Ein nun veröffentlichtes „Vorgespräch“ von 2020 zwischen einer BR-Moderatorin und der damaligen bayerischen Gesundheitsministerin zeigt mutmaßlich beispielhaft, wie „kooperativ“ viele Journalisten jenen Politikern begegnen, die sie eigentlich kontrollieren sollen: Von Distanz keine Spur, die Corona-Politik sollte offensichtlich gemeinsam „verkauft“ und nicht kritisch geprüft werden. Das nun geleakte Video überrascht nicht: Es bestätigt Indizien zu einer unangemessenen Kumpanei zwischen Presse und Politik. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Hinweis: Das Titelbild ist ein fiktives Symbolbild, das mit künstlicher Intelligenz (Grok) hergestellt wurde.
Der Journalistin Aya Velazquez wurde vor einigen Tagen ein Videoausschnitt aus dem Bayerischen Rundfunk (BR) zugespielt, wie sie auf X mitteilt. Unter diesem Link findet sich das Video auch auf YouTube:
Der Ausschnitt – seine Echtheit vorausgesetzt – zeigt die BR-Moderatorin Ursula Heller in einem Gespräch mit der damaligen bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml am 10. Juli 2020, bevor Heller mit Huml ein Interview für die „Rundschau“ führt. Thema des Vorab-Gesprächs hinter den Kulissen: Die Corona-Warn-App.
Das Video zeigt, dass sich die beiden vor der „spontanen“ Interviewsituation strategisch absprechen und die Moderatorin der Politikerin sogar Tipps gibt, wie sie sich bei bestimmten Fragen „ja irgendwie rausreden“ könnte – etwa, um die überteuerte und auf anderen Ebenen fragwürdige Corona-Warn-App (trotz fehlender Datengrundlage) als nützlich erscheinen zu lassen.
„Da können Sie sich ja irgendwie rausreden …“
Heller vom BR sagt dabei auch, ihr sei von Frau Humls Pressesprecher im bayerischen Gesundheitsministerium mitgeteilt worden, nicht nach der Corona-Warn-App zu fragen – doch dadurch würde sie sich „ehrlich gesagt total unglaubwürdig machen, wenn sie die komplett rausließe”, und es sei ja „eigentlich auch in ihrem (Frau Humls) Sinne, dass die Leute das nutzen“. Die Gesundheitsministerin sagt aber, dass sie „in dem Sinne keine Zahlen“ hätten, weil die App ja freiwillig sei. Die Zahlen, die der Bund dazu hätte, würden sie nicht kennen.
Die Ministerin schlägt vor, man könnte ja einfach sagen: „Ich nutze sie, und ich fände es gut, wenn es noch mehr machen.“ Heller vom BR wendet aber ein, es ginge ja um das aktuelle Infektionsgeschehen, „um die Kette, die jetzt von Memmingen ausging“, und schlägt Frau Huml vor:
„Ich meine, da können Sie sich ja irgendwie rausreden, indem Sie sagen, das ist auf jeden Fall segensreich und hilfreich, wenn viele Leute das nutzen. Oder wie auch immer.“
Später empfiehlt die BR-Journalistin der Gesundheitsministerin noch einmal, diese könne ja mit einem vagen Satz wie: „grundsätzlich ist das eine große Hilfe und in diesem Fall haben, was weiß ich, die Gesundheitsämter…“ antworten. Die Gesundheitsministerin lächelt und meint „Kriegen wir hin“. „Klasse, wunderbar!“, freut sich die BR-Journalistin – und das „spontane Interview“ beginnt.
Mit „keiner Sache gemein machen“?
Es gibt sicherlich erheblich gravierenderes Fehlverhalten von öffentlich-rechtlichen Journalisten als die im hier thematisierten Video dokumentierte Szene.
