Wie Kanzlerkandidat Habeck mit Falschbehauptungen die Plagiatsvorwürfe gegen ihn entkräften will und die fragwürdige Rolle der Medien

Wie Kanzlerkandidat Habeck mit Falschbehauptungen die Plagiatsvorwürfe gegen ihn entkräften will und die fragwürdige Rolle der Medien

Wie Kanzlerkandidat Habeck mit Falschbehauptungen die Plagiatsvorwürfe gegen ihn entkräften will und die fragwürdige Rolle der Medien

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Der österreichische Plagiatsgutachter Stefan Weber, der bereits vor vier Jahren der damaligen Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock massives Plagiieren nachwies, hat am 10. Februar eine 188 Seite umfassende Plagiatsanalyse der Doktorarbeit von Robert Habeck vorgelegt. In dieser weist er detailliert über 120 „Quellen-, Zitats- und Textplagiate“ des aktuellen Grünen-Spitzenkandidaten nach. Noch vor dieser Veröffentlichung ging Habeck an die Öffentlichkeit und erklärte in einem Videostatement, dass sowohl die Universität Hamburg als auch der Präsident der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, die Vorwürfe gegen ihn entkräftet hätten. Doch diese Darstellung ist höchst manipulativ. Ein Großteil der deutschen Medien übernahm jedoch diese Habeck’sche Version und nahm damit einseitig Partei zugunsten des Grünen-Politikers. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 10. Februar um 10:32 Uhr veröffentlichte Robert Habeck auf seinem extra für den Wahlkampf wiedereröffneten X-Kanal folgende Mitteilung:

„Ich rechne damit, dass heute, wenige Tage vor der Bundestagswahl, Vorwürfe gegen meine Doktorarbeit, die ich vor 25 Jahren in Hamburg geschrieben habe, veröffentlicht werden. Ich habe mich entschieden, das Ganze transparent zu machen. Denn ich kenne die Vorwürfe – und konnte sie vorab prüfen lassen.

Das Ergebnis: Die Ombudsstelle der Universität Hamburg hat die Vorwürfe entkräftet und bestätigt, dass kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. Ich habe auch den Präsident der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, um eine Einschätzung gebeten. Auch er hat keine Zweifel an der Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit.

Die Anschuldigungen – übrigens nicht wie sonst Textplagiate, sondern Ungenauigkeiten in den Fußnoten – stammen vom Plagiatsjäger Stefan Weber. Wer ihn beauftragt hat und wer ihn bezahlt, weiß ich nicht, da er seine Geldquellen ja im Verborgenen lässt und über seine Geldgeber keine Transparenz herstellt. Einmal konnte durch journalistische Recherche aufgezeigt werden, dass es das Nachrichtenportal NIUS war.

Ein letztes: Herr Weber wird auch Vorwürfe gegen die Doktorarbeit meiner Frau erheben. Meine Frau kandidiert aber für kein politisches Mandat. Sie ist nicht Teil dieses Wahlkampfs. Ich bitte darum, meine Familie rauszuhalten.“

Diese Darstellung von Habeck ist aus mehreren Gründen höchstproblematisch:

  1. Seine Behauptung, „Die Ombudsstelle der Universität Hamburg hat die Vorwürfe entkräftet und bestätigt, dass kein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt“, ist in dieser Form nicht korrekt.

Denn die Universität Hamburg betont in ihrer Stellungnahme vom 10. Februar zu dem Thema zum einen explizit, dass sie bisher lediglich die von Robert Habeck im Januar 2025, also vor der Veröffentlichung der Plagiatsanalyse von Weber, selbst eingereichten „Hinweise“ überprüft hat („Dr. Robert Habeck hat sich im Januar 2025 an die Universität Hamburg (UHH) gewandt…“).

