Bundestagswahl 2025 – sind die Parteien auf die globalen Veränderungen vorbereitet und mit welchen Instrumenten? Teil 1

Bundestagswahl 2025 – sind die Parteien auf die globalen Veränderungen vorbereitet und mit welchen Instrumenten? Teil 1

Bundestagswahl 2025 – sind die Parteien auf die globalen Veränderungen vorbereitet und mit welchen Instrumenten? Teil 1

Alexander Neu
Ein Artikel von Alexander Neu

In meinen auf den NachDenkSeiten publizierten Beiträgen habe ich häufig die globalen Veränderungen und die fortgesetzte Ignoranz im Westen, insbesondere auch im politischen Berlin, hinsichtlich dieser epochalen Zäsur der Weltpolitik thematisiert. Die Qualität dieser Zäsur wird, obschon sie tiefgreifender als das Ende der Blockkonfrontation 1989/91 sein wird, in den deutschen Medien und der deutschen Politik – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nicht adäquat reflektiert. Es geht nicht um irgendeinen Wandel im globalen Norden mit ein paar wenig relevanten Auswirkungen auf den globalen Süden. Es geht vielmehr um einen Wandel, der die Vermessung der Welt mit den Kategorien „Westen“ und „Nichtwesten“ zu erfassen versucht. Von Alexander Neu.

Der Westen, insbesondere mit der Präsidentschaft D. Trumps, ist dabei, heterogener denn je seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu werden. Und der Nichtwesten unterteilt sich grob in den globalen Osten (Russland und China), der sich anschickt, auch den globalen Süden aus der westlichen Einflusszone herauszuführen. Die Shanghai Organisation für Kooperation sowie die BRICSplus-Gruppierung bilden hierfür die mehr oder minder ausgeprägten strukturellen Rahmen. Hinzu kommen verstärkte bilaterale Engagements Russlands und Chinas in Afrika und Lateinamerika, was bereits zu Abwendungen diverser Staaten von der westlichen Welt und in Frankreich und den USA zu einer gewissen Ratlosigkeit führt. Das jüngste Beispiel: Drei von 15 afrikanische Staaten (die Burkina Faso, Niger und Mali) verließen am 29. Januar 2025 offiziell die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Besonders relevant ist, dass es sich hierbei um Gründungstaaten der ECOWAS handelt. Sie betrachten diese intergouvernementale Organisation als vom Westen kontrollierte Institution und nähern sich nun Russland an. Insbesondere für die frühere Kolonialmacht Frankreich stellt dies einen Macht- und Reputationsverlust dar: Frankreich musste seine Truppen abziehen und verlor seine billige „Uran-Tankstelle“ in Mali und Niger.

Mit anderen Worten, der globale Wandel beschleunigt sich, insbesondere seit dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Stellvertreterkriegs sowie dem Krieg im Nahen Osten, in atemberaubender Geschwindigkeit. Demgegenüber verharren und beharren der Westen, Europa und Deutschland auf einen Status (westliche Globaldominanz), der nicht mehr gegeben ist. Zwischen dem rasanten Realitätswandel und der Realitätsperzeption deutscher und europäischer politischer Entscheider und medialer Meinungsmacher wächst die Kluft. Die ungeliebte weil unfähige Ampel-Regierung hat das Handtuch geworfen aufgrund koalitionsinterner Streitigkeiten. Dieser Koalitionskonflikt hat jedoch nichts mit den großen globalen und auch innenpolitischen (innere Sicherheit und Migrationsproblematik) Herausforderungen zu tun. Da waren sich die Koalitionäre weitgehend einig. In ihrer politisch-kognitiven Begrenztheit ging es lediglich um Finanzierungsfragen zu politischen Projekten wie der Schuldenbremse, jedoch nicht um Fragen, wie mit der Abwicklung der westlichen Globalisierung, der aufkommenden multipolaren Weltordnung, der erneuten und für das politische Berlin doch so überraschend kommenden Trump-Präsidentschaft umzugehen sei.

Die Wahlperiode 2021 bis 2025 ist globalpolitisch und auch hinsichtlich der inneren Sicherheit eine verlorene Periode, schlimmer noch: Die Wirtschaft schmiert ab, die Energiepreise gehen durch die Decke, die Deindustrialisierung schreitet voran, kostbare Steuergelder gehen in die Ukraine und ein Noch-Kanzler Scholz wirbt auf den Wahlplakaten mit folgendem Slogan: „Mehr Sicherheit Mehr Wachstum – ,Made in Germany´-Bonus für Arbeitsplätze und niedrige Strompreise: mehrfürdich.spd.de“. Ob das noch unter lustige Realsatire oder bereits unter die Arroganz fällt, die Bevölkerung für komplett dämlich zu halten, mag der Leser für sich selbst entscheiden.

Im Folgenden soll anhand von vier politischen Themenfeldern analysiert werden, welche Konzepte die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien dem Wähler in ihren Wahlprogrammen mit Blick auf die sich rasch wandelnde Welt anbieten.

Es handelt sich hierbei um die Bereiche:

  1. Globaler Epochenwandel;
  2. NATO oder anderweitige Sicherheitspolitische Konzeptionen wie das System gegenseitiger Kollektiver Sicherheit (UNO, OSZE);
  3. EU – Europäische Integration oder Kooperation?;
  4. Souveränität und nationale Interessen.

Im vorliegenden ersten Teil des Beitrags soll auf die Bereiche 1) und 2) eingegangen werden, der morgen erscheinende zweite Teil beschäftigt sich mit den Bereichen 3) und 4).

Bereich 1) Globaler Epochenwandel

Alle Parteien erkennen nunmehr die Veränderungsprozesse in der Weltpolitik – wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen, Interpretationen und zu ziehenden Konsequenzen – an. Das BSW („Wir leben in einer Zeit des Umbruchs“), die AfD („Die Welt befindet sich im Umbruch zu einer multipolaren Weltordnung. […] Wir begrüßen die Entwicklung hin zu einer multipolaren Welt, wollen dabei ihre Chancen nutzen sowie ihre Risiken minimieren“) und Die LINKE („Das Machtgefüge der Welt verschiebt sich“) betrachten den Wandel als objektive Entwicklung, auf die gestaltend mit nicht-militärischen Mitteln Einfluss genommen werden solle. Die SPD („Unsere Antwort auf eine Welt im Umbruch ist eine Verteidigungs- und Sicherheitspolitik […]. Die Sicherheit auf unserem Kontinent müssen wir vor Russland organisieren“). Die FDP („Die Welt ist in großer Unruhe: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäische Ordnung tiefgreifend erschüttert. […] Es sind Auswirkungen der zunehmenden Systemrivalität zwischen liberalen Demokratien und autoritären Regimen …“). Die CDU: „Der russische Angriffskrieg hat die europäische Sicherheitsordnung schwer erschüttert. Das Regime von Wladimir Putin verachtet Demokratie, Menschenrechte, das Völkerrecht und die Regeln des internationalen Zusammenlebens. Sein Ziel ist eine neue Weltordnung nach seinen Regeln“.

SPD, FDP und CDU sehen den Ursprung des globalen Wandels hingegen in dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den russischen Ambitionen, die Welt nach W. Putins Vorgaben verändern zu wollen. Passend dazu eben auch die von O. Scholz im Februar 2022 ausgerufene „Zeitenwende“. Die Wahrnehmung der Weltpolitik durch die SPD, FDP und CDU ist auffallend stark auf eine ideologisch basierte Zweiteilung der Welt (Demokratien versus Autokratien) orientiert. Und das, so drängt es sich gewissermaßen auf, erste Mittel der Wahl der drei Parteien in der Auseinandersetzung mit den globalen Brüchen ist das militärische Instrument, mindestens aber gleichgewichtig mit diplomatischen Instrumenten. Wenn man die gesamten Texte und aktuelle Aussagen („Kriegstüchtigkeit“) rezipiert, verfestigt sich der Eindruck, dass das militärische Instrument dominiert, zumindest was die Rhetorik anbetrifft.

Die Grünen betrachten „die regelbasierte internationale Ordnung“ als das „Fundament unseres Friedens“. Damit machen sie deutlich, dass die fortgeschrittene und irreversible Entwicklung hin zu einer neuen, multipolaren Weltordnung bei ihnen auf keinerlei Akzeptanz stößt. Denn der Begriff und das Verständnis von der „regelbasierten internationalen Ordnung“ (zugegeben: Die Formulierung „regelbasierte Ordnung“ hört sich ja auch ganz gut an, so richtig völkerrechtskonform. Und das ist ja auch das Ziel.) basiert weder auf der UNO-Charta noch auf der Charta von Paris etc. Die „regelbasierte internationale Ordnung“ ist vielmehr der einseitige Versuch der USA und ihrer Verbündeten, das UNO-Recht zu Gunsten einer westlichen Ordnungsvorstellung für den Globus in wesentlichen Teilen umzuinterpretieren oder gar zu ersetzen, mithin die unipolare Weltordnung wieder zu festigen. Und diese „regelbasierte internationale Ordnung“– also die westliche Ordnungsvorstellung – ist das „Fundament unseres Friedens“, die indessen „zunehmend unter Druck gerät“, so Die Grünen.

Bereich 2) NATO oder anderweitige sicherheitspolitische Konzeptionen wie das System gegenseitiger Kollektiver Sicherheit (UNO, OSZE)

Die SPD steht uneingeschränkt zur transatlantischen Orientierung, insbesondere über das transatlantische Militärbündnis NATO („Die NATO ist ein tragender Pfeiler der transatlantischen Partnerschaft. […] Wir werden den europäischen Pfeiler in der NATO stärken“). Dazu zählt auch die Bereitschaft, Steuergelder in noch höherem Ausmaß für die Militärausgaben zu nutzen: „Wir werden mehr Geld für unsere Sicherheit ausgeben. Das Sondervermögen für die Bundeswehr war ein erster wichtiger Schritt. Unsere Verteidigungsausgaben haben wir (…) auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gesteigert. Wir setzen uns daher auch zukünftig für eine nachhaltige Verteidigungsfinanzierung von mindestens zwei Prozent des BIP ein.“ Der Gedanke eines alternativen, kostengünstigeren und nachhaltigen Sicherheitskonzepts, dem eines Systems gegenseitiger kollektiver oder zumindest kooperativer Sicherheit scheint in den Köpfen der heutigen SPD nicht mehr zu existieren, obschon dieses Konzept in der Brandt/Bahr-Ära bereits als attraktives Modell diskutiert wurde.

Die FDP äußert sich ähnlich: „Wir stehen fest zu unseren Bündnissen wie der transatlantischen Freundschaft mit den USA und der NATO – unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt.“ Welche Herausforderungen im Zweifel diese uneingeschränkt festgelegte Position mit sich bringen könnte, wird interessant, sollte der US-Präsident tatsächlich Dänemark nötigen, Grönland an die USA abzutreten. Und weiter: „Wir Freien Demokraten stehen uneingeschränkt zur NATO als das erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Welt.“ In diesem Kontext zeigt sich die FDP auch offen, das „mindestens 2% Ziel der NATO“ zu erfüllen. Hier scheint ein Einschwenken auf die Forderungen der neuen US-Administration bereits stattzufinden. Die CDU bläst in das gleiche Horn, wenn sie verkündet: „Wir stehen ohne Wenn und Aber zur transatlantischen Verteidigungsallianz. (…) Wir verstehen das aktuelle Zwei-Prozent-Ziel der NATO als Untergrenze unserer Verteidigungsausgaben (…). Zudem stehen wir zur nuklearen Teilhabe.“

Die Grünen sehen unsere „Sicherheit eingebettet in der EU und der NATO“. Auch sie sehen die Notwendigkeit, den sogenannten „europäischen Pfeiler der NATO“ zu stärken. Die „Bündnisverpflichtungen“ werden wie in Stein gemeißelt als Handlungsanleitung übernommen. Dazu gehört neuerdings der damit „verbundene notwendige Ausbau unserer Fähigkeiten“. Und „dafür braucht es verlässliche Finanzierung mit einem Verteidigungsetat, der dauerhaft die in der NATO vereinbarten und auch national definierten Ziele und Bedarfe erfüllt und dafür dauerhaft deutlich mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in unsere Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit investiert“. Interessant ist, dass die Grünen diese dauerhaft höheren Militärausgaben „mittelfristig auch über eine höhere Kreditaufnahme“ finanzieren möchten, also die Kreditierung weiterer „Sondervermögen“ für die Hochrüstung. Dieses Wahlprogramm macht einmal mehr die vollständige Metamorphose einer Anti-Kriegspartei und Anti-NATO-Partei hin zu einer komplett transatlantischen und militärisch orientierten Partei deutlich. Damit bewegen sich die Grünen weitab von der Einordnung einer linken Partei.

