Bis zum Jahr 2035 sollen Benziner und Diesel von Europas Straßen verschwunden sein. Verkehren dürfen dank deutscher Intervention aber weiterhin Autos mit synthetischem Treibstoff. Dabei fährt die Industrie auf die Technologie gar nicht ab, weil viel zu teuer und ineffektiv. Die Mineralöllobby freut sich trotzdem und baut guten Mutes auf eine fossile Zukunft bis zum letzten Tropfen. Prognose: Das läuft – wie geschmiert. Von Ralf Wurzbacher.
Lobbyismus ist, wenn auch noch der gröbste Unfug zwecks Profitmaximierung auf der politischen Agenda landet. Sogenannte E-Fuels sind grober Unfug. Eine Technologie, zwar nicht von gestern, aber ganz bestimmt nicht für morgen, sondern schlicht zum Vergessen. Experten sind sich einig: Die auf Basis von Wasserstoff und sehr viel Strom erzeugten synthetischen Kraftstoffe sind ineffizient, teuer und in puncto Klimawende ein echter Rohrkrepierer. Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschland brachte es auf den Punkt: „E-Fuels im Pkw-Bereich sind eine Fata Morgana und definitiv keine Alternative zu E-Autos.“
Der Dachverband vertritt mehr als 150 Mitgliedsorganisationen, darunter Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschützer, Initiativen für Entwicklungshilfe, Bildung, Kultur, Gesundheit, Jugend und Soziales. In seinem Auftrag hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) eine Metastudie zu Nutzen und Zukunftsfähigkeit von E-Fuels erstellen lassen, die vor zwei Wochen vorgestellt wurde. Die Befunde sind eindeutig: Auch mit horrenden staatlichen Zuschüssen werde es „bis 2035 nicht genug E-Fuels geben, um einen relevanten Beitrag zu den Klimazielen zu leisten“. Selbst bei entsprechender Förderung würden die so betriebenen Fahrzeuge im Jahr 2050 „nur eine marginale Rolle spielen“.
Deutschland schafft Schlupfloch
Eigentlich ist das nichts Neues, sondern nur die Zusammenfassung dessen, was Forscher zuvor bereits in über 20 Gutachten ermittelt hatten. Erstens: E-Fuels sind in der Herstellung extrem ressourcenaufwendig. Mit einem Wirkungsgrad von lediglich „13 bis 16 Prozent“ könnten bei Einsatz derselben Menge Strom rund sechsmal so viele E-Autos wie E-Fuel-Verbrenner betrieben werden. Zweitens: Sie sind klimaschädlich. Über den gesamten Lebenszyklus hinweg (Produktion, Betrieb und Entsorgung) entstehen bei E-Autos rund 40 bis 50 Prozent weniger CO₂-Emissionen als bei E-Fuels. Drittens: Sie sind umwelt- und gesundheitsschädlich. Bei anderen Luftschadstoffen schneiden sie ebenfalls schlechter ab als Elektroautos.
Aber so klar die Dinge aus wissenschaftlicher Sicht liegen, so unklar ist die Sache auf Ebene der Politik. Die Europäische Union (EU) hat sich das Ziel gesteckt, ab dem Jahr 2035 nur noch Neuwagen zuzulassen, die im Betrieb kein CO₂ mehr ausstoßen. Den Beschluss fasste der Ministerrat im Frühjahr 2023. Allerdings hatte Deutschland zum Unmut vieler anderer EU-Staaten einen Satz in das Abschlussdokument hineinverhandelt, der dem eigentlich fortschrittlichen Projekt einen hässlichen Kratzer verpasste. Dieser lautet: „Autos, die ausschließlich mit sogenannten E-Fuels betankt werden, dürfen auch nach 2035 noch zugelassen werden.“ Was davor kaum einer für möglich gehalten hatte, war plötzlich verbrieft – ein Schlupfloch für E-Fuels, die kaum einer will und die Welt nicht braucht.
Porsche Gate
Aber Kapitalisten folgen nicht dem gesunden Menschenverstand, der Vernunft oder der Maxime, Mensch und Natur zu bewahren, sondern allein Mammon, dem Götzen des Geldes. Und sie befehligen Heerscharen an Lobbyisten, die diesen Glauben verbreiten, bevorzugt unter politischen Entscheidern. Beim Thema E-Fuels hat die mächtige Mineralöllobby vor allem bei der FDP angedockt. Das ging damit los, dass auf Betreiben der deutschen Autoindustrie dieser Passus in den Koalitionsvertrag der Ampel Eingang fand: „Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.“ Im O-Ton überliefert ist, wie Porsche-Boss Oliver Blume sich vor seinen Mitarbeitern damit brüstete, welche Rolle dabei sein guter Draht zum damaligen Bundesfinanzminister spielte. „Der Christian Lindner hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten.“ Die Inhalte mehrerer SMS und Telefonate, in denen sich Blume und Lindner mutmaßlich darüber abgestimmt haben, wie sie mit dem PR-Desaster um eine mögliche Einflussnahme bei den Koalitionsverhandlungen umgehen sollen, wurden bis heute nicht herausgerückt. Der Fall sorgte seinerzeit unter dem Schlagwort „Porsche Gate“ wenigstens für ein paar Wochen für Aufregung, die sich dann aber rasch wieder legte.
