Bundestagswahl 2025 – sind die Parteien auf die globalen Veränderungen vorbereitet und mit welchen Instrumenten? Teil 2

Bundestagswahl 2025 – sind die Parteien auf die globalen Veränderungen vorbereitet und mit welchen Instrumenten? Teil 2

Bundestagswahl 2025 – sind die Parteien auf die globalen Veränderungen vorbereitet und mit welchen Instrumenten? Teil 2

Alexander Neu
Ein Artikel von Alexander Neu

In meinen auf den NachDenkSeiten publizierten Beiträgen habe ich häufig die globalen Veränderungen und die fortgesetzte Ignoranz im Westen, insbesondere auch im politischen Berlin, hinsichtlich dieser epochalen Zäsur der Weltpolitik thematisiert. Die Qualität dieser Zäsur wird, obschon sie tiefgreifender als das Ende der Blockkonfrontation 1989/91 sein wird, in den deutschen Medien und der deutschen Politik – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nicht adäquat reflektiert. Es geht nicht um irgendeinen Wandel im globalen Norden mit ein paar wenig relevanten Auswirkungen auf den globalen Süden. Es geht vielmehr um einen Wandel, der die Vermessung der Welt mit den Kategorien „Westen“ und „Nichtwesten“ zu erfassen versucht. Von Alexander Neu.

Im gestrigen ersten Teil wurde mit Bezug auf die politischen Themenfelder “Globaler Epochenwandel” und “NATO oder anderweitige Sicherheitspolitische Konzeptionen wie das System gegenseitiger Kollektiver Sicherheit (UNO, OSZE)” analysiert, welche Konzepte die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien dem Wähler in ihren Wahlprogrammen mit Blick auf die sich rasch wandelnde Welt anbieten. Der vorliegende zweite Teil beschäftigt sich mit den Bereichen 3) EU – Europäische Integration oder Kooperation? und 4) Souveränität und nationale Interessen.

Bereich 3) EU – Europäische Integration oder Kooperation?

Alle Bundestagsparteien bekennen sich zur EU. Nur die Frage des Leitbildes, welche Form also die EU annehmen sollte – eine strukturell vertiefte Union mit supranationaler Dominanz verortet in Brüssel oder eine eher auf Kooperation angelegte intergouvernementale Struktur? –, unterscheidet die Parteien. Und weiter: Soll die EU den Erweiterungsprozess fortsetzen und wenn ja, um welche Staaten?

Die AfD verweist wortwörtlich auf das Leitbild des „Europa der Vaterländer“ in Anlehnung an den früheren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle und „lehnt die zentralistischen Bestrebungen der Europäischen Union [EU] entschieden ab“. Dieser Ansatz ist gekennzeichnet durch eine privilegierte zwischenstaatliche Zusammenarbeit unter Wahrung der nationalstaatlichen Souveränität statt supranationalen, sich ggf. verselbstständigenden Strukturen. Dieses dann kooperative Europa solle ein eigenes „Machtzentrum in der sich verändernden Weltordnung“ werden. Die Erweiterung der EU betrachtet die AfD angesichts der bereits bestehenden strukturellen Binnenprobleme der EU eher skeptisch.

Das BSW kritisiert die Entwicklung der EU, sie habe „ihren Gründungsauftrag des Friedens und des Wohlstandes vollkommen aus dem Blick verloren und ist heute unfähig bzw. nicht willens, europäische Interessen zu vertreten“. Auch das BSW steht „für eine enge Zusammenarbeit der europäischen Staaten, aber nicht für eine immer tiefergehende Integration in Richtung eines europäischen Bundestaates. (…) Wir wollen keine weitere Zentralisierung von Macht bei der EU-Kommission, sondern eine Rückverlagerung von Kompetenzen in die Mitgliedstaaten. Wir brauchen eine EU, die sich auf die Kernaufgaben konzentriert“. Allerdings wird aus diesen Aussagen nicht ersichtlich, ob eine „Rückverlagerung von Kompetenzen“ eine vollständige oder nur tendenzielle Absage an supranationalen Strukturen ist, mithin ob das BSW somit auch ein „Europa der Vaterländer“ im Sinne der de Gaulle‘schen Vorstellung anstrebt oder doch nur eine Lightversion. Darüber hinaus fordert das BSW einen Erweiterungstopp, „der auch für die Ukraine gilt“. Auch hier ist nicht ersichtlich, ob der Erweiterungsstopp temporär oder generell gemeint ist. Offensichtlich sind die Positionen in der recht jungen Partei noch nicht abschließend geklärt, sodass entsprechende Formulierungen gewählt wurden, die keine Präjudizierung erlauben.

