Lotte Salingré und Thomas Stanger haben mit ihrer Großspende an das BSW die politische Landschaft der Republik neu gezeichnet. Ramon Schack besuchte für die NachDenkSeiten das Ehepaar, welches dem BSW fünf Millionen Euro überwies.
Zwischen Lübeck und Wismar – im äußersten Nordwesten des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern – entfaltet sich die deutsche Ostseeküste in ihrer ursprünglichen Pracht. Hier, in einer kleinen Siedlung, die auch als Ferienpark in der Hauptsaison fungiert, leben seit rund zwei Jahrzehnten Lotte Salingré und Thomas Stanger, jenes Ehepaar, welches als Millionenspender des BSW gleich zur Gründungs- und Entstehungsphase der Partei in die Schlagzeilen geraten ist.
Die politische Landschaft in Deutschland wurde durch diese beachtliche Spende an die Partei BSW neu gezeichnet. Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger erhielten fast 5,1 Millionen Euro von dem Ehepaar.
Wer sind die beiden Großspender?
Es liegt in der Natur der Sache – immerhin war es die größte jemals von einer Privatperson getätigte Spende an eine Partei in Deutschland –, dass reichlich Spekulationen und Gerüchte sich ihren Weg bahnten.
Ihre anfängliche Zurückhaltung gegenüber der medialen Öffentlichkeit hat das Ehepaar, welches zuvor nur äußerst selektiv und begleitet von einem strikten Verbot von Foto- oder Filmaufnahmen der Presse Auskünfte über sich selbst oder über die Motivation ihrer finanziellen Unterstützung preisgab, kurzzeitig aufgegeben.
Im Rahmen der fünfteiligen ZDF-Doku “Inside BSW” ließen sich die Eheleute vor laufender Kamera in ihrer Wohnküche interviewen. Bis dahin wussten nur Eingeweihte, wer die beiden sind, die auch unerkannt auf dem Gründungsparteitag des BSW zu Gast waren.
Nein, man würde wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, dass es sich um die legendären Millionenspender für das Bündnis Sahra Wagenknecht für Vernunft und Gerechtigkeit handelt, wenn man den beiden junggebliebenen Menschen in ihrem siebten Lebensjahrzehnt auf der Straße begegnet. Andererseits, wie sehen denn Millionenspender einer neuen Partei eigentlich aus?
Die Fernsehbilder täuschen nicht. Lotte und Thomas wirken sympathisch, vielleicht wie ein westdeutsches Lehrer-Ehepaar kurz vor der Pensionierung: freundlich zurückhaltend im Auftritt, abwartend, beobachtend, sich nicht in den Mittelpunkt drängend, schon in den ersten Minuten der persönlichen Begegnung.
Die klischeehafte Vorstellung von Multimillionären zerplatzt auf der Fahrt im in die Jahre gekommenen Fahrzeug vom Bahnhof Wismar – wo sie ihren Gast in Empfang genommen hatten – hin zu ihrem Anwesen, welches soliden Wohlstand ausstrahlt, aber sicherlich keinen Prunk, und erst recht nicht durch neureiche Geschmacklosigkeiten auffällt.
Kein Butler öffnet die Tür und keine Angestellte hantiert in der Küche, als Lotte und Thomas in ihr Haus bitten – frei nach dem Motto “Mi casa es tu casa” (Mein Haus ist Dein Haus), wie man es in Spanien auszudrücken pflegt, wo das Ehepaar einen weiteren Wohnsitz unterhält. Lotte und Thomas servieren Kaffee genau an jenem Tisch, an dem kurz zuvor auch die Kollegin vom ZDF saß.
Fast vergisst man, dass es sich um zwei schwerreiche Menschen handelt, was eigentlich erstaunlich ist, denn der Gegenstand des Gespräches ist ja eben das Geld beziehungsweise der Einfluss des Geldes. Die Ruhe und Ausgeglichenheit, mit der Lotte und Thomas alle Fragen beantworten, stehen in einem scharfen Kontrast zu der hysterisch geführten Debatte um die Finanzierung des BSW und die Spenden des Ehepaares.
Habecks “russische Spur”
„Wer sind diese Leute?”, fragte der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kurz vor seinem Rückzug vom Amt und forderte neue Regeln für die Parteienfinanzierung.