Aber hinter den Kulissen kungelten die Lobbyisten eifrig weiter, denn die größere Herausforderung stand erst noch bevor – ein E-Fuel-Freibrief für Europa. Der Spiegel hat die Vorgänge in einem lesenswerten Beitrag unter dem Titel „Das vergiftete Versprechen vom Wundersprit“ (hinter Bezahlschranke) nacherzählt. Im Zentrum steht dabei der Bundesverband EnergieMittelstand e.V. UNITI, der gemäß Eigendarstellung hierzulande „rund 90 Prozent des mittelständischen Energiehandels“ repräsentiert. Zu seiner Klientel zählen insbesondere Tankstellenbetreiber und Verkäufer von Heizöl und Brennstoffen. Sie gehören damit einer Branche an, für die das nahende Verbrenner-Aus ein „Albtraum“ sei, wie das Nachrichtenmagazin schreibt.
Greenwashing
Gegen den Ende 2019 durch die EU-Kommission ausgerufenen European Green Deal hat UNITI inzwischen allerlei Geschütze aufgefahren. Ausgangspunkt war die Gründung der eFuel Alliance, eines Verbunds Dutzender Unternehmen aus verschiedensten Sektoren, mit dabei Ölkonzerne wie ExxonMobil, Repsol oder Eni, Autozulieferer wie Bosch oder Mahle, dazu Siemens, die Lufthansa, der ADAC und eben Porsche. Deren aller Ziel war und ist es, den Regierenden in Berlin und Brüssel eine praktisch hoffnungslose Technologie als tollste und grünste Errungenschaft des Planeten beizubiegen, nach dem Motto: „umwelt- und klimaschonend“, „schnell und vielseitig“, „nutzerfreundlich und komfortabel“, alles Ansprüche also, die E-Fuels gerade nicht erfüllen.
Ganz egal. Jedenfalls setzte man neben der üblichen politischen Netzwerkerei auch auf die Öffentlichkeit, dabei selbst auf den Faktor Straße in der Absicht, „die Klimabewegung tödlich (zu) umarmen“. Nach Recherchen von LobbyControl, ein Verein, der sich der Aufklärung über Lobbying, PR-Kampagnen und Denkfabriken verschrieben hat, warb UNITI willige Hampelmänner über ein Jobportal an, schickte sie im Sommer 2021 mit Trillerpfeifen und Pappschildern vor den Bundestag und ließ sie „E-Fuels for Future“ und „Klimaschutz könnte man tanken“ skandieren.
Wissing umgepolt
Hinter dem Marketingfeldzug steht unter anderem die Beratungsgesellschaft Von Beust & Coll., gegründet vom ehemaligen Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Anfangs soll er die Geschäfte der eFuel Alliance persönlich geführt haben, seine Firma stelle bis heute Personal und Büroräume, so der Spiegel. Inzwischen habe er sich beruflich zurückgezogen und wolle sich zum Fall nicht äußern. Für „gute“ Argumente schickte die Allianz außerdem einen „wissenschaftlichen Beirat“ in die Bütt, dem etwa der Regensburger Energiesystemforscher Michael Sterner angehörte. Dieser sieht sich als Teil der Klimabewegung, nach seinem Geschmack eignen sich E-Fuels aber gar nicht für den Einsatz im Individualverkehr, sondern als Mittel, überschüssigen Strom, etwa von Windrädern oder Solarmodulen, zu speichern. Die Allianz wollte so etwas natürlich nicht hören und präsentierte Sterner bloß als Feigenblatt, der das in knapp zwei Jahren Ehrenamt mit sich machen ließ. Zitat: „Es gab nie ein Treffen, an dem ich teilgenommen habe.“
Auch das: ganz egal. Denn mittlerweile standen E-Fuels immerhin schon auf der To-Do-Liste der Bundesregierung. Und mit dem anfangs noch betont skeptischen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte der Lobbyistenclub quasi über Nacht einen leidenschaftlichen Fürsprecher für sich gewonnen. Dann folgte die Zeit der Anbahnung des großen Showdowns im EU-Hauptquartier. Nach Spiegel-Erkenntnissen trafen Abgesandte der Mineralölbranche zwischen Mai 2022 und Februar 2024 mindestens 18 Mal mit Vertretern des Wissing-Ministeriums zusammen, auch mit ihm persönlich. „Die Behandlung wirkte offenbar: Den seltsamen Satz von E-Fuels-only-Fahrzeugen trug Wissing schon bald vor wie ein Mantra.“ Genau diese Merkwürdigkeit, dass Verbrennerfahrzeuge, die ausschließlich E-Fuels tanken, auch nach 2035 vertrieben werden können, wurde schließlich von Brüssel beschlossen und in die entsprechende Verordnung gepackt. Ohne diese Ausnahme wäre das davor mühsam verhandelte Verbrenner-Aus gescheitert, weil Deutschland dann nicht mitgestimmt hätte. Die Drohung hat gewirkt und die Öllobby einen wichtigen Sieg errungen.
