Was für eine schizophrene Stimmung. Am 23. Februar findet die Bundestagswahl statt. Auf Wahlplakaten stehen einnehmende Worte wie „Zuversicht“ oder „Leistung muss sich wieder lohnen“. In Wahlprogrammen werden wichtige Themen ausgespart, dafür Mensch und Material für kommende Aufgaben fit gemacht, ertüchtigt. Politiker schwärmen in Ansprachen von den Fähigkeiten ihres Volkes, so wie beispielsweise der sächsische Ministerpräsident mit Blick auf das Jahr 2025: „Wir stehen für ein freundliches, strahlendes, ein optimistisches Sachsen.“ Doch von „strahlend“ und „optimistisch“ kann im (ganzen) Land und eben auch in Sachsen keine Rede sein. Uns fliegen stattdessen Wörter wie „abgesagt“, „gekürzt“, „gestrichen“ um die Ohren. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Die Sachsen (und die Mitmenschen im ganzen Land) trifft Tag für Tag fast der Schlag, schalten sie Radio oder Fernseher an, blättern sie die Zeitungsseiten um oder scrollen im Internet. Viele Schlagzeilen verkünden ihnen alles andere als frohe Neuigkeiten, so wie diese aktuelle zum Beispiel: „Sparzwang. Leere Stadtkassen: Kommunen sagen Feste ab“. Das bedeutet: Kürzen, Sparen – so sehr, dass es quietscht. Jedoch finden sich wenige Belege des echten Gegensteuerns. Zuversicht? Pustekuchen.
Die Musik erklingt nur noch beim Streichkonzert
Schluss mit Feiern. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, sammeln sich Namen von Städten des Freistaates Sachsen, in denen die Musik nur noch beim Streichkonzert zu erklingen scheint. Gerade wurde in regionalen Medien aufgezählt: Reichenbach, Aue-Schlema, Mittweida, Bad Elster. Dort haben die Verantwortlichen beliebte traditionelle Feste abgesagt oder verlegt. Bei der Kultur und beim schönen Leben wird halt gekürzt, die Zeiten sind hart. Nichts ist’s mit Bürgerfest, mit Stadtfest, mit Brunnenfest. Wir Bürger können sicher sein, dass noch mehr Feste „auf der Kippe stehen“.
Die Absagen haben einerseits zur Folge, dass wirklich verschiedene Ausgaben dafür wegfallen und sich die Kämmerer kurzfristig freuen. Doch die Schäden, die vielfältigen, teils unscheinbaren, leisen Verluste, die in Kauf genommen und den optimistischen Sachsen (und anderen Bundesbürgern) zugemutet werden, sind groß. Von „Einschnitten“ in Sachen Lebensfreude, Zuversicht und Zusammenhalt mal abgesehen, werden ganz normale, wichtige Kreisläufe in Größenordnungen unterbrochen, gekappt, kaputtgespart: Händler, Marktbetreiber, Vereine, Künstler, Kommunen, die vielen Mitwirkenden eines Festes, die Bürger werden ausgebremst. Es wird still, es ist einfach nur noch traurig. In der Ferne tönt derweil eine bedrohliche Marschmusik.
Der Grund für den Kürzungsirrsinn ohne ein beherztes, nötiges und mögliches Gegensteuern wird vom öffentlich-rechtlichen Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) knapp beschrieben:
Sparzwang Leere Stadtkassen: Kommunen sagen Feste ab
Viele sächsische Kommunen stehen wegen der angespannten finanziellen Situation vor schweren Entscheidungen.
Ihr Argument: Es kann nicht mehr Geld ausgegeben werden, als in der Haushaltskasse ist. Deshalb müssen bestimmte Ausgaben gestrichen werden. Und das trifft dann zum Teil auch beliebte Feste.
Laut Städte- und Gemeindetag beläuft sich das Defizit in den Kassen bereits auf über eine Milliarde Euro.