Zum anderen, und das unterschlägt ein Großteil der bisherigen Berichterstattung ebenso, erklärt die Uni Hamburg in ihrer Pressemitteilung, dass aktuell „neue Hinweise“ zu Habecks Doktorarbeit „sorgfältig begutachtet und fachlich eingeordnet“ werden. Angesichts einer folglich noch laufenden Plagiats-Untersuchung an der Uni Hamburg gehört schon eine ordentliche Portion Chuzpe dazu, der Öffentlichkeit zu erklären, diese hätte die Vorwürfe bereits umfassend entkräftet:

„Nach dem Versand dieses Schreibens erreichten die Ombudsstelle durch Dr. Robert Habeck neue Hinweise die besagte Doktorarbeit betreffend. Diese werden aktuell nach dem oben beschriebenen Verfahren ebenfalls sorgfältig begutachtet und fachlich eingeordnet.“

  1. Mindestens ebenso problematisch ist Habecks darauffolgende Verteidigungstaktik, dass er auch den Präsidenten der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, um eine Einschätzung gebeten hätte und dieser zu dem Schluss gekommen sei, dass es „keine Zweifel an der Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Arbeit“ geben würde.

Dazu muss man wissen, dass die Leopoldina, der gesamte Titel lautet „Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. – Nationale Akademie der Wissenschaften“, zu 80 Prozent von der Bundesregierung finanziert wird und auch den expliziten Auftrag hat, diese zu beraten. Der von Habeck zu Plagiatsfragen seiner Dissertation in der Literaturwissenschaft konsultierte Chef der Leopoldina, Prof. Dr. Gerald Haug, ist wiederum Paläoklimatologe und hat sich auf die Untersuchung von Sedimentkernen aus Ozeanen und Seen spezialisiert. Der Grünen-Kanzlerkandidat und noch amtierende Wirtschaftsminister bittet also einen Naturwissenschaftler ohne jede Expertise in Literaturwissenschaften und der einer Institution vorsteht, deren finanzielle Ausstattung vom guten Willen der Bundesregierung abhängt, um eine Bewertung von Plagiatsvorwürfen zu seiner Doktorarbeit mit dem Titel „Die Natur der Literatur – zur gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität“. Die Absurdität ergibt sich noch deutlicher, wenn man den Fall umdrehen würde, und man einen Literaturwissenschaftler etwa mit Spezialisierung auf postmoderne Literatur die Doktorarbeit des Paläoklimatologen Haug zum Thema „Zur Paläo-Ozeanographie und Sedimentationsgeschichte im Nordwest-Pazifik während der letzten 6 Millionen Jahre“ prüfen ließe.

Dazu kommt, dass Haug als Grünen-nah gilt und unter anderem bei einem Sommerfest der Grünen als Ehrengast und Redner auftrat.

Vor diesem Hintergrund wirft es auch einige Frage auf, wieso sich Haug in seiner Funktion überhaupt dazu einspannen ließ, mitten im Wahlkampf eine entsprechende Einschätzung in einem ihm völlig fachfremden Thema zu Gunsten des Grünen-Kanzlerkandidaten abzugeben. Dies zudem vor der eigentlichen Veröffentlichung des Plagiatsgutachtens.

  1. Des Weiteren behauptet Habeck weiter, „die Anschuldigungen“ seien „nicht wie sonst Textplagiate, sondern Ungenauigkeiten in den Fußnoten“. Auch diese Darstellung entspricht nicht der Wahrheit.

In dem Plagiatsgutachten, welches erst einige Stunden nach der Stellungnahme von Habeck veröffentlicht wurde, belegt Weber auf 188 Seiten umfassend und detailliert die von ihm gefundenen 128 „Quellen-, Zitats- und Textplagiate“.

