Der „Fall Gelbhaar“ und die Doppelmoral der Grünen

Der „Fall Gelbhaar“ und die Doppelmoral der Grünen

Der „Fall Gelbhaar“ und die Doppelmoral der Grünen

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen einen grünen Bundestagsabgeordneten aus der eigenen Partei waren erfunden. Der Fall illustriert gut die grüne Doppelmoral und kann für die Partei zum Problem werden. Wegen des unseriösen Verhaltens des Senders RBB ist der Vorgang auch ein Medienskandal. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Nach dem Skandal um mutmaßlich erfundene Belästigungsvorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar gibt es bei den Berliner Grünen erste personelle Konsequenzen, wie etwa der Berliner Tagesspiegel berichtet: Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte, Shirin Kreße, legte am Sonnabend ihr Mandat nieder und trat aus der Partei aus.

Laut Tagesspiegel soll Kreße unter der falschen Identität Anne K. dem Sender RBB eine Eidesstattliche Versicherung abgegeben haben, in der Gelbhaar sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde. Gelbhaar hatte die Vorwürfe laut Medien stets zurückgewiesen. Er verzichtete aber auf eine Kandidatur für die Landesliste. Im Januar verlor er dann auch die sicher geglaubte Direktkandidatur für seinen Wahlkreis Berlin-Pankow.

Kreße war bis zu ihrem Rückzug Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Feminismus, Fraktionssprecherin für Gesundheit und Queerpolitik sowie Mitarbeiterin des Grünen-Politikers Ario Mirzaie, dem Sprecher für Strategien gegen Rechts seiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Kreße wurde laut Medien mit der Wahl 2021 erstmals Bezirksverordnete, sie war auf Platz fünf der Bezirksliste und stieg in den Fraktionsvorstand auf. Sie wurde Fraktionschefin und seither jedes Jahr im Amt bestätigt.

RBB: „Journalistische Standards wurden nicht vollumfänglich eingehalten“

Der Vorgang ist auch eine Medienaffäre, denn zum Verdacht, dass Gelbhaar Frauen sexuell belästigt haben soll, hatte auch der öffentlich-rechtliche Sender RBB beigetragen. Am Freitag musste der Sender aber einräumen, dass er einer Täuschung aufgesessen war. Der Sender löschte alle Beiträge zum Vorgang, ein archivierter Ausschnitt aus der RBB-Berichterstattung findet sich noch unter diesem Link.

Der RBB geht inzwischen selbst davon aus, dass die Bezirkspolitikerin die Eidesstattliche Versicherung gefälscht hatte. In Telefonaten hätte Anne K. den angeblichen Übergriff von Gelbhaar geschildert, persönlich getroffen hatte die Redaktion die Frau nicht. Dennoch wurde der Vorwurf verbreitet, Gelbhaar habe sie zu einem Kuss gezwungen.

RBB-Chefredakteur David Biesinger sagte gegenüber Medien, dem RBB sei in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards seien nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der Eidesstattlichen Versicherung liegende Identität sei von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden. Zum Fehler beigetragen hätten aber betrügerische Absicht und kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden sei. Ein Sprecher des Senders sagte, der Fall sei nicht abgeschlossen. Der Ablauf werde nun analysiert, um notwendige Ableitungen der Nichteinhaltung journalistischer Standards für die Zukunft daraus zu ziehen. Eine Erklärung des RBB zum Fall Gelbhaar findet sich unter diesem Link. In diesem Interview mit der Berliner Zeitung geht der Anwalt Carsten Brennecke kritisch auf das Verhalten des RBB ein.

Ein Nutznießer ist Habecks Wahlkampfmanager

Auch aus dem Bundesvorstand der Grünen sei Gelbhaar zum Verzicht auf die Kandidatur um Platz zwei der Landesliste für den Bundestag gedrängt worden, schreiben Medien. Aktuell sagen die Grünen-Bundesvorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak, der Verdacht, dass gegenüber der Presse eine falsche Erklärung gegen ein anderes Parteimitglied mit schweren Vorwürfen erhoben worden sei, sei gravierend. Der Grünen-Kreisvorstand von Berlin-Mitte und der BVV-Fraktionsvorstand haben sich laut Berichten „schockiert gezeigt“: Wer eine falsche Eidesstattliche Erklärung abgebe und andere damit schwer belaste, begehe im Zweifel nicht nur eine Straftat, sondern fügt der Partei als Ganzes, der gemeldeten Person und den Strukturen zur Aufklärung entsprechender Vorwürfe erheblichen Schaden zu, schrieben sie in einer gemeinsamen Erklärung.

Ein Nutznießer von Gelbhaars Sturz war und ist der nachrückende Neuköllner Bundestagsabgeordnete und Wahlkampfmanager von Robert Habeck, Andreas Audretsch. Der weist jede Verbindung zu Kreße oder einer möglichen Intrige gegen Gelbhaar von sich. Audretsch war bis vor zehn Jahren als Hörfunk-Journalist unter anderem auch für den RBB tätig.

Auch dadurch, dass Habecks Wahlkampfmanager Audretsch ein Profiteur des Vorgangs ist, erhält die Affäre eine bundespolitische Dimension. Der Fakt, dass Audretsch profitiert, ist aber keineswegs ein Beweis für seine Mittäterschaft – auch ihm gegenüber sollte bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung gelten. Robert Habeck hat gegenüber RTL Stellungnahmen zum Fall Gelbhaar verweigert, wie dieser Ausschnitt zeigt. Und auch Annalena Baerbock wollte bei „Berlin Direkt“ nicht näher darauf eingehen, wie dieser Ausschnitt zeigt.

Die Grünen: Moral über Aufklärung

Fabio de Masi vom BSW hat sich auf X zum Fall Gelbhaar mit einigen zutreffenden Aspekten geäußert. Die Affäre sei „eine moderne Parabel über die Fallstricke öffentlicher Pranger“, so de Masi. Verlierer des Vorgangs seien die Opfer sexueller Belästigung durch Politiker, die nun noch härter darum kämpfen müssten, dass ihnen geglaubt wird. Begriffe wie Unschuldsvermutung, rechtsstaatliche Verfahren etc. seien »Selbstermächtigungen« über öffentliche Pranger etc. gewichen. Diese Praxis sei „düsteres Mittelalter“, es werde aber zuweilen aktivistisch „als modern beklatscht“.

De Masi fährt fort, die verantwortliche Bezirkspolitikerin, die für einen früheren Campact-Campaigner aus dem Abgeordnetenhaus gearbeitet habe, hätte „genau verstanden, wie man in ihrer Partei Macht organisiert“ – indem man einen Vorwurf erhebe, der „nicht angezweifelt“ werden dürfe. Die Parteispitzen der Grünen in Bund, Land und Bezirk hätten das alles mitgemacht, ohne den Sachverhalt auch nur minimal zu überprüfen, sie hätten nicht einmal die Verschiebung der Nominierung im Wahlkreis erwogen.

Das einzig Gute an dem Vorgang, so Fabio de Masis Fazit: Die Grünen haben hierüber unfreiwillig die Probleme mit einer Politik offenbart, die vermeintliche Moral über Aufklärung setzt.

Meine Ergänzung: Man kann nur hoffen, dass der Fall Gelbhaar zur weiteren Entzauberung der kriegstreiberischen Grünen beiträgt.

Titelbild: Screenshot/ZDF