(Quelle: MDR)
Kommunen kommen beim Kürzen ihrer Ausgaben zwangsläufig in Fahrt, die neue sächsische Landesregierung ebenso. Doch deren Fantasie, deren Tatendrang, deren Engagement geht in die falsche Richtung: In vielen Bereichen und gerade auch im Sozialen, im Kulturellen, in den Bereichen, die zu den sogenannten freiwilligen Leistungen von Städten und Gemeinden zählen, wird schnell der Rotstift angesetzt, wie das so blumig heißt. In meiner Heimatstadt Plauen erlebe ich diese Art von Praxis und die Folgen hautnah, zwei Beispiele sind “Tüchtig, tüchtig: „Ohne uns wird es still“ wird wörtlich genommen. Beispiel? Das Theater Zwickau-Plauen steht 2025 vor dem Aus” und “Soziale Orte vor dem Aus – derweil schwadronieren die verantwortlichen Politiker in ihren Neujahrsreden von Zusammenhalt …”.
Schwierige Zeiten? Welch Phrasendrescherei
Sachsens wiedergewählter Landesvater und seine Mannschaft haben nichts Besseres zu berichten, als die Menschen „auf schwierige Zeiten einzustimmen“. Welch Phrasendrescherei. Kretschmers Kabinett hat ein Konzept zur Deckung des Haushalts vorgelegt, das im Wesentlichen auf Kürzungen, auf Sparen setzt – an den falschen Stellen. Die Rückwärtsspirale dreht sich. So geht es in Sachsen an die Ausgaben für Personal sowie an Sachkosten in der Verwaltung und bei den Staatsbetrieben. Das heißt unter anderem Einstellungsstopp, das heißt Mittelkürzung für Pflichtaufgaben des Landes. Wenn das nicht optimistisch stimmend ist. Weiteres „Sparpotenzial“ sieht man in Dresden auch bei staatlichen Geldern für die Mitfinanzierung von Förderprogrammen der EU und des Bundes. Das bedeutet: Förderanträge bräuchten eigentlich gar nicht mehr gestellt werden, weil die „Chance“ groß ist, dass die Eigenanteile bei Zustimmung dann ohnehin nicht bereitgestellt werden. Harte Zeiten halt. Auch in einer weiteren Disziplin ist die Fantasie der Freistaat-Regierung groß: Die Bürokratie soll abgebaut werden. Die Bürger erleben täglich das Gegenteil.
(Quelle: MDR)
Sachsens Minderheitsregierung tagt und verrät zaghaft, warum die Lage so ernst ist
Kretschmer und seine Mannschaft tagten schon Anfang des Jahres. Sie stellten eine große Lücke im sächsischen Etat fest: rund 4,3 Milliarden Euro. Wo die nur herkommt? Am Montag dieser Woche kam die Minderheitsregierung erneut zu Klausur zusammen. Von einem großen Wurf, von wirklichem Gegensteuern war aber keine Rede. Zumindest erfuhr das Volk den „unter anderem Grund“ für die in der Tat angespannte Lage. Die Ursachen über das „unter anderem“ hinaus wurden ausgespart:
Die sächsische Minderheitsregierung aus CDU und SPD trifft sich erneut zur Haushaltsklausur, um das Milliarden-Defizit im Doppelhaushalt 2025/2026 zu bewältigen.
Die angespannte Finanzlage ist unter anderem auf eine schwächelnde Konjunktur und damit verbundene rückläufige Steuereinnahmen zurückzuführen.
Finanzminister Christian Piwarz (CDU) betonte, dass die finanzielle Lage auf allen staatlichen Ebenen angespannt sei und daher einheitliche Vorgaben für die Haushaltsbewirtschaftung in den kommenden Monaten notwendig sind.
