Irreführende Darstellung der Entwicklung der Nettolöhne und Abzüge in Welt-dpa-Grafik: Absicht oder Irrtum?
Vor einigen Tagen machte eine Meldung und eine Grafik die Runde in den Medien: „Deutsche zahlen so viel an den Staat wie nie zuvor“. Dabei wurde einmal mehr die steigende Abgabenlast der Arbeitnehmer beklagt. Wie selbstverständlich wurden Steuern und Beiträge an die selbstverwalteten Sozialversicherungsträger (Rente, Krankenversicherung etc.) addiert und als Abgaben „an den Staat“ bezeichnet. Immerhin wurde dabei festgestellt, dass die Netto-Reallöhne in dem angeblichen „Boomjahr“ 2010 auf 2011 gesunken sind.
Paul M. Schröder vom „Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe“ (BIAJ) hat genauer hingesehen und herausgefunden, dass hinter der der Welt-dpa-Grafik eine absichtliche oder vielleicht auch nur irrtümliche Irreführung steckt: Es wurden preisbereinigter Löhne und nicht preisbereinigte Abgaben gegenüber gestellt. Daraus ergibt sich dann der stärkere Anstieg der Abgaben im Vergleich zu den Löhnen. Solche Irreführungen eignen sich natürlich trefflich um Stimmung für Steuersenkungen und die Senkung der sog. „Lohnnebenkoste“ zu machen. Wolfgang Lieb.
Vergleiche die seit dem 12. April 2012 im Internet weit verbreitete Welt-dpa-Grafik „Arbeitnehmer leiden unter Abgabenlast“
Quelle: Die Welt
mit der BIAJ-Abbildung
der Entwicklung des nominalen Nettolohns pro Arbeitnehmer/in und Jahr und der nominalen Abzüge (Lohnsteuer und Sozialbeiträge) in den Jahren
1991 bis 2011
In der Welt-dpa-Grafik wird die nominale, nicht preisbereinigte (!) „Entwicklung der durchschnittlichen Abzüge für Lohnsteuer und Beiträge“ einer preisbereinigten (! Basisjahr?) Entwicklung der Nettolöhne gegenübergestellt. Eine absichtliche oder irrtümliche Irreführung. Der Anteil der Abzüge an den Bruttolöhnen ist von 1991 bis 1997/98 von durchschnittlich 29,9 Prozent auf 34,3 Prozent gestiegen. Bis 2004 sank dieser Anteil auf 32,1 Prozent. Für die letzten drei Jahre wurde (auf Basis vorläufiger Daten des Statistischen Bundesamtes ein Anteil von 33,9 Prozent (2009), 32,9 Prozent (2010) und 33,6 Prozent (2011) ermittelt. (Anm.: Die Irreführung besteht in der Gegenüberstellung preisbereinigter und nicht preisbereinigter Daten!)
Quelle: Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) [PDF – 381 KB]