Es handelt sich dabei mitnichten, wie Habeck in seinem Videostatement glauben machen will, um „Ungenauigkeiten in den Fußnoten“. Der aktuelle Grünen-Kanzlerkandidat zitiert in seiner Doktorarbeit Geistesgrößen wie unter anderem Walter Benjamin, Sigmund Freud, Immanuel Kant, Friedrich Hölderlin, Wilhelm von Humboldt, Immanuel Kant, Martin Heidegger, Jean Paul Sartre und Jacques Derrida als Primärquellen. Es gibt also vor, diese im jeweiligen Original gelesen zu haben. Tatsächlich aber gelingt Weber in seinem Gutachten der Nachweis, dass Habeck „diese offensichtlich nie als Originalquellen konsultiert und offensichtlich nie gelesen, da die Quellenangaben nachweislich von anderen, ungenannten Werken abgeschrieben wurden“. Ebenso weist er, im Gegensatz zur Habeck’schen Darstellung, auch direkte Plagiate im Fließtext nach.

Beispiele für direkte Textplagiate

Zu den nachgewiesenen direkten Textplagiaten sei exemplarisch auf zwei Beispiele (von unzählig weiteren) verwiesen:

Beispiel 1: Auf Seite 23 seiner Dissertation hat Habeck nachweislich aus der Doktorarbeit „Selbstreferentialität in der zeitgenössischen britischen Lyrik. Die Postmodernediskussion und ihre systemtheoretische Präzisierung vor dem soziokulturellen Hintergrund Großbritanniens“ der Literaturwissenschaftlerin Andrea Paluch (seiner Frau) plagiert (S.11 des Gutachtens).

Links Habecks Doktorarbeit, rechts die seiner Frau:

Beispiel 2: Noch evidenter hat Habeck aus dem Werk „Der spekulative Satz: Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel” des mittlerweile emeritierten Philosophie-Professors Günter Wohlfart abgeschrieben, ohne dies kenntlich zu machen. In diesem Fall liegt laut Weber sogar eine Bestätigung vom Autor vor, dass es sich dabei nachweislich um ein Plagiat von Habeck handelt (S.32 des Gutachtens):

Links Habeck, rechts Wohlfart:

Beispiele für Zitatplagiate

Ebenso exemplarisch sei auf zwei (von insgesamt über 100) von Habeck angegebenen vorgeblichen Zitaten aus Primärquellen verwiesen, die nachweislich aus Sekundärquellen anderer Autoren stammen. Das Vorgehen ist allgemein als Zitatplagiat bekannt und gilt als unwissenschaftlich und war eine der Hauptgründe für die Aberkennung des Doktortitels der ehemaligen CDU-Bildungsministerin Annette Schavan.

Erstes Beispiel:

Habeck zitiert auf Seite 44 seiner Dissertation aus dem Werk „Anthropologie“ des Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Tatsächlich hat Habeck aber das Zitat nicht aus dem Original, sondern vom Philosophieprofessor Tilman Borsche und dessen „Klassiker der Sprachphilosophie. Von Platon bis Noam Chomsky” von 1996 abgeschrieben. Links erneut die Textstelle in Habecks Dissertation, rechts die von Habeck zitierte, aber nicht kenntlich gemachte Sekundärquelle und ganz unten rechts die Originalstelle bei Kant, die sich in der Satzstellung vom abgeschriebenen Zitat signifikant unterscheidet und damit das Zitatplagiat von Habeck belegt:

Zweites Beispiel:

Auf Seite 35 der Doktorarbeit gibt Habeck vor, den französischen Philosophen Jacques Derrida, der als einer der Hauptvertreter der Dekonstruktion gilt, als Primärquelle zu zitieren. Tatsächlich deutet aber alles darauf hin, dass er das Zitat einfach aus dem Werk des Frankfurter Philosophieprofessors Christoph Menke „Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Studies” abgeschrieben hat. Insbesondere die Übernahme der unvollständigen Literaturangabe zum Zeitschriftnamen „Glyph“ statt korrekterweise „Glyph. John Hopkins Textual Studies” belegt dies:

Das die aufgezählten Zitatplagiate, von denen Weber, neben den zahlreichen Quellen- und Textplagiaten, über 100 gefunden hat, keineswegs eine vernachlässigbare Unachtsamkeit darstellen, wie Habeck dies versucht darzustellen, wird deutlich, wenn man sich die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf von 2014 anlässlich der Aberkennung des Doktortitels der CDU-Bildungsministerin Annette Schavan in Erinnerung ruft (Fettdruck FW):

„Maßgeblich ist insoweit ausschließlich, ob und inwieweit die der Sekundärliteratur entnommenen Paraphrasen, die sich zu den Primärquellen verhalten, als solche kenntlich gemacht worden sind. Fehlt es, wie hier, an einer solchen Kenntlichmachung und bezieht sich die Klägerin auf eine Primärquelle, deren Inhalt und/oder Deutung sie letztlich aus einer nicht nachgewiesenen Sekundärquelle abschreibt, täuscht sie. Dabei muss der Rückgriff auf Sekundärliteratur auch nicht lediglich im Grundsatz offen gelegt werden, sondern immer, also in jedem Einzelfall, in dem Sekundärliteratur gedanklich bzw. sinngemäß oder wörtlich übernommen wird. Unerheblich ist daher auch, ob und gegebenenfalls inwieweit sich eine von der Klägerin verwendete Textaussage bereits aus der angegebenen Primärquelle erschließt. Entscheidend ist lediglich, dass sie Passagen wörtlich oder leicht abgewandelt ohne entsprechenden Nachweis der ‚Zwischenquelle‘ übernommen hat, ohne diese Fremdleistung erkennbar zu machen.“ 

Die ganze mediale Parteilichkeit in der Causa Habeck und Plagiatsvorwürfe wird nochmal offensichtlicher, wenn man sich bewusst macht, mit welcher Vehemenz dieselben Akteure, die sich jetzt schützend vor den Grünen-Kanzlerkandidaten werfen, über die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hergefallen sind. Bei dieser ging es wohlgemerkt ebenfalls um „Zitierungenauigkeiten“ – mit einem gewaltigen Unterschied: Bei Guérot steht ein unwissenschaftlicher Essayband im Mittelpunkt der Plagiatsvorwürfe, bei Habeck das zentrale Werk, die Grundlage, mit der sich Wissenschaftler in Deutschland für eine akademische Karriere empfehlen. Es wird vor diesem Hintergrund interessant zu beobachten sein, wie juristisch und medial die Bewertung des am 16. Mai anstehenden Urteils zur Kündigungsschutzklage von Guérot gegen die Universität Bonn ausfallen wird:

In der aktuellen Debatte wird immer wieder, auch von sonst als Habeck-Kritiker bekannten Politikern und Journalisten betont, dass man den Grünen-Kanzlerkandidaten für seine aktuelle Politik kritisieren solle, nicht aber für Verfehlungen bei einer 25 Jahre zurückliegenden Doktorarbeit. Diese Einschätzung teilt der Autor dieser Zeilen nicht. Zum einen sollte man nicht vergessen, dass die Grünen keine Minute gezögert hatten, aus den Plagiatsvorwürfen gegen politische Kontrahenten wie Guttenberg, Schavan oder auch die schon erwähnte Guérot politisches Kapital zu schlagen. Damals ohne zu zögern verbal zugeschlagen zu haben und jetzt aber im Falle eigener Betroffenheit Rücksicht einzufordern, bestätigt nur erneut den hohen Grad an Grünen-Doppelstandards. Zum anderen, und das ist der weitaus relevantere Punkt in dieser Causa, sollte man jemanden, der das Staatsamt mit dem höchsten Machtfaktor in der Bundesrepublik anstrebt und sich dabei selbst gerne als Intellektuellen verkauft, sehr wohl an dessen bisher gezeigten wissenschaftlichen und ethischen Standards messen.

Titelbild: Screenshot vom Videobeitrag Robert Habecks vom 10. Februar

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