Der Songpoet Tino Eisbrenner, Mitbegründer der Initiative „Musik statt Krieg“, begleitet mit seiner Band das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Wahlkampf. Was bewegt ihn als Künstler und „Brückenbauer“ zwischen Deutschland und Russland dazu, sich für diese junge Partei zu engagieren? Wie sieht er die anderen Parteien? Dazu haben wir ihn gefragt. Das Interview mit Tino Eisbrenner hat Éva Péli geführt.
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Éva Péli: Herr Eisbrenner, Sie mischen sich musikalisch ein in diesen Wahlkampf. Wie und warum machen Sie das?
Tino Eisbrenner: Ich meine, dass eine Partei wie das BSW so dringend wie nie in den Bundestag gehört! Mit meinem Bandtrio begleite ich die Wahlkampfauftritte von Sahra Wagenknecht. Von München, Stuttgart, Wuppertal, Dresden, Erfurt, Kassel, Bielefeld, Hannover bis zum 20. Februar in Berlin (Open Air) werde ich also auf neun ihrer Wahlkampf-Veranstaltungen singen. Je näher wir diesen vorgezogenen Neuwahlen kamen, umso mehr Gespräche musste ich führen, die auf die Frage hinausliefen: „Warum machst Du das? Man kann Politikern nicht vertrauen. Alles Machtbesessene! BSW hat doch keine Chance, was zu ändern. Die werden Dich verheizen!“
Nun, Letzteres macht mir am wenigsten Angst, weil ich mich seit 30 Jahren schon „verheizt“ fühle. Darum enthielt meine künstlerische Arbeit zunehmend auch politische Aussagen. In manchen Jahren hatte ich sogar den Eindruck, dass ich in erster Linie politische Arbeit leiste, nur eben aus künstlerischer Sicht, parteilos und ohne die Ambition einer einträglichen politischen Karriere. Auch 2024 habe ich diesen Weg für mich abgewählt, obwohl ich dazu eingeladen werde. Ich bin ein Linksdenker, und ich plädiere nach wie vor für eine „unidad popular“, ein linkes Wahlbündnis, wie Pablo Neruda und Salvador Allende es 1969 in Chile gründeten.
Die Realität in Deutschland allerdings sieht anders aus.
Noch. Und so lange singe ich für die DKP oder die Linkspartei auf Friedenskundgebungen, und für das junge BSW mache ich nun wieder Wahlkampf. Dabei glaube ich sogar, dass es das Beste wäre, unser Parteiensystem abzuschaffen, themen- und kompetenzbezogen Bürgervertreter zu wählen und die Karrieristen, die durch Parteilobby an die Macht gelangen, in die Produktion zu entlassen. Wer aber wird das machen? Welche Partei, welche Koalition wird das Parteiensystem abschaffen wollen? Das muss wohl vom Volke ausgehen, aber nicht, indem man, wie ich oft höre, nicht zu Wahl geht. Unser Grundgesetz sieht für den Fall mangelnder Wahlbeteiligung nämlich einen doppelten Boden vor, der durch kompliziertes Prozentgerechne etwas hervorbringt, das dann so aussieht, als hätte doch die Mehrheit der Bevölkerung gewählt …
Viele wollen aus Protest AfD wählen. Was halten Sie davon?
Ok, das höre ich öfter: Dann wählen wir AfD, denn das ist die einzige Kraft, die diesen ganzen verknöcherten und korrumpierten Staatsapparat zum Teufel schicken kann. Spätestens seit der Parteitagsrede von Frau „Alice für Deutschland“ [Weidel, Anm. d. R.], übrigens eine Wahlplakat-Koketterie mit dem SS-Slogan „Alles für Deutschland“, habe ich eine Ahnung davon bekommen, wie das aussehen könnte. Es heißt ja oft, der Ton macht die Musik, worauf ich mich als Musiker auch einfach berufen könnte, denn der Ton dieser Rede lehrte einen das Gruseln. Von „linkem Mob“ war die Rede, und das BSW wurde mal einfach als „Kommunisten“ verbrämt.
Die AfD spricht sich immerhin auch für Frieden aus. Sie bezeichnen sich als Friedensberichterstatter und engagieren sich seit Jahrzehnten für die deutsch-russischen Beziehungen. Die AfD gibt vor, sich für Frieden in der Ukraine einzusetzen. Glauben Sie das nicht?
Ich bringe mal ein Beispiel, warum ich der AfD-Kraft trotz vieler Inhalte, die ich nachvollziehen kann, letztlich nicht traue. Eines, das meinem eigenen Engagement nahekommt. Die AfD fordert „Frieden mit Russland!“ Bravo! Aber warum dann im Konkreten Gesetzesanträge, von denen nur Insider was erfahren, mit der Forderung, wehrpflichtige ukrainische Männer in ihr Heimatland zurückzuschicken? Um sie hier wegzuhaben, klar. Aber jeder Ukrainer, der zurück in den Machtbereich von Kiew geschickt wird, landet an der Front, wird zum Soldaten gemacht und gegen Russland geschickt! Passt das zu „Frieden mit Russland“? Nein. Und wozu die Einführung der Wehrpflicht in Deutschland?? Aber ich wollte ja nur ein Beispiel bringen.
Bieten die anderen Parteien keine Alternative?
SPD, FDP, Grüne haben sich dermaßen entlarvt, dass wir jetzt vorgezogene Neuwahlen brauchen. Die CDU, die gerade so tut, als hätte sie mit der Entwicklung des Nachwendedeutschlands nur wenig zu tun, und dann Merz als kriegsbesoffenen Kanzler? Hilfe!!
Die Linkspartei, die es vollbracht hat, eine Sahra Wagenknecht oder Sevim Dagdelen oder besser gesagt den gesamten kritischen Flügel abzuhacken, die jegliche Warnungen von Leuten wie Christa Luft oder Hans Modrow in den Wind zu schlagen in der Lage war? Die DKP, die bisher eine zu kleine Kraft geblieben ist? Die Basis, die ihre guten Ansätze und sich selbst binnen Kurzem fast unsichtbar gemacht hat? Nein, bei Betrachtung der Parteienlandschaft kann ich gar nicht anders, wenn ich mich einbringen will, als das Prinzip Hoffnung auf das BSW zu richten.
In Thüringen hat das BSW grünes Licht für eine Koalition mit CDU und SPD gegeben. Ist das kein Alarmsignal für Sie?
Na ja, die Thüringer Koalition ist schon mindestens umstritten bei den Sympathisanten und BSW-Mitgliedern, weil solche Koalitionen auch die Gefahr bergen, gestellte Ziele gleich wieder zu verschütten. Aber sie wollen gestalten und Dinge ändern, was am besten geht, wenn man mitregiert.
Zum Thema Kultur steht leider noch kaum was im Parteiprogramm, obwohl Kultur doch das ist, was uns zu Menschen macht. Das ist für mich ein Alarmsignal! Aber Sahra hat mich eingeladen, dieses Manko zu beheben. Nach der Wahl wollen wir das angehen. Dass dem BSW an Kultur was liegt, beweisen schon mal meine und anderer Künstler Auftritte beim Wahlkampf, will ich meinen – wohlgemerkt dem dritten Wahlkampf, seit die Partei überhaupt existiert, nämlich innerhalb eines Jahres. Was sie in diesem Jahr alles stemmen musste und gestemmt hat, meine Hochachtung! Die Hauptthemen unserer Gesellschaft betrachtet diese Partei mit eigenen Standpunkten und beweist, dass man sie nicht, offen oder getarnt, von rechts beantworten muss.
Und beim größten Thema Frieden hat das BSW eine kompromisslose Position entwickelt. Endlich Diplomatie statt Waffenlieferung, keine Aufrüstung zu Kriegstüchtigkeit. Und sie haben auch in der Wahl ihrer Worte und persönlichen Positionen dazugelernt. Mit den jetzigen Aussagen hat das BSW nach meiner Beobachtung und gern auch mit meiner Hilfe das Potenzial, die zersplitterte Friedensbewegung mit sich selbst zu versöhnen und mindestens temporär zu vereinen – eine für mich erhebliche Motivation, mit Sahra für das BSW auf eine Bühne zu gehen.
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Titelbild: © Gregor Krampitz