Eine von den USA und den EU-Staaten durchgeführte Untersuchung ist diese Woche zum Schluss gekommen, dass entgegen vorheriger Verdächtigungen Russland nicht für die in jüngster Zeit angeblich „gehäuft“ aufgetretenen Beschädigungen von Unterwasserkabeln in der Ostsee verantwortlich ist. Zuvor hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius von „Sabotage“ gesprochen und ausgeschlossen, dass dies versehentlich geschehen sein könnte. Ähnlich hatte sich auch Außenministerin Annalena Baerbock geäußert und vor einer „russischen Schattenflotte“ gewarnt. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, auf welcher Faktengrundlage die nun widerlegten Anschuldigungen beider Minister erfolgt waren. Die „Antwort“ vom AA-Sprecher hatte immerhin hohen Unterhaltungswert. Von Florian Warweg.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 22. Januar 2025:
Frage Warweg
Außenministerin Baerbock hatte vor dem Hintergrund der beschädigten Kommunikationskabel in der Ostsee auf hybride Gefahren durch eine russische Schattenflotte verwiesen. Verteidigungsminister Pistorius bezeichnete die Vorfälle explizit als Sabotage und erklärte, niemand glaube, dass diese Kabel versehentlich durchtrennt würden. Auch er verwies im weiteren Verlauf auf Russland.
Internationale Untersuchungen der USA und der EU-Länder sind diese Woche zu dem Schluss gekommen, Russland sei für die Zerstörung der Kabel nicht verantwortlich, sondern nach detaillierter Prüfung habe sich ergeben, das seien tatsächlich Unfälle gewesen. Die entsprechende Berichterstattung von Washington Post und Co. wird Ihnen sicherlich bekannt sein. („Laut offiziellen Angaben sind Unfälle und keine russische Sabotage für die Beschädigung von Unterseekabeln verantwortlich“).
Auf welcher faktischen Grundlage haben die Minister Pistorius und Baerbock ihre Beschuldigung gegenüber Russland formuliert?
Fischer (AA)
Lassen Sie mich vorweg sagen, dass sich die Gefahrenlage durch hybride Bedrohungen immer mehr verstärkt. Es gibt Vorfälle wie Kabeldurchtrennungen, Pipelinebeschädigungen, GPS-Störungen, Entfernung von Bojen in Grenzgebieten, Flug unbekannter Drohnen über kritische Infrastruktur, übrigens auch in Deutschland, etc. pp. Diese Vorfälle haben sich in den letzten Monaten vermehrt. Das ist, denke ich, eine besorgniserregende Entwicklung.
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal unterstreichen, dass unsere europäische Sicherheit nicht nur durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern auch durch hybride Bedrohungen von Seiten böswilliger Akteure bedroht wird. Der Schutz unserer gemeinsamen Sicherheit und unserer gemeinsamen kritischen Infrastruktur ist unabdingbar und zentral für unsere Gesellschaften. Pipelines oder Glasfaserkabel am Boden der Ostsee sind durchaus auch wirtschaftliche Lebensadern. Die Außenministerin hat das einmal sehr auf den Punkt gebracht: Es fällt bei dieser Aneinanderreihung von Ereignissen schwer, an Zufälle zu glauben.
Lassen Sie mich ergänzen. Ich komme aus einem kleinen Dorf an der Nordseeküste (Zuruf Warweg: „Das erkennt man ja schon an Ihrem Nachnamen“). Bei uns gibt es durchaus das eine oder andere Schiff, und sie werfen mitunter auch Anker. Wenn solch ein Anker mehrere Hundert Kilometer hinter einem Schiff hergezogen wird, dann lässt das darauf schließen, dass die Besatzung entweder extrem schlecht ausgebildet ist oder besoffen ist oder das mit Vorsatz tut. Sie können sich eine der drei Varianten aussuchen.
Stempfle (BMVg)
Ich habe dem nur wenig hinzuzufügen. Vielleicht noch ein Gedanke: Eines der Wesensmerkmale hybrider Angriffe ist, dass man am Anfang nicht weiß, von wem sie ausgehen, sondern das erst nachträglich recherchiert. Deswegen kann man diese hybriden Angriffe aber nicht einfach so stehen lassen. Dann muss man auf Anhaltspunkte zurückgreifen, die es gibt. Manchmal ist es klarer. Wenn sich zum Beispiel im Luftraum nicht an Spielregeln gehalten wird – denken Sie an das Ausschalten des Transponders zur Positionsbestimmung und ähnliche Dinge –, dann lässt sich das schneller nachweisen als andere Dinge. Grundsätzlich ist es für den Minister wichtig, nicht auszuschließen, dass es sich um hybride Attacken handeln kann, sondern dass man geradezu dazu verpflichtet ist, auch diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, und dann in Abstimmung mit Partnern recherchiert, was es im Einzelfall tatsächlich war.
