Vergleich der Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl

Vergleich der Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl

Vergleich der Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl

Karsten Montag
Ein Artikel von Karsten Montag

Die vorgezogene Bundestagswahl steht vor der Tür und die Parteien haben ihre Wahlprogramme beziehungsweise deren Entwürfe öffentlich bereitgestellt. Die NachDenkSeiten haben zu den wichtigsten politischen Themenbereichen die unterschiedlichen Positionen verglichen. Viele Gegensätze decken sich mit der gängigen Medienberichterstattung. Doch es sind auch einige erstaunliche Positionen zu finden. Von Karsten Montag.

Laut aktuellen Umfragen liegt die Union derzeit im Schnitt bei 32 Prozent, die AfD bei 20, die SPD bei 16, die Grünen bei 14, das BSW bei fünf und die FDP bei vier Prozent der Wählerzustimmung. Die NachDenkSeiten haben die Wahlprogramme dieser Parteien analysiert und deren Positionen zu verschiedenen Politikfeldern gegenübergestellt. Die vollständigen Programme beziehungsweise deren Entwürfe sind hier zu finden: SPD, Grüne, BSW, CDU/CSU, FDP, AfD.

Die Inhalte der Programme wurden den folgenden Themenbereichen zugeordnet:

Die Partei „Die Linke“ kommt bei den Umfragen im Schnitt auf lediglich drei Prozent Wählerzustimmung und hat nur sehr geringe Chancen, in den nächsten Bundestag einzuziehen. Daher wurde auf die Auswertung ihres Wahlprogramms verzichtet.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Die Auswertung ergibt, dass die Positionen der Unionsparteien deutlich mehr mit denen der FDP (74 Prozent) und AfD (54 Prozent) übereinstimmen als mit denen der SPD und der Grünen (Übereinstimmung mit den Positionen der Union jeweils 43 Prozent). Letztere beiden wiederum stimmen in den meisten Bereichen (79 Prozent) ähnlich hoch überein wie die Union und die FDP. Theoretisch gäbe es also eine Mehrheit für eine rechtsgerichtete Politik mit der Union als stärkste Partei und der AfD als Juniorpartner, selbst wenn die FDP als möglicher dritter Koalitionspartner nicht in den Bundestag einziehen sollte.

Doch da CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat, wird es voraussichtlich zu einer Koalition zwischen der Union und der SPD und/oder den Grünen kommen. Auch die FDP kann bei einem Einzug in den Bundestag darauf hoffen, aufgrund der hohen Übereinstimmung mit der Union an der Regierung beteiligt zu werden – insbesondere dann, wenn eine Regierungsmehrheit mit nur zwei Koalitionspartnern nicht zustande kommt.

Unabhängig von dem konkreten Wahlergebnis ist bereits jetzt schon abzusehen, dass die künftige Bundesregierung ähnlich fragil aufgestellt sein wird wie die gescheiterte Ampelkoalition. Auch der größte Streitpunkt zwischen diesen möglichen Koalitionspartnern lässt sich bereits identifizieren – nämlich wie die jeweiligen politischen Ziele finanziert werden sollen. Während SPD und Grüne die Schuldenbremse reformieren wollen, um neue Schulden aufzunehmen, wollen Union und FDP daran festhalten und im sozialen Bereich kürzen.

Die Gründe für die aktuelle politische Instabilität sind nicht in den klassischen Politikfeldern Wirtschaft, Arbeit und Soziales zu finden. In den meisten Bereichen dieser Felder sind die Unionsparteien, die AfD und die FDP eindeutig im rechten und die SPD, die Grünen und das BSW eindeutig im linken politischen Spektrum verortet. Auch in der Migrationspolitik sind sich CDU/CSU und AfD zu 89 Prozent einig. Die Forderungen der Unionsparteien sind bei diesem Thema – im Gegensatz zur überwiegenden medialen Darstellung – sogar zum Teil rigoroser als die der AfD.

Die derzeit tiefe Spaltung sowohl der rechten als auch der linken Parteien manifestiert sich hingegen an nur wenigen, jedoch für die Zukunft Deutschlands ausschlaggebenden Themen. Diese finden sich in der Energiepolitik, der Außenpolitik, der Rentenpolitik sowie bei der Aufarbeitung von Corona. Während die derzeit etablierten Parteien weiterhin auf Energielieferungen aus Russland verzichten und die Ukraine mit allen Mitteln unterstützen wollen, fordern AfD und BSW eine radikale Wende. Eine deutliche Dreiteilung lässt sich bei der Rentenpolitik feststellen. Während Union und FDP vorrangig kapitalgedeckte Altersvorsorgemodelle fördern wollen, sind SPD und Grüne bestrebt, das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung dauerhaft auf mindestens 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens festzulegen. Im Gegensatz dazu fordern AfD und BSW eine deutliche Erhöhung der gesetzlichen Rente mit einer Steigerung des Niveaus auf 70 beziehungsweise 75 Prozent.

Ein wenig diffuser sieht es bei der Aufarbeitung der Corona-Krise aus. Während AfD, BSW und FDP einen Untersuchungsausschuss im Bundestag fordern und – wie im Falle der AfD und des BSW – auch Gesetze rückgängig machen beziehungsweise Bußgelder zurückzahlen wollen, wollen sich die Unionsparteien und die Grünen überhaupt nicht mehr mit dem Thema befassen. Die SPD möchte laut Wahlprogramm „das staatliche Krisenmanagement in der Corona-Pandemie umfassend aufarbeiten, um daraus lernen zu können“ – ohne Angabe, wie dies vonstatten gehen soll.

Methodik der Analyse

Zu den genannten Themenbereichen wurden einzelne Positionen der Parteien – sofern diese zu identifizieren waren – miteinander verglichen. Zu einigen Themen waren nicht bei allen Parteien eindeutige Positionen erkennbar. Dies ist mit einem Fragezeichen in der Auswertung gekennzeichnet. Da in den zum Teil über 80 Seiten umfassenden Wahlprogrammen eine Vielzahl von Positionen aufgeführt sind, zu denen bei den jeweils anderen Parteien keine Aussagen zu finden sind, stellt die Auswertung nur einen Ausschnitt der Programme dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Folgenden werden also die Positionen der sechs Parteien mit Aussicht auf Einzug in den Bundestag zu ausgewählten Themenbereichen dargestellt.

Wirtschaft und Energie

Abbildung 1: Positionen der Parteien zu Wirtschaft und Energie, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: SPD und Grüne (91 Prozent), Union und FDP (82 Prozent).

Es fällt auf, dass SPD und Grüne hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Energiepolitik im Grunde die Politik der Ampel fortführen wollen, während die FDP sowie die übrigen bisherigen Oppositionsparteien größtenteils einen anderen Kurs einschlagen. Die großen Differenzen zwischen der Union auf der einen und SPD beziehungsweise den Grünen auf der anderen Seite werden mögliche Koalitionsverhandlungen und erst recht ein gemeinsames Regieren erschweren. AfD und BSW sind sich hinsichtlich der Energielieferungen aus Russland einig.

Alle Parteien haben in ihren Wahlprogrammen den Abbau von Bürokratie als zentrales Mittel ihrer Wirtschaftspolitik benannt. Jedoch verstehen nicht alle das Gleiche darunter. Union, SPD, Grüne und FDP vollen die Verwaltung digitalisieren. Union, Grüne und AfD fordern eine Reduzierung der Berichts- und Dokumentationspflichten in der Landwirtschaft. Die Union und die FDP wollen eine zeitliche Befristung von Gesetzen einführen, während die SPD auf einen „Praxischeck“ für neue Gesetze setzt. Union, FDP und BSW sind sich einig darüber, EU-Richtlinien nicht mehr in nationales Recht umzusetzen als nötig. Die FDP und die AfD wollen die Berichtspflichten aus dem „Green Deal“ der EU-Kommission gar ganz oder größtenteils abschaffen. Union, SPD und Grüne setzen sich für einen Bürokratieabbau in der Förderung der Forschung und im Baurecht ein. Die Grünen wollen die Förderung von erneuerbarer Energie vereinfachen, die FDP die Wertgrenze für Direktaufträge im Vergaberecht auf 100.000 Euro anheben.

Hinter diesen mehr oder weniger konkreten Vorhaben steckt viel kleinteilige Klientelpolitik. Bei der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen ist zu befürchten, dass dies überhaupt nicht zu Bürokratieabbau führt. Denn genau genommen handelt es sich dabei um eine Verlagerung der Bürokratisierung auf digitale Speichermedien sowie eine Unterstützung bürokratischer Vorgänge mithilfe von automatisierten Prozessen. Wer einmal an einer Digitalisierung von Daten und den zugehörigen Prozessen beteiligt war, weiß, dass daraus völlig neue Möglichkeiten der Nutzung und Auswertung der Daten entstehen. Es ist also wahrscheinlich, dass die Bürokratisierung durch die Digitalisierung erheblich zu- statt abnimmt. Die Prozesse laufen nur schneller und kostengünstiger ab, sodass der Eindruck entsteht, es gäbe weniger Bürokratie.

Zudem ermöglichen die Digitalisierung und Automatisierung vollkommen neue Methoden der Überwachung und Kontrolle. Solange hierzu keine expliziten Datenschutzregeln formuliert und implementiert werden, muss man davon ausgehen, dass alle diese Möglichkeiten erst einmal genutzt werden. Tatsächlich wollen einige Parteien die Datenschutzregeln minimieren. So fordern die Grünen einen Abbau von Datenschutzbürokratie, die FDP will eine Vereinheitlichung der Datenschutzaufsicht voranbringen. CDU/CSU wollen statt einer Datenschutzpolitik eine „echte Datenchancenpolitik“ – ohne konkret zu erläutern, was sie darunter verstehen.

Steuern, Abgaben und Finanzen

Abbildung 2: Positionen der Parteien zu Steuern, Abgaben und Finanzen, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: Union und FDP (100 Prozent), SPD und Grüne (89 Prozent).

Beim Thema Steuern, Abgaben und Finanzen werden die Unterschiede klassischer linker und rechter Politik besonders deutlich. Während linke Parteien dazu tendieren, neue Schulden zu fordern und die Vermögenden stärker in die Pflicht zu nehmen, ist bei rechten Parteien der gegenteilige Trend feststellbar. Auffällig ist die Forderung nach steuerlicher Entlastung von Rentnern beim BSW, die sich bei keiner der anderen Parteien wiederfindet.

Zur Senkung der Stromkosten sind sich alle Parteien einig, die Netzentgelte zu reduzieren. Diese machen 20 bis 25 Prozent der Stromrechnung der Verbraucher aus und haben sich aufgrund des Netzausbaus zur Nutzung erneuerbarer Energien verteuert. Allerdings gehen die Zielgruppen sowie die Konzepte der Gegenfinanzierung der Parteien dabei weit auseinander. Die SPD will die Netzentgelte lediglich für stromintensive Unternehmen senken. Die Union will die Reduzierung für alle Konsumenten mithilfe der CO2-Abgabe bewerkstelligen, die Grünen auf Kosten neuer Schulden und die FDP durch „Digitalisierung, Flexibilisierung und überirdischen Netzausbau“. Die AfD will höhere Kosten gar nicht erst vorantreiben, indem sie ein Ende des Ausbaus der Windenergie fordert, und das BSW will mit einer Verstaatlichung des Ausbaus der Netze die Netzentgelte sogar auf null senken.

Arbeit, Soziales und Familie

Abbildung 3: Positionen der Parteien zu Arbeit, Soziales und Familie, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: SPD und Grüne (86 Prozent), AfD und BSW, AfD und FDP (jeweils 71 Prozent).

Auch im Bereich Arbeit, Soziales und Familie werden die Unterschiede klassischer linker und rechter Politik deutlich. Während linke Politik sich für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns einsetzt und das Bürgergeld in seiner jetzigen Form erhalten will, verweisen Union und FDP auf die Lohnfindungsmechanismen der Sozialpartner (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) und lehnen eine politische Einmischung ab. Zudem wollen die rechten Parteien das Bürgergeld reformieren und den Druck auf Langzeitarbeitslose erhöhen.

Auch das BSW fordert eine Reform des Bürgergeldes. Allerdings will die Partei die Situation der Arbeitslosen verbessern. Demnach sollen diese so lange 60 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens erhalten, bis ihnen eine zumutbare Beschäftigung angeboten wird oder sie eigenständig eine gefunden haben. Die FDP will das Streikrecht in „kritischen Bereichen“ wie Transport, Gesundheits- und Sozialversorgung, Kindertagesstätten, Energie, Brand- und Zivilschutz sowie Abfallentsorgung einschränken, da sonst „ein überproportional großer gesellschaftlicher Schaden“ drohe.

Wohnen und Verkehr

Abbildung 4: Positionen der Parteien zu Wohnen und Verkehr, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: Union und FDP (82 Prozent), SPD und Grüne (73 Prozent).

Wie bereits bei den beiden vorangegangenen Politikfeldern stellt sich auch beim Thema Wohnen und Verkehr ein klarer Unterschied typischer linker und rechter Politik heraus. Während sich SPD, Grüne und BSW beispielsweise für eine Deckelung beziehungsweise Senkung der Mietpreise einsetzen, wollen Union, FDP und AfD die Preisbildung dem freien Markt überlassen. Die Unterschiede werden auch bei den Themen Deutschlandticket, Privatisierung der Bahn und Förderung des Luftverkehrs deutlich.

Auffällig ist in diesem wie auch in anderen Bereichen, in wie vielen Punkten die Positionen der FDP von denjenigen ihrer ehemaligen Koalitionspartner abweichen. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, welche Kompromisse die Partei eingegangen sein muss, um an der letzten Regierung beteiligt zu sein.

Rente

Abbildung 5: Positionen der Parteien zur Rente, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: SPD und Grüne, AfD und BSW (jeweils 86 Prozent), Union und SPD, Union und FDP (jeweils 71 Prozent).

Beim Thema Rente weicht die AfD von ihren bisher eher klassisch rechten Positionen weit ab und fordert zusammen mit dem BSW eine deutliche Erhöhung der Renten in Form einer maßgeblichen Steigerung des Rentenniveaus. Dabei gehen die beiden Parteien sogar erheblich weiter als SPD und Grüne. Das BSW fordert zusätzlich eine sofortige Erhöhung der Renten um 120 Euro pro Monat als Inflationsausgleich. Zudem lehnt die linke Partei als einzige Anreize für das Arbeiten nach dem Renteneintritt ab.

Auch bei der Finanzierung der Rente über eine Bürgerversicherung, in die zumindest auch Politiker einzahlen sollen, sowie bei der Ablehnung der Förderung von kapitalgedeckten Altersvorsorgekonzepten weicht die AfD von den Positionen der Union und der FDP ab. Die Einbeziehung von Politikern bei der Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung soll laut BSW die Politik hemmen, das Rentenniveau zu senken.

Bildung

Abbildung 6: Positionen der Parteien zur Bildung, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: Union und FDP (83 Prozent), Union und Grüne (67 Prozent).

Beim Thema Bildung fällt auf, dass einzig die AfD eine Lockerung der Schulpflicht und die Einführung einer Bildungspflicht fordert. Deutschland ist neben Schweden, China und Nordkorea eines der weltweit wenigen Länder mit einer gesetzlichen Schulpflicht. Eine Bildungspflicht legt die Verantwortung dafür, dass Kinder gewisse Bildungsanforderungen erfüllen, in die Hände der Eltern, sodass beispielsweise auch Hausunterricht möglich ist.

Gesundheit

Abbildung 7: Positionen der Parteien zur Gesundheitspolitik, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: Union und FDP, Union und AfD, SPD und BSW, SPD und FDP, AfD und FDP (jeweils 67 Prozent), Union und Grüne, SPD und Grüne, Grüne und BSW, AfD und Grüne (jeweils 50 Prozent).

In der Gesundheitspolitik setzt sich lediglich das BSW konsequent für eine Entlastung von Geringverdienern und weniger Vermögenden ein.

Hinsichtlich der Aufarbeitung der Corona-Krise fordert zwar auch die FDP einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Doch AfD und BSW wollen noch deutlich weiter gehen. So fordert die AfD „Beweislasterleichterungen“ beim Nachweis von Impfschäden durch die COVID-19-Impfungen. Alle Entscheidungsträger von „interessensgesteuerten, entgegen der Wissenschaft herbeigeführten Maßnahmen“ müssten zur Verantwortung gezogen und zu Unrecht Verurteilte rehabilitiert sowie entschädigt werden. Die im Zusammenhang mit der Corona-Krise geänderten Gesetze und Richtlinien seien zu überprüfen und gegebenenfalls zu streichen.

Das BSW fordert zusätzlich eine „groß angelegte Studie“, die anhand anonymisierter Krankenkassendaten untersucht, ob bestimmte Krankheiten bei Geimpften signifikant häufiger aufgetreten sind als bei Ungeimpften. Des Weiteren will die Partei ein Corona-Amnestiegesetz, das zur Einstellung noch laufender Verfahren und zu Rückzahlungen von Bußgeldern führen soll. Dem WHO-Pandemievertrag will das BSW nicht zustimmen.

Innere Sicherheit

Beim Thema innere Sicherheit weichen die Positionen der Parteien größtenteils nur im Detail voneinander ab. Alle wollen die organisierte Kriminalität und Terrorismus bekämpfen sowie Extremismus, Antisemitismus und Islamismus unterbinden.

Weit auseinander gehen die Positionen allerdings bei der Bekämpfung von Desinformation. Die SPD fordert zwar, dass sich die staatliche Aufsicht zurückhalten muss, „um kein Gefühl von staatlicher Zensur aufkommen zu lassen“. Sie ist jedoch der Meinung, der Staat dürfe wirksame Moderation von Plattformen einfordern sowie unabhängige Medien fördern, die unter anderem auch Faktenchecks durchführen. Zudem will die Partei die Zentralstelle für strafbare Inhalte im Internet beim Bundeskriminalamt weiter ausbauen, „um die Verfolgung von Online-Hasskriminalität effektiver zu gestalten“.

Die Grünen wollen die „systematische Verbreitung von Desinformation im Auftrag eines fremden Staates“ gar strafrechtlich verfolgen. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) sieht die Partei als Sicherung „pluralistischer, staatsferner und unabhängiger Berichterstattung“. Daher könne der ÖRR „ein Punkt der Orientierung auch im Angesicht von Desinformationskampagnen“ sein und solle diese bewährte Funktion auch im Digitalen ausfüllen. Die FDP will die Öffentlichkeit „proaktiv“ über die Hintergründe und Urheber von Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffen informieren.

Im Gegensatz dazu fordert die AfD das „sofortige Einstellen aller Desinformationskampagnen und die Beendigung jeglicher Finanzierung von nichtstaatlichen Akteuren“, die auf die freie Meinungsbildung einwirken oder diese zu unterdrücken versuchen. Damit meint die Partei Organisationen wie „Faktenchecker“ oder „Correctiv“, die über staatliche Beauftragung und Finanzierung für Desinformationskampagnen eingespannt würden, und nennt beispielhaft die Kampagnen zur Corona-Impfung. Sie fordert eine Offenlegung der Finanzierung von Nicht-Regierungsorganisationen und lehnt die Implementierung des europäischen Digital Services Act (DSA) in Deutschland ab. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) will die AfD rückabwickeln.

Das BSW fordert, den Tatbestand der Beleidigung einer „im politischen Leben des Volkes stehenden Person“ wieder aus Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs zu streichen. Dieser würde von Politikern dazu genutzt, ihre Kritiker wegen harmloser Postings in den sozialen Medien zu verfolgen. Zudem will die Partei den im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen eingeführten „Phänomenbereich Verfassungsschutz-relevante Delegitimierung des Staates“ wieder abschaffen. Damit könne der Staat im Grunde jede scharfe Kritik an der Regierung zu einem Beobachtungsfall machen, so das BSW.

Migration

Abbildung 8: Positionen der Parteien zur Migration, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: Union und AfD, SPD und Grüne (jeweils 89 Prozent), Grüne und BSW, AfD und FDP (jeweils 78 Prozent).

Beim Thema Zuwanderung ähneln sich die Positionen jeweils unter den linken und rechten Parteien in vielerlei Hinsicht, beispielsweise beim Bürgergeld für Flüchtlinge aus der Ukraine oder bei der Familienzusammenführung für subsidiär Schutzbedürftige. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, denen weder Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt wird, die jedoch stichhaltige Gründe dafür vorbringen können, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht.

Auffällig ist, dass die im Wahlprogramm der AfD formulierten Forderungen hinsichtlich der Zuwanderung sowie der Rückführung von Migranten bei Weitem nicht so radikal sind, wie dies in den Medien überwiegend dargestellt wird. Im Grunde setzt sich die Partei größtenteils für die konsequente Anwendung bestehenden Rechts ein. Darüber hinaus gehende Forderungen stehen größtenteils im Einklang mit den Positionen der Union und der FDP. Erstaunlich ist, dass die Positionen der Union teilweise rigoroser als die der AfD sind. So fordern CDU/CSU beispielsweise die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, während die AfD sich lediglich für deren zeitliche Begrenzung ausspricht. Zudem will die Union den subsidiären Schutzstatus auf EU-Ebene komplett abschaffen, die AfD fordert hingegen nur Einschränkungen dieses Status.

Außen- und Verteidigungspolitik

Abbildung 9: Positionen der Parteien zur Außen- und Verteidigungspolitik, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: Union und Grüne, Union und FDP, Grüne und FDP (jeweils 80 Prozent), Union und SPD, SPD und Grüne (jeweils 70 Prozent).

In der Außenpolitik wird die Spaltung im linken und rechten Politikspektrum besonders deutlich. Während die etablierten Parteien ihren Kurs gegen Russland und ihre Unterstützung der Ukraine fortführen oder sogar mithilfe der Ausweitung von Sanktionen und der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ausweiten wollen, setzen sich AfD und BSW größtenteils konsequent dagegen ein. Hinsichtlich der militärischen Unterstützung Israels fordert nur das BSW einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen.

Der im Entwurf des AfD-Wahlprogramms formulierte Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union wurde zwar auf dem Parteitag der Partei wieder zurückgenommen, allerdings fordert die AfD weiterhin, dass die EU „samt ihren Bürokratien und Institutionen“ durch eine Wirtschafts- und Interessengemeinschaft (WIG) ersetzt wird. Zudem will die Partei aus dem Euro-Geldsystem austreten und wieder eine nationale Währung einführen.

Bei der Analyse der Positionen der Parteien zur Verteidigungspolitik stellt sich heraus, dass nur das BSW eine konsequente Friedenspolitik verfolgt. Alle anderen Parteien wollen den Wehretat zum Teil deutlich erhöhen. Das BSW ist auch die einzige Partei, die die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden und den Einsatz deutscher Soldaten in internationalen Kriegen ablehnt.

Sonstige Themen

Abbildung 10: Positionen der Parteien zu sonstigen Themen, Datenquelle: Wahlprogramme der Parteien

Höchste Übereinstimmungen: SPD und Grüne (100 Prozent), Union und AfD, BSW und FDP (jeweils 80 Prozent).

Das im November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen vor dem Standesamt zu ändern. Das BSW kritisiert, dass dadurch Schutzrechte für Frauen aushöhlt werden, und fordert, dass der Wechsel der Geschlechtsidentität nur mit einem ärztlichen Gutachten möglich sein soll. Die Union will einen operativen Geschlechtswechsel bei Erwachsenen nur nach ausführlicher unabhängiger Zweitberatung ermöglichen. Bei Kindern soll ein formeller Wechsel nur mit unabhängigen psychologischen Gutachten stattfinden. Die AfD lehnt einen Wechsel komplett ab und besteht auf die „Realität der Zweigeschlechtlichkeit“, auch wenn dies bei einer „verschwindend geringen Anzahl von Menschen“ nicht eindeutig zugeordnet werden könne.

Schlussbemerkung

Beim Lesen der Wahlprogramme der Parteien ist dem Autor aufgefallen, dass sich darin viele weit hergeholte, unerwartet zynische und in sich widersprüchliche Formulierungen befinden. Insbesondere bei der SPD, den Grünen und der Union war dies aus Sicht des Autors vermehrt der Fall. Nachfolgend drei beispielhafte Zitate:

„Unterstützen wir jetzt weiter die Ukraine – standhaft und besonnen? Oder lassen wir uns in Fragen von Krieg und Frieden auf gefährliche Abenteuer ein?“ (SPD)

„Für Ausreisepflichtige richten wir die Sozialleistungen an dem von Gerichten aufgestellten Grundsatz ‚Bett, Brot und Seife‘ aus und sehen, wo immer möglich, einen gänzlichen Leistungsausschluss vor. (…) Unser christliches Menschenbild gebietet es, dass wir den Ärmsten und Schwächsten auf der Welt helfen.“ (CDU/CSU)

„Deutschland ist von früheren Regierungen jahrelang auf Verschleiß gefahren worden.“ (Grüne)

Besonders irritierend empfindet der Autor eine Formulierung aus dem Wahlprogramm der Grünen, da diese an einen der größten Völkerrechtsverstöße dieses Jahrhunderts erinnert:

„Mit dem Ziel einer starken, handlungsfähigeren EU möchten wir die laufende Legislatur zu einer Reformlegislatur machen. Dafür soll das Prinzip der Einstimmigkeit in allen Politikbereichen – auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – durch Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden. Wo Reformen mit allen Mitgliedstaaten nicht möglich sind, soll eine ‚Koalition der Willigen‘ vorangehen können, die stets offen für alle Mitgliedsländer ist.“

Titelbild: Studio Harmony/shutterstock.com

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