Halber Sieg
Aber war dies auch ein Sieg auf ganzer Linie? Noch nicht. Denn tatsächlich ist die deutsche Autoindustrie an synthetischen Brennstoffen gar nicht so brennend interessiert. Um wirklich nur E-Fuel-kompatibel zu sein, müssten die Flotten aufwändig umgebaut werden, was teuer und angesichts der ohnehin absehbar geringen Absatzzahlen nicht lohnend wäre. Lukrativ wäre das Geschäft für die Autobauer allenfalls dann, wenn sich alle Bestandsfahrzeuge ohne Umbau mit dem Zeug betanken ließen, was schon heute technisch möglich ist. Für Porsche etwa könnte sich laut Spiegel der Kunstsprit dann durchaus rentieren, durch Einsatz im Rennsport oder um Liebhabern alter Modelle ein besseres, grünes Fahrgefühl zu vermitteln, wofür diese auch gerne fünf Euro pro Liter hinblättern würden. Daraus wird aber (vorerst) nichts, weil die EU-Verordnung lediglich auf Neuwagen zielt.
Wozu also der ganze Aufriss, wenn es für die Technologie augenscheinlich gar keine Kapazitäten und in Zukunft auch keinen Markt gibt? Hier kommt die Zeit ins Spiel. Bis 2035 vergeht noch eine ganze Dekade, in der noch viel passieren kann, sprich: in der man den Verbrauchern das E-Auto auch wieder ausreden kann. Die Absatzzahlen sind hierzulande schon eingebrochen, noch ehe überhaupt ein echter Boom eingetreten war. Es geht also mindestens darum zu verzögern und im „besten“ Fall darum, die Uhr zurückzudrehen. „Allein, wenn in der öffentlichen Debatte immer wieder über das E-Fuels-Versprechen gesprochen wird, hat das Wirkung“, konstatiert LobbyControl. So lange der Eindruck bestehen bleibe, „dass Verbrenner zukünftig mit E-Fuels betankt werden können, kann das Kaufentscheidungen und auch politische Meinungen beeinflussen“.
Trojanisches Pferd
E-Fuels sind in dieser Perspektive nur ein Trojanisches Pferd, um dem Normalverbrenner, also Benzin- und Dieselschleudern, ein längeres Dasein zu garantieren, bis spätestens zu dem fernen Tage, an dem die Erde kein Öl mehr ausspuckt. „Wahrscheinlicher handelt es sich um eine Strategie, um Verwirrung zu stiften und den Wandel zu Elektroautos zu verzögern“, gab der Spiegel Lucien Mathieu von der Umweltorganisation Transport & Environment in Brüssel wieder. Jedes Mal, wenn die Diskussion um E-Fuels neu eröffnet werde, würden Investitionen in die Elektrifizierung aufgehalten. Energiesystemforscher Sterner nennt den künstlichen Sprit eine „attraktive Legitimation, das Verbrenner-Aus infrage zu stellen“.
Das geschieht seit geraumer Zeit immer häufiger und immer schriller. Zuletzt haben Autoverbände und konservative Politiker massiv in diese Richtung agitiert. Zu den Quertreibern gehört neben den Liberalen längst auch die EVP-Fraktion im EU-Parlament, die als stärkste Kraft in Straßburg erheblichen Druck auf die EU-Kommission ausübt. Und siehe da: Bei ihrer Bewerbungsrede zur Wiederwahl als Kommissionspräsidentin hatte Ursula von der Leyen (CDU) durchblicken lassen, die getroffenen Regeln mithin wieder aufzuweichen. Schon im Februar 2024 hatte sie erklärt, dass es bis 2026 ohnehin eine Bestandsaufnahme und Überprüfung des Gesetzes geben werde.
Die FDP hat in diesem Sinne fraglos einiges in Bewegung gesetzt. Auf ihrem Parteitag im Frühjahr 2024 hatten sich Wissing und Finanzminister Lindner ohne Scham vor einem UNITI-Plakat ablichten lassen: Aufschrift: „Freie Fahrt für E-Fuels“. Kurz darauf erhielt die Partei vom selben Verband eine Spende über 50.000 Euro. Auch Friedrich Merz (CDU) hat schon einmal vor demselben Plakat posiert. Er ist demnächst vielleicht Bundeskanzler. „Für die E-Fuels-Lobby ist das womöglich ein Geschenk“, bemerkte der Spiegel. Aber wer dankt dann wohl wem?