In zwei Überweisungen hatten die Eheleute von der Waterkant dem BSW gut 5,1 Millionen Euro zukommen lassen: zunächst 990.000 Euro, dann über vier Millionen. Hierbei handelt es sich um die größte Spende an Parteien in dieser Legislaturperiode.
Die politische Szene der Republik zeigte sich durch diese finanzielle Unterstützung zum Teil erschüttert, und die Frage ist sicherlich berechtigt, ob das BSW ohne diese die Wahlkämpfe und Wahlerfolge des Jahres 2024 überhaupt hätte meistern und erlangen können. Gerüchte und Spekulationen, häufig auch Unterstellungen, flankierten diesen Prozess.
Obligatorisch dabei die “russische Spur”, gelegt auch vom Vizekanzler Robert Habeck, der geäußert hatte „Sich (…) für seine Meinung bezahlen zu lassen, im Internet Stimmen zu kaufen, Troll-Armeen aufzubauen, eine Meinung gekauft zu bekommen: Das ist widerlich und das gehört sich nicht, und wir wissen, dass AfD und BSW genauso bezahlt werden.“
Robert Habeck wurde durch eine Klage des BSW zur Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung gezwungen. Die Kampagne aus Medien und Politik, bisweilen aus der Osmose von beiden, wurde dadurch lediglich temporär und auch nur mit bescheidener Wirkung beeinträchtigt, wie die BSW-Wahlerfolge bewiesen haben.
Stangers Reichtum
„Im Endeffekt war uns schon klar, dass wir damit eine ziemlich auffällige Sache gestartet haben”, antwortet Thomas auf die Frage nach den medialen Auswirkungen durch die Presseberichte im Allgemeinen sowie die ZDF-Doku im Speziellen. Aber er fügt hinzu, ergänzt durch Lotte, dass man nicht die Absicht hatte, die eigenen Überzeugungen davon abhängig zu machen, was andere davon denken könnten.
Dafür sei er nicht auf Welt, um vor anderen den Kotau zu machen, denn das habe er von seinen Eltern gelernt, dass man mit Untertanengeist auch das Dritte Reich stützen konnte, ergänzt der mit zwei Geschwistern in Franken aufgewachsene Diplom-Mathematiker. Diese Erfahrungen der Eltern führten bei der Mutter von Thomas Stanger zu der Aussage „Kinder, niemals in eine Partei eintreten, niemals politisch aktiv werden, weil man nie weiß, wie es sich entwickelt.”
Lotte erwähnt, dass ihr anfangs etwas mulmig dabei gewesen sei, dass durch die Spende auch die Anonymität verloren gehen könnte und dass es sie befremdet, an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Wobei es auch ihr wichtig ist zu betonen, dass sie voll und ganz hinter der Entscheidung zur Spende steht.
Stangers Reichtum wurzelt in der MA Lighting Technology GmbH aus Waldbüttelbrunn in Franken und führt ins Showbiz, denn dieses Unternehmen, welches einst in einer Garage gegründet wurde, ist heute in seinem Bereich ein Global Player als Lieferant und Produzent von Steuertechnik für Licht-und Bühneneffekte für Theaterproduktion, Konzerttourneen und Medien-Events wie beispielsweise den Eurovision Song Contest.
Gab es so etwas wie eine Initialzündung, eine Art Erweckungserlebnis, welches die Bereitschaft zu den Spenden einleitete? Lotte und Thomas denken nach. Das Ehepaar, welches sich nicht gegenseitig ins Wort fällt, sondern ergänzt – eine Eigenschaft, die unter Ehepaaren nicht allzu häufig vorhanden ist –, schaut sich kurz an.
Dann erwähnt Lotte, dass das “Manifest für den Frieden”, welches Anfang 2023 von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiiert wurde, Ihr Interesse weckte. Sie wechselt dabei ein wenig in die Mundart ihrer Heimatstadt Köln, wo sie ebenfalls mit Geschwistern aufwuchs – eine Herkunft, die man ihr zuvor kaum anhören konnte.
„Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt Kompromisse machen, auf beiden Seiten – mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem dritten Weltkrieg näher”, heißt es in der Petition zum Manifest.
