Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen: Sind wir nicht alle ein bisschen „Putinknechte“?

Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen: Sind wir nicht alle ein bisschen „Putinknechte“?

Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen: Sind wir nicht alle ein bisschen „Putinknechte“?

Maike Gosch
Ein Artikel von Maike Gosch

In Brüssel wird nun doch über die Rückkehr zu russischem Gas als Teil des Friedensabkommens für die Ukraine diskutiert. Kehrt endlich Vernunft ein in der europäischen Politik? Ein Kommentar von Maike Gosch.

Erstaunt las ich gestern in der Financial Times folgende Information:

„Europäische Beamte debattieren darüber, ob russische Pipeline-Gasverkäufe an die EU als Teil einer möglichen Einigung zur Beendigung des Krieges gegen die Ukraine wieder aufgenommen werden sollten, wie mit den Diskussionen vertraute Personen berichten.“

Huch, denkt man sich da als deutscher Leser, das sind ja ganz neue Töne aus unser aller Hauptstadt der Herzen, Brüssel.

Weiter schreiben die Kollegen:

„Die Befürworter des Kaufs von russischem Gas argumentieren, dass dies die hohen Energiepreise in Europa senken, Moskau an den Verhandlungstisch locken und beiden Seiten einen Grund geben würde, einen Waffenstillstand zu schließen und einzuhalten.“

Ja, hat denn die Vernunft endlich Einzug gehalten in Brüssel? Das hat man ja nicht mehr zu hoffen gewagt. Was für Beamte waren das wohl? Der Artikel weiß zum Glück mehr:

„Drei Beamte, die über die Gespräche informiert waren, sagten, die Idee sei von einigen deutschen und ungarischen Beamten befürwortet worden, mit Unterstützung aus anderen Hauptstädten, die darin eine Möglichkeit sahen, die europäischen Energiekosten zu senken.

Einige große Mitgliedsstaaten üben Druck wegen der Energiepreise aus, und dies ist natürlich eine Möglichkeit, diese zu senken“, sagte ein Beamter.“

Wenn man bedenkt, wie sehr die AfD und später das BSW in Deutschland von der Presse und von politischen Konkurrenten beschimpft und als Putinknechte bezeichnet wurden, für im Grunde die gleiche Position, reibt man sich schon die Augen.

Das war ja überhaupt damals einer der Gründe, aus denen das Nord-Stream-Projekt in den frühen 2000er-Jahren unter der Ägide des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des russischen Präsidenten Putin gestartet wurde: Gashandel zwischen beiden Ländern zum beidseitigen ökonomischen Nutzen, aber auch eine Sicherung des Friedens zwischen den Ländern durch enge und systemrelevante Wirtschaftsbeziehungen. Und jetzt ist es plötzlich wieder eine gute Idee?

Jetzt kann man natürlich sagen, dass es eine recht abenteuerliche Verhandlungstaktik ist, den „Gegner“ Russland an den „Verhandlungstisch zu locken“ mit dem Angebot, einen selbst mit günstigem Erdgas beliefern zu dürfen. Schwer zu sagen, ob das wirklich das Lockmittel darstellt, dass sich die Taktiker wünschen. Aber natürlich hat auch Russland Verluste erlitten durch die Hindernisse, die die EU und die Ukraine der Erdgaslieferung in den Weg gelegt haben – aktuell durch die Nichtverlängerung des Transitabkommens für russisches Gas durch die Ukraine, mit der die letzte große Exportroute in die EU geschlossen wurde.

Noch interessanter ist aber eine für die etablierten westlichen Medien erstaunlich offene Erklärung darüber, wem eine solche Wiederaufnahme der direkten Gaslieferung besonders schaden würde:

„Die Wiederbelebung der Debatte über Gasverkäufe hat einige US-amerikanische LNG-Exporteure, die langfristige Lieferverträge mit europäischen Unternehmen abschließen wollen, verunsichert. Sie befürchten, dass eine Wiederaufnahme des ukrainischen Transits ihre Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig machen könnte, so zwei der Beamten.“

Ja, ging es etwa die ganze Zeit nur darum? Das wollen wir ja auf keinen Fall, dass die europäischen Länder eine günstigere Alternative haben und nicht mehr gezwungen sein werden, überteuertes US-amerikanisches Gas zu kaufen. Aber keine Sorge, da sind unsere ungewählten EU-Beamten zum Glück schon dran:

„Ditte Juul Jørgensen, eine der wichtigsten Energiebeauftragten der Europäischen Kommission, hält sich diese Woche in den USA auf, um mit LNG-Exporteuren Gespräche über langfristige Liefermöglichkeiten zu führen.“

Erstaunt erfährt der interessierte deutsche Leser im nächsten Absatz auch:

„Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, das Energiesystem der Union bis 2027 von allen russischen fossilen Brennstoffen zu befreien. Der EU-Energiekommissar Dan Jørgensen wird im März einen Plan zur Erreichung dieses Ziels vorlegen.“

Gut, dass man das auch mal erfährt. Hier sieht man die Gefahr, solche vitalen Entscheidungen weit weg von den deutschen Wählern auf EU-Ebene zu verlagern. Da wird im Wahlkampf gerade heiß über die Forderungen diskutiert, wieder günstiges Erdgas aus Russland zu beziehen, und die EU macht derweil in aller Ruhe Nägel mit Köpfen. Man sollte vielleicht froh sein, wenn es diesmal nicht in geheimen SMS ausgehandelt wird.

Also, was ist hier los? Warum kommt jetzt (endlich) ein Vorschlag aus Brüssel zur Wiederaufnahme der Erdgaslieferungen aus Russland – wenn auch bisher nur im Hintergrund? Ich versuche mal eine „Einordnung“, wie es heutzutage bei Leitmedien-Journalisten üblich ist.

Trump bereitet Friedensverhandlungen mit Russland vor – wie er es vor der Wahl versprochen hat. Da es auf dem Schlachtfeld leider nicht so gut für die Ukraine/NATO läuft, muss Druck anderweitig aufgebaut werden. Hierzu werden Sanktionen verstärkt, Druck auf Russlands Partner China und Indien erhöht, kein Öl von Russland zu kaufen, Drohnenangriffe weit in russisches Gebiet hinein durchgeführt, die die Erdölinfrastruktur beschädigen und russische Atomkraftwerke angreifen, Energietransit gestoppt und mit dem Ankauf von Nord Stream gedroht. Wie die russische Regierung hierauf reagieren wird und ob dies eine erfolgreiche Taktik darstellt, dazu vielleicht in einem anderen Artikel Näheres, bzw. es wird sich sicher bald zeigen. Gerüchten zufolge ist ein Friedensschluss für das symbolträchtige Datum 9. Mai 2025 geplant.

Die EU spielt keine große Rolle bei diesen Friedensverhandlungen, außer dass sie – unterstützend – den Druck auf Russland durch Sanktionen (und natürlich finanzielle Unterstützung der und Waffenlieferungen an die Ukraine) weiter aufrecht hält. Der Frieden aber wird voraussichtlich zwischen der russischen und der US-amerikanischen Regierung ausgehandelt. Präsident Putin hat erst kürzlich erklärt, dass er nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj verhandeln wird, da er diesen seit Ablauf seiner Amtszeit für illegitim hält.

Und scheinbar fangen jetzt einige hohe EU-Beamte an, sich über den nun „drohenden Friedensausbruch“ (siehe die sehr bezeichnende Formulierung des ZDF-Experten Elmar Theveßen) und die Nachkriegszeit Gedanken zu machen. Langsam dämmert es hoffentlich auch den strammsten Transatlantikern, dass wir uns in der Frage der Energielieferungen selbst massiv ins Knie geschossen haben und eventuell nach dem Friedensvertrag mit langjährigen Knebelverträgen dasitzen, die die EU zwingen, weiter große Mengen an überteuertem LNG-Gas aus den USA zu beziehen, obwohl das „moralische Argument“ („Deutsche, kauft nicht beim brutalen russischen Aggressor.“) dann nicht mehr zieht. Bevor mich einige hier vielleicht für zynisch halten, möchte ich dazu sagen, dass ich diese Begründung immer für vorgeschoben gehalten habe. Auch wenn sie sicher von vielen, insbesondere den idealistischen Grünen, geglaubt wurde, war dies meiner Einschätzung nach von Anfang an ein nur sehr geschicktes Propaganda- und Manipulationsargument.

Ich halte es also für richtig, sich langsam darüber Gedanken zu machen, ob es nicht doch sinnvoll wäre, gute Wirtschaftsbeziehungen und Frieden mit den eigenen Nachbarn zu wählen – möglichst, bevor die deutsche Wirtschaft gänzlich abkippt und die EU-Wirtschaft mit sich hinunterzieht.

Titelbild: Shutterstock / vchal

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