Der Kollege Norbert Häring hatte die Möglichkeit, Sahra Wagenknecht zu interviewen. Im Gespräch erklärt Wagenknecht, warum eine Koalition mit der AfD trotz gemeinsamer Positionen ausgeschlossen bleibt. Das junge BSW konzentrierte sich bislang auf Wahlkämpfe und hatte daher Ressourcenprobleme bei der Mitgliederaufnahme. Von 25.000 Unterstützern wurden bisher 1.200 Mitglieder aufgenommen. Künftig will das BSW das Verfahren beschleunigen. Eine starke Bundestagsfraktion sei entscheidend für Friedenspolitik und soziale Reformen. Koalitionen sind nur unter klaren Bedingungen denkbar.
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Nobert Häring: Als das Bündnis Sahra Wagenknecht vor einem Jahr an den Start ging, haben sich viele begeistert angeschlossen. Weil BSW eine große Leerstelle im Parteienspektrum besetzt hat, sahen sie die ersehnte Chance, sich parteipolitisch für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Vernunft zu engagieren. Inzwischen ist trotz Wahlerfolgen die Begeisterung bei einigen in Frustration umgeschlagen. Ihre Aufnahmeanträge werden nicht bearbeitet. Die Unterstützertreffen empfinden sie teilweise als unbefriedigend. Sind der BSW-Spitze Unterstützer nur als passive finanzielle Förderer und brave Plakatekleber willkommen?
Sahra Wagenknecht: Nein, wir haben großartige engagierte Unterstützer und wenn sie es wollen, werden die meisten auch Mitglied werden. Unser Problem ist, dass wir als so junge Partei bisher im Dauer-Wahlkampfmodus waren. Wir haben im ersten Jahr unserer Existenz vier Wahlkämpfe mit Bravour bestritten. Und als wir dann endlich dachten, wir haben eine Atempause und können uns auf den Parteiaufbau konzentrieren, zerlegte sich die unsägliche Ampel und vorgezogene Neuwahlen wurden angesetzt.
Für das Land war das ein Segen, für uns als junge und kleine Partei dagegen eine echte Herausforderung. Dadurch hatten wir wieder keine Chance, uns um die Aufnahme von Mitgliedern zu kümmern. Denn für eine Sache bitte ich um Verständnis: wir müssen uns die Menschen anschauen, die zu uns kommen. Junge Parteien zerlegen sich oft bereits im ersten Jahr, weil sie neben ehrlichen Unterstützern immer auch Spinner, destruktive Charaktere oder auch bewusste Zerstörer anziehen. Wenige davon genügen, um eine Partei lahmzulegen.
So ganz geklappt scheint es nicht zu haben, nur konstruktive Mitglieder aufzunehmen.
Das stimmt leider. In Hamburg sind uns tatsächlich zwei von der destruktiven Sorte durchgerutscht. Sie haben seither die bundesweite Presse mit Negativmeldungen über „Chaos“ beim BSW beglückt und uns mit endlosen juristischen Auseinandersetzungen überzogen. Am Ende haben wir zwar bisher alle Prozesse gewonnen, aber es kostet enorm Zeit, Kraft und Geld. Wenn wir blind aufgenommen hätten, hätten wir vermutlich nicht in einem, sondern in zehn Landesverbänden solche Leute. Das hätte das BSW nicht überlebt. Ich verstehe, dass sich das langsame Aufnahmeverfahren für die Vielen, die uns aus ehrlichem Herzen unterstützen wollen, nicht gut anfühlt. Ich kann da nur um Verständnis werben: wir müssen die Menschen vorher ein bisschen kennenlernen. Und im letzten Jahr hatten wir kaum Ressourcen dafür.
Wie viele registrierte Unterstützer von BSW gibt es denn, und wie viele davon haben einen Aufnahmeantrag gestellt?
Es gibt 25.000 eingetragene Unterstützer und rund zwei Drittel haben auch einen Aufnahmeantrag gestellt.
Und wie viele davon sind bearbeitet und wie viele Mitglieder aufgenommen worden?
Wir haben aktuell 1.200 Mitglieder. Allerdings spüre ich, dass viele Unterstützer auch Verständnis für die außergewöhnliche Situation im ersten Jahr unserer Partei haben. Die 200.000 A1-Plakate für unsere Wahlkampagne haben sie mit großem Engagement bei eisigen Temperaturen in nur einer Woche aufgehängt. Jeder, der ein ehrliches Interesse am BSW hat, weiß: jetzt müssen wir gemeinsam erst mal um ein gutes Wahlergebnis kämpfen. Wir sehen ja, wie mit allen Mitteln versucht wird, uns aus dem Bundestag herauszudrängen. Seit Monaten gibt es eine aggressive Kampagne gegen uns, man schreibt uns runter, um den Eindruck zu erwecken, eine Stimme für uns sei verschenkt. Zur besten Sendezeit präsentiert das ZDF jetzt eine Umfrage, die uns nur noch drei Prozent gibt. Einen Tag vorher lagen wir bei Allensbach noch bei fünf Prozent und bei yougov bei sechs Prozent, am Tag danach bei Insa bei sieben Prozent. Aber das ZDF hat natürlich sehr viel mehr Reichweite, und dass versucht wird, mit Umfragen Wahlergebnisse zu manipulieren, ist nichts Neues.
