einem Problem zu tun, das zu einem nicht geringen Teil auf das kapitalistische Gewinnstreben zurückzuführen ist. Obwohl dieser Zusammenhang ziemlich offenkundig ist, kommen entsprechende Hinweise in den Wahlkampfreden so gut wie nie vor.
Migration ist für Politiker auch deshalb ein so dankbares Thema, weil es sich gut mit weiteren Ablenkungsthemen wie Sicherheit und Kriminalität verbinden lässt. Diese Kombination ist perfekt dazu geeignet, uns auch noch schnell einige der von den selbsternannten Weltenlenkern verfolgten Ziele schmackhaft zu machen: mehr digitale Kontrolle, Einführung von Sozialkreditsystemen, Abschaffung des Bargeldes.
Die stetige Wiederholung der Ablenkungsmanöver hat zur Folge, dass sich viele Menschen mit den ihnen eingeredeten Interessen identifizieren und es geradezu verlernt haben, sich für echte gesellschaftspolitische Fortschritte (Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge, Schaffung bezahlbaren Wohnraums, Beendigung des Kliniksterbens, größere Steuergerechtigkeit, Verbesserung der Bildungspolitik etc.) lautstark einzusetzen.
Wie auch immer: Politische Ablenkungsmanöver haben (nicht nur hierzulande) eine lange Tradition, und zwar auch hinsichtlich des missbräuchlichen Einsatzes verhaltenstherapeutischer beziehungsweise psychologischer Erkenntnisse. In diesen Fällen haben wir es mit besonders toxischen Beeinflussungsversuchen zu tun, die sich im Zeitalter der neuen Medien auch noch rasend schnell verbreiten können.
Hauptbestandteile der (wie auch immer gearteten) Ablenkungsmanöver sind die Elemente Hetze und Angst, von denen gleichzeitig behauptet wird, dass sie nur von den Feinden der Demokratie benutzt würden und deshalb bekämpft werden müssen. Für zusätzliche Verwirrung sorgen die aus den neoliberalen Denkfabriken stammenden begrifflichen Verdrehungen.
Das mit Abstand genialste Ablenkungsmanöver besteht in den immer wieder erfolgreichen Versuchen, die Bevölkerung zur Teilnahme an einem „Kampf gegen rechts“ zu motivieren. Hier wird der an sich begrüßenswerte Wille, sich an der Verhinderung eines nationalsozialistischen Wiedererstarkens beteiligen zu wollen, in schamloser Weise ausgenutzt. Kein Manöver ist besser als dieses geeignet, von der Tatsache abzulenken, dass die eigene Regierung eine knallharte neoliberale und damit rechte Politik exekutiert.
Anders ausgedrückt: Mit Hilfe dieser sehr speziellen Demonstrationen wird die Erkenntnis verhindert, dass es den Regierenden nur darum geht, ihre eigene, kapitalistisch orientierte und nicht im Interesse des Volkes liegende Agenda in aller Ruhe fortsetzen zu können.
Schlussfolgerungen
Derzeit befinden wir uns in einer äußerst ambivalenten Situation: Einerseits greift (berechtigterweise) das Gefühl um sich, dass es hierzulande immer weiter den Bach runtergeht, aber andererseits verfangen die Ablenkungsmanöver noch immer so gut, dass den politisch Handelnden vielfach bis heute abgenommen wird, sich tatsächlich um das Wohl des deutschen Volkes kümmern zu wollen. Bislang wird nicht ausreichend erkannt, dass es den politischen Akteuren vordringlich um die zum eigenen Wohl beabsichtigte Befolgung fremdbestimmter Interessen geht.
Um diesem düsteren Bild etwas entgegenzusetzen: Es gibt immer noch Abgeordnete, die nicht in erster Linie an sich und ihre Karriere denken, und es gibt außerdem Lobbyisten, die sich ausschließlich für gemeinnützige Zwecke einsetzen. Insofern besteht schon noch ein wenig Grund zur Hoffnung, aber eine wirkliche Wende kann nur dann erreicht werden, wenn es uns gelänge, uns aus den Fängen der nach Weltbeherrschung strebenden Großkapitalisten zu befreien. Doch das dürfte ein Traum bleiben, da die Ambitionen der politikgestaltenden Superreichen von ebenfalls mächtigen Komplizen (einschließlich der EU-Kommission) rückhaltlos unterstützt werden.
Es wäre allerdings schon viel gewonnen, wenn die von fast allen Parteien praktizierte Doppelzüngigkeit von vielen Bürgern durchschaut würde und eine große gesellschaftliche Debatte zustande käme, deren Ziel darin bestünde, die repräsentative Demokratie in eine auch bundesweit einzuführende partizipative Demokratie umzuwandeln.
Ein erster Schritt auf diesem Weg könnte darin bestehen, dass sich alle bereits existierenden Netzwerke, die sich in der einen oder anderen Art für eine Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen, miteinander verbinden und sich unabhängig von ihrem jeweiligen Hauptanliegen der Forderung nach Schaffung einer „bürgerfreundlichen“ Demokratie anschließen.
Im Erfolgsfall könnte zumindest auf nationaler Ebene eine größere Souveränität der Bürger und damit eine größere Unabhängigkeit von fremdbestimmten Kapitalinteressen erreicht werden. Die Institutionalisierung echter und leicht handhabbarer Beteiligungsmöglichkeiten würde jedenfalls die Chance vergrößern, dass trotz Fortbestehens diverser Weisungsgebundenheiten nicht mehr so einfach am Volk vorbei regiert werden kann.
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