CDU/CSU, FDP und AfD haben gestern im Bundestag gemeinsam einen Entschließungsantrag der Union zur Asylpolitik beschlossen. Am Freitag wird wahrscheinlich ein Entwurf des von der Union eingebrachten „Zustrombegrenzungsgesetzes“ mit den Stimmen der AfD, der FDP und auch des BSW im Bundestag eine Mehrheit bekommen. Diese Abstimmungen werden keine rechtlichen Folgen haben, sind aber symbolisch sehr wohl von Interesse. Die an Hysterie grenzende Aufregung über „Tabubrüche“ und „gefallene Brandmauern“ ist überzogen und hat erst zu dem Dilemma geführt, das wir derzeit beobachten. Man sollte das Gerede von Brandmauern lieber sein lassen – außer man will CDU und AfD noch weiter stärken. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Die Aufregung hätte nicht größer sein können. Olaf Scholz witterte gar einen „beispiellosen Tabubruch“. Was war geschehen? Der Bundestag hat gestern einem Entschließungsantrag der Unionsfraktion „zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatenangehörigen nach Deutschland“ zugestimmt. Das allein wäre kein Grund für die Aufregung; wohl aber, dass die knappe Mehrheit bei der Abstimmung dadurch erreicht wurde, dass neben den Unionsparteien und der FDP auch die AfD diesem Antrag zustimmte. Wie war das doch gleich mit der vor allem von Friedrich Merz immer wieder beschworenen „Brandmauer“? Hatte die CDU/CSU nicht „jegliche Zusammenarbeit“ mit der AfD ausgeschlossen? Das hat sie, aber diese „Brandmauer“ ist freilich eher taktischer Natur. Merz selbst gibt sich stattdessen „lösungsorientiert“ und meint sinngemäß, er könne ja nichts dafür, dass die anderen Parteien seinem sinnvollen Antrag nicht zugestimmt haben, und der Antrag sei ja nicht deshalb falsch, weil die AfD ihm zugestimmt hat. Was soll er auch sonst sagen? Bei den potentiellen Wählern wird dies sicherlich verfangen, vertritt eine Mehrheit der Bevölkerung doch bei der Asyl- und Migrationspolitik kritische Positionen.
Die eigentliche Frage sollte ja sein, warum CDU und CSU kurz vor den Wahlen überhaupt einen – faktisch rechtlich unverbindlichen – Antrag eingebracht haben, von dem sie im Vorfeld ja bereits wussten, dass er nur mit den Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommt. Sich dabei – vollkommen losgelöst vom Inhalt des Antrags – auf „die Sache“ zu berufen, ist unehrlich. Es handelte sich um einen Entschließungsantrag, also um eine rechtlich nicht bindende Aufforderung an die Bundesregierung. Nun ist aber die derzeitige rot-grüne Minderheitsregierung nur noch ein paar Tage im Amt. Praktische Folgen hat dieser Antrag also keine, zumal es im deutschen Gesetzgebungsverfahren ein sogenanntes Diskontinuitätsprinzip gibt, das besagt, dass sämtliche laufenden Gesetzgebungsvorhaben am Ende einer Legislaturperiode automatisch beendet werden. Es geht also nicht um Inhalte, sondern um Wahlkampf. Und hier hat Friedrich Merz einen Punkt gemacht.
Etwas anders verhält es sich bei dem am Freitag im Bundestag auf der Tagesordnung stehenden Gesetzesentwurf über ein „Zustrombegrenzungsgesetz“. Dass dieser Entwurf überhaupt zur Abstimmung kommt, kann man als echten Coup der AfD bewerten. Um das einordnen zu können, muss man die Vorgeschichte dieses Entwurfes kennen. Die CDU brachte das Papier bereits am 9. September als „Reaktion“ auf den Anschlag in Solingen ein, der Entwurf wurde in erster Lesung im Bundestag besprochen und in die Fachausschüsse übergeben, wo er mehrheitlich abgelehnt wurde und liegenblieb.
Nun hatte die AfD die Idee, eben jenen CDU-Entwurf am kommenden Freitag zur zweiten und dritten Lesung in den Bundestag einzubringen, was die CDU und ihre „Brandmauerrhetorik“ auf eine schwere Probe gestellt hätte. Entweder sie hätte dem eigenen, aber von der AfD eingebrachten Entwurf zugestimmt und damit ihre „Brandmauer“ eingerissen. Oder sie hätte dagegen gestimmt und sich vollends unglaubwürdig gemacht. Eine Lose-Lose-Situation. Die CDU trat die Flucht nach vorne an und brachte ihren Entwurf selbst ein, wohlwissend, dass sie nun ebenfalls im Kreuzfeuer der medialen Kritik stehen wird, da das Gesetz nach jetziger Gemengelage wohl mit den Stimmen von Union, FDP, AfD und BSW eine Mehrheit finden wird. Das BSW hatte – anders als die FDP, die damals noch Teil der Ampel war – dem Entwurf übrigens bereits in den Ausschüssen zugestimmt. Folgen wird dies jedoch keine haben, da der Gesetzesentwurf nach der Verabschiedung durch den Bundestag in den Bundesrat geht und es dort mit Ausnahme von Bayern kein einziges Bundesland ohne Regierungsbeteiligung von SPD oder Grünen gibt, die ja beide diesen Gesetzesentwurf ablehnen.
Was soll also die ganze Aufregung? Wir reden hier über einen Entschließungsantrag und einen Gesetzesentwurf der CDU. Wenn man an den beiden Papieren inhaltliche Kritik äußern will, dann ist die CDU der Adressat dieser Kritik. Die CDU wird zwar kritisiert, aber nicht wegen der Inhalte, sondern dafür, dass sie bei beiden Papieren die Zustimmung der AfD bekommt. Das ist unglaubwürdig, dürfte der CDU aber Stimmen bringen. Ein Gesetzesentwurf kann richtig oder falsch sein. Maßstab dafür muss aber der Inhalt des Entwurfes sein und nicht die Frage, welche Partei ihm zustimmt oder ihn ablehnt. Dass die gespielte Hysterie, die künstliche Aufregung und das Gerede von „Brandmauern“ am Ende ohnehin nur der AfD nutzt, sollte eigentlich bekannt sein.
Es ist schon bemerkenswert. Wenn Kanzler Scholz „Abschiebungen im großen Stil“ fordert, Innenministerin Faeser eine „Rückführungsoffensive“ ankündigt und die Ampel-Regierung ein „Sicherheitspaket“ beschließt, das sich nur marginal vom CDU-Gesetzesentwurf unterscheidet, über den am Freitag im Bundestag abgestimmt wird, bleibt inhaltliche Kritik Mangelware. Aber wehe, AfD oder BSW stimmen einer Verschärfung des Asyl- und Ausländerrechts zu. Dann ist plötzlich von Brandmauern und Tabubrüchen die Rede.
Die Gewinner dieses Possenspiels sind die CDU und ihr Kandidat Friedrich Merz und natürlich die AfD. Dazu folgt in den nächsten Stunden noch ein Beitrag unseres Herausgebers Albrecht Müller.
Titelbild: Screenshot Bundestag-TV