Die „Bundeswehr probt den Ernstfall“ – und das ARD-Morgenmagazin ist mit dabei. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk schickt eine Reporterin nach Sachsen zu einer Truppenübung der Fallschirmjäger. Heraus kommt dabei ein Beitrag, der der Propaganda bereitwillig ein Sprungbrett aufstellt. Wenn Medien das „journalistische“ Zement zur Festzementierung des politischen Großvorhabens Kriegstüchtigkeit liefern, dann hat das mit Journalismus nichts mehr zu tun. Eine Kurzanalyse. Von Marcus Klöckner.
„Wer schneller schießt, lebt länger“, sagt ein nicht namentlich genannter General der Bundeswehr zu ARD-Reporterin Marie Landes. Es folgt ein Schnitt. Der markige Spruch ist gesetzt. Kinder oder Teenager, die den Beitrag vielleicht sehen und es nicht hinbekommen, die Aussage selbst kritisch einzuordnen, bleiben damit allein – so wie alle anderen Zuschauer auch. „Wer schneller schießt, lebt länger“ – eine Aussage, die in ihrer inhaltlichen Banalität im Geiste der sogenannten Zeitenwende stilprägend für den Beitrag des Morgenmagazins ist. 35 Sekunden darf der General abspulen, was Politik und NATO gefallen wird:
- „russischer Einmarsch in die Ukraine“,
- „den vom Zaun gebrochenen Angriffskrieg“
- „seit 2014 hat sich natürlich insgesamt die sicherheitspolitische Lage in Europa geändert“
- „wir sind wieder in Richtung Landes- und Bündnisverteidigung gegangen“
Die Aussagen des Generals bauen auf die Frage der Reporterin auf. Landes wollte wissen, „wie sich die Einstellung zu einer solchen Übung verändert hat seit dem Ukraine-Krieg“.
Das ist eine gute Frage – wenn es darum geht, dem Gesprächspartner der Politik eine Steilvorlage zur Untermauerung ihrer Erzählung vom Feindbild Russland zu liefern. Und damit wären wir bei dem grundlegenden Problem. Die Reporterin agiert hier in einem Beitrag, der nicht einmal im Ansatz die Grundprämissen hinterfragt, auf die die Übung und die Aussagen des Generals bauen. Kritische Fragen wären zum Beispiel:
- Was können Sie unseren Zuschauern zu den geo- und tiefenpolitischen Einflüssen durch den Westen in der Ukraine erzählen?
- Wie ordnen Sie als General der Bundeswehr, die nun kriegstüchtig werden soll, das Agieren des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA im Vorfeld des Krieges ein?
- Aus welchem Grund sollte sich Deutschland an einem Stellvertreterkrieg in der Ukraine beteiligen?
- Welche Gründe sprechen dafür, dass Deutschland nicht kriegstüchtig werden muss?
Damit keine Missverständnisse entstehen: Ein Beitrag mit derartigen Fragen würde niemals beim Öffentlich-Rechtlichen gesendet. Was dann allerdings gesendet wurde, ist journalistisch untragbar. Der Beitrag erinnert an den Ausschnitt einer Reportage, bei der sich ein angehender Journalist an der Reporterarbeit versucht. Wir alle kennen diese Beiträge: „unser Praktikant zu Besuch in einer Backstube“, „unser Volontär war für einen Tag auf dem Bau“, „unser Reporter hat einen Tag auf der Polizeiwache verbracht“ – das ist der Stoff für einfache Reportagen.
Reportagen dieser Art können unterhaltsam sein und hier und da auch einen Mehrwert bieten. Die Zuschauer sollen so durch die Augen des Reporters Einblick in einen Bereich erhalten, der ihnen eher fremd ist. Durch den Reporter sollen wir Zuschauer sehen, hören, riechen, schmecken. Dagegen spricht nichts. Aber das richtige Austarieren zwischen der Präsenz des Reporters im Bild und dem eigentlichen Themengegenstand ist längst nicht immer zufriedenstellend. Nicht selten schiebt sich das „Ich“, „Ich“, „Ich“ des Reporters zu oft, zu weit in den Vordergrund.
