Die ersten Schüsse im neuen Handelskrieg

Die ersten Schüsse im neuen Handelskrieg

Die ersten Schüsse im neuen Handelskrieg

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Wer Donald Trumps Wahlkampf verfolgt hat, dürfte von den verkündeten neuen Zöllen gegen die Nachbarländer Mexiko und Kanada und gegen den großen Rivalen China nicht überrascht gewesen sein. Die Drohung auf Zölle auf Einfuhren aus der EU wird schon bald folgen – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch wie bei militärisch geführten Kriegen gibt es auch bei Handelskriegen keine eigentlichen Gewinner und die normale Bevölkerung steht ohnehin meist auf der Verliererseite. Die immer noch von einigen deutschen Politikern gepriesene regelbasierte Weltordnung liegt beim Welthandel ohnehin in Trümmern. Hier gilt das Recht des Stärkeren und genau darauf setzt Donald Trump. Sein Handelskrieg ist nichts anderes als eine Spielart des Imperialismus und die EU ist hier kein Gegner auf Augenhöhe, hat sie sich doch ohne Not von den USA abhängig gemacht. Von Jens Berger.

Ökonomen und ökonomisch Interessierte dürften bereits im US-Präsidentschaftswahlkampf vom Glauben abgefallen sein. Da verkündete Donald Trump, wie er sich künftig die Neuordnung der Staatseinnahmen vorstellt. Direkte Steuern auf Einkünfte aus Arbeit und Kapital sollten gesenkt und die dadurch entstehenden Lücken durch neue bzw. höhere Zölle ausgeglichen werden. Er kündigte an, während seiner Präsidentschaft auf alle Importe in die USA Zölle von mindestens 10 Prozent zu erheben. Importe aus Mexiko und Kanada sollten mit Zöllen von 25 Prozent, Importe aus China gar mit Zöllen von 60 Prozent belegt werden. In seiner Antrittsrede erklärte der US-Präsident: „Es werden riesige Geldbeträge aus ausländischen Quellen in unsere Staatskasse fließen […] Kein Land wird auf unsere Kosten leben dürfen. Ich werde an jedem einzelnen Tag sagen: America First.“

Diesen Zitaten liegt ein weitverbreitetes Missverständnis zu Grunde. Zölle werden nicht von Ländern und auch nicht aus „ausländischen Quellen“ bezahlt. Wenn die USA beispielsweise fünf US-Dollar Zoll auf ein paar Turnschuhe erheben, die in China produziert wurden, so zahlt selbstverständlich nicht China diese Summe, sondern der Importeur in den USA und der gibt sie über den Preis an die Käufer weiter. Am Ende sind es immer die Endkunden, die Zölle bezahlen. Wenn Trump also sagt, er wolle die Einkommenssteuer senken und dafür höhere Zölle erheben, ist dies erst einmal ein Nullsummenspiel – was der Amerikaner bei den Steuern spart, zahlt er beim Einkauf in Form von Zöllen wieder zurück.

Doch auch das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Während ein reicher Amerikaner sehr stark von Steuersenkungen profitiert, gibt er in der Regel relativ zu seinem Einkommen nur wenig für Güter aus, die mit Zöllen belegt sind. Ein armer Amerikaner profitiert hingegen überhaupt nicht von der Steuersenkung, da er ohnehin unter dem Steuerfreibetrag liegt, gibt aber in Relation zu seinem Einkommen sehr viel für Güter aus, die mit Zöllen belegt sind – vor allem für preiswerte chinesische Importe. Der Investmentbanker trägt sicher kein T-Shirt von Shein, seine Putzfrau vielleicht schon. Trumps geplante Neuordnung der Staatseinahmen, weg von der Einkommenssteuer hin zu Zöllen, ist also streng genommen eine Umverteilung von unten nach oben. Neoliberalismus, Klientelpolitik – man kennt es.

Aber Zölle haben selbstverständlich auch andere volkswirtschaftliche Auswirkungen, die nicht per se zu kritisieren sind. Hätte Preußen beispielsweise keine exorbitanten Zölle auf britischen Stahl erhoben, wäre das spätere Deutschland womöglich nie ein Industrieland geworden, hinkte es in der beginnenden Industriellen Revolution doch Großbritannien in Sachen Effizienz und Produktivität meilenweit hinterher. Branchen- und produktspezifische Schutzzölle können durchaus legitim und auch sinnvoll sein – vor allem in Bereichen, in denen man selbst Aufholbedarf hat und größeres Potenzial sieht. Auch die EU führt neben ihren allgemeinen Zöllen eine sehr, sehr lange Liste mit spezifischen Warengruppen, die je nach Herkunftsland mit teils sehr hohen „Schutzzöllen“ belegt. Diese Liste reicht vom Süßstoff Acesulfam von drei chinesischen Herstellern bis hin zu Zuckermais aus Thailand. Offiziell werden diese Zölle natürlich nicht Schutz- oder gar Strafzölle genannt. Man bezeichnet sie elegant als „Antidumping-Maßnahmen“ und impliziert damit, dass es bei den Handelspreisen für diese Güter nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Das mag in Einzelfällen so sein, meist handelt es sich hierbei jedoch um eine ganz traditionelle Standortpolitik.

Nehmen wir das genannte Beispiel Acesulfam, ein Süßstoff mit der Zusatzstoffnummer E950. Dieser Stoff wurde 1967 vom deutschen Chemiegiganten Hoechst entdeckt und seitdem in Frankfurt produziert; heute unter dem Dach des Chemieriesens Celanese. Als vor wenigen Jahren auch chinesische Chemiekonzerne diesen Süßstoff – und dies freilich wesentlich günstiger – produzierten, klagte der deutsche Hersteller bei der Europäischen Kommission. Nun wird auf die Produkte der chinesischen Konkurrenten ein Strafzoll, der offiziell natürlich Antidumping-Maßnahme heißt, in Höhe von bis zu 126 Prozent erhoben. Die deutschen Arbeitsplätze und Lieferketten sind geschützt, ebenso wie die Dividenden der Aktionäre von Celanese. Die Kosten dafür tragen die Kunden, die sich Produkte kaufen, die mit Acesulfam gesüßt werden.

Aber zurück zu Trump. Während die EU bei ihrer Zollpolitik im Großen und Ganzen eher selektiv vorgeht und vor allem bestimmte Produktgruppen durch Zölle verteuert, um europäische Hersteller vor internationaler Konkurrenz zu schützen, also eher das Florett führt, haut Trump lieber mit dem Breitschwert um sich und hat dabei zunächst einmal die Nachbarn Kanada und Mexiko sowie den großen Rivalen China im Blick. So verkündeten die USA am Freitag die von Trump bereits im Wahlkampf angekündigten 25 Prozent Einfuhrzölle auf sämtliche Güter aus Kanada und Mexiko. Die USA sind mit Abstand der größte Absatzmarkt für deren Produkte.

Doch so problemlos, wie Trump dies im Wahlkampf behauptete, sind die generellen Schutzzölle gegen diese beiden Staaten nicht. So ist beispielsweise Kanada der mit Abstand größte Öl-Lieferant für die USA. Das Öl kommt über Pipelines, sodass beispielsweise Raffinerien oder Chemiewerke im Norden der USA gar nicht auf „heimisches“ Öl als Ersatz umsteigen könnten, selbst wenn sie dies wollten. Wenn es nur darum ginge, dass beispielsweise in diesen Raffinerien Benzin für den lokalen US-Markt hergestellt würde, wäre dies erst einmal kein großes Problem – dann würde halt der Benzinpreis steigen, was jedoch bei den Trump-Wählern auch nicht so gut ankäme.

Volkswirtschaftlich problematischer ist es jedoch, wenn es sich um ein Chemiewerk handelt, das mit seinen Produkten im internationalen Wettbewerb steht und nun durch höhere Produktionskosten Nachteile hat. Genau diese Beschwerden wurden Trump vorgetragen, er nahm zunächst die Öl- und Gasimporte von seiner Zollliste aus und dann reagierten Kanada und Mexiko auch noch mit Gegenzöllen, die sehr spezifisch amerikanische Einfuhren verteuern sollten. Trump knickte erst einmal ein, die Zölle wurden vorübergehend ausgesetzt. Die erste Schlacht im Handelskrieg hat Trump verloren. Doch das wird nicht das letzte Kapitel im Handelskrieg gegen die beiden Nachbarn sein. Nun wird verhandelt und es dürfte eine zweite Runde von Zöllen seitens der USA folgen – diesmal aber sicher spezifischer und mit vielen Ausnahmen. Es geht ja schließlich auch darum, sein Gesicht zu wahren und dabei die eigene Volkswirtschaft nicht über Gebühr zu schädigen.

Anders verhält es sich mit China. Hier waren es die Chinesen, die zur Gesichtswahrung Trumps erste Zollrunde, die mit „nur“ 10 Prozent weit hinter den im Wahlkampf verkündeten 60 Prozent Zoll auf chinesische Produkte zurückblieb, mit 15 Prozent Zoll auf einige wenige Produktgruppen von US-Importen konterten – darunter beispielsweise Kohle und LNG. Nur dass China ohnehin kaum Kohle und Flüssiggas aus den USA importiert. Diese erste Runde könnte man daher eher als Scharmützel denn als Schlacht im Handelskrieg bezeichnen – wenn da nicht eine von den Medien kaum beachtete Sonderregelung im Kleingedruckten wäre.

Neben den 10 Prozent Zoll haben die USA nämlich die sogenannte „De-Minimis-Regel“ für Pakete aus China ersatzlos gestrichen. Diese Regel besagt, dass Pakete mit einem Warenwert unter 850 US-Dollar ohne zollamtliche Kontrolle in den USA ausgeliefert werden. Das war die Grundlage für das gigantischen Wachstum chinesischer Onlinehandelsplattformen wie Temu oder Shein auf dem amerikanischen Markt. Damit ist jetzt mit einem Schlag Schluss. Ohne „De-Minimis-Regel“ muss jedes Paket aus China nun zollamtlich in den USA abgewickelt werden. Die 10 Prozent Zoll spielen da übrigens keine Rolle, denn ob das T-Shirt von Shein nun 5 US-Dollar oder 5,50 US-Dollar kostet, ist unerheblich. Die staatliche US-Post USPS hat jedoch zeitgleich per ordre Trump die zollamtlichen Bearbeitungsgebühren für alle Pakete aus China von 2,53 US-Dollar auf mindestens 32,71 US-Dollar angehoben. Dass T-Shirt von Shein wird also künftig für US-Kunden nicht 5,50 US-Dollar, sondern 38,21 US-Dollar kosten, sich also im Preis fast verachtfachen. Das dürfte de facto das Ende für den chinesischen Onlinehandel auf dem US-Markt sein.

China war 2024 beim globalen E-Commerce mit einem Umsatz von 1,46 Billionen US-Dollar noch vor den USA mit 1,22 Billionen US-Dollar Weltmarktführer – Deutschland ist übrigen mit 98 Milliarden US-Dollar abgeschlagen an fünfter Stelle. Trumps erste Salve im neuen Handelskrieg war also sehr zielgenau und wird China wehtun. Kritiker werden jetzt fragen, wo – wenn nicht aus China – sollen denn die T-Shirts, Kopfhörer und sonstigen Gimmicks künftig herkommen? Natürlich auch aus China, nur die Wertschöpfung wird künftig maßgeblich in den USA stattfinden. Nicht mehr Temu oder Shein, sondern Amazon oder eBay werden den Großteil der Margen für die Billigprodukte kassieren, die dann sicher nicht mehr so billig sein werden. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Amazon-Chef Jeff Bezos bei Trumps Amtseinführung gleich hinter dem Präsidenten stand. Ist das ein Handelskrieg oder ein Geschenk für die US-Oligarchie oder beides?

Schon die Differenz zwischen den 10 Prozent Zöllen, die nun umgesetzt wurden, und den eigentlich geforderten 60 Prozent zeigt, dass dies nur die erste Schlacht im neuen Handelskrieg zwischen den USA und China war. Bereits in der ersten Amtszeit von Donald Trump ist der damals von ihm angezettelte Handelskrieg zwischen beiden Nationen eskaliert. Am Ende kam es zu einem mit dem Titel „Phase Eins Abkommen“ benannten Friedensvertrag. Die USA senkten einige der von Trump damals verhängten Strafzölle, China verpflichtete sich im Gegenzug, genau definierte Güter im Wert von 200 Milliarden US-Dollar aus den USA zu importieren. Doch dazu kam es nicht. China hielt sich schlichtweg nicht an das Abkommen und Trump wurde von Biden abgelöst, der zwar auch eine protektionistische Handelspolitik gegen China verfolgte, aber dabei weit hinter Trumps Linie zurückblieb und die Verletzung des „Phase Eins Abkommens“ nicht weiter beachtete.