Lotte zieht sich für einen Augenblick zurück, Thomas tritt auf den Balkon: strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. Das Grundstück fällt leicht hügelig in Richtung Ostsee ab. Im Garten laufen Hühner umher, die das Ehepaar mit Eiern überversorgen. Ein Holzapfelbaum fällt auf, neben anderen Apfelbäumen. „Der wird besonders von den Rehen bevorzugt, die regelmäßig auf unser Grundstück kommen”, erwähnt Thomas und erzählt dabei vom Bau des Hauses, weshalb sich Lotte und er hier so wohlfühlen, aber auch beide gerne einmal das kulturelle Angebot Lübecks wahrnehmen, rund eine Dreiviertelstunde mit dem Auto von hier entfernt.
Politisch auf einem Level
Lotte ist zurückgekehrt, das Gespräch wird fortgesetzt. Sie erzählt weiter von dem Manifest und erwähnt die politische Heimatlosigkeit, die beide schon seit Langem empfunden haben: als Wählerin und Wähler der Linkspartei, in welcher der woke Zeitgeist immer mehr um sich griff, begleitet von der Aufgabe der einst originären friedenspolitischen Positionen.
Thomas meldet sich zu Wort: „Bei mir war die Spende an das BSW auch schon fast medizinisch indiziert. Denn zeitgleich mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine bekam ich Herzprobleme, die ich auch auf das stickige politische Meinungsklima jener Tage zurückführe, in der jeder friedenspolitische Gedanke fast als Hochverrat geschmäht wurde.” Er ergänzt, dass die beiden sich schnell einig waren. „Wir sind politisch eh häufig auf einem Level”, wirft Lotte ein, weshalb es auch keine größeren Diskussionen gab, was die Spenden für das BSW angeht.
Auf die Frage, ob es keine Bedenken gab, dass fünf Millionen Euro doch eine beträchtliche Summe sind, die man auch anders hätte investieren können als zur Gründung einer neuen politischen Partei, für private Zwecke oder gar zur Förderung wohltätiger Einrichtungen, kommt die Antwort prompt. Lotte Salingré weist darauf hin: „Ja, wir leben gut. Wenn wir Lust haben, etwas zu machen, dann tun wir das. Seit Jahren unterstützen wir schon soziale Projekte, jenseits der Politik. Wir sind aber beide nicht reich geboren und haben beide keinen Hang zu einem übertriebenen Luxus, sodass wir uns diese Spende wohl überlegt hatten.”
Als zentrales Motiv für die Parteispende nennt das Paar im Interview mit dem ZDF „Frieden“. Sahra Wagenknecht sei für sie „eine klare, starke Stimme für Frieden und Verhandlung“, sagt Lotte Salingré. Außer der AfD habe es keine Partei gegeben, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gewesen sei. Die AfD sei für sie für eine Spende nicht in Frage gekommen, war kürzlich in der FAZ zu lesen.
Thomas betont: „Wir waren uns beide von Anfang sicher, dass das Geld nicht in den Sand gesetzt ist. Selbst wenn das BSW in einem Jahr wieder von der politischen Bühne verschwunden wäre, hätte sich die Investition in die neue Partei gelohnt. Denn was jetzt schon erreicht ist, dass die anderen Parteien dazu gezwungen sind, sich zumindest mit den BSW-Forderungen auseinanderzusetzen, ist schon viel wert.”
90 Prozent der BSW-Programmatik uneingeschränkt vertreten
Die beiden Spender räumen ein, dass Sie bisher ca. 90 Prozent der BSW-Programmatik uneingeschränkt vertreten, aber sich gerade in Fragen der Migration und Umweltpolitik nicht ganz auf Parteilinie befinden. „Bei der Frage der Migration, da sind wir eher Internationalisten”, betont Thomas. „Eigentlich hat jeder Mensch das Recht, nicht fliehen zu müssen!”, ergänzt er, wobei sein Blick nachdenklich in die Ferne schweift. Lotte sagt, wie als Ergänzung zu den Ausführungen ihres Mannes: „Ja, in der Umwelt-und Migrationspolitik entspricht die BSW-Programmatik bisher nicht ganz unseren Vorstellungen!” Beide sind sich auch darüber einig, dass die Partei gerade in diesen Themengebieten konkreter werden müsse.
