Wer ist Friedrich Merz?

Wer ist Friedrich Merz?

Wer ist Friedrich Merz?

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Er hat das wohl größte Comeback seit Lazarus hingelegt. Hätte vor wenigen Jahren niemand mehr einen Cent auf die politische Zukunft von Friedrich Merz gesetzt, darf er heute – wenige Tage vor den Wahlen – wohl als wahrscheinlichster nächster Bundeskanzler gelten. Es ist schon erstaunlich, wie schlecht das Langzeitgedächtnis des Wählers funktioniert. Wenn Friedrich Merz ins Bundeskanzleramt einzieht, ist dies der Hauptgewinn für die Finanzkonzerne, als deren Lobbyist er jahrelang hauptberuflich tätig war, wobei sich beim „politisch-lobbyistischen Gesamtkunstwerk“ Merz nicht immer klar sagen lässt, was bei ihm überhaupt der Haupt- und was der Nebenberuf ist. Eine kleine Erinnerung an die berufliche Vergangenheit des Mannes, der sich nun anschickt, die Interessen der Mehrheit zu vertreten. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dieser Artikel liegt auch als gestaltetes PDF vor. Wenn Sie ihn ausdrucken oder weitergeben wollen, nutzen Sie bitte diese Möglichkeit. Weitere Artikel in dieser Form finden Sie hier.

Lobbyist war Friedrich Merz schon immer. Bevor der großbürgerliche Spross einer sauerländischen Juristenfamilie 1989 überhaupt „Berufspolitiker“ wurde, war er bereits als Lobbyist beim Verband der Chemischen Industrie beschäftigt. Zahlreiche andere Geldgeber sollten folgen, doch in den 1990ern machte Merz auch politisch in der CDU Karriere und brachte es bis zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Doch Merz verzettelte sich mit gleichgesinnten machthungrigen Konservativen in einem Männerbund namens Andenpakt, der im Duell um die Nachfolge Helmut Kohls gegen Angela Merkel verlor. Damit war die steile Politkarriere des Sauerländers erst einmal vorbei und fortan waren bei seinen „nebenberuflichen“ Ambitionen in der Finanzbranche die Dämme gebrochen. Merz war lange „Berufspolitiker“ – ob er aber jemals hauptberuflich oder doch eher nebenberuflich in Partei und Bundestag tätig war, ist nicht so einfach zu sagen.

Der Kandidat der Banken

Von 2005 bis 2014 – bis 2009 noch neben dem Bundestagsmandat – war Merz als Partner der internationalen Anwaltskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP tätig – ein Schwergewicht der Branche mit einem Jahresumsatz in Milliardenhöhe, das zu den zwanzig größten Anwaltskanzleien der Welt gehört und vor allem Wall-Street-Firmen vertritt. Als Repräsentant dieser Kanzlei wurde Merz 2010 als Anwalt vom Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) beauftragt, einen Käufer für die marode WestLB zu finden, nachdem die Kanzlei Mayer Brown bereits die Auslagerung der Ramschpapiere dieser Bank im Wert von 77 Milliarden Euro in eine mit Steuergeldern finanzierte Bad Bank gemanagt hatte. Für Merz und Mayer Brown hat sich dieser Deal zweifelsohne gelohnt: Friedrich Merz, der in seinen politischen Reden stets darauf hinweist, dass der Staat kein Selbstbedienungsladen sei, bekam für seine Dienste ein Honorar in Höhe von 5.000 Euro – nicht pro Monat, sondern pro Tag! Indirekt bezahlt wurde dieses „Traumhonorar“ übrigens von all den Krankenschwestern, Paketboten und Handwerkern, sprich dem Steuerzahler. Aber „fleißig“ war Merz offenbar schon. So stellte er seine üppige Tagespauschale sogar für die Wochenenden in Rechnung und kam so bei 396 in Rechnung gestellten Tagen auf ein Gesamthonorar von 1.980.000 Euro.

Sein Engagement war übrigens durchaus ein Erfolg; nur halt nicht für den Steuerzahler, sondern für das Bankhaus HSBC Trinkaus & Burkhardt, das bei der Übernahme der WestLB-Aktiva mitspielte. Als Dank dafür durfte Merz den sicher gut dotierten Vorsitz des Verwaltungsrats von HSBC übernehmen, den er bis 2019 bekleidete. Den Steuerzahler kostete die Zerschlagung der WestLB hingegen 18 Milliarden Euro. Gemäß des Sprichworts, nach dem das Geld nie weg, sondern jetzt nur woanders ist, fragt man sich ja immer, wer die Profiteure dieser Milliardenpleite waren: Friedrich Merz ist einer davon. Über vermeintlich zu hohe Leistungen für Bürgergeldempfänger beschwert er sich noch heute. Über zu hohe Honorare, die Anwälte internationaler Kanzleien dem Steuerzahler in Rechnung stellen, hat er sich indes noch nie beschwert.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, an dieser Stelle sämtliche „nebenberuflichen“ Tätigkeiten von Friedrich Merz aufzuzählen. Vor allem die Finanzbranche scheint in Merz einen willfährigen Vertreter ihrer Interessen gefunden zu haben. Der politisch-lobbyistische Tausendsassa saß unter anderem in den Gremien der AXA Konzern AG, der DBV-Winterthur Holding AG, der Deutschen Börse AG, der Ernst & Young AG, der ROCKWOOL Beteiligungs GmbH, der WEPA Industrieholding SE, der Commerzbank AG und der HSBC Trinkaus. Sein größter Karriereschritt vor Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur war jedoch sicherlich die Ernennung zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates beim deutschen Ableger des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock.

BlackRock ist nicht irgendwer, sondern der größte „Vermögensverwalter“ der Welt mit einem Anlageportfolio von mehr als zehn Billionen (ja, Billionen!) US-Dollar. BlackRock ist nicht nur bei fast allen Dax-Konzernen der größte Einzelaktionär, sondern auch der größte Aktionär von Google, Apple, Microsoft, Exxon Mobil, Chevron, Nestlé und vielen, vielen anderen Großkonzernen, deren Interessen alles andere als gemeinnützig sind. Die Vorstellung, dass der oberste Deutschland-Repräsentant und -Lobbyist dieses Unternehmens, das sich so sehr wie wohl kaum ein anderes Unternehmen gegen die Interessen der Allgemeinheit und für die Interessen der Großfinanz einsetzt, künftig Bundeskanzler werden und die Interessen der Menschen wahrnehmen soll, ist geradezu grotesk. Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.

Zumindest kann man Merz nicht vorwerfen, dass er aus seinen marktliberalen Überzeugungen einen Hehl macht. Er ist Gründungsmitglied der neoliberalen Denkfabrik Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und saß bis vor kurzem noch in den Gremien des neoliberalen Netzwerkes Stiftung Marktwirtschaft. Merz muss nicht von wirtschaftsliberalen Lobbyisten überzeugt werden, er ist selbst einer dieser Lobbyisten. Merz war stets ein Anhänger von Privatisierungen, Deregulierungen und Kürzungen im Bereich der Sozialpolitik. Berühmt-berüchtigt ist auch sein steuerpolitisches Konzept der Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt und schlussendlich vor allem den Reichen und Superreichen Milliardenersparnisse bescheren würde. Es gibt wohl keinen Politiker in Deutschland, der Merz in Sachen Neoliberalismus das Wasser reichen könnte.

Das zeigt sich auch in seinen politischen Forderungen. Werner Rügemer hatte unlängst einige davon auf den NachDenkSeiten zusammengetragen. So war Merz beispielsweise immer einer der härtesten Gegner eines Mindestlohns, der, so Merz, Arbeitsplätze kosten und den Wirtschaftsstandort Deutschland schädigen würde. Den Kündigungsschutz wollte er abschaffen und eine 42-Stunden-Woche einführen. Das Bürgergeld lehnt Merz kategorisch ab; kein Wunder, plädierte er doch früher für einen Hartz-IV-Satz in Höhe von 132 Euro pro Monat, was „ausreichend“ sei. Ginge es nach Merz, würde die gesetzliche Krankenversicherung auf eine „Basisversicherung für das Allernötigste“ zusammengeschrumpft, für Zahnersatz und andere Leistungen müssten sich die Bürger halt privat versichern. Generell plädiert Merz für eine möglichst weitreichende Privatisierung der Sozialsysteme – auch das überrascht nicht, gehört sein früherer Arbeitgeber BlackRock doch zu Marktführern bei Produkten, die das Rückgrat privater Altersvorsorgesysteme bieten.

Diese Liste ließe sich noch lang fortführen. Merz weiß, wo er steht. Gewerkschaften sind für ihn ein „Sumpf“, den „man trockenlegen sollte“, das Bildungssystem solle zu weiten Teilen privatisiert werden und generell gelte die Devise „Privat vor Staat“. Nur wenn man auf Steuerzahlerkosten die Staatskassen zu einem Selbstbedienungsladen für Finanzkonzerne und deren Anwälte machen kann, hat er, dessen Reichtum ja zu großen Teilen aus diesem Selbstbedienungsladen stammt, keine Probleme mit dem Staat. Ein Bundeskanzler, der den Staat als Selbstbedienungsladen für sich selbst und seine Auftraggeber sieht, wäre wahrlich eine schlechte Wahl.

Der Kandidat der USA

Die zweite Kerneigenschaft von Friedrich Merz ist seine bedingungslose transatlantische Ausrichtung. Er saß in den Gremien des Council on Public Policy, des Aspen Instituts, war von 2009 bis 2019 zehn lange Jahre lang Vorstandvorsitzender der Atlantik-Brücke und ist Mitglied der deutschen Sektion der Trilateralen Kommission. Auch hier ist Friedrich Merz wohl einer der exponiertesten Politiker Deutschlands, der nicht nur die finanziellen, sondern auch die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der USA ohne Vorbehalt über die Interessen der eigenen Bürger stellt.

Damit steht Merz selbst in der traditionell „wirtschaftsfreundlichen“ CDU teilweise auf Konfliktlinie. Im Zweifel vertritt er sowohl außen- als auch wirtschaftspolitisch eben nicht die Interessen der deutschen Industrie oder gar des deutschen Mittelstands, sondern die der US-Finanzkonzerne. So gehörte Merz beispielsweise zu den frühen Kritikern von Nord Stream 2 und forderte schon lange vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine einen Baustopp.

Merz’ Bereitschaft, den Krieg in der Ukraine durch Lieferung des Taurus-Raketensystems zu eskalieren, indem er Bundeswehrsoldaten mit deutschen Waffen russische Nachschubwege zerstören lässt, kommt also nicht aus dem blauen Himmel und ist auch alles andere als überraschend. Deutschland, Europa und die Welt würden unsicherer, wenn Merz seine vorbehaltlos proamerikanische Politik demnächst umsetzen kann – vor allem dann, wenn er Seit’ an Seit’ mit den ebenfalls gnadenlos proamerikanischen und promilitärischen Grünen regieren sollte.

Wenn es in der deutschen Spitzenpolitik einen Politiker gibt, auf den Albrecht Müllers Bezeichnung eines „Einflussagenten“ 100-prozentig zutrifft, dann ist dies Friedrich Merz. Ist es nicht erstaunlich? Wenn ein Politiker auch nur einen Cent aus russlandnahen Kreisen kassiert, ist die mediale Aufregung groß und es wird schrill vor russischer Einflussnahme gewarnt. Dass der wahrscheinlich kommende deutsche Bundeskanzler aber seinen nicht unerheblichen Reichtum durch Tätigkeiten erlangt hat, die man als nichts anderes als amerikanische Lobbyarbeit bezeichnen kann, scheint in den deutschen Medien kein Thema zu sein. Jahrelang war Merz der „Untote“ der CDU, der im Hintergrund auf seine Chance lauerte. Die ist nun gekommen. Gnade uns Gott.

Titelbild: Erstellt mit Grok – AI-generiertes Bild