Es hört nicht auf. Die aktuellen Aussagen Boris Pistorius’ zeigen: Das Unternehmen „Kriegstüchtigkeit“ nimmt immer schneller Fahrt auf. Kriegstüchtigkeit sei das „Gebot der Stunde“, meint der Bundesverteidigungsminister. Dass sich ein Mitglied der deutschen Regierung erlaubt, mit einer derartigen Aussage an die Öffentlichkeit zu treten, verdeutlicht, wie verkommen weite Teile der deutschen Politik mittlerweile sind. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Da draußen gibt es eine Welt, in der Kriegstüchtigkeit das „Gebot der Stunde“ ist. Es ist die Welt von Akteuren wie Pistorius. In den Sinn-Enklaven der Kalten Krieger unserer Zeit heißt das Feindbild Russland. Anachronistisch, stehen geblieben in einer längst vergangenen Zeit, vorbei an der Realität sind Leute wie Pistorius der Überzeugung: Russland ist der Feind. Das war im Kalten Krieg schon falsch. Und es ist heute noch falscher. Boris Pistorius steht sinnbildlich für einen Typus Politiker, der auf tragisch-komische Weise Ursachen und Wirkungen verkennt. In Pistorius’ Auffassung von Wirklichkeit hat Russland den Krieg in der Ukraine angefangen – eine Vorgeschichte gibt es nicht. Frühe Einflussversuche des Westens in der Ukraine – etwa auf dem Maidan –, Geostrategie, Tiefenpolitik der vermeintlich „Guten“: Was soll das sein?, fragt er sich wahrscheinlich.
Und mit dieser Grundhaltung passt Pistorius perfekt zu einer Politik, die auf Feindbilddenken und Eindimensionalität setzt. Pistorius agiert wie einer, der tatsächlich glaubt, was er sagt. Daraus entsteht das Tragisch-Komische. Denn, seien wir mal ehrlich: Wer, der auch nur halbwegs nüchtern auf den Konflikt zwischen NATO und Russland blickt, sieht in Russland eine Gefahr? Wer nicht gerade aus der Pulle der Kriegspolitik gesoffen hat, kann nur zu der Auffassung gelangen: Russland wird doch nicht die NATO oder gar Deutschland angreifen. Warum sollte Russland das tun? Ein nuklearer Krieg wäre die Folge – mit einer Erde, die zerstört wäre. Eine reale Gefahr geht aber von Leuten wie Pistorius aus, die immer weiter und weiter das Feindbilddenken vorantreiben. Aufrüsten, hochrüsten, schneller, mehr, denn: Im Osten steht ein Feind, der „uns“ bedroht.
Aber: Nein, der einzige Feind, der „uns“ bedroht, ist eine Politik, die mit der Realität gebrochen hat. Als Pistorius am Montag in Kassel eine, so das ZDF, „der ersten neuen Radhaubitzen an die Ukraine übergab“, sagte er: „Die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr in den nächsten Jahren zu erhöhen, und zwar so schnell es geht, ist das oberste Gebot der Stunde.“
Wie tief ist die deutsche Politik mittlerweile gesunken? Wie tief will sie noch sinken? Geht es überhaupt noch tiefer? Dass ein deutscher Politiker einmal allen Ernstes davon reden würde, dass „Kriegstüchtigkeit“ das „oberste Gebot“ der Stunde sein würde, zeigt, wie verkommen mittlerweile weite Teile der deutschen Politik sind. Ich weiß es nicht, ob Pistorius begriffen hat, dass in dem Begriff Kriegstüchtigkeit das Wort „Krieg“ steckt. Wie kann ein „Krieg“ oberstes Gebot der Stunde sein?!
Denn genau darauf läuft nämlich eine veranschlagte Kriegstüchtigkeit in letzter Konsequenz hinaus. Wenn sich irgendwann alle bis an die Zähne bewaffnet, hochgerüstet bis zum Exzess gegenüberstehen, dann genügt ein Funke, der einen realen, heißen 3. Weltkrieg entfachen wird. Wie geschichtsvergessen muss jemand sein, um bei allem, was Kriege angerichtet haben, überhaupt sich zu getrauen, von Kriegstüchtigkeit zu sprechen? Von der unverschämten Manipulation, die in dem Begriff steckt, ganz zu schweigen. Wenn es ein „Gebot der Stunde“ gibt, dann lautet es: Friedenstüchtigkeit! Aber mit dem Begriff „Frieden“ haben seit längerem Politiker quer durch die Parteien gewisse Probleme.
Wohin das führt, wird immer deutlicher. Pistorius sagte auch, dass das sogenannte „Zwei-Prozent-Ziel“ der NATO nicht ausreichen werde. Schon jetzt gibt Deutschland, das heißt: der deutsche Steuerzahler, über 90 Milliarden Euro für die „Verteidigung“ aus. „Es wird deutlich mehr werden müssen, wenn wir in dem Tempo und dem Umfang weitermachen wollen, was wir müssen“, so die Worte des SPD-Politikers.
Werter Herr Pistorius, wie soll man es Ihnen noch sagen, dass Sie es verstehen? „Mehr werden“ muss gar nichts. Ich weiß auch nicht, wen sie mit „wir“ meinen, wenn Sie von „weitermachen wollen“ sprechen. Vielleicht meinen Sie damit den militärisch-industriellen Komplex. Sie dienen per Amtseid Deutschland – und nicht der Rüstungsindustrie. Und auch nicht irgendeinem verqueren Feindbilddenken. Das Problem ist: Wer auch immer die Adressaten Ihrer Aussagen sind: „Uns“, also die Bürger, können Sie damit kaum meinen. Denn wer von den Bürgern, der nicht seinen Verstand der Tagesschau übergeben hat, will schon hunderte von Milliarden vom Steuergeld in den Rachen einer Feindbildpolitik stecken, während Brücken im eigenen Land zusammenstürzen, Schulgebäude verfallen und Arme vor den Suppenküche Schlange stehen? An wen also richten sich Ihre Worte? Verlassen Sie doch einfach, bitte, die Politik. Danke.
Titelbild: © Bundeswehr/Tom Twardy