Aber das Video hält vermutlich beispielhaft ein falsches Verständnis der Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) fest: Die besteht nicht darin, Vorhaben und Handlungen der Politik so zu vermitteln, dass die Bürger dieser Politik folgen. Stattdessen hat der ÖRR (außer in Kommentaren) distanziert und neutral zu bleiben sowie allumfassend und gegebenenfalls auch kritisch zu berichten, damit sich die Bürger auf dieser Basis ein eigenes Urteil bilden können. Der ÖRR ist in dieser Hinsicht auch verpflichteter als private Medien. Völlig inakzeptabel ist es, wenn von den Bürgern finanzierte Journalisten das Gegenteil tun, und sich aufgefordert fühlen, Politikern zu helfen, Widersprüche zu umschiffen oder eine fragwürdige Politik gegenüber den Bürgern besser aussehen zu lassen.
Der Satz, „Journalisten sollten sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten“, trifft nicht immer den Kern: In einem als solchen gekennzeichneten Kommentar können sich auch öffentlich-rechtliche Journalisten meiner Auffassung nach durchaus mit einer Sache gemein machen – aber wie Anja Reschke in einem anderen Beitrag des BR die Hanns Joachim Friedrichs zugeschriebene Aussage als Vorwand für ein Plädoyer für „Haltungsjournalismus“ nutzt und es in ihrer Interpretation gründlich verbiegt, ist schon ziemlich fragwürdig.
Außerdem: Immer gilt auch die Frage: Wer definiert „gut“? Im Fall der auf zahlreichen Ebenen unangemessenen Corona-Politik ist festzustellen, dass sich viele deutsche Journalisten mit einer (wie bereits damals deutlich war) auf zahlreichen Ebenen keineswegs guten Sache gemein gemacht haben und das nicht nur in gekennzeichneten Meinungsbeiträgen – das ist ein großer Medienskandal, der dringend aufgearbeitet werden muss.
Medien und Politik ziehen an einem Strang
Der Inhalt des Videos kann nicht wirklich überraschen – aber es ist schon etwas anderes, wenn Vermutungen über Kumpaneien zwischen Presse und Politik durch so konkrete Bilder bestätigt werden. Velazquez schreibt treffend:
„Neben der auffallend freundschaftlichen Nähe zwischen Politik und Presse zeigt der Videoschnipsel exemplarisch auf, wie Medien und Politik an einem Strang gezogen haben, um den staatlichen Corona-Maßnahmen, hier der Corona-Warn-App, auch völlig ohne Zahlen und Evidenz, ein gutes Zeugnis auszustellen – und wie Journalisten sich freiwillig als PR-Agenten für Regierungsmaßnahmen hergaben, anstatt diese kritisch zu hinterfragen. (…) Extrapoliert man von diesem Video auf die gesamte Corona-Berichterstattung der Massenmedien, erhält man eine Vorstellung, in welchem Umfang die Presse während der Corona-Jahre mit der Politik gekungelt und somit versagt hat.“
Vorgespräche zu Interviews sind normal und sollen hier nicht grundsätzlich diffamiert werden. Aber was man in diesem Video sieht, geht doch weit darüber hinaus, den praktischen Ablauf eines Gesprächs kurz abzustecken: Hier gibt eine Journalistin einer Ministerin konkrete Tipps, wie man gemeinsam dem Publikum den Eindruck vermitteln könnte, dass eine politische Maßnahme, zu der es offensichtlich zum Zeitpunkt keine angemessene Datenbasis gab, trotzdem „hilfreich“ sei. In meinen Augen ist das eine Absprache zur Manipulation und das glatte Gegenteil der damals stets behaupteten „Wissenschaftlichkeit“. Leider gibt es keine Anzeichen dafür, dass diese Episode nur einen Einzelfall darstellt.
Wie ähnliche Absprachen vor Interviews zu anderen Themen ablaufen (etwa zu Krieg und Aufrüstung), kann hier nur gemutmaßt werden. Aber zum einen die angepasste und gleichförmige Berichterstattung (unter anderem) zu den Themen Corona, Aufrüstung, neoliberale Wirtschaftsordnung, Energiepolitik, Migration, Meinungsfreiheit usw. und zum anderen die entfaltete Hetze gegen Andersdenkende geben Anlass zu größten Zweifeln an der Seriosität und der Distanz vieler Journalisten.
Titelbild: Symbolbild/erstellt mit KI-Grok