Derzeit übertreffen sich der designierte US-Präsident Trump und deutsche Oppositionspolitiker gegenseitig mit Forderungen, die Rüstungsausgaben zu erhöhen. Grünen-Kandidat Habeck 3,5 Prozent und der AfD-Kandidatin Weidel sind selbst Trumps 5 Prozent zu gering – mehr als dies sei „sehr wahrscheinlich“ nötig, wenn man es, so Weidel, „ernst nehme mit der Ertüchtigung der Bundeswehr und der eigenen Landesverteidigung“. Da bleibt einem die Spucke weg. Woher das Geld – folgt man Weidels Aussagen, wären das immerhin mehr als 200 Milliarden Euro – kommen soll, dürfte wohl erst nach den Wahlen ernsthaft diskutiert werden; getreu dem De-Maizière-Bonmot: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“. Der in Regierungskreisen bestens vernetzte Ökonom Moritz Schularick hat da in einem Interview mit dem SPIEGEL schon so eine Idee: „Die Zeche sollten auch die Alten zahlen“. Die Renten sollten gekürzt, das Renteneintrittsalter erhöht werden. Da verschlägt es einem endgültig den Atem. Ein Kommentar von Jens Berger.
Auf die faktisch nicht vorhandene Notwendigkeit, die ohnehin schon massive militärische Überlegenheit der NATO durch noch höhere Rüstungsausgaben in einen neuen Rüstungswettlauf ausarten zu lassen, muss man zumindest auf den NachDenkSeiten sicherlich nicht mehr hinweisen. Erst vor einem Monat berichteten wir über eine Greenpeace-Studie, deren Zahlen in ihrer Bedeutung unstrittig sind. Vor einigen Monaten wies der NachDenkSeiten-Autor Karsten Montag in einem gut recherchierten Artikel darauf hin, dass die Erzählung von einer angeblichen „russischen Bedrohung“ nur auf Vermutungen und Behauptungen basiert und in sich unlogisch ist. Derlei Widersprüche stören die Falken in Politik, Medien und Wissenschaft jedoch nicht.
Moritz Schularick, seines Zeichens Präsident des steuerfinanzierten Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hat sich als Falke in den letzten Jahren einen Namen gemacht und gehört zu den lautesten Stimmen, wenn es darum geht, höhere Rüstungsausgaben zu fordern. Daher war es prinzipiell auch eine gute Idee, den Mann einmal zu fragen, wie und wer die Zeche dafür eigentlich zahlen soll. Schularicks Antworