Die FDP und die Schlecker-Pleite – Polittaliban außer Kontrolle
Um sich als Hüter der reinen marktliberalen Lehre zu profilieren, ließ die FDP gestern die Verhandlungen über die Einrichtung einer Transfergesellschaft für rund 11.750 Schlecker-Mitarbeiter platzen. Sogar aus ordnungspolitischer Sicht ist dies jedoch fatal, geht es bei der Transfergesellschaft doch nicht nur um die bereits entlassenen Mitarbeiter, sondern vor allem um die rund 13.250 noch vorhandenen Arbeitsplätze, die nun durch die FDP-Blockade ebenfalls vor dem Aus stehen. Die FDP ist unberechenbar geworden. In ihrem jetzigen Zustand ähnelt sie einem wandelnden Pulverfass. Von Jens Berger.
Welchen Sinn und Zweck erfüllt eigentlich eine Transfergesellschaft? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst verdeutlichen, dass die insolvente Unternehmensgruppe Schlecker sich de facto in der Abwicklung befindet und es dem Insolvenzverwalter, den restlichen Mitarbeitern, den Lieferanten und Gläubigern vor allem darum geht, überlebensfähige Teile aus dem Unternehmen herauszulösen, um sie unter neuer Leitung und unter einem neuen Besitzer selbstragend fortzuführen. Anfang März wurden bereits 2.400 der 5.400 deutschen Filialen der Schlecker-Gruppe geschlossen. Was mit den restlichen 3.000 Filialen geschieht, die immerhin mehr als die Hälfte der Mitarbeiter des Konzerns beschäftigen, ist hingegen noch vollkommen offen. Im Idealfall findet sich ein Investor, der das Geschäft mitsamt der Mitarbeiter lückenlos übernimmt. Einer solchen Übernahme stehen jedoch die berechtigten Forderungen der entlassenen Mitarbeiter im Weg. Ohne eine befriedigende Rechtssicherheit wird sich wohl auch kein Investor finden.
Eine Transfergesellschaft bietet diese Rechtssicherheit, da die entlassenen Mitarbeiter ihre Forderungen und Ansprüche auf Abfindungen mit dem Eintritt in die Transfergesellschaft aufgeben. Als Ausgleich dafür erhalten sie von der Transfergesellschaft zwischen 80 und 87 Prozent ihres vorherigen Nettoeinkommens und werden sowohl bei der Fortbildung als auch der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unterstützt. Vor allem für ältere Mitarbeiterinnen ist dies zumindest eine kleine Hilfe, da sie auf diese Art und Weise auch die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I mindestens um sechs Monate nach hinten verschieben können. Ohne Transfergesellschaft reihen sich die ehemaligen Mitarbeiter mit ihren Forderungen und Ansprüchen in die große Schar der Gläubiger ein und können im Falle einer Abwicklung – wenn überhaupt – nur auf Zahlungen aus der Insolvenzmasse des Unternehmens hoffen.
Die FDP bleibt sich treu
Die Finanzierung der Transfergesellschaft würde – anders als es die FDP suggeriert – nicht vom Staat, sondern vom Insolvenzverwalter gestemmt. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Schlecker-Gruppe die notwendigen 70 Millionen Euro momentan aus eigener Kraft nicht aufbringen kann. Daher sollte das insolvente Unternehmen einen Kredit der Staatsbank KfW erhalten, für den die Länder bürgen. Laut Insolvenzverwalter sollte dieser Kredit mit den Erlösen aus dem angestrebten Verkauf der Auslandsbeteiligungen der Schlecker-Gruppe getilgt werden. Festzuhalten ist hier vor allem, dass durch die Transfergesellschaft Gelder aus der Insolvenzmasse an die ehemaligen Beschäftigten geflossen wären. Nun muss der Staat diese Gelder direkt über seine Sozialsysteme tragen. Die Bundesanstalt für Arbeit kann diese Gelder zwar beim Insolvenzverwalter einklagen, muss sich dabei jedoch ebenfalls in die lange Reihe der Gläubiger einreihen und wird im Falle eines Konkurses wohl nur einen sehr kleinen Teil der Forderungen zurückerhalten.
Durch die Blockade der FDP ist die Wahrscheinlichkeit eines Konkurses gestiegen. Für die öffentlichen Kassen ist dies ein sehr schlechtes Geschäft. Wenn man nun das Risiko hinzuaddiert, dass durch die Blockade auch noch der bislang intakte Teil der Schlecker-Gruppe mit seinen 13.250 Mitarbeiter die Pforten schließen muss, ist bereits klar, dass die Starrköpfigkeit der FDP die Sozialsysteme sehr teuer zu stehen kommt. Freuen können sich darüber vor allem die übrigen Gläubiger, vor allem Banken, deren Anteil an der Insolvenzmasse durch die FDP-Blockade merklich gestiegen ist. Die FDP bleibt also auch hier ihrem Motto treu, die Interessen der Finanzwirtschaft über die Interessen der Bevölkerung und auch über die Interessen des Staatshaushaltes zu stellen.
Mit vernünftiger Ordnungspolitik hat diese Blockade überhaupt nichts zu tun. Ordnungspolitisch sinnvoll wäre es vielmehr, einen harten Konkurs im Sinne aller Beteiligten abzufedern. Ohne Transfergesellschaft wird dies jedoch eine Herkules-Aufgabe. Die Argumente der FDP sind dabei sogar bei wohlwollender Betrachtung grotesk. Glaubt man den FDP-Oberen stellt die Insolvenz für die Beschäftigten eigentlich gar kein großes Problem dar, schließlich seien sie ja gut qualifiziert und es gäbe ja 24.000 offene Stellen für Verkäufer im Einzelhandel, so dass es eine Leichtigkeit wäre, wieder in Lohn und Brot zu kommen. Was nutzt es aber einer fünfzigjährigen Schlecker-Verkäuferin in Frankfurt/Oder oder Gelsenkirchen, wenn in Dingolfing oder Konstanz eine offene Halbtagsstelle gemeldet ist? Schon vor der Schlecker-Insolvenz standen den 24.000 offenen Stellen gleichzeitig fast 300.000 arbeitslose Verkäuferinnen gegenüber. Etwa die Hälfte der 24.000 offenen Stellen ist zudem kein Vollzeitarbeitsplatz, jede dritte offene Stelle ist auf ein Jahr befristet. Wenn die FDP hier eine rosige Situation für die entlassenen Schlecker-Verkäuferinnen malt, ist dies nicht nur eine Verhöhnung dieser Frauen, sondern auch eine Verhöhnung der übrigen 300.000 arbeitslosen Verkäuferinnen.
Welche Anschlussverwendung hat Philipp Rösler?
Die Menschenverachtung von Rösler und Konsorten zeigt sich dabei bereits in der Wortwahl. Wenn Rösler von einer „Anschlussverwendung“ für die Verkäuferinnen spricht, könnte man eher meinen, er spräche von den Immobilien oder der Logistik. In diesem menschenverachtenden Kontext hat das Wort „Anschlussverwendung“ durchaus Chancen, das Unwort des Jahres zu werden. Stellt sich die Frage, welche Anschlussverwendung es für Herrn Rösler gibt, der in seinem mentalen Zustand als Bundeswirtschaftsminister schlichtweg untragbar ist. Ob die FDP es duldet, von einem marktradikalen Polittaliban geführt zu werden, ist Sache der Parteimitglieder – ein Bundesministerium sollte man jedoch keiner tickenden Zeitbombe anvertrauen.
Vollkommen grotesk wird es, wenn die FDP nun auch noch den – zu Recht – schlechten Ruf des Arbeitgebers Schlecker als Argument gegen eine Transfergesellschaft ins Feld führt. Dabei hat der Pleitier Anton Schlecker mit seiner arbeitnehmerfeindlichen Unternehmenspolitik doch genau das umgesetzt, was den politischen Zielen der FDP entspricht. Was können die Schlecker-Verkäuferinnen aber dafür, dass sie einen schlechten Arbeitgeber hatten? Sollen sie nun doppelt bestraft werden? Zwischen den Zeilen liest sich die FDP-Argumentation eher so, als könnten die Verkäuferinnen doch eigentlich froh sein, dass sie nun einen neuen, besseren Job bekommen. Auch hier betreibt die FDP Populismus auf dem Rücken der Schlecker-Mitarbeiter. Anton Schlecker und die Schlecker-Gruppe sind ohnehin Geschichte. Die Gründe für diese Pleite haben mit der aktuellen Diskussion um die Transfergesellschaft jedoch nicht das Geringste zu tun. Schlecker ist an der gleichen Menschenverachtung zugrunde gegangen, die auch die FDP ins verdiente politische Niemandsland katapultiert hat. Nun geht es jedoch nicht um Anton Schlecker und seine Unternehmenspolitik, sondern um die Zukunft der Mitarbeiter und die Zukunft der noch geöffneten Filialen, die – soviel steht fest – nie wieder von einem Mitglied der Schlecker-Familie betrieben werden, sondern auf einen Investor warten.
Scheinheiligkeiten aus Stuttgart
Der politische Zorn, der der FDP momentan zu Recht entgegengebracht wird, ist jedoch ebenfalls scheinheilig. SPD und Grüne, die sich nun in Gestalt der baden-württembergischen Landesregierung kunstvoll als „Schlecker-Versteher“ inszenieren, betreiben ebenfalls nur ihre Art des Wahlkampfes. Ginge es den Baden-Württembergern wirklich um die Zukunft der Schlecker-Filialen, hätten sie bereits vor dem Ultimatum des Insolvenzverwalters konstruktiv an einer Neuausrichtung des Konzerns mitgearbeitet. Ginge es ihnen um die Mitarbeiter, hätten sie die Transfergesellschaft auch ohne weiteres alleine stemmen können. 70 Millionen Euro sind zwar kein Pappenstiel; eine Bürgschaft in dieser Höhe wäre für das reiche Land Baden-Württemberg, das sich bei Stuttgart 21 oder der Übernahme von EnBW keinesfalls so knauserig gezeigt hat, aber ganz sicher kein Ding der Unmöglichkeit. Nicht nur die FDP versucht sich auf dem Rücken der Schlecker-Mitarbeiter zu profilieren.