Russlands Ex-Botschafter in Washington: Moskau glaubt den Versprechungen des Westens nicht

Russlands Ex-Botschafter in Washington: Moskau glaubt den Versprechungen des Westens nicht

Russlands Ex-Botschafter in Washington: Moskau glaubt den Versprechungen des Westens nicht

Gábor Stier
Ein Artikel von Gábor Stier

Die Vereinigten Staaten, die sich als einzigartige Nation vorstellen, die dazu bestimmt ist, die Welt zu führen, versuchen mit allen Mitteln, den Abbau ihrer Hegemonie zu verlangsamen, was zu ernsthaften Spannungen in der Welt führt. Die Machtverhältnisse ändern sich jedoch, und die Herausbildung einer Weltordnung, die dies widerspiegelt, ist ein objektiver und unumkehrbarer Prozess, mit dem sich die USA früher oder später abfinden müssen. Vor allem die US-amerikanische Mentalität, die sich selbst über andere stellt, muss sich ändern. Das sagte Sergej Kisljak, ehemaliger russischer Botschafter in Washington und jetziger Senator im Föderationsrat Russlands, gegenüber dem ungarischen Portal Moszkvater. Das Interview führte Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzte Éva Péli.

Gábor Stier: Fangen wir gleich an: Viele glauben, dass Donald Trumps Sieg die globalen Prozesse grundlegend verändern wird. Ist diese Erwartung nicht übertrieben? Stimmen Sie zu oder schließen Sie sich denjenigen an, die zur Vorsicht mahnen und davor warnen, dass es zu viele Illusionen über die Rückkehr des US-Präsidenten ins Weiße Haus gibt?

Sergej Kisljak: Ich habe den Eindruck, dass die Analysten im Allgemeinen einen zu großen Wert darauf legen, welche Partei den US-Präsidenten stellen wird. Sehen Sie, Präsidenten kommen und gehen, aber die globalen Interessen der Vereinigten Staaten bleiben dieselben. Was also konstant ist und was das größte Problem in den Beziehungen Washingtons zu vielen Ländern darstellt, ist, dass sich die US-Amerikaner als eine besondere Nation sehen. Sie machen keinen Hehl daraus und sprechen offen davon, die ganze Welt kontrollieren zu wollen. Diese Mentalität hat sich mit bemerkenswerter Einfachheit in der Politik der derzeitigen Regierung der Demokraten manifestiert. Außenminister Antony Blinken hat bei mehr als einer Gelegenheit gesagt, dass die Vereinigten Staaten die Welt anführen müssen, weil es den Interessen Washingtons zuwiderlaufen und die amerikanische Hegemonie schwächen würde, wenn sie es nicht täten. Daraus folgt, dass die Vereinigten Staaten die Welt dominieren müssen. Die Biden-Administration betrachtet dies als Dogma, und so prägt dieses Denken die US-Außenpolitik grundlegend. Das ist ein ernsthaftes Problem, vor allem, weil die Vereinigten Staaten natürlich über eine enorme finanzielle, wirtschaftliche und militärische Macht verfügen. Sie haben etwa 800 ausländische Stützpunkte, vor allem in der Nähe von Russland und China, doch die Welt verändert sich, die Kräfteverhältnisse verändern sich.

Washington versteht das nicht oder will es nicht verstehen?

Die Vereinigten Staaten verstehen es sehr wohl. Es ist klar, dass das wirtschaftliche Zentrum der Welt nicht mehr die USA und noch weniger Europa ist. Der Schwerpunkt hat sich nach Asien verlagert und Afrika und Lateinamerika werden in Zukunft immer wichtiger werden. Das Zentrum des Wachstums ist heute Asien, das sehen wir sehr wohl, und natürlich ist sich Asien selbst dessen bewusst, ebenso wie die Länder des sogenannten Globalen Südens. Die Verlagerung des wirtschaftlichen Schwerpunkts bedeutet, dass diese Länder auch einen größeren Einfluss auf das Weltgeschehen fordern. Sie fordern daher eine ihrem gewachsenen Gewicht entsprechende Rolle in der UNO und anderen internationalen Organisationen. Dazu haben sie jedes moralische Recht, und die neuen Realitäten verlangen dies.

Die BRICS-Staaten wollen auch ein gerechteres System, das auf gegenseitigem Respekt und nicht auf der Ausbeutung anderer basiert und die Machtverhältnisse stärker widerspiegelt. Ob dieses Modell, wie es sich die BRICS-Staaten vorstellen, die Grundlage für eine multipolare Weltordnung sein wird, weiß ich nicht, aber es ist klar, dass es mehr als alles andere der Transformation der Welt, den neuen Realitäten entspricht.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzustellen, dass sich die BRICS nicht gegen den Westen formieren, sondern ich würde sagen, dass dieser Teil der Welt der Nicht-Westen ist. Um auf die USA zurückzukommen: Dieser Prozess wird in Washington sehr gut verstanden, aber eine solche Umgestaltung der Weltordnung wird als Bedrohung für seine globale Position empfunden.