Das passt jetzt nicht so richtig zu dem, was mir immer wieder Leser als Argument gegen das BSW schreiben. Sie äußern den Verdacht, dass das BSW dem Parteiestablishment sehr zupass kommt, weil es der AfD Stimmen wegnimmt und so hilft zu verhindern, dass die AfD zur stärksten Partei wird.
Es ist offensichtlich, dass die alten Parteien sich wünschen, im nächsten Bundestag mit der AfD als einzig relevanter Opposition allein zu bleiben. Denn die AfD ist auf dem Weg zu einer transatlantischen Rechten nach dem Vorbild von Frau Meloni in Italien. Als Opposition zu Aufrüstung, Wirtschaftssanktionen und Krieg fällt sie damit aus. Privatisierungen und Sozialabbau unterstützt sie ohnehin. Die Brandmauer war immer eine Dummheit. Aber dass Merz sie ausgerechnet jetzt einreißt, hat mit diesen Entwicklungen zu tun. Nicht Merz ist klüger geworden, die AfD gehört jetzt auch zum Club. Trump und Musk unterstützen sie nicht dafür, russisches Gas zu kaufen oder das Wettrüsten zu stoppen.
Noch mal zu den Mitgliedern: 1.200 Aufnahmen sind nicht sehr viele. In diesem Tempo würde es über zehn Jahre dauern, bis alle bestehenden Aufnahmeanträge bearbeitet sind. Da brauchen Unterstützer, die Mitglied werden wollen, ganz schön viel Geduld.
Nein, wir werden in Zukunft das Aufnahmeverfahren liberalisieren. Das heißt nicht, dass wir nicht mehr hinsehen, aber es wird nicht mehr mit dem Aufwand laufen wie in der Vergangenheit. Vor der Bundestagswahl mussten wir Risiken so klein wie möglich halten. Wenn die Partei größer wird, kann sie auch einzelne Fehlgriffe leichter verkraften.
Ein anderer Vorwurf, den man aus dem Kreis der Unterstützer hört, lautet, dass eine Nomenklatura aus der früheren Linkspartei die Richtung im BSW bestimme und alle Posten unter sich aufgeteilt habe.
Das stimmt so wirklich nicht. Wir haben in der engsten Führung mit Shervin Haghsheno und Ralph Suikat zwei erfolgreiche Unternehmer, die nie etwas mit der Linken zu tun hatten. In den meisten Landesverbänden gibt es eine Doppelspitze, bei der einer nicht aus der Linken kommt. Auch auf unseren Bundestagslisten sind viele interessante Leute, die sehr unterschiedliche Biographien haben, viele waren vorher noch nie in einer Partei. Das heißt allerdings nicht, dass alles gut läuft und es keine Probleme gibt. Unterschiedliche politische Herkunft bedeutet unterschiedliche Prägung und andere Sichten. Da gibt es auch Konflikte und nicht jeder hat verstanden, dass es die Breite und Unterschiedlichkeit ist, die unsere junge Partei ausmacht und die ihr Erfolgsrezept bei den letzten Wahlen war. In einigen Landesverbänden ist der Umgang miteinander besser, in anderen läuft es schlechter. Deshalb gibt es auch berechtigte Kritik, die ich sehr ernst nehme. Wenn wir in Zukunft schneller Mitglieder aufnehmen und dabei auf Ausgewogenheit achten, wird sich vieles lösen lassen.
Können die Neumitglieder, die bald in größerer Zahl aufgenommen werden sollen, sich noch wirksam einbringen? Sind nicht alle Positionen schon festgeklopft und alle einflussreichen Posten in festen Händen?
Wir werden in den nächsten Monaten die Zahl unserer Mitglieder mehr als verdoppeln, bis Jahresende vervielfachen. Natürlich verändert so etwas eine Partei in erheblichem Maße, da werden auch Macht und Einfluss neu verteilt. Das Einzige, was wir dabei sicherstellen müssen, ist, dass die Partei ihr Profil und ihre grundlegende Ausrichtung, wie sie im Gründungsmanifest umrissen ist, beibehält.
Elon Musk hat durch seine Parteinahme für die AfD einen Sturm der Entrüstung bei den Regierungsparteien und in den Medien losgetreten. Ist die Einflussnahme von Ausland wirklich gefährlich für unsere Demokratie?
Ich finde es schon problematisch, mit welcher Selbstverständlichkeit sich US-Milliardäre in die deutsche Politik einmischen. Heuchlerisch ist, dass die Empörung darüber erst dann hochkocht, wenn die Unterstützung die AfD betrifft. Bill Gates finanziert seit Jahren deutsche Leitmedien, Campact hat schon bei den letzten Landtagswahlkämpfen massiv Werbung für Grüne und Linke gemacht und tut es gerade wieder. Campact ist ein verschachteltes Universum von Organisationen, von denen einige von der deutschen Regierung und andere von George Soros finanziert werden.
Viele Wähler fragen sich angesichts der großen Schnittmenge der Positionen von BSW und AfD, warum das BSW eine Koalition mit der AfD ausschließt. Bei Fragen wie Corona-Aufarbeitung, Ukraine-Politik, Migration, Klimapolitik, Wahrung der Bürgerrechte und Genderpolitik scheint das BSW der AfD viel näher zu stehen als den etablierten Parteien. Läge es da nicht nahe zu versuchen, diesen gemeinsamen Positionen gemeinsam zur Durchsetzung zu verhelfen?
Im Unterschied zu den anderen Parteien stimmt das BSW für Anträge, die wir richtig finden, egal wer sie stellt. Wir haben auch im Bundestag schon mehrfach AfD-Anträgen zugestimmt und unseren Antrag für einen Corona-Untersuchungsausschuss an alle Fraktionen geschickt, auch an die der AfD. Allerdings sollte man unsere Gemeinsamkeiten auch nicht überschätzen. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik vertritt die AfD keine soziale Marktwirtschaft mit starkem Mittelstand, sondern eine Ellenbogengesellschaft, in der Milliardäre noch weniger Steuern zahlen und noch weniger Rücksicht auf die Allgemeinheit nehmen müssen. Jede Form der Mietenregulierung ist für sie ein „Investitionshemmnis“, Erbschaftssteuern will sie komplett abschaffen, die Unterstützung für Arbeitslose rabiat kürzen. Ihr Vorbild ist der libertäre argentinische Präsident Milei, der es geschafft hat, die Armutsquote auf über 50 Prozent zu erhöhen. Frau Weidel fordert höhere Aufrüstungsziele als die Grünen. Solche Ideen sind denkbar weit von uns entfernt.
Wenn es theoretisch eine Möglichkeit gäbe, durch eine Koalition mit der AfD eine Regierung unter einem Kanzler Friedrich Merz zu verhindern, der den Ukraine-Konflikt mit Taurus-Lieferungen weiter eskalieren möchte, müsste BSW dann nicht eine solche Koalition eingehen?
Wenn es im Bundestag eine Mehrheit gegen Taurus gibt, wird Merz keine Taurus-Raketen liefern können. Denn natürlich würden wir diese Mehrheit nutzen, dafür müssen wir nicht mit der AfD koalieren. Auch deshalb ist es ja so wichtig, dass das BSW im nächsten Bundestag mit einer möglichst starken Fraktion vertreten ist. Kämen wir nicht rein, fielen Millionen Stimmen für eine konsequente Friedenspolitik unter den Tisch, was auch die Mehrheitsverhältnisse verändern würde. Ich denke, auch deshalb versucht man derzeit alles, um uns draußen zu halten. Auch die Kriegsfalken in der SPD werden sich so lange nicht endgültig durchsetzen, solange es das BSW als wichtigen politischen Gegenspieler gibt.
In Sachsen hat sich BSW einer Regierungsbeteiligung verweigert und gleich zu Beginn der Parlamentsarbeit mehrfach mit der AfD gestimmt. In Thüringen schien BSW geradezu begierig zu sein, Teil der Landesregierung zu werden, und scheint in der AfD ihren Hauptgegner zu sehen. Wird BSW im Bund eher der sächsischen oder der Thüringer Linie folgen?
Auch in Thüringen wurde nachverhandelt, weil die ersten Ergebnisse unzureichend waren. Dass wir in einer Zeit, in der alle nur noch über Waffen geredet haben, in zwei Koalitionsverträgen den Vorrang diplomatischer Konfliktlösung und eine Kritik an der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland verankern konnten, war ein wichtiger Erfolg. Auch, dass in Thüringen und Brandenburg Corona-Amnestiegesetze angestrebt werden, die Digitalisierung der Schulbildung endlich hinterfragt wird, sind keine Lappalien.
Weltbewegende Errungenschaften sind es aber auch nicht.
Natürlich sind die Spielräume auf Landesebene relativ klein und wir waren eine Partei, die vor den Wahlen überhaupt noch keine landespolitische Erfahrung hatte. Das war für die Verhandlungen ein schwieriger Ausgangspunkt. All das ist auf Bundesebene anders. Ich gehe nicht davon aus, dass die alten Parteien mit uns über eine Koalition verhandeln werden. Aber sollte es dazu kommen, wären die Mindestbedingungen klar: Ein Ende der Kriegspolitik und des neuen Wettrüstens. Die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und eine andere Energiepolitik, um die Energiepreise zu senken und unsere Industrie zu retten. Eine Rentenreform nach dem Vorbild Österreichs, wo ein Rentner im Schnitt 800 Euro mehr hat. Ein Stopp der unkontrollierten Migration, massive Investitionen in unser Bildungssystem und eine durchdachte Klima- und Umweltpolitik statt des aktuellen Ökoaktivismus, der viel Geld für grüne Hobbyprojekte verbrennt, die den Realitätscheck nicht bestehen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Transparenzhinweis: Der Interviewer ist BSW-Mitglied.
Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com