Frage Warweg
Sie haben auch heute wieder betont, dass sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht an Spekulationen beteilige. Im Falle der Ostseedatenkabel ist genau das der Fall gewesen. Da hat man über einen Täter spekuliert, obwohl die darauffolgende Untersuchung jetzt darauf hindeutet … Alle westlichen Geheimdienste inklusive der CIA haben jetzt gesagt: Nach unseren Einschätzungen waren das Unfälle. – Wieso bleibt man …
Fischer (AA)
Ich darf kurz unterbrechen. Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Insofern wäre ich sehr vorsichtig mit der Behauptung, es sei kein hybrider Vorfall gewesen.
Zusatzfrage Warweg
Genau. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen; das ist mein Stichwort. Wieso beharrt man bei Nord Stream 2 explizit darauf, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen, und betont immer wieder, man warte erst die Untersuchungen ab, aus welcher Motivationslage folgt man dieser Regel bei Nord Stream, ist ihr aber im Zusammenhang mit den Unterseekabeln nicht gefolgt?
Fischer (AA)
Das Verfahren im Zusammenhang mit Nord Stream liegt beim Generalbundesanwalt. Er hat die Ermittlungshoheit und auch die Kommunikationshoheit darüber. Das, was in der Ostsee passiert ist, liegt in diesem Fall nicht beim Generalbundesanwalt und ist Gegenstand internationaler Ermittlungen.
Ich denke, wenn man eine Häufung solcher Vorfälle sieht, dann ist es gute und kluge Politik, sich darauf vorzubereiten, wie man damit umgeht, und gegebenenfalls auch Maßnahmen zu ergreifen, und das tun wir. Das ist ja nicht das einzige Problem. Wir sehen zum Beispiel auch die russische Schattenflotte, die durch die Ostsee fährt und sozusagen altersschwache Tanker hat, die jederzeit auseinanderbrechen können, mit schlecht ausgebildeten Besatzungen fahren und einfach eine Gefahr für die Umwelt im Ostseeraum darstellen. Ich denke, da gibt es sehr viele Dinge, auf die wir uns einstellen müssen. Dass wir dies tun, ist gute Außen- und Sicherheitspolitik.
Zusatzfrage Warweg
Ich habe immer noch nicht verstanden, wieso Sie in dem letzten Fall die Untersuchung nicht abgewartet haben. Sie können sich ja trotzdem darauf einstellen. Wieso gibt es offizielle Aussagen von Außenministerium und Verteidigungsministerium zu einer Causa, in der die Untersuchung noch läuft und alles darauf hindeutet, dass der von den besagten Ministern geäußerte Verdacht nicht zutrifft?
Fischer (AA)
Ich denke, es hat nie jemand bestritten, dass die Nord-Stream-Pipeline in die Luft gesprengt wurde. Insofern geht es erst einmal um die Faktenbeschreibung. Dann geht es um die Aufklärung, und diese liegt beim Generalbundesanwalt.
Sie sprechen nun die Durchtrennung von Kabeln an. Das haben wir in letzter Zeit häufiger gesehen. Darauf müssen wir uns einstellen. Wenn Sie die Äußerungen der Ministerin genau verfolgen, dann können Sie feststellen, dass sie auch erklärt hat, es falle ihr mehr als schwer, dabei noch an Zufälle zu glauben. Das lässt verschiedene Möglichkeiten offen.
Es geht in diesen Fällen durchaus einfach um die Tatsachenbeschreibung. Das eine ist in die Luft gesprengt worden. Darüber sind wir uns einig. Die Ermittlungen laufen, die strafrechtlichen Ermittlungen. Bezüglich des anderen sind wir noch bei der Schadensaufklärung, können bestimmte Dinge nicht ausschließen und müssen uns, weil sich die Dinge wiederholt haben, mit einer besseren Überwachung im Ostseeraum darauf einstellen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 22.01.2025
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