(Quelle: Sachsen Fernsehen)
Die die Zivilgesellschaft schädigende Rückwärtsspirale dreht und dreht sich
Der „unter anderem Grund“ schwächelnde Konjunktur soll also Ursache für all diese Pein sein? Warum schwächelt ein Land? Warum ist es um die Konjunktur so schlecht bestellt? Diese Fragen wurden nicht beantwortet.
Weitere Fragen stellen sich daraufhin: Warum statten der Bund und die Länder ihre untergeordneten Bereiche von Land bis Kommunen nicht mit ausreichenden Finanzen aus? Warum wird an Schuldenbremsen und anderen miesen Werkzeugen festgehalten wie die, dass Bund und Länder ihre Haushalte entlasten, auf dass die Kommunen einzuspringen haben? Warum wird immer und immer wieder wiederholt, man könne nur so viel ausgeben, wie Geld da sei? Die Legende der schwäbischen Hausfrau fällt einem ein. Doch Einspruch: Bund, Land und Kommunen sind keine privaten Haushalte, geführt von strengen Hausfrauen …
Das Land geht in die Knie. Die Pflichtaufgaben-Ausgaben steigen für die Städte und Gemeinden, die den Mangel zunehmend nur noch verwalten und gezwungen sind, bei freiwilligen Leistungen zu kürzen oder zu streichen. Konjunkturprogramme? Investitionen? Kredite? Also neue Schulden aufnehmen? Für das Gedeihen der Zivilgesellschaft, statt sie verkümmern zu lassen. Wo bleibt der politische Wille für einen wirklichen, friedlichen, gesellschaftlichen Aufbruch, der folglich ein echter Grund für wahren Optimismus wäre? Warum gibt es diesen entscheidenden politischen Willen in diesen Zeitenwendezeiten nur noch bei der Frage, wie hoch der Anteil der Rüstungsausgaben am BIP sein muss? Der Anteil kann gar nicht hoch genug sein, wird patriotisch, fanatisch, irrsinnig bemerkt. Die Zivilgesellschaft wird mit einer konstruierten finanziellen Not an den Baum gefahren.
Gerade ist das sächsische Chemnitz Kulturhauptstadt Europas
Diese Geisterfahrt wird seitens der Politik derweil zum Beispiel derart verschleiert, indem man Leuchtturmprojekte im Scheinwerferlicht erstrahlen lässt. Chemnitz, die westsächsische Industriemetropole mit kantigem Charme ist in diesem Jahr die Kulturhauptstadt Europas. Dafür gibt es auch ein ordentliches Budget und aufwändige PR-Kampagnen. Dass Chemnitzer hinter vorgehaltener Hand davon berichten, wie Alltagskultur, soziokulturelle Projekte und ähnliche Engagements dem kommunalen Rotstift zum Opfer fallen, zeigt, in welch Zeiten wir leben – in schizophrenen.
Kultur abgesagt, dennoch Optimismus: Sachsen – ein militärisch wichtiger Standort
‚Es ist halt, wie es ist‘, denkt sich der freundliche, strahlende, optimistische Sachse (Beschreibung vom Landesvater Kretschmer), dessen kurzzeitig aufflackernde miese Laune sich in den vergangenen Tagen nach der Absage seines Heimatfestes aus zwei guten Gründen wieder gebessert haben sollte. Als Ausgleich für das Ausfallen seiner Fete bekommen die Sachsen erstens eine neue Rüstungsschmiede. Der französische Konzern KNDS (Leopard-2-Panzer, Haubitzen, Munition, Radpanzer Boxer) übernimmt in Görlitz ein Werk. Dort wurden 175 Jahre lang Waggons für die Bahn gebaut. Nun wird es tüchtig aufwärts gehen. [1] Dem nicht genug: Direkt an der sächsischen Landesgrenze werden zweitens bald Arrow-Abwehrraketen stationiert. Das ist keine Absage, das ist doch mal ‘ne Ansage.[2]
Titelbild: Denys Kurbatov / Shutterstock