Wenn eine Forderung an die Politik berechtigt ist, dann sollte man keine Kompromisse anbieten. Diesen Rat möchte ich anhand eines wiederkehrenden Themas – der Belastung mit militärischem Tiefflug – erläutern und begründen – auf dem Hintergrund eigener Erfahrungen und angesichts neuer Belastungen. Albrecht Müller.
In den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war die Belastung durch militärischen Tiefflug fürchterlich – hier bei uns in der Südpfalz, in allen Teilen von Rheinland-Pfalz mit Ausnahme der großen Städte Ludwigshafen und Mainz, in Bayern, in Niedersachsen, in Teilen Nordrhein-Westfalens – überall litten viele Menschen und vor allem Kinder unter Abgasen und dem höllischen Lärm. Hier bei uns in der Südpfalz kamen die Militärflugzeuge aus den Bergen des Pfälzer Waldes in die Rheinebene – das hörte sich oft an wie ein fürchterlicher Knall. Wir haben die besondere Belastung für Kleinkinder damals in der eigenen Familie erlebt.
Tausende von Bürgern haben damals demonstriert, sie haben Ballons steigen lassen und das Bundesverteidigungsministerium mit Anrufen und Briefen bombardiert. Auch amtierende Politiker haben sich kritisch geäußert. Der damalige SPD-Landeschef von Rheinland-Pfalz, Rudolf Scharping, meinte, wir in Rheinland-Pfalz wollen nicht der Flugzeugträger der USA in Deutschland sein. Aber den Forderungen fehlte oft die notwendige Entschiedenheit und Klarheit. In der SPD-Bundestagsfraktion, der ich vom Januar 1987 bis 1994 angehörte, gab es Kollegen, die den Interessen der Militärs und der USA nicht widersprechen wollten und deshalb allenfalls eine Verringerung der Belastung für nötig und richtig hielten. Zum Beispiel sollte es eine Mindestflughöhe geben – über 150 m z.B., die Flugzeuge sollten nicht über besiedeltem Gebiet üben und nicht mit voller Leistung.
Dagegen setzten wir, eine kleine Gruppe von besonders betroffenen Kolleginnen und Kollegen, eine klare Position: Schluss mit dem Tiefflug! Wir forderten das im mit Fakten unterfütterten Bewusstsein, dass Tiefflug hierzulande gar nicht nötig ist.
Wir formulierten dies in einem klaren Antrag und setzten ihn auf dem Bundesparteitag der SPD in Münster, der vom 30. August bis 2. September 1988 tagte, durch. Siehe Anhang.
Die vielen Betroffenen, immerhin Millionen von Menschen, konnten mit dieser klaren Haltung etwas anfangen.
Der breite Protest zeigte Wirkung: Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl war genervt von den andauernden Protesten tausender Bürgerinnen und Bürger in seiner Heimat, der Pfalz. Er verfügte das Ende. So einfach war das. Davon berichtete später Willy Wimmer (CDU), in der fraglichen Zeit Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, bei einem Pleisweiler Gespräch, zu dem wir ihn für den 21. Juni 2014 eingeladen hatten.
Jetzt fängt der Zirkus von Neuem an – und mit halbgaren Forderungen.
Die Regionalzeitung Die Rheinpfalz vom 29. Januar 2025, also von gestern, brachte einen großen Artikel zum Thema (siehe Foto am Anfang). Darin wird die Belastung für Menschen in der Westpfalz, in der Nähe von Kaiserslautern, geschildert. Die Forderungen sind windelweich. Da ist davon die Rede, „Lärm und Umweltschäden“ „besser zu verteilen“. Dafür setze sich eine kleine Bürgerinitiative seit vielen Jahren ein. Die Lasten sollten „endlich gerecht verteilt werden“. Das sei bisher nicht der Fall. Sie fordern ein „Ende der Diskriminierung durch bewusst herbeigeführte Konzentration militärischer Übungsflüge“.
In dem Artikel wird davon berichtet, die Betroffenen freuten sich auf Freitag 12:00 Uhr, weil ab dann der Übungsbetrieb ruhe. Das sei ein Teilerfolg im langen Kampf der Bürgerinitiative. – Dann wird auch davon berichtet, natürlich könne ein Pilot leise oder laut fliegen, mit Nachbrenner und Überschallknall. Bei der Bürgerinitiative gebe es sogar ein bisschen Hoffnung. „Mittlerweile glaube ich zu erkennen, dass der Lärm ein bisschen ernsthafter verteilt wird“, äußert sich einer der Betroffenen.
Kommentar: Dass ein Problem drei, vier Jahrzehnte später so viel laienhafter und so zahm angegangen wird, obwohl der frühere Erfolg und die Entscheidung von Helmut Kohl ja nicht unbekannt sein dürften, ist nur schwer zu begreifen. Auch erkennen die jetzt in der Bürgerinitiative tätigen Personen offensichtlich nicht, dass man mit halben Forderungen praktisch nichts erreicht.
Anlagen
Hier ist der SPD-Beschluss von 1988: