Die Entscheidung des ehemaligen EU-Binnenmarktkommissars Thierry Breton, eine lukrative Beraterfunktion bei der Bank of America zu übernehmen, unterstreicht die Mitschuld von EU-Beamten an der Förderung genau der Abhängigkeiten, die sie öffentlich anprangern. Von Thomas Fazi.
Als EU-Binnenmarktkommissar stellte sich Thierry Breton oft als Verfechter der europäischen Souveränität dar, insbesondere bei seinen Bemühungen, die Vorherrschaft US-amerikanischer Tech-Giganten wie Elon Musks X herauszufordern. Viele von uns hatten jedoch den Verdacht, dass seine Rhetorik weniger mit der Verteidigung der europäischen Autonomie als vielmehr mit dem Wunsch zu tun hatte, die Online-Erzählung zu kontrollieren. Dies zeigte sich bei der Umsetzung des Digital Services Act (DSA), einem Instrument, das den EU-Eliten effektiv die Macht verleiht, unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Desinformation zu diktieren, was Hunderte Millionen von Europäern online sagen und lesen können oder nicht.
Dieser Verdacht hat sich durch die Ankündigung Ende dieser Woche weiter erhärtet, dass Breton von der Europäischen Kommission – der Institution, die er erst vor wenigen Monaten verlassen hat – die Genehmigung erhalten hat, eine lukrative Beraterfunktion bei der Bank of America, der zweitgrößten Bank der Vereinigten Staaten, zu übernehmen. Damit hat er die übliche zweijährige „Bedenkzeit“ umgangen, die eine unmittelbare Lobbytätigkeit verhindern soll. Für einen selbsternannten Euro-Souveränisten ist das ein merkwürdiger Schritt: Wie bringt man es unter einen Hut, sich für die Unabhängigkeit Brüssels von ausländischer Konzernmacht einzusetzen und gleichzeitig eine einflussreiche Position bei einem der US-amerikanischen Finanzriesen zu übernehmen?
Bretons Fall ist jedoch kein Einzelfall, sondern passt zu einem seit langem bestehenden Muster, bei dem ehemalige EU-Beamte ihre Erfahrungen im öffentlichen Dienst für Positionen im Hochfinanzbereich nutzen. Dies geschieht in der Regel bei US-Banken, die von Insiderwissen über die europäische Politik profitieren, was die ständige „Drehtür“ zwischen EU-Beamten und der Wall Street unterstreicht.
Eines der berüchtigtsten Beispiele ist vielleicht José Manuel Barroso, der von 2004 bis 2014 Präsident der Europäischen Kommission war. Nach seiner Amtszeit wechselte Barroso zu Goldman Sachs als Berater und „nicht geschäftsführender Vorsitzender“, ein Schritt, der angesichts der umstrittenen Rolle der Bank während der Schuldenkrise in der Eurozone und ihrer Beteiligung an der Verschleierung der griechischen Verschuldung vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte heftige Gegenreaktionen hervorrief.
Die Drehtür funktioniert jedoch in beide Richtungen. Mario Draghi war stellvertretender Vorsitzender bei Goldman Sachs International, bevor er Gouverneur der Bank von Italien und später Präsident der Europäischen Zentralbank wurde. Während seiner Zeit bei Goldman Sachs war er an der Strukturierung komplexer Finanzprodukte beteiligt, einschließlich derer, die von Griechenland im Vorfeld der Finanzkrise eingesetzt wurden. Auch Mario Monti, der ehemalige EU-Kommissar, der 2011 Silvio Berlusconi als technokratischer Ministerpräsident Italiens ablöste, war als internationaler Berater für Goldman Sachs tätig und trat nur wenige Tage vor seiner Vereidigung von diesem Posten zurück.
Dieses Muster wirft nicht nur ethische Bedenken hinsichtlich der Verwischung der Grenzen zwischen öffentlichem Dienst und privatem Profit auf, sondern verdeutlicht auch den tiefgreifenden Einfluss, den die USA auf Europa ausüben – nicht nur politisch, sondern auch in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht. Amerikanische Finanzinstitute verankern sich auf den höchsten Ebenen der europäischen Politik, indem sie ehemalige und künftige hochrangige EU-Beamte anwerben und so die wirtschaftliche Landschaft des Kontinents nach ihren Interessen gestalten.
Als Barroso zu Goldman Sachs kam, war seine Rolle beispielsweise ausdrücklich mit der Bewältigung der Folgen des Brexit verbunden – einer Krise, die den Zugang der Wall Street zu den europäischen Märkten hätte untergraben können. Draghis Rolle bei der Durchsetzung von Sparmaßnahmen als Präsident der EZB kam auch den US-Banken zugute, von denen viele bei europäischen Banken und Regierungen hoch verschuldet waren. Was Monti betrifft, so bestand eine der ersten Maßnahmen seiner Regierung darin, Morgan Stanley 3,4 Milliarden Dollar zu zahlen, um einen Zinsswap zu beenden, der mehr als 20 Jahre zuvor mit der US-Bank abgeschlossen worden war.
Das Phänomen geht über den Finanzsektor hinaus und hat weiterreichende geopolitische Auswirkungen. Indem sie sich in die europäischen politischen Entscheidungsstrukturen einbetten, fungieren die US-Finanzinstitute als Kanäle für den wirtschaftlichen und politischen Einfluss der USA. Diese tiefe Verflechtung untergräbt die Fähigkeit der europäischen Nationen, bei der Bewältigung von Herausforderungen wie der digitalen Souveränität und der Industriepolitik unabhängige Wege zu gehen. Stattdessen passt sich Europa oft an US-zentrierte Rahmenbedingungen an, sogar auf Kosten seiner strategischen Autonomie.
Der Zeitpunkt von Bretons Schritt ist besonders bemerkenswert, da er inmitten wachsender Debatten über die Rolle des Einflusses der US-Finanz- und Technologiebranche bei der Gestaltung der digitalen und wirtschaftlichen Landschaft Europas erfolgt. Weit davon entfernt, die europäische Souveränität zu stärken, deuten solche Aktionen auf ein beunruhigendes Muster der Komplizenschaft der Eliten hin, die genau die Abhängigkeiten fördern, die sie öffentlich anprangern.
Dieser Artikel erschien im englischen Original auf UnHerd.
Titelbild: KI-erzeugtes Symbolbild (mit Grok)