Bei diesem ARD-Beitrag soll die Reporterin die Zuschauer zur Übung auf einen Truppenübungsplatz mitnehmen. Das tut sie. Und die Zuschauer sehen, wie ihr die Schutzausrüstung übergeben wird („ordentlich schwer“), aber auch, dass die Reporterin „zum ersten Mal“ in ihrem Leben „vor einem echten Mörser“ steht. Zu einer Schießübung merkt die Reporterin an: „Dafür bekomme ich bei ihren Schießübungen einiges auf die Ohren.“ Die Zuschauer dürfen an der erlebten (aufgebauten) Spannung teilhaben: „Plötzlich muss es schnell gehen. Feuerkommando. Wir müssen auf 50 Meter Sicherheitsabstand.“
Das Fazit der Journalistin lautet: „Nach 7 Stunden auf dem Gelände erahne ich, wie anstrengend eine solche Truppenübung ist. Es ist laut, es regnet immer mehr. Die Schutzweste ist schwer, der Helm drückt und ich trage nicht einmal die vollständige Ausrüstung von 40 Kilogramm und mehr.” Und dann sagt Landes: „Für mich war das heute ein spannender Einblick in eine sonst eher verschlossene Welt und ich bin froh, dass auch das nur eine Übung ist.”
All das sind sehr gefällige Anmerkungen und Kommentierungen. Damit können bestimmt alle leben. Die Redaktion. Die ARD. Die Politik. Und spräche jemand die NATO auf diesen Beitrag an, wäre sie bestimmt auch nicht unglücklich. Wer damit aber nicht zufrieden sein kann, dass sind diejenigen, die an Journalismus Ansprüche stellen.
Nun zum Kern: Ginge es bei diesen Aufnahmen um den Besuch in einer Bäckerei, wäre eine Kritik an den Szenen allenfalls etwas für ein journalistisches Seminar. Bei einem einfachen Thema ließe sich das Auftreten der Reporterin vielleicht sogar noch als gelungen und in Ordnung bezeichnen.
Aber es geht hier nicht um ein unverfängliches Thema. Hier geht es um Politik – im Gewand eines unverdächtigen, kleinen Filmchens.
Bei Lichte betrachtet, sieht es nämlich wie folgt aus: Die ARD hat einem reportagehaft angehauchten Beitrag grünes Licht gegeben, der in seiner journalistischen Schlichtheit in einem starken Kontrast zu seinem Themengegenstand steht. Es geht nämlich nicht einfach darum, dem Zuschauer mal „die Truppe“ etwas näherzubringen. Der Beitrag ist eingebettet in ein politisch stark aufgeladenes Thema. Zeitenwende, Kriegstüchtigkeit – das sind die politischen Schlagworte, deren ideologische Basis sich auch in dem Beitrag spiegelt. In Deutschland sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius, „Kriegstüchtigkeit“ sei „das Gebot der Stunde“. Und der Generalsekretär der NATO meint, wir müssten eine „Kriegsmentalität“ entwickeln. Der Redaktion des ARD-Morgenmagazin fällt dazu ein Beitrag ein, bei dem eine Reporterin mit Stahlhelm, Schutzweste und Mikro über einen Truppenübungsplatz läuft und die Zuschauer wissen lässt, dass es dort „einiges auf die Ohren gibt“ und sie „zum ersten Mal“ vor einem Mörser steht?
Um es zuzuspitzen: Man könnte auch einen 14-jährigen Schülerreporter nach Nordkorea schicken, der naiv fragend durch das Land läuft und die „Wahrheit“ der Regierung kritiklos wiedergibt.
Wenn die Redaktion hier schon auf die journalistische Ich-Perspektive setzt, müsste die Reporterin zwingend die eigenen Erfahrungen dem Thema und der politischen Situation angemessen auch kritisch reflektieren. Ein „Ich bin froh, dass das nur eine Übung ist“ wird dem Anspruch, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk an sich selbst stellt – und wir als Bürger, die immerhin Milliarden für „Qualitätsjournalismus“ zahlen! – nicht ansatzweise gerecht.
In einer Situation, in der ganz offen von der Möglichkeit eines Krieges zwischen Russland und der NATO gesprochen wird, ist es journalistisch untragbar, wenn Journalisten in einem derartigen Beitrag nicht feste an gewissen politischen Grundprämissen rütteln. Das Rütteln bleibt aber aus. Was dafür bleibt, ist ein Stück Propaganda. Ob es das nun sein will oder nicht.
Maximale Naivität (um es wohlwollend zu formulieren) auf knallharte Militärpolitik treffen zu lassen, ist, als ob man der Propaganda bereitwillig ein Sprungbrett vor die Füße stellt. Wenn Journalisten, bildlich gesprochen, das Zement zur Festzementierung einer Politik liefern, die auf Kriegstüchtigkeit setzt, dann hat das mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Titelbild: Screenshot Morgenmagazin