Der Ausdruck „3,6 Prozent des BIP“: Eine Masche zur Verniedlichung einer radikalen Politik

Der Ausdruck „3,6 Prozent des BIP“: Eine Masche zur Verniedlichung einer radikalen Politik

Der Ausdruck „3,6 Prozent des BIP“: Eine Masche zur Verniedlichung einer radikalen Politik

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Paukenschläge aus den USA heizen die hiesige Rüstungsdebatte noch weiter an. In dieser Diskussion werden die Rüstungsausgaben meist mit Prozentzahlen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und nicht des Bundeshaushaltes dargestellt – das ist eine beschönigende Praxis: Damit sollen die tatsächlichen Ausmaße der „Verteidigungs“-Kosten und der darauf zwingend folgende soziale Kahlschlag verharmlost werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Auf internationaler Ebene kann die Praxis, die Höhe von Rüstungsausgaben anhand von Prozentzahlen des BIP darzustellen, Sinn machen, um Vergleichbarkeit herzustellen: Die Größe des Haushaltes im Verhältnis zum BIP variiert nach Ländern.

Spricht man aber nur über die „Verteidigungs“-Ausgaben hierzulande und inwiefern sie die Bürger belasten werden, dann ist die verniedlichende Praxis, das BIP und nicht den Bundeshaushalt heranzuziehen, als Schützenhilfe für die weitere Militarisierung der Gesellschaft zu deuten – vonseiten vieler Journalisten und Politiker.

Das BIP in Deutschland lag 2023 laut „Statista“ bei 4,1 Billionen Euro. Der Bundeshaushalt belief sich 2023 laut Bundestag dagegen „nur“ auf 476 Milliarden Euro, also auf etwas mehr als ein Zehntel. Die nun als NATO-„Ziel“ im Raum stehenden 3,6 Prozent des BIP könnten also unter Umständen – grob zugespitzt – etwa 30 Prozent eines Bundeshaushalts bedeuten.

Setzen sich die militaristischen grün-schwarz-gelb-(roten) Falken durch, die gerade Oberwasser haben, dann werden wir also bald jeden dritten Euro für Waffen ausgeben. Dieser unverantwortlichen Entscheidung würde zwingend ein (nochmals zusätzlich forcierter) sozialer Kahlschlag folgen.

Radikale Politik

Damit die volle Bedeutung dieser radikalen Politik nicht mit ungebremster Härte ins Bewusstsein der Bürger dringt, wo diese vielleicht doch Protest auslösen könnte, bedient man sich der verharmlosenden Sprachregelung mit dem BIP. Dass sich (mal wieder) sowohl die meisten Politiker als auch die meisten etablierten Journalisten gemeinsam dieser Masche bedienen, ist nicht mehr überraschend, aber dennoch fragwürdig.

Und ein Ende des Überbietungs-Wettbewerbs bei den Forderungen nach „Verteidigungshaushalten“ mit noch unsozialeren Dimensionen ist ja noch gar nicht abzusehen: Wie bei den Fröschen im langsam erhitzten Wasser wird (bei weiterhin ausbleibender Gegenwehr) die „Temperatur“ bei den Rüstungshaushalten sehr wahrscheinlich immer weiter erhöht werden: 3,5 Prozent, 4 Prozent – warum eigentlich nicht fünf Prozent? Und was sind Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, soziale Sicherheit und so weiter schon gegen die „Verteidigung“?

Gleichzeitig fragt kaum jemand mehr nach einem realen Grund für die dramatische Verschiebung aller Prioritäten hin zum Militärischen. „Putins Russland“ ist dieser Grund offensichtlich nicht, denn bekanntlich stützen Zahlen zu den Militärhaushalten (siehe hier und hier) ein etwaiges militärisches Übergewicht Russlands gegenüber den europäischen NATO-Staaten (auch ohne USA) keineswegs. Und selbst der NATO-Generalsekretär Mark Rutte sagte gerade laut Medien auf der „Sicherheits“-Konferenz, dass Russland einen Angriff auf ein NATO-Land nicht wagen würde.

Scherbenhaufen einer vorsätzlich sabotierten Diplomatie

Deutschland steht vor dem Scherbenhaufen seiner vorsätzlich sabotierten Diplomatie, ganz vorne durch die Grünen. Es wurde vor 2022 von westlicher Seite verhindert, eine Russland einschließende Sicherheitsarchitektur zu schaffen – das muss als total unverantwortliches Handeln und als (voraussehbare) Weiche hin zum Ukrainekrieg bezeichnet werden.

Die EU könnte die jetzigen harten Signale aus den USA als Vorlage für eine überfällige Emanzipation von den USA und für die Installierung einer neuen – Russland einschließenden – europäischen Sicherheitsordnung nutzen. Aber die Hoffnung, dass eine EU, die etwa von der Extremistin Kaja Kallas als Außenbeauftragte vertreten wird, diese „Gelegenheit“ jetzt in souveräner Weise nutzt, ist sehr gering. Ein harter Bruch mit den USA sollte meiner Meinung nach ebenfalls vermieden werden. Auch stellt sich die Frage nach einer Bereitschaft von russischer Seite.

Wenn sie aber gelänge, könnte eine solche Sicherheitsordnung und ein Agieren Deutschlands als Brücke zwischen den Blöcken USA/Eurasien der aktuellen Propaganda für Aufrüstung teilweise den Boden entziehen – einer Aufrüstung, die für Bürger in Deutschland massive Folgen hätte: neben sozialen Kürzungen eine gesteigerte Kriegsgefahr. Warum so viele von ihnen dennoch kein Unbehagen mit dieser Politik zeigen, bleibt rätselhaft.

Titelbild: studiostoks / Shutterstock

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