Die LINKE wiederum übt scharfe Kritik an der EU, so wie sie sich entwickelt hat, äußert sich aber nicht zur traditionellen Leitbilddebatte. Vielmehr formuliert DIE LINKE ein gänzlich anderes Verständnis zur EU: „Wir wollen eine soziale EU, die internationalem Ausgleich und Frieden verpflichtet ist (…). Wir wollen ein soziales und demokratisches Europa.“ Auch werden Reformen der EU gefordert, die weniger die klassisch strukturelle Ebene als vielmehr die kapitalismuskritische Ebene berühren. Die Erweiterungsfrage wird konditioniert, indem „eine solidarische Erweiterung der Europäischen Union“ gefordert wird. Zur Frage einer Forstsetzung der EU-Erweiterung generell und speziell mit Blick auch auf die Ukraine schweigt DIE LINKE.

Die FDP sieht in der „Europäischen Union eine einzigartige Erfolgsgeschichte“. Die EU müsse die „Strategische Souveränität“ weiterentwickeln, d.h. auch eine „eigenständige Handlungsfähigkeit“. Die EU müsse sich als „Global Player in einer sich verändernden Weltordnung selbst behaupten können“. Offensichtlich fließt hier bereits die Befürchtung einer sich von Europa abwendenden US-Administration ein. Dabei handelt es sich um eine umfassende Kehrtwende, war doch auch die FDP politisch in der Ampel mitverantwortlich für die weitgehende Unterordnung Deutschlands und der EU unter die US-Vorgaben, insbesondere während der Biden-Administration. Die Frage des Leitbildes wird nur indirekt berührt und bleibt indifferent, ob nun eine strukturelle Vertiefung oder ein stärkerer kooperativer Ansatz verfolgt wird: Es „sind institutionelle Reformen der EU notwendig“. Mögliche Erweiterungsrunden der EU um die „westliche Balkanregion, der Moldau und der Ukraine“ werden als „im deutschen und europäischen Interesse“ formuliert, zugleich aber an „institutionelle Reformen“ der EU gebunden. Auch werden die „deutschen und europäischen Interessen“ nicht inhaltlich erörtert, sodass keine inhaltliche Klarheit besteht.

Die SPD steht in Bezug auf die EU der FDP sehr nahe. Auch die SPD fordert ein „starkes Europa in der Welt als unsere Antwort auf die globalen Herausforderungen“. Hinweise auf ein EU-Leitbild lassen sich nicht identifizieren, was dafür spricht, dass die SPD mit dem strukturellen Status Quo der EU einverstanden ist. „Die Erweiterungspolitik der EU ist ein Instrument von hoher transformativer Kraft und eine geopolitische Notwendigkeit.“ Die Erweiterung als transformative Kraft für „Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in Europa“ wird als altruistisches Motiv für den tatsächlich geopolitischen Raumgewinn dargestellt. Interessant an dieser Formulierung ist, dass damit in seltener Offenheit konzediert wird, dass auch die EU ein nach Expansion zielender geopolitischer Akteur ist. Und da sich die EU nur noch nach Osteuropa ausdehnen kann, soll dies auch so verfolgt werden: „Wir setzen uns für eine zügige Aufnahme der westlichen Balkanstaaten ein“. Auch die „Ukraine und Moldau“ sollen ein „Teil der EU“ werden. Die SPD begründet den tatsächlich geopolitisch motivierten EU-Erweiterungswillen ironischerweise als Reaktion auf die russischen geopolitischen Interessen in Osteuropa: „Mit der Erweiterung nach Osteuropa setzen wir ein klares Zeichen gegen den Versuch der einseitigen Grenzverschiebungen durch Russland (…).“ Einmal davon abgesehen, ob der SPD damit ihr eigener Widerspruch (beispielsweise Zerlegung Jugoslawiens und damit einhergehende und besonders durch die deutsche Anerkennungspolitik forcierte Grenzverschiebung) klar ist, wäre es interessant zu erfahren, wie sie den Fall Georgien (versuchte, aber gerade gescheiterte Farbrevolution, um eine komplett Pro-EU-Regierung an die Macht zu bringen) gerade in diesem Kontext einordnen würde.

Die CDU unterstützt die europäische Integration in dem etablierten supranationalen-intergouvernementalen Hybridmodell: Allerdings scheint sie auch die Problematik einer zu großen Zentralisierung und Bürokratisierung (Forderung einer „Bürokratiebremse“) wahrzunehmen und möchte innerhalb dieses Leitbildes etwas mehr nationalstaatliche Eigenverantwortung: „Die EU muss sich auf jene Aufgaben konzentrieren, die auf europäischer Ebene besser als auf nationaler erfüllt werden können. Unser Ziel ist ein Europa, das regional verwurzelt, nationalstaatlich getragen und europäisch legitimiert ist.“ Mit Blick auf die EU-Erweiterungspolitik setzt die CDU auf eine „realistische“ Ausgestaltung des „EU-Beitrittsprozesses“. „Die Erweiterung soll stärker an konkreten Leistungen der Beitrittskandidaten ausgerichtet werden – ohne Abstriche bei den Kriterien.“ Was damit genau gemeint ist, bleibt die CDU dem Leser schuldig. Als konkrete Beitrittskandidaten werden „die Länder des westlichen Balkans, der Ukraine und Moldawien“ genannt. Denn der „Beitritt“ dieser Länder „liegt in unserem sicherheits- und geopolitischen Interesse“. Auch hier wird das Interesse nicht weiter expliziert, sondern als einfach gegeben formuliert.

Die Grünen wiederum wollen sich als die stärksten europäischen Integrationsbefürworter profilieren. Ob sie hierbei den Status Quo des supranationalen-intergouvernementalen Hybridmodells beibehalten wollen oder gar ein vollständig supranationales Gebilde anstreben, ist nicht abschließend nachvollziehbar. Jedenfalls indiziert die Aussage einer Einberufung eines erneuten „Verfassungskonvents“ sowie „Unsere Vision ist eine Föderale Europäische Republik mit eigener Verfassung“ das Szenario einer weitergehenden Integration mit dem möglichen Ziel des Abbaus des Nationalstaatskonstruktes und somit die Auflösung des Hybridmodells zu Gunsten eines supranationalen EU-Konstruktes.

Auch die Erweiterung der EU wird als „Erfolgsgeschichte“ und „in unserem geopolitischen Interesse“ liegend dargestellt. Es handelt sich auch hierbei um die „Westbalkanstaaten, der Ukraine, Moldaus und der Georgier*innen [sic!]“ Die Erklärung des geopolitischen Interesses fokussiert sich – ähnlich wie bei der SPD – auf westliche Werte, die es zu exportieren gilt. Hierbei gehen sie sogar noch einen Schritt weiter als die SPD, indem sie die völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten im Namen der Demokratie sogar zum Wahlprogramm erheben: „Wir sehen den mutigen und unermüdlichen Einsatz der proeuropäischen, demokratischen Kräfte z.B. in Georgien, Serbien und anderen Ländern mit Beitrittsperspektive. Wir unterstützen solche Initiativen, die zentral sind, um diesen Ländern eine Zukunft in der EU zu ermöglichen.“ Diese Formulierung ist nichts weniger als die Botschaft, dass DIE Grünen die farbigen Revolutionen unterstützen, damit diese Staaten zum Bestandteil des geopolitischen EU-Konstruktes werden.

Bereich 4) Souveränität und nationale Interessen

Die Grünen sehen die EU „als weltpolitische Akteurin“ (ja, tatsächlich gegendert), die „im Zentrum unserer Außenpolitik“ stehe. Deutschland selbst spielt für Die Grünen als Akteur nur innerhalb der EU eine Rolle, nämlich, um diese zu stärken. Die Grünen verfolgen damit das Verständnis eines „europäischen Deutschlands“ ohne – bis auf die dienende Rolle in der EU – nationalstaatliche Interessen. Dieses Verständnis korreliert mit dem bereits ausgeführten möglichen Wandel der EU in ein supranationales Konstrukt, in denen die Nationalstaaten keine Rolle mehr spielen. So auch zum Beispiel mit Blick auf das Verhältnis zu den USA: „Auch zukünftig werden wir für die USA ein verlässlicher Verbündeter bleiben. Gleichzeitig müssen wir die europäische Souveränität stärken (…).“ Mit dieser Aussage werden gleich zwei Ebenen geklärt. Erstens keine deutsche Souveränität, sprich kein souveräner Nationalstaat, sondern nur eine „europäische Souveränität“. Und zweitens die alles beherrschende transatlantische Ideologie, die in ihrer Formulierung auf eine klare Unterwerfungsgeste hinausläuft: „werden wir für die USA ein verlässlicher Verbündeter bleiben“. Bleibt abzuwarten, wie nachhaltig solche Aussagen mit Blick auf die bisweilen abenteuerlichen Vorstellungen der Trump-Administration im Hinblick auf Grönland, Kanada, Panama und den Gazastreifen sein werden.

Das LINKE Wahlprogramm sagt zu den Stichworten Souveränität und nationale Interessen nichts aus. Dies reflektiert im Wesentlichen auch den Veränderungsprozess im linken Denken sowohl in der Partei als auch in der Gesellschaft. Der linke Begriff Internationalismus wird als Anti-National statt internationale Solidarität missverstanden oder besser gesagt uminterpretiert zur Politik der offenen Grenzen. Nationalstaatlichkeit, nationale Interessen und Souveränität werden hingegen als reaktionär und rechts betrachtet. Es gibt sogar die Strömung der sogenannten Anti-Deutschen in der Partei Die LINKE.

Die CDU hingegen sieht Deutschland zwar als Akteur („Deutschland als verlässlicher Partner in der Welt“ und „Nationale Sicherheitsstrategie beschließen“), der aber stark eingebunden in die EU, in der NATO und im transatlantischen Verhältnis operiert. Kein Wort über Deutschlands Souveränität. Vielmehr scheint der Ansatz „keine deutschen Sonderwege“, wohin sie auch immer führen könnten, die bestimmende außen- und sicherheitspolitische Prämisse der CDU zu sein.

Auch in der SPD scheint es keine nationalen Interessen oder den Souveränitätsgedanken für Deutschland zu geben. Sämtliche außenpolitischen Aussagen sind in den EU- und den NATO-Rahmen eingebettet: „Wir stärken europäische Interessen in der Welt“ sowie „Deutschland als zentrale Drehscheibe für die Logistik (…) der NATO“.

Nicht anders schaut es im Wahlprogramm der FDP aus: „Für ein handlungsstarkes und souveränes Europa“. Die Souveränität bezieht sich auf Europa, genauer gesagt auf die EU. Und auch die NATO bildet hier den Rahmen für eine deutsche Sicherheitspolitik.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das BSW: Zwar fordert auch das BSW ein „souveränes Europa in einer multipolaren Welt“, betont jedoch, wie bereits oben ausgeführt, ein anderes EU-Leitbild, in dem die EU-Mitgliedsstaaten die bestimmenden Akteure sind, wodurch der klassisch intergouvernementale Ansatz favorisiert wird. Die Nationalstaatlichkeit wird nicht als Relikt betrachtet, sondern nach wie vor als zentrales Konstrukt politischer Gestaltungprozesse („Wir sind überzeugt, dass Demokratie, Wohlstand und soziale Errungenschaften besser auf nationaler Ebene geschützt werden können“). Tatsächlich soll Deutschland als vermittelnder Akteur „in einer multipolaren Welt“ wirken sowie seine nationalen Interessen verfolgen: „Unser Land verdient eine Politik, die das Wohlergehen seiner Bürger in den Mittelpunkt stellt und von der Einsicht getragen ist, dass US-Interessen sich von unseren Interessen teilweise erheblich unterscheiden.“ Damit unterscheidet sich das BSW qualitativ von allen übrigen Parteien mit Ausnahme der AfD.

Die AfD stellt geradezu eine Antipode zu den „Parteien der politischen Mitte“ hinsichtlich der Aspekte nationale Interessen und Deutschlands Souveränität dar: „Voraussetzung deutscher Außenpolitik ist ein souveränes Deutschland (…).“ Die zentrale völkerrechtliche Norm der Souveränität und des damit einhergehenden Interventionsverbotes (Einmischungsverbot) wird nicht nur für Deutschland, sondern als Recht aller Staaten betrachtet: „Die AfD bekennt sich zu den Grundsätzen des Völkerrechts, (…). Die AfD stimmt im Geiste des Vertrages von Helsinki dafür, dass sich kein Land in die inneren Angelegenheiten eines anderen einmischen darf. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker darf nicht durch die Agenden zwischenstaatlicher Organisationen, von Nichtregierungs-Organisationen (NGO) und durch den Machtzuwachs global agierender Konzerne ausgehöhlt werden.“ Damit verteidigt die AfD die entsprechenden Normen des gültigen Völkerrechts und steht damit dem außenpolitischen Verständnis fast aller übrigen Parteien (Ausnahme BSW) entgegen, die mit der westlichen Eigenkreation der „regelbasierten Ordnung“ das Interventionsverbot aushebeln und geradezu zu einem Interventionsgebot erheben wollen. Siehe hier beispielsweise die betont pro-interventionistische Position der Grünen, aber auch rhetorisch in abgeschwächter Form der übrigen „Parteien der politischen Mitte“. Wie weit das geforderte Interventionsverbot auch im Hinblick auf die Einmischung „global agierender Konzerne“ seitens der AfD Gültigkeit behalten soll, wird sich am Umgang der AfD hinsichtlich der potenziellen Einmischung des US-amerikanischen Milliardärs E. Musk noch beweisen müssen.

Fazit

Die Analyse der außen- und sicherheitspolitischen Bereiche der diversen Wahlprogramme fand anhand von vier Kategorien statt:

  1. Globaler Epochenwandel;
  2. NATO oder anderweitige Sicherheitspolitische Konzeptionen wie das System gegenseitiger Kollektiver Sicherheit (UNO, OSZE);
  3. EU – Europäische Integration oder Kooperation?;
  4. Souveränität und nationale Interessen

In allen vier Bereichen zeigt sich eine klare Trennung zwischen den sogenannten „Parteien der Mitte“ (CDU, SPD, FDP und Die Grünen) auf der einen Seite und den im politischen und medialen Mainstream unbeliebten Parteien BSW und AfD. DIE LINKE spielt mit ihren Positionen eine Sonderrolle, da sie weder der einen noch der anderen Seite eindeutig zuzuordnen ist. Bemerkenswert ist, dass die AfD und das BSW als noch junge Parteien, die dem linken Flügel (BSW) und dem rechten Flügel (AfD) des deutschen Parteienspektrums zugeordnet werden, in der Analyse der weltpolitischen Umbruchsituation und den daraus zu ziehenden politischen Konsequenzen über Schnittmengen verfügen: Anerkennung und konstruktive Mitgestaltung des globalen Transformationsprozesses. Hierbei betont das BSW für Deutschland eine ganz besonders friedenspolitische Verantwortung, was sich unter anderem darin widerspiegelt, dass die friedenspolitische Abhandlung als erster Abschnitt im Wahlprogramm angesiedelt wurde. Diese örtliche Priorisierung ist kein Zufall. Die übrigen „Parteien der Mitte“ hingegen nehmen zwar den globalen Epochenbruch zur Kenntnis und sehen fälschlicherweise Russland und dessen Krieg gegen die Ukraine als Verursacher statt als Katalysator dieses Prozesses. In dieser Logik gefangen, wollen sie den Prozess mindestens aufhalten, wenn nicht rückgängig machen (Rückkehr zur „regelbasierten internationalen Ordnung“). Dabei wird auf die gewohnte Kalte-Kriegs-Dichotomie des Wir-der Westen-die Demokratien und die-der-Rest-die Autokraten-und-Diktatoren zurückgegriffen.

Dementsprechend werden das transatlantische Verhältnis, das NATO-Bündnis und die EU als Garanten gegen diese Veränderungen, die die Macht des Westens relativieren, betrachtet. Demgegenüber sehen die AfD und das BSW neue Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit, um deutsche und europäische Interessen zu pflegen, die sich nicht auf das transatlantische Blockdenken verengen. Diese Zweiteilung im Parteienspektrum spiegelt sich entsprechend der Logik auch in der Bewertung der europäischen Integration wider: Die „Parteien der Mitte“ betrachten das Leitbild des intergouvernementalen-supranationalen Hybridsystems trotz unterschiedlicher Gewichtungen der beiden Komponenten mit der Brüsseler Zentrale als das finale Leitbild. Demgegenüber stehen BSW und AfD für ein Leitbild stärkerer oder gar gänzlicher Intergouvernementalisierung der EU und somit für eine privilegierte Kooperation der europäischen Nationalstaaten (Stichwort: „Europa der Vaterländer“).

Der Verweis auf eine Dezentralisierungsnotwendigkeit der EU und Rückgewinnung nationalstaatlicher Handlungskompetenzen verweist auf den Wunsch nach nationaler Staatlichkeit mit entsprechenden souveränen Merkmalen und nationaler Interessenverfolgung. Die „Parteien der Mitte“ hingegen bewegen sich ausschließlich auf dem Boot der Integration Deutschlands in Bündnisse, also in die EU und die NATO. Eigenständige nationale, von diesen Bündnissen abgelöste Interessen werden nicht formuliert. Vielmehr wird als einziges nationales Interesse – sofern dieser Begriff überhaupt fällt – die Integration Deutschlands in diese Bündnisse formuliert. Die Verweigerung der Benennung nationaler Interessen und die ausbleibende Souveränitätsbehauptung werden gerne in der Formel gefasst, Deutschland dürfe angesichts seiner Vergangenheit keine Sonderwege gehen, sondern müsse sich immer mit seinen Verbündeten abstimmen.

Zwei abschließende Anmerkungen

Erstens: Die zunehmende Fragmentierung der Wählerschaft wird richtigerweise mit der Repräsentationslücke im deutschen Parteiensystem erklärt. Eine wachsende Zahl der Wähler fühlt sich nicht mehr von den traditionellen Parteien vertreten. Es ist durchaus plausibel, dass sich auch Wähler von der außen- und sicherheitspolitischen Programmatik dieser Parteien nicht mehr repräsentiert fühlen – insbesondere seitdem der Epochenwandel sich tatsächlich auch in der Geldbörse der Menschen (beispielsweise gestiegene Energiepreise oder steigende Militärausgaben) bemerkbar macht. AfD und BSW stoßen offensichtlich auch bei diesen politischen Feldern in die Repräsentationslücke.

Zweitens: Anhand der Analyse und der Positionen der Parteien wird auch deutlich, dass das Rechts-links-Koordinatensystem zumindest hinsichtlich der internationalen Politik so nicht mehr anwendungstauglich ist: CDU und FDP gelten als eher rechte Parteien und Die Grünen sowie die SPD als linke Parteien. Sie unterscheiden sich in den außenpolitischen Fragen indessen nur sehr marginal – sie sind die „Parteien der Mitte“. AfD und BSW, die den beiden politischen Rändern zugeordnet werden, unterscheiden sich massiv von ihren im eigentlichen Sinne nahen Parteien aus dem eher linken und eher rechten Spektrum. Mehr noch, ihre inhaltliche Überschneidung in außenpolitischen Fragen demontiert geradezu das Rechts-links-Schema.

Allerdings hat dieses tradierte Koordinatensystem seine Daseinsberechtigung in anderen politischen Feldern, wie der Wirtschafts- und Sozialpolitik, nicht verloren. Hier steht die AfD als neoliberale Partei den „Parteien der politischen Mitte“, insbesondere der FDP und der CDU, sehr nahe und weit weg vom BSW.

Titelbild: Illus_man/shutterstock.com

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