Als Parteimitglieder sprechen sie diese Themen an, werden das auch in Zukunft tun. Allerdings, da sind sich Lotte und Thomas einig, werde man keinen Einfluss generieren aufgrund der finanziellen Frischzellenkur, welche man der Partei erbracht hat und ohne die es das BSW wohl so und in diesem Zeitraum nicht gegeben hätte.
Punk und schwarzer Block – zwei Kinder der alten Bundesrepublik
Thomas wurde 1956 geboren, Lotte sieben Jahre später. Beide gehören zu jenen geburtenstarken Jahrgängen zwischen Mitte der 1950er- und 1960er-Jahre, jenen Babyboomern, die das öffentliche Gesicht der alten Bundesrepublik prägten. Zu jung, um aktiv an der sogenannten 68er-Bewegung teilgenommen zu haben, welche einen kleinen Teil der akademischen Jugend überwiegend an den Hochschulen in Frankfurt am Main prägte. Aber dafür an den 1970er-Jahren, den Bundeskanzlern Brandt und Schmidt, Kniefall, Ölkrise, als die Euphorie der Wirtschaftswunderjahre in den “Deutschen Herbst ” abgeglitten war, dem Terrorismus und der “No Future”-Generation. Jenes Jahrzehnt also, welches Gerd Koenen in seinem gleichnamigen Buch als das “rote Jahrzehnt” bezeichnete. Der Begriff basierte auf den damaligen Aktivitäten der sogenannten K-Gruppen, deren Protagonisten noch heute einen starken Einfluss auf das politische Geschehen der Bundesrepublik ausüben – besonders im Umfeld der Grünen Partei, nicht selten transatlantisch mutiert, aber vom gleichen Sendungsbewusstsein, vom gleichen Eindeutigkeitsfanatismus.
Lotte war in ihrer Jugend Punk, Thomas sympathisierte als Student mit dem Schwarzen Block – zwei Subkulturen, die in den 1980er-Jahren viele junge Menschen in den urbanen Zentren der Republik und im Umfeld der Universitäten prägten und politisierten.
Die Wirtschaftswunderzeit war schon ebenso zu Ende wie die Phase der Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung, als Lotte ins Berufsleben trat. Die Kölnerin absolvierte eine Ausbildung zur Chemisch-Biologischen Assistentin. Rezession und Massenarbeitslosigkeit trübten das wirtschaftspolitische Bild jener Zeit, als Thomas sein Studium der Mathematik und der Wirtschaftswissenschaften beendete.
Beide wuchsen in mittelständischen Verhältnissen auf, beide mit zwei Geschwistern. Lotte lächelt, während sie von ihrer Kinder- und Jugendzeit spricht. „Mit mir kam der Wohlstand, wurde in meiner Familie immer gesagt. Ich betrachte mich nicht als Boomer, sondern als Wirtschaftswunder-Kind.” Auf Nachfrage ergänzt sie: „Als ich geboren wurde, ging es mit der Familie wirtschaftlich etwas bergauf, wozu auch ein Lottogewinn beitrug. Mein Vater war Beamter, die Verhältnisse entsprachen jenen des Mittelstands jener Zeit.”
Auch Thomas Vater war Beamter bei der Bahn. Er hatte keine Mittlere Reife, sondern Volksschulbildung, weshalb ihm ein Aufstieg in eine höhere Besoldungsgruppe nicht möglich war. „Das erste Auto konnte sich meine Familie sich leisten, als ich 15 war. 1971 verstarb mein Vater”, führt der Unternehmer aus.
Mittagszeit. Lotte und Thomas servieren einen kleinen Imbiss. Brot und Salami, Käse, alles aus dem Bioladen, wie man betont. Dazu werden Kaffee und Tee serviert. Das Gespräch kreist jetzt um die innenpolitische Ausgangslage.
„Von einer Kanzlerin Sahra Wagenknecht sind wir noch weit entfernt”, bemerkt Thomas schmunzelnd, während er hauchdünne Scheiben Salami schneidet. „Das muss sie ja auch nicht sein”, ergänzt er. „Aber allein schon die Tatsache, dass die politische Debatte wieder etwas ausgewogener daherkommt, gerade im Bereich der Themen Frieden und Friedensbewegung. Das haben wir uns erhofft, denn wir sind schon Fans davon, wie Sahra Wagenknecht die politischen Punkte in den öffentlichen Diskussionen vertritt.” Lotte wirft ein: „Wie Frau Wagenknecht ihre Ruhe und Höflichkeit behalten kann, selbst wenn sie massiv angegriffen wird, imponiert mir!”