Die LINKE hingegen verfolgt ein anderes sicherheitspolitisches Konzept jenseits der NATO: „Unser Ziel ist eine Sicherheitsarchitektur in Europa, die auf Prinzipien der friedlichen Koexistenz und den Vereinbarungen der KSZE beruht und alle Länder des Kontinents einbezieht. Eine solche Sicherheitsarchitektur macht die NATO überflüssig (…).“ Dieses nicht exklusive, sondern inklusive kooperative Sicherheitsverständnis setzt auf die Prämisse der Unteilbarkeit von Sicherheit und schließt in seiner Logik auch Russland ein. Auch das BSW lehnt die NATO zumindest in der derzeitigen Ausrichtung ab: „Eine Militärallianz, deren Führungsmacht in den letzten drei Jahrzehnten fünf Länder völkerrechtswidrig überfallen (…), schürt Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen und ist für wachsende Spannungen und Konflikte mitverantwortlich.“ Interessant an der Formulierung des BSW und der LINKEN ist, dass sie die NATO nicht als Sicherheitsgaranten, sondern eher im Gegenteil als Machtinstrument in den Händen der USA sehen. Während die LINKE ganz klar die NATO ablehnt und durch ein kooperatives Sicherheitskonzept ersetzt sehen möchte, ist die Formulierung des BSW offen für unterschiedliche Szenarien: Denn „statt eines Machtinstrumentes für geopolitische Ziele brauchen wir ein defensiv ausgerichtetes Verteidigungsbündnis (…)“. Diese Formulierung lässt offen, ob das BSW für eine „reformierte NATO“ steht oder aber für ein gänzlich anderes Verteidigungsbündnis. Hierbei verstrickt sich die Forderung nach einem Verteidigungsbündnis in einen Widerspruch zur dann im nächsten Absatz geforderten „Sicherheitsarchitektur, die längerfristig auch Russland einschließen sollte“. Denn die Sicherheitsarchitektur als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Sicherheit gegen mögliche innere Bedrohungen) steht im diametralen Gegensatz zum Konzept eines Verteidigungsbündnisses (Sicherheit gegen äußere Bedrohungen). Und dass mit der Sicherheitsarchitektur die kollektive Sicherheit gemeint ist, ergibt sich aus der Forderung des Einschlusses Russlands.

Die AfD wiederum bewegt sich in einem konzeptionellen Raum mit noch offenen Fragen ganz eigener Art: Sie fordert den „Aufbau eines unabhängigen und handlungsfähigen europäischen Militärbündnisses“. Bis dahin bliebe „die Mitgliedschaft in der NATO (…) zentrale Elemente unserer Sicherheitsstrategie“. Die Unklarheiten bestehen darin, dass die AfD erstens zwar ein europäisches Militärbündnis fordert, indessen nicht klärt, ob es ein reines Verteidigungsbündnis oder ein auch offensives Militärbündnis zwecks Verfolgung europäischer Interessen auch mit militärischen Mitteln sein soll. In letzterem Falle wäre eine Kollision mit der sonst von der AfD proklamierten Völkerrechtsorientierung („Die AfD bekennt sich zu den Grundsätzen des Völkerrechts, insbesondere der Charta der Vereinten Nationen“) vorprogrammiert. Die zweite Unklarheit besteht darin, dass sie zwar ein „europäisches Militärbündnis“ fordert, zugleich aber „die Vergemeinschaftung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (…)“ ablehnt. Diese Ablehnung korreliert mit der Ablehnung einer zu tiefen EU-Integration bzw. der Favorisierung eines „Europas der Vaterländer“. Es könnte somit auf ein lockeres, rein intergouvernementales Verteidigungsbündnis für den europäischen Raum innerhalb der EU oder auch unabhängig von der EU hindeuten und eben ohne transatlantische Komponente.

Titelbild: Illus_man/shutterstock.com