Schaffen wir es, das Ziel zu erreichen? Es geht um ein „NATO-Ziel“. Viele Medien „berichten“ über höhere Verteidigungsausgaben, die die NATO von Deutschland voraussichtlich verlangen werde. In den Berichten gebrauchen Redaktionen immer wieder den Begriff „Ziel“. Gerade fragt die Tagesschau: „3,6 Prozent für Deutschland als neues NATO-Ziel?“ Ist den Redakteuren klar, dass sie sich einer propagandistischen und manipulativen Sprache bedienen? Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Achten Sie auf die Sprache! Das kann man gar nicht oft genug sagen. Bei der Selbstbeobachtung habe ich festgestellt, wie leicht die Formulierung vom „NATO-Ziel“ bei Diskussionen und Gesprächen über die Verteidigungsausgaben über die Lippen geht. Und das ist auch kein Wunder: Überall in den Medien ist seit langer Zeit diese Formulierung präsent, wenn es um den Verteidigungshaushalt geht. „Deutschland hat das ‚NATO-Ziel‘ 2 Prozent nicht erreicht.“ „Deutschland muss sich mehr anstrengen, um das ‚NATO-Ziel‘ zu erreichen.“ „Ein neues ‚NATO-Ziel‘, das über den 2 Prozent liegt, muss angestrebt werden.“ Aussagen dieser Art sind allgegenwärtig in den Medien, und man muss es eingestehen: Sie sind griffig. Ich habe sie auch schon in Artikeln benutzt, und sie finden sich auch im Archiv der NachDenkSeiten. Schließlich: Jeder versteht sofort, was mit der Formulierung „ein Ziel erreichen“ gemeint ist. Dass wir es aber an dieser Stelle mit einer hochgradig propagandistisch und manipulativ aufgeladenen Formulierung zu tun haben, ist gar nicht so leicht zu durchschauen.
Der Begriff „Ziel“ ist in unserem Verständnis weitestgehend positiv besetzt. Ein „Ziel zu erreichen“ – so sagt es unsere Erfahrung –, das ist erstrebenswert. Wer ein Ziel erreicht, hat Zielstrebigkeit unter Beweis gestellt. Er hat „die Ziellinie“ überquert. Das verdient Anerkennung. Im Sport wird das Erreichen eines Ziels oft mit Gewinn gleichgesetzt. Wer als Sportler sein Ziel erreicht hat, ist ein Gewinner. Vielleicht wird er den ersten Platz auf dem Podium besetzen und eine Urkunde oder eine Medaille erhalten.
Aber das „Ziel“ erreichen, für den sogenannten Verteidigungshaushalt immer mehr Geld auszugeben? Gelingt es, sich dieser bequemen Formulierung zu entledigen, lässt sich feststellen: Die Formulierung vom „Erreichen des Ziels“ ist ein Euphemismus, also eine Beschönigung. Denn bei Lichte betrachtet geht es mittlerweile um eine hochgradig asoziale Politik, die schon jetzt 90 Milliarden Euro in die Bundeswehr steckt und mit den gerade diskutierten 3,6 Prozent diese Summe fast verdoppeln würde. Dabei scheint das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Auch von fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt war schon die Rede. Zur Perspektivierung: Der deutsche Bundeshaushalt umfasste 2024 rund 420 Milliarden Euro.
Journalisten sollten, wenn sie über die NATO-Vorstellungen berichten, nicht von „Zielerfüllung“ sprechen – zumindest nicht ohne kritische Reflexion. Das „Ziel“ der NATO nach einer immer weiteren Aufrüstung führt nämlich zu nichts, was für eine demokratische, dem Frieden verpflichtete Gesellschaft erstrebenswert wäre. Denn wenn immer mehr Geld für die militärische Hochrüstung ausgegeben wird, dann steht am Ende kein „Sportler“, der glücklich über die Ziellinie rennt, sondern eine Gesellschaft, die Gefahr läuft, in den Abgrund des dritten Weltkriegs zu stürzen. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass in Deutschland genügend Geld für die Infrastruktur bereitsteht und Brücken nicht zusammenstürzen. Und sie hat dafür zu sorgen, dass die Armut bekämpft und nicht vergrößert wird. Panzer zu bauen für die Wahnvorstellungen eines Bündnisses, das in Russland den großen Feind sehen will, gehört nicht zu ihrer Aufgabe, denn das würde Deutschland schaden und nicht nutzen. Anstatt von NATO-Ziel zu sprechen und sich damit einer dem Bündnis sehr gefälligen Sprache zu bedienen, wäre es angebracht, eine andere Formulierung zu wählen, zum Beispiel: Die NATO will mehr Kriegsgeld.
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