Venezuela und die Nachwirkungen der völkerrechtswidrigen Anerkennung von Guaidó durch Deutschland

Venezuela und die Nachwirkungen der völkerrechtswidrigen Anerkennung von Guaidó durch Deutschland

Venezuela und die Nachwirkungen der völkerrechtswidrigen Anerkennung von Guaidó durch Deutschland

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Im Vorfeld der Vereidigung des alten und neuen Präsidenten von Venezuela, Nicolás Maduro, am 10. Januar wurden laut Angaben der venezolanischen Behörden mehrere Söldner aus Kolumbien, der Ukraine und den USA festgenommen, die „terroristische Akte“ geplant haben sollen. Vor diesem Hintergrund kamen in der Bundespressekonferenz Fragen zu diesem Vorfall und dem Umgang mit der aktuellen Regierung in Caracas auf. Dabei erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes „Wir erkennen keine Regierungen an, sondern wir erkennen Staaten an.“ Doch gegen genau dieses völkerrechtliche Prinzip hatte Deutschland mit der Anerkennung des selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó und dessen „Regierung“ jahrelang verstoßen. Die NachDenkSeiten wollten folglich wissen, ob das Auswärtige Amt diesen Verstoß gegen deutsche Staatspraxis mittlerweile bedauert. Von Florian Warweg.

Bundesregierung: „Wir erkennen keine Regierungen, sondern nur Staaten an“

Die Darstellung des AA-Sprechers in dieser generellen Form ist falsch. Das war ja gerade der Skandal um die Anerkennung von Guaidó und dessen ebenso selbsternannten Regierung durch die Bundesrepublik Deutschland. Jener Schritt stellte in gewisser Weise die erste „diplomatische Zeitenwende“ dar und stieß auf massive Kritik der Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. In einem Gutachten unter dem Titel „Rechtsfragen zur Anerkennung des Interimspräsidenten in Venezuela“ vom Februar 2019 stellen die Bundestagsjuristen gleich zu Beginn fest:

„Die Anerkennung des Oppositionspolitikers Guaidó als venezolanischen Interimspräsidenten stellt (…) eine Abkehr von der bisherigen Anerkennungspraxis der Bundesrepublik Deutschland dar. Bislang war es jahrelange deutsche Staatspraxis, lediglich Staaten anzuerkennen und keine Regierungen oder Präsidenten.“

Und weiter heißt es dort:

„Die Anerkennung des Interimspräsidenten Guaidó durch die Bundesrepublik Deutschland am 4. Februar 2019 stützt sich u.a. auch auf Art. 233 der venezolanischen Verfassung. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Präsident Maduro aus deutscher Sicht über keine verfassungsrechtliche Legitimation (mehr) verfügt.

Mit dem Verweis auf Art. 233 der venezolanischen Verfassung positioniert sich Deutschland gleichzeitig in einer strittigen Frage des venezolanischen Verfassungsrechts. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates“ völkerrechtlich ebenso fragwürdig wie die (vorzeitige) Anerkennung eines Oppositionspolitikers als Interimspräsidenten, der sich im Machtgefüge eines Staates noch nicht effektiv durchgesetzt hat.“

Das Fachgutachten kommt einer (bis heute folgenlosen) Generalabrechnung mit dem Agieren des Auswärtigen Amts gleich. Doch das ist noch nicht alles. Abgesehen von der massiven Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas durch das AA entbehrte dessen Verweis auf den schon erwähnten Artikel 233 zur Legitimierung der Anerkennung von Guaidó von Beginn an jeder verfassungsrechtlichen Grundlage.

Denn in der venezolanischen Verfassung ist die Frage der Interimspräsidentschaft sehr klar und unmissverständlich geregelt. In besagtem Artikel 233 heißt es völlig eindeutig, dass „als zwingende Hinderungsgründe bezüglich der Amtsausübung des Präsidenten oder der Präsidentin der Republik“ ausschließlich die folgenden Punkte gelten:

  1. sein oder ihr Tod;
  2. sein oder ihr Rücktritt;
  3. seine oder ihre durch Urteil des Obersten Gerichtshofes verfügte Absetzung;
  4. seine oder ihre durch Attest einer vom Obersten Gerichtshof eingesetzten und von der Nationalversammlung bestätigten medizinischen Kommission bescheinigte dauernde körperliche oder geistige Handlungsunfähigkeit;
  5. die Nichtwahrnehmung des Amtes, die von der Nationalversammlung als solche festgestellt wird;
  6. sowie die Amtsenthebung durch Volksabstimmung.

Nichts von diesen sechs Punkten traf und trifft auf den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro zu. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, käme dann der entscheidende Teil im Artikel 233 zum Tragen, den das Auswärtige Amt bis heute – wohl wissentlich – ignoriert:

„Bis der neue Präsident oder die neue Präsidentin gewählt ist und das Amt antritt, nimmt der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin die Präsidentschaft der Republik wahr.“

Die damalige und auch nach wie vor amtierende Vizepräsidentin Venezuelas ist Teil der Maduro-Regierung und heißt Delcy Rodríguez, nicht Juan Guaidó. Zudem begrenzt die venezolanische Verfassung eine „Interimspräsidentschaft“ unmissverständlich auf 90 Tage und auf einen einzigen Zweck: die Organisation von Neuwahlen. Guaidó rief sich wie erwähnt am 23. Januar 2019 zum „Interimspräsidenten“ aus. Nicht nur, dass er die verfassungsrechtlich begrenzte Amtszeit um weit über 1.000 Tage überschritt, nein, er hat auch in dieser Zeit keinerlei Anstrengung unternommen, Wahlen zu organisieren. Im Gegenteil, er rief jahrelang explizit zum Boykott derselben auf.

Diese totale Verweigerungshaltung war, wie sich am 30. Dezember 2022 zeigte, zwar irgendwann selbst den radikalsten Oppositionsparteien zu viel, nie aber dem Auswärtigen Amt, welches sich nicht ein einziges Mal diesbezüglich kritisch äußerte. Man spricht am Werderschen Markt 1 gerne von Demokratie und „regelbasierter Ordnung“, optiert im Zweifel aber, wie der Fall Venezuela bezeugt, für Regime Change um jeden Preis, wenn es der eigenen Agenda förderlich erscheint. Vertreter des Auswärtigen Amtes waren, dies belegen die entsprechenden Protokolle, die die NachDenkSeiten einsehen konnten, auch auf EU-Ebene diejenigen, die sich am vehementesten für die – wie dargelegt – mehr als fragwürdige Anerkennung Guaidós bei gleichzeitiger massiver Sanktionierung der venezolanischen Bevölkerung einsetzten.

Von den vielen Fehlentscheidungen und diplomatischen Tiefpunkten in der Historie des Auswärtigen Amtes konzentriert sich ein signifikanter Teil auf Südamerika. Verwiesen sei beispielhaft auf Chile und den Umgang mit dem Putsch gegen Salvador Allende sowie mit den Opfern der Colonia Dignidad oder Argentinien und die komplette Untätigkeit und Indifferenz des Auswärtigen Amtes angesichts der schweren Folter und Ermordung linksgerichteter deutscher Staatsbürger durch die argentinische Militärjunta, siehe den exemplarischen Fall von Elisabeth Käsemann. Erwähnen könnte man auch, wie das AA in jüngster Zeit den Putsch gegen den ersten indigenen Präsidenten Boliviens, Evo Morales, im November 2019 rechtfertigte und legitimierte. Bis heute gab es kein Wort der Entschuldigung.

Doch die Art und Weise, wie die Bundesregierung und vorneweg das Auswärtige Amt, wohl trotz besseren Wissens, eine Type wie Guaidó und dessen hochkorrupte Entourage jahrelang gegen alle völkerrechtlichen Gepflogenheiten als „Präsident“ und „Regierung“ anerkannten und hofierten, um einen – im Zweifel gewalttätigen – Regime Change in Venezuela mit allen erdenklichen (und wie dargelegt zumeist gewalttätigen und illegalen) Methoden durchzusetzen, steht wohl für den bisher schwärzesten Moment bundesdeutscher Außenpolitik auf dem südamerikanischen Kontinent.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz in der BPK am 8. Januar 2025

Frage Goldszmidt (Deutsche Welle)
Herr Wagner, eine Frage zu Venezuela: In den letzten Tagen sind mehr als hundert Ausländer festgenommen worden. Die Regierung behauptet, darunter seien Söldner, die an destabilisierenden bzw. Terroraktionen teilnehmen sollten. Laut der venezolanischen Regierung befinden sich auch Deutsche darunter. Können Sie uns das bestätigen, und haben Sie nähere Informationen?

