Wahlkämpfe sind immer Höhepunkte der Heuchelei und der vorsätzlichen Verflachung aller Inhalte. Aber dieses Mal wird es besonders anstrengend. Die ersten Fotos und Slogans entfalten bereits ihre erbarmungslose Wirkung im Stadtbild – und es gibt kaum ein Entrinnen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Es ist wieder soweit: Die Konterfeis der Kandidaten werden nun die nächsten Wochen von ihren Plakaten auf die Bürger hinabsehen. Dabei fällt auf: Auch bei diesem Wahlkampf wurden, zumindest auf den meisten Plakaten, Inhalte weitgehend überwunden. Das ist nichts Neues, aber es ist in der momentanen Situation schon besonders dreist: Schließlich erleben wir eine an drängenden Inhalten besonders reiche Zeit des Umbruchs und der „multiplen Krisen“, die unter anderem durch die Energie-, Sanktions- und Kriegspolitik der letzten Jahre sehenden Auges und voraussehbar zugespitzt wurden.
Dieser Text ist keine Analyse der verschiedenen Wahlprogramme, er ist nur eine kurze und subjektive Reaktion auf eine als übergriffig empfundene Ästhetik der nun plötzlich das Stadtbild prägenden Plakate.
Einfach mal das Gegenteil behaupten
Viele der nun plakatierten Slogans folgen dem Motto: „Einfach mal das Gegenteil behaupten“. So versprechen im hier genutzten Titelbild ausgerechnet die Grünen „Zuversicht“ – also die Partei, die am härtesten für Kriegsverlängerung, Hochrüstung, US-Unterwerfung und für eine von vielen Bürgern als eiskalte Schocktherapie empfundene Wirtschafts- und Außenpolitik steht. Welche Gruppe hat in den letzten Jahren wohl mehr „Zuversicht“ bei vielen Bürgern zerstört als die Grünen?
Weitere Wahlsprüche: Das BSW sagt: „Unser Land verdient eine bessere Politik“. Die SPD verspricht: „Mehr für Dich. Besser für Deutschland.“. Die CDU fordert: „Wieder nach vorne“. Bei der AfD heißt es: „Zeit für Deutschland“. Die Grünen versprechen: „Ein Mensch. Ein Wort“. Die FDP sagt: „Alles lässt sich ändern“. Die LINKE meint: „Du verdienst mehr“.
Verflachung, Personenkult und Ablenkungen vom Wesentlichen, das ist alles nichts Neues, so sind Wahlkämpfe eben – zumal es neben den Plakaten ja die jeweiligen Programme und Inhalte gibt. Dieses Mal erscheint es aber doch anders, wegen der kürzeren und darum konzentrierteren Zeit, wegen der politischen Unsicherheiten und wegen der in den letzten Jahren entfalteten und nochmals gesteigerten Verrohung im Umgang mit jeweils Andersdenkenden vor allem vonseiten „etablierter“ Parteien und Medien.
Die nächsten Wochen braucht es also starke Nerven.