Verständlicherweise, denn die Vereinigten Staaten wollen ihre hegemoniale Rolle um jeden Preis aufrechterhalten …

Deshalb sind sie nicht bereit, bei der Suche nach einer gerechteren Weltordnung mitzuwirken. Sie können und wollen sich nicht von der Mentalität befreien, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den USA entstanden ist, die die einzige globale Supermacht geblieben ist. Also greifen sie zu allen Mitteln der Zurückdrängung – NATO, Sanktionen, Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Das ist nichts Neues, höchstens der Grad der Arroganz ist gestiegen. In gewisser Weise ist das auch verständlich, denn sie spüren, dass ihre gewohnte Hegemonie immer schwächer wird. In zwanzig Jahren wird die chinesische Wirtschaft etwa anderthalb Mal so groß sein wie die der USA, und bis dahin wird sie von Indien überholt worden sein. Der Westen, angeführt von den Vereinigten Staaten, tut alles, um sich diesem objektiven Prozess zu widersetzen, um ihn zu bremsen, und diese Haltung wird auch in Zukunft für Spannungen sorgen. Ein besonders aggressives Beispiel für dieses Abblocken ist die Schaffung eines gewalttätigen Anti-Russlands aus der Ukraine. Wir sehen, wohin das geführt hat.

Glauben Sie, dass es Donald Trump gelingen wird, diesen Konflikt zumindest einzufrieren?

Denken Sie nur daran, was das Einfrieren des Konflikts wirklich bedeutet. Es bedeutet, die Ukraine weiter aufzurüsten und zu stärken.

Deshalb ist diese Idee einer Einigung für Russland kaum akzeptabel. Sehe ich es richtig?

Sowohl der russische Präsident als auch der Außenminister haben wiederholt die Bedingungen genannt, unter denen Moskau bereit ist, den Konflikt zu beenden. Wladimir Putin hat dies im Juni 2024 in einer Rede vor hochrangigen Mitarbeitern des Außenministeriums deutlich gemacht. Daran hat sich seither nichts geändert. Darüber hinaus ist klar, dass Russland nicht an einem Einfrieren des Konflikts interessiert ist, sondern an der Beseitigung der Ursachen, die zu diesem Konflikt und zur Eskalation der Konfrontation geführt haben, sowie an langfristiger Stabilität. Dies kann nur durch eine komplexe Lösung des Problems erreicht werden.

Aus all dem folgt meines Erachtens: Wenn Russland kompromissbereit ist und das sich derzeit abzeichnende Angebot Trumps zum Einfrieren des Konflikts annimmt, könnte die intensive Phase des Krieges relativ schnell beendet werden. Ist dies nicht der Fall, wird der Krieg auch nach 2025 weitergehen, da Entscheidungen auf dem Schlachtfeld getroffen werden müssen. Stimmen Sie dem zu?

Russland ist gezwungen, dieses Problem mit militärischen Mitteln zu lösen, und zwar im Rahmen der speziellen Militäroperation. Die Voraussetzungen dafür hat der Westen unter Führung der Vereinigten Staaten geschaffen. Wir müssen dieses Problem irgendwie lösen, und wir werden es lösen. Wenn die Ukraine und der Westen nicht bereit sind, substanzielle Verhandlungen zu führen, die den Realitäten und den russischen Interessen Rechnung tragen und sich auf die Lösung der Ursachen des Konflikts konzentrieren, dann werden wir es anders machen. Beispielsweise kann die Frage der Neutralität der Ukraine und der NATO-Mitgliedschaft nicht umgangen werden.

Auch die Entmilitarisierung, die meiner Meinung nach heute vielleicht das wichtigste Thema ist, kann nicht vermieden werden …

Alle Elemente der Konfliktursachen sind wichtig, und ich betone noch einmal, dass das Problem auf komplexe Weise gelöst werden muss.

Sind Sie mit mir einverstanden, dass Donald Trumps Lösungsvorschläge, so wie wir sie bisher kennen, nicht darauf abzielen, sondern auf ein Einfrieren des Konflikts, und dass dies für Russland kaum akzeptabel ist?

Leider kann ich nicht sagen, dass ich weiß, was Trump will.

So geht es vielen von uns …

Dieser Kommentar bezieht sich nicht nur auf die Lösung des Konflikts in der Ukraine, sondern auf die Bewältigung globaler Herausforderungen im Allgemeinen. Trump ist kein einfacher Mensch. Das hat er in seiner ersten Amtszeit als Präsident bewiesen, und wir können nicht ignorieren, dass er gezwungen ist, im Rahmen des US-amerikanischen politischen Systems zu agieren, in dem der Präsident zwar ein recht weitreichendes Mandat hat, aber bestimmte Interessen nicht ignorieren kann, die seinen Handlungsspielraum oft einschränken. Wir wissen also nicht, mit welchem Vorschlag Trump aufwarten wird. Wenn er ernst gemeint ist, wird er anhand der oben genannten Kriterien geprüft werden. Aber jedes Element des Angebots wird sorgfältig durchdacht und geprüft werden müssen, denn die Geschichte der Beziehungen zwischen der NATO und Russland ist voller Lügen. Sie haben gelogen, als sie nach der deutschen Wiedervereinigung versprachen, die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen. Sie haben die Abrüstungsvereinbarungen nicht erfüllt und dann Russland die Schuld dafür gegeben. Sie haben gelogen, als sie im UN-Sicherheitsrat für eine Flugverbotszone über Libyen stimmten und diese dann nutzten, um das Land zu zerstören, und sie lügen, beginnend mit den Minsker Vereinbarungen, weiterhin über den Konflikt in der Ukraine. Wie können wir den Versprechungen des Westens noch Glauben schenken?

Was in Syrien passiert ist, hat viele überrascht und Russland, das das Assad-Regime unterstützte, in Verlegenheit gebracht. Inwieweit könnte diese Situation Auswirkungen auf den Konflikt in der Ukraine haben?

Ich bin zuversichtlich, dass die Situation in Syrien letztendlich durch Verhandlungen gelöst werden kann. Russland unterstützt dies seit Jahren im Rahmen des Astana-Prozesses. Was die möglichen Auswirkungen auf den Konflikt in der Ukraine angeht, so würde ich beides nicht miteinander in Verbindung bringen. Dies zu forcieren, ist eine grobe Übertreibung, die beiden Konflikte sollten nicht miteinander verwechselt werden.

Wir haben mit den USA begonnen, also lassen Sie uns das Interview damit beenden. Wo sehen Sie die Vereinigten Staaten auf der globalen Bühne in etwa zwanzig Jahren?

Die Vereinigten Staaten werden immer noch eine Großmacht sein, aber nur eine von ihnen. Was heute in der Welt geschieht, ist ein objektiver Prozess. Es liegt also im Interesse Washingtons, den Realitäten Rechnung zu tragen und die sich verändernden Kräfteverhältnisse zu akzeptieren, anstatt ein Feindbild aufzubauen. Im Vergleich dazu hat Washington 2017 China per Gesetz zum Feind erklärt, und dieser Ansatz definiert seine geopolitischen Ambitionen. Das ist nicht richtig, und ich kann nur hoffen, dass sich die Vereinigten Staaten schließlich mit einer neuen Weltordnung arrangieren, die demokratischer und gerechter ist und auf gegenseitigem Respekt und Gleichgewicht beruht. Die USA müssen ihren wirklichen Platz in dieser Welt finden, denn sie können auf Dauer nur gewinnen. Dies erfordert eine Änderung der gegenwärtigen Mentalität, die auf der US-amerikanischen Vormachtstellung beruht, die sich für ewig hält und verkündet, eine einzigartige und außergewöhnliche Nation zu sein.

Wir haben dies in der Geschichte gesehen, und wir haben gesehen, wohin es geführt hat …

Das ist richtig. Gott bewahre uns davor, dass es wieder geschieht! Wir haben einen schwierigen und holprigen Weg vor uns, aber ich bin optimistisch und zuversichtlich, dass die Menschheit dies überwinden wird und dass das neue Kräfteverhältnis der Welt Stabilität bringen wird.

Sergej Iwanowitsch Kisljak ist russischer Diplomat und war nach mehreren Stationen in den USA von 2008 bis 2017 russischer Botschafter in Washington. Davor vertrat er Russland von 1998 bis 2003 als Botschafter in Belgien und war der Vertreter des Landes bei der NATO. Zwischen diesen beiden Aufgaben war er von 2003 bis 2008 stellvertretender Außenminister. Seit 2017 ist er Mitglied des Oberhauses des Föderalrats und vertritt Mordowien (Anm. Red.: eine Republik im europäischen Teil Russlands), während die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich ihn wegen des Krieges in der Ukraine auf eine persönliche Sanktionsliste gesetzt haben.

Das Interview ist ursprünglich im ungarischen Original hier erschienen.

Titelbild: Shutterstock / DarwelShots