Wagner (AA)
Die Medienberichte haben wir natürlich erfolgt. Das Vorgehen gegen Oppositionelle, das wir sehen, ist tatsächlich besorgniserregend. Wir haben natürlich auch die Angaben der venezolanischen Behörden gesehen, was Ausländer angeht. Tatsächlich sind wir zu diesen Fällen noch nicht notifiziert worden. Eigentlich ist es Usus im konsularischen Recht, dass die entsprechenden Botschaften oder Konsulate informiert werden, wenn ausländische Staatsangehörige auf dem Gebiet eines Staates festgenommen werden. Das ist nicht der Fall. Insofern haben wir keine Kenntnis von Deutschen, die dort in diesem Zusammenhang verhaftet worden sein sollen. Daher kann ich nur bei dem bleiben, was ich jetzt gesagt habe.

Zusatzfrage Goldszmidt
Am Freitag wird Nicolás Maduro als Präsident vereidigt werden. Edmundo González, der ebenfalls die Präsidentschaft für sich beansprucht, wird auch in Venezuela sein, auch um vereidigt zu werden. Wir wissen nicht genau, was er vorhat. Da wird es bestimmt zum Konflikt kommen. Ich weiß nicht, ob es auch zu Gewalt kommen wird oder nicht. Welche Haltung hat die Bundesregierung dazu?

Wagner (AA)
Wir haben uns wiederholt dazu eingelassen, auch auf europäischer Ebene. Insofern kann ich das jetzt nur wiederholen. Alle Informationen, die uns vorliegen, deuten darauf hin, dass González die Wahl gewonnen hat. Aber es ist eben auch so, dass ohne eine Veröffentlichung der sogenannten „actas“, der Wahlunterlagen, die unabhängig überprüft werden müssen, das Wahlergebnis nicht rechtmäßig festgestellt werden kann. Das heißt, dass Nicolás Maduro nicht als Wahlsieger betrachtet werden kann, aber umgekehrt eben auch González nicht. Insofern stellt sich diesbezüglich noch eine ganze Reihe von Fragen.

Frage Warweg
Ich habe eine grundsätzliche Verständnisfrage, was die Anerkennung der Maduro-Regierung angeht. Ich denke, korrigieren Sie mich ansonsten, vor ungefähr einem Monat hat Deutschland einen neuen Botschafter nach Venezuela entsandt. Ihm wurden auch die entsprechenden Beglaubigungsurkunden von Maduro ausgehändigt. Kann man das als eine zumindest De-facto-Anerkennung der Regierung Maduro interpretieren, oder wie ist dieser diplomatische Ablauf zu bewerten?

Wagner (AA)
Ich kann es gern noch einmal ausführen. Wir erkennen keine Regierungen an, sondern wir erkennen Staaten an. Es ist tatsächlich so, dass wir vor Ort mit einem Botschafter vertreten sind, der zur konsularischen Betreuung deutscher Staatsangehöriger da ist. Aber noch einmal: Zu den Wahlvorgängen gilt das, was ich eben gesagt habe. Solange diese „actas“, diese Wahlunterlagen, nicht veröffentlicht sind, kann man nicht unabhängig überprüfen, wie die Wahl in Venezuela ausgegangen ist. Deshalb gilt unsere Forderung, die Forderung der Europäischen Union, diese Unterlagen zu veröffentlichen.

Zusatzfrage Warweg
Ich habe ein gewisses Déjà-vu. Sie haben jetzt noch einmal extra betont, die Bundesregierung erkenne keine Regierungen an, sondern nur Staaten. Wir alle hier im Raum kennen die Causa Guaidó, bei der die Bundesregierung, wohlgemerkt nicht die Ihre, aber trotzdem die Bundesregierung mit Guaidó justement eine Person und eine Regierung anerkannt hat und nicht den Staat. Bedauert die Bundesregierung im Nachhinein, dass sie so vorgegangen ist?

Wagner (AA)
Herr Warweg, ich bin nicht zur historischen Aufarbeitung hier, sondern ich bin dazu da, aktuelle außenpolitische Vorgänge für das Auswärtige Amt zu kommentieren, und das habe ich getan.

Titelbild: Screenshot der BPK vom 8. Januar 2025: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 8. Januar 2025