Zu der Frage der Mitgliederaufnahme, welche durchaus umstritten ist und nicht selten für Verdruss sorgt – äußert sie: „Wir haben uns das Spiel angeschaut. Wenn man ein Spiel spielt, dann muss man die Regeln akzeptieren. Wir haben gesagt, da spielen wir mit. Das ist auch die Grundlage, die ich von den Mitgliedern und Unterstützern des BSW erwarte, dass man daran arbeitet, dass die Partei zusammenwächst. Wir haben es natürlich jetzt auch festgestellt, hier bei uns. Wenn man sich ein paarmal trifft, lernt man sich ein wenig kennen, sieht die Macken von dem einen oder die Unstimmigkeiten bei anderen, was aber nachlässt, wenn man sich austauscht. Aber diese Ungeduld, mit der einige als Mitglied in die Partei aufgenommen werden möchten, finde ich verwunderlich, denn es gibt ja noch keine großen Unterschiede, was die Möglichkeiten angeht – ob als Unterstützer oder als Mitglied des BSW.”
Das Ehepaar nimmt aktiv am Parteileben teil, trifft sich mit anderen Mitgliedern in Mecklenburg-Vorpommern, ohne sich dabei aber in den Vordergrund zu drängen oder gar Sonderrechte zu beanspruchen. Thomas meint zu diesem Thema: „Zum einen gibt es bestimmte organisatorische Fragen, was die Mitgliederaufnahme angeht. Es gibt hier in Mecklenburg-Vorpommern noch keinen Landesverband. Wenn wir hier Tausende Mitglieder aufnehmen, entstehen juristische Probleme, da es noch kein Delegierten-System gibt. Andererseits stelle ich mir diesbezüglich die Frage: Ist es mir jetzt wichtiger, dass die Partei-Linie erhalten bleibt? Darauf würde ich antworten: Ja, das ist mir wichtig, denn für diese Linie haben wir die fünf Millionen Euro gespendet, nicht für eine politische Formation, die sich in einigen Monaten grundlegend ändern könnte, weil zu viele Mitglieder doch andere Ideen haben, die dann Sahra Wagenknecht abwählen könnten, um dann jemand anderes einsetzen zu können.“
Einfache Mitglieder im BSW-MV
Nach ihren Eindrücken befragt, wer in Mecklenburg-Vorpommern zum BSW kommt, ob als Unterstützer oder als Mitglied, antwortet Lotte spontan: „Ein ganz breites Spektrum”. Beide bestätigen, dass man vom kernigen Küstenbewohner bis zum zugezogenen Alt-68er-Ehepaar aus dem Westen alles antrifft. Thomas wirft ein, dass die noch im Aufbau befindlichen Parteistrukturen viele Menschen vorerst davon abhalten würden, sich stärker beim BSW zu engagieren, selbst wenn politische Schnittmengen vorhanden sind. „Wenn wir mehr Infostände organisieren könnten oder Veranstaltungen, wären die Möglichkeiten auch für jüngere Menschen interessanter, mit einzusteigen!”
Seine Frau legt Wert auf die Feststellung, dass die politische Thematik erweitert werden müsste: „Die Themengebiete, die uns auf dem Herzen liegen, also Umwelt und Migration, müsste man intensiver besetzen, um den Anteil jüngerer Menschen, die sich für das BSW engagieren, zu erhöhen. Beim Thema Frieden klappt dieses ja auch.” Lotte fügt ergänzend hinzu, dass Sahra Wagenknecht auch “konservativ herüberkommt”, was jüngere Wähler eventuell abhalten könnte.
Was den Begriff der “Kader-Partei” angeht, welcher von führenden Vertretern des BSW verwendet wird, so räumt Thomas ein, dass ihm dieser Begriff zum jetzigen Zeitpunkt sehr willkommen sei, um den langsamen Wachstumsprozess der Partei koordinieren zu können. Seine Frau erinnert an die Entwicklung der Grünen, wo es hinlaufen kann, wenn die Debattenkultur aus dem Ruder läuft.
„Die Wähler müssen die Chance erhalten, eine Partei zu finden, die ihren Bedürfnissen auch die Stimme verleiht. Selbst eine Kader-Partei hat in einer Demokratie ihre Berechtigung, aber das ist wieder die Frage nach der Definition des Begriffs Demokratie.”
Lotte betont, dass nach ihrer Meinung die Abgeordneten nicht die Bevölkerung von politischen Themen überzeugen sollten, sondern eher die Interessen der Wähler vertreten. Thomas nickt zustimmend. Die politischen Übereinstimmungen des Ehepaares wirken nicht einstudiert oder stilisiert. Viel eher entsteht der Eindruck, dass es sich um zwei hochpolitische Menschen handelt, deren Überzeugungen im Laufe der Jahre durch einen nüchternen Blick auf die Welt und das politische Tagesgeschehen geprägt wurden: mündige Bürger, die nicht den Rückzug ins Private angetreten haben, sondern bereit dazu sind, einen Teil ihres beträchtlichen Wohlstandes in eine politische Hoffnung zu investieren und damit auch Verantwortung zu übernehmen.
Ein dreimonatiger Aufenthalt in Indien, während seines Studiums, schärfte Thomas‘ Blick für die brennenden globalen Fragen unserer Zeit. „In Indien habe ich damals begriffen, dass wenn sich etwas ändern soll, muss diese Veränderung in Europa beginnen!”
Zwischen Business-Welt und Autonomen
Anfang der 1980er-Jahre zog Thomas in eine WG, wo er seinen zukünftigen Geschäftspartner kennenlernte, der sich mit Elektronik beschäftigte, worauf dann die Firma entstand, die ihn zum Multimillionär machen sollte. Der Hesse schmunzelt, während er sich an die Anfänge seiner Geschäftszeit erinnert.
„Ich habe lange mit dem Zwiespalt gelebt zwischen dem, womit ich mein Geld verdient habe und wie ich politisch gedacht habe. Beruflich verkehrte ich in einer Business-Welt mit Menschen, die teilweise etwas strange waren, privat sympathisierte ich mit den Autonomen, inklusive Hausbesetzungen. Teilweise kam es vor, dass ich im Anzug aus einer Messe in den USA zurück in unsere WG kam, wo ich mit den neuesten Erzählungen zu Polizeigewalt konfrontiert wurde.”
Thomas bekräftigt, dass er damals Bestandteil des sogenannten Schwarzen Blocks war, flankiert von der Parole “Feuer und Flamme für diesen Staat”, und auch einmal an der Startbahn West von einem Polizisten zusammengeschlagen wurde.
Geld macht nicht glücklich
Was bleibt von dieser Zeit, wie verändert das Geld das politische Bewusstsein? Lotte überlegt: „Die Welt der Reichen langweilt uns eigentlich. Ich persönlich habe da keinen Bezug zu!” „Geld macht nicht glücklich!”, erklärt Thomas, und seine Frau ergänzt: „Geld vereinfacht viele Dinge, aber ehrlich gesagt ist mir ein Grillwürstchen mit meinen Freunden und einem netten Plausch auf der Terrasse lieber als der Besuch in einem sündhaft teuren Restaurant.”
Das Gespräch kreist um die Frage: Kann man Menschen ihren Reichtum ansehen? Das Ehepaar schaut sich an. Lotte ergreift das Wort. „Wir täuschen viele, wenn wir auftauchen, denn niemand kommt auf den Gedanken, dass wir so viel Geld haben, wie wir haben.” Beide lachen.
Wenig später: Das BSW in Malchin hat zu einem politischen Frühschoppen geladen. Auch Lotte und Thomas haben die 90-minütige Autofahrt auf sich genommen. Die meisten der Anwesenden, mit denen sich ein gemütlicher Plausch entspinnt, wissen nicht, um wen es sich beim Ehepaar handelt, welches mit am Tisch sitzt und Bockwurst verzehrt. „Die mit Abstand größte Einzelspende von 4,09 Millionen Euro verzeichnete das BSW. Dieselben Unterstützer, ein reiches Paar, hatten der Partei von Sahra Wagenknecht zuvor bereits 990.000 Euro überwiesen, sodass die Partei von Sahra Wagenknecht zusammen mit anderen Großspenden auf eine Unterstützung von 6,41 Millionen Euro kommt”, ist dieser Tage auf einem Nachrichtenportal zu lesen.
Titelbild: Ramon Schack