Das war 2021. China konnte vor Kraft kaum gehen, der Immobilien- und Finanzmarkt boomte und die Binnennachfrage war stark. Dann kamen die Coronamaßnahmen, die Immobilienblase platzte und die Binnennachfrage sackte ab. Heute ist China immer noch ein Riese, aber da es im eigenen Land ökonomisch weniger gut läuft, ist der Exportsektor – anders als damals – für China existenziell wichtig. Die Chancen, dass China sich auf Trumps Forderungen, egal wie sie aussehen werden, einlassen wird, stehen also nicht schlecht.

Natürlich ist das, was Trump da betreibt, eine Form des Imperialismus, Kanonenbootpolitik. Er setzt nur in diesem Fall keine Kanonenboote ein, aber seine handelspolitischen Drohungen haben letztlich eine ähnliche Funktion. Und wie sieht es mit den Regeln im Welthandel aus? Nun, dafür ist die WTO zuständig. Die hat sogar ein Schiedsgericht für solche Fälle, den „Appellate Body“, den China jetzt ja auch angerufen hat. Doch der ist gar nicht arbeitsfähig, da die USA nicht erst seit Trump, wie es fälschlicherweise der SPIEGEL behauptet -, sondern bereits sei 2007 unter George W. Bush die Neubesetzung der Richterstellen in diesem Gremium blockieren – auch die so sehr auf eine „regelbasierte Weltordnung“ bedachten Präsidenten Obama und Biden hatten die US-Blockade fortgeführt. Es gibt also Regeln, eine Ordnung und sogar ein internationales Gremium, das über beides wachen sollte, doch dank der imperialistischen Politik der USA ist dieses Gremium nicht arbeitsfähig. Es gilt also auch hier das Recht des Stärkeren.

Dies vor Augen sollte sich vor allem die EU schon mal warm anziehen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die USA auch der EU mit Strafzöllen den Handelskrieg erklären werden. In Brüssel sieht man das gelassen. Man sei ja schließlich zu Kompromissen bereit – so könne man den Amerikanern anbieten, mehr LNG und mehr Waffen zu kaufen und so die Handelsbilanz auszugleichen. Ja, sind wir des Wahnsinns fette Beute? Verhandlungen auf Augenhöhe scheinen ohnehin nicht möglich, glänzen die Eliten der EU doch auch ansonsten vor allem mit ihrer Servilität gegenüber den USA. Davon abgesehen ist es verhandlungstechnisch unsagbar dumm, bereits im Vorfeld „Kompromisse“ anzubieten. Warum sollte Trump es bei LNG und Waffen belassen, wenn er ohnehin schon weiß, dass die EU ihm diesen Wunsch erfüllen wird? Wir dürfen also gespannt sein, welche Wendungen dieser Teil des US-Handelskriegs gegen den Rest der Welt noch nehmen wird. Nur eins scheint hier bereits festzustehen – die EU wird ihn verlieren.

Die große Frage bleibt jedoch, wer einen solchen Handelskrieg überhaupt gewinnen kann. „America first“ heißt nicht, dass die normalen Bürger der USA irgendetwas zu gewinnen haben. Eher im Gegenteil. Gezielte protektionistische Maßnahmen könnten in der Tat der US-Volkswirtschaft auf Kosten anderer Volkswirtschaften nutzen. Welche Konsequenzen dies haben wird, ist jedoch ungewiss. Handelskriege haben ja die Eigenschaft, dass sie wie alle Kriege nicht nur von einer Seite geführt werden. Der Amerikaner nennt das „Tit for Tat“ – auf jede Aktion folgt eine Reaktion und es steht zu befürchten, dass es am Ende nur Verlierer gibt. Aber selbst wenn Donald Trump seine zollpolitischen Wunschvorstellungen durchsetzen könnte und man die USA isoliert betrachtet, sind es am Ende die normalen US-Bürger, die diese Zölle bei jedem Einkauf mitbezahlen. Wer ist also der Gewinner?

Titelbild: Lightspring/shutterstock.com