„Ungenauigkeiten in den Fußnoten“ oder „Wissenschaftssimulation“? Über den Plagiatsjäger Stefan Weber und den Quellen-Angeber Robert Habeck

„Ungenauigkeiten in den Fußnoten“ oder „Wissenschaftssimulation“? Über den Plagiatsjäger Stefan Weber und den Quellen-Angeber Robert Habeck

„Ungenauigkeiten in den Fußnoten“ oder „Wissenschaftssimulation“? Über den Plagiatsjäger Stefan Weber und den Quellen-Angeber Robert Habeck

Ein Artikel von Joachim Wink

Robert Habeck ist, so viel steht fest, ein ungewöhnlicher Politiker. In Zeiten der allgemeinen „Verrohung des Diskurses“ bzw. „Vergiftung des Debattenklimas“ durch rechtsextreme Hasser, Hetzer, Rassisten, Querdenker, Verschwörungstheoretiker, Putin-Trolle usw. sind viele Menschen der Meinung, dass dem anspruchsvollen Sprach- und Kommunikationsstil des Kanzlerkandidaten Habeck ein gewisser Glanz nicht ganz abzusprechen sei: Prickelnder Geist, intellektuelle Tiefe, staatsmännische Besonnenheit, Ernsthaftigkeit, Nachdenklichkeit, mitmenschliche Besorgtheit, Pflichtbewusstsein, vielleicht sogar ein Schatten von Weisheit scheinen seinen oft leise und manchmal etwas verwaschen klingenden, mit leichter Melancholie vorgetragenen, jedenfalls aber stets sehr gewählt daherkommenden Worten („Ein Mensch. Ein Wort“) zu entströmen, wann immer er sich mit ernster, ja leicht bedrückter Miene den Menschen im Lande zuwendet. Eine Glosse von Joachim Wink.

Andererseits gibt es aber auch nicht wenige Menschen, die auf den besonderen Habeck-Stil ausgesprochen allergisch reagieren und ihn für hohles Gerede halten: Stefan Weber z.B. ist so einer. Nicht erst in diesen Tagen hat man viel Böses über diesen Mann geschrieben, der seit 2010 einen „Blog für wissenschaftliche Redlichkeit“ betreibt und sich stolz einen „Plagiatsjäger“ nennt. Dass solch ein sportlich klingender Titel innerhalb der deutschen Medienlandschaft nicht gerade als Empfehlung, sondern eher schon als „grenzwertig“ gilt, liegt vielleicht daran, dass die meisten Journalisten in der Regel selbst Meister des Plagiats sind, ja ohne solche Meisterschaft heutzutage beruflich gar nicht überleben könnten. So gesehen ist es kein Wunder, dass Stefan Weber, wo man auch hinschaut oder hinklickt, keine allzu gute Presse hat.

Jener offenbar etwas pervers veranlagte Mann – so erlaube ich mir, die Berichte und Leserkommentare der Mainstream-Medien zuzuspitzen – lasse sich dafür bezahlen, respektable Politiker im Wahlkampf abzuschießen, quasi wie ein Kopfgeldjäger. Gewisse Spuren scheinen nach Moskau zu führen. Wie lange noch wird unser Land zuschauen, wie jener von Neid, Rachsucht, Destruktivismus und anderen niedrigen Instinkten getriebene Systemfeind sein Unwesen treibt? Seine Jagdliste ist lang, das zusammengeschossene Wild stapelt sich wie bei „Tintin au Congo“. Das für viele Gutdenkende Unerträgliche: Stefan Weber sieht das alles rein sportlich und freut sich offen an dem von ihm veranstalteten Massaker, wie man einigen flapsigen Formulierungen entnehmen kann, die er auf seinem Blog in Ankündigung neuer Jagdpartien eingestreut hat. Mit Blick auf Habecks „Die Natur der Literatur“ z.B. lesen wir: „Als habilitierter Medienwissenschaftler, der sich in seiner Dissertation zum Teil mit denselben Theoretikern wie Habeck beschäftigt hat, kann ich Ihnen sagen: Das ist alles Bullshit.“

Die von Weber erstellten Gutachten freilich sind, wie es sich gehört, im Ton strengster und langweiligster Sachlichkeit gehalten. Doch täusche man sich nicht: Dieser Herr scheint entschlossen, einfach auf alles zu schießen, nach rechts, nach links, ohne Sorge, es sich mit dieser oder jener Partei zu verderben, ja nicht einmal davor zurückschreckend, wichtige Teile seiner eigenen Anhängerschaft vor den Kopf zu stoßen: So bekam z.B. auch die verdienstvolle Autorin der wichtigen Corona-Mahnschrift „Wer schweigt, stimmt zu“, die ja ihrerseits als Systemfeindin gilt, plötzlich ein paar ungnädige Schüsse verpaßt, von denen sie sich aber (man kann nicht froh genug darüber sein) recht gut erholt hat, wie die unverdrossene Fortsetzung ihrer Publikationstätigkeit zeigt.

Wie ist das aber nun mit Herrn Habeck und seiner vor vielen Jahren in einem wissenschaftlichen Verlag veröffentlichten Dissertation? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Habeck (wie so viele andere kapitale Böcke auf Webers Jagdliste) seinerzeit selbst gemerkt zu haben scheint, dass das wissenschaftliche Arbeiten vielleicht nicht ganz so seine Sache war, weshalb er dann ja auch die Wahl traf, gemeinsam mit seiner Frau stattdessen lieber Kinderbücher zu schreiben. Im Nachhinein muss man sagen: Eine glückliche Wahl, ist doch anzunehmen, dass sich, bei aller Liebe zur Jagd, der Betreiber des „Blogs für wissenschaftliche Redlichkeit“ für solche Randbezirke nicht weiter interessieren wird. Was allerdings seine gegenwärtigen Schießereien im Hauptjagdrevier betrifft, so scheint mir, dass es für Habeck gar nicht gut steht.

Tatsächlich kann man Stefan Weber alles Mögliche vorwerfen, nur eben das eine nicht: dass er nicht handwerklich sauber gearbeitet habe. Man kann ganze Stunden damit zubringen, mit Staunen zu beobachten, wie er in Habecks Schrift die verborgenen Fäden zusammenführt. Ein fälschliches „y“ statt eines „i“ im Namen irgendeines fremdsprachigen Autors; ein nicht bis auf die letzte Silbe, bis auf den letzten Buchstaben korrekt zitierter Zeitschriften- oder Buchtitel; ein fehlender, jedoch unverzichtbarer Akzent; irgendein Fehler in den Seitenangaben oder in der angegebenen Bandnummer; irgendeine minimale Ungenauigkeit beim Zitieren, ja sogar schon das verräterische Setzen von Ellipsen (eckigen Klammern mit drei Punkten) an bestimmten Stellen – schwupps, schon zeigt die erbarmungslose Plagiats-Softeware dem noch erbarmungsloseren Plagiatsjäger den genauen Ort und die genaue Stelle, wo der faule Habeck, der seine Quelle eigenhändig zu konsultieren (oder auch nur zu verifizieren) nicht für notwendig hielt, den entsprechenden Quellenhinweis einfach abgeschrieben hat. Das mag der heutige Kanzlerkandidat ein bißchen unfair finden, dass man das alles nach so vielen Jahren entdeckt hat. Gab es doch damals noch keine KI-getriebene Software, die solche Entdeckungen leisten konnte. Damals sagte man sich einfach ganz zuversichtlich, dass das ja alle so machen würden und es am Ende schon keiner merken würde. Zumindest Letzteres hat sich nun als vergebliche „Zuversicht“ herausgestellt.

Wie schon einige kompetente Beobachter gesagt haben: Der ganze Schlamassel wäre leicht zu vermeiden gewesen, wenn Habeck so ehrlich gewesen wäre, den Hinweis „zit. nach“ hundertfach in seine Fußnoten einzubauen. Nur, wie hätte das denn ausgesehen? Natürlich gar nicht gut. Es hätte in unschöner Weise den wahren Habeck vorgeführt: Jenen, der keine Zeit oder Geduld hatte, die Jacques Derrida, Umberto Eco, Walter Benjamin und wie sie alle heißen, selbst zur Hand zu nehmen, sondern es vorzog, sich aus der Sekundärliteratur seine Weisheiten zusammenzubrauen. Klar ist, dass Habecks Dissertation in dieser „Zit. nach“-Form (also gereinigt von allem, was Habeck heute beschönigend mit „Ungenauigkeiten in den Fußnoten“ umschreibt) höchstwahrscheinlich von den Prüfern zurückgewiesen worden wäre, wahrscheinlich mit dem freundlichen Rat, sich noch ein paar Jahre Zeit zu nehmen, um aus den Quellen selbst ein wenig Weisheit zu schöpfen, anstatt immer nur das Schöpfwasser anderer wiederzuverwenden bzw. wiederzuverwerten.

In den Worten Webers lautet dieser wohl wichtigste Anklagepunkt: „Habeck hat auf geradezu unglaubliche Weise eine Belesenheit vorgetäuscht, die er nicht hat. Er hat dutzende Werke, die er zitiert hat, aus anderen, an Ort und Stelle ungenannten Quellen abgeschrieben und damit gegen eine wichtige Grundregel der Buchwissenschaften verstoßen.“ Man kann diese Feststellungen unerfreulich, ja sogar gehässig finden, aber man kann nicht sagen, dass sie falsch seien. Man überlege nur einmal, in was für einem schlimmen Zustand z.B. die Bibelwissenschaft zum heutigen Zeitpunkt wäre, wenn schon die Kirchenväter und die mittelalterlichen Scholastiker einen ähnlichen Umgang mit ihren Quellen gepflegt hätten wie Herr Habeck.

Wie auch immer: Sollte der Verlag sich eines Tages für eine Neuauflage von „Die Natur der Literatur“ entscheiden (ein, wie ich zugebe, unernster Gedanke) und bei dieser Gelegenheit sämtliche von Stefan Weber dokumentierten Abschreibefehler und Ungenauigkeiten korrigieren, dann wäre die Illusion einer ungeheuren Belesenheit des Autors zumindest theoretisch wiederhergestellt. Eine andere Möglichkeit wäre, wie schon erwähnt, überall in den Fußnoten das „zit. nach“ einzubauen, was aber bei jedem interessierten Leser rasch zu einem kopfschüttelnden Abbruch der Lektüre führen würde. Lässt man sich doch nur ungern von jemandem die „Literatur“ oder gar deren „Natur“ erklären, der in Wirklichkeit nur wenig Ahnung davon hat. Glück für diesen jemand, dass er dennoch Doktor geworden ist.

„Ein Mensch. Ein Wort“: So heißt es derzeit auf den grünen Wahlplakaten mit Habeck-Kopf. Und in Großbuchstaben: „Zuversicht“. Vielleicht hätten ja die Wahlkampfdesigner lieber schreiben sollen: „Piep piep piep, wir haben uns alle lieb“. Und: „Bitte nicht auf Intellektuelle schießen“? Tja, der arme Herr Habeck. Eigentlich ist es die Software, der unaufhaltsame technologische Fortschritt, die unbarmherzige Maschine, die grausame KI, die hier einen Menschen in Not gebracht hat, und nicht der perverse Herr Weber. Der lacht einfach nur und freut sich und spielt und schießt weiter durch die Gegend, sehr zur Gaudi seiner österreichischen und deutschen Fans, die wohl öfters auch dem Spendeaufruf folgen. Ob Moskau das alles so schrecklich wichtig findet, wissen wir nicht. Vielleicht wird sich ja Herr Weber hierzu irgendwann einmal äußern. Jedenfalls wünschen wir ihm für die Zukunft weiterhin viel Spaß!

Über den Autor: Dr. Joachim Wink ist romanistischer Literaturwissenschaftler und forscht zur frühneuzeitlichen Religions- und Herrschaftskritik. Veröffentlichung mehrerer wissenschaftlicher Bücher.

Titelbild: Mit KI erstelltes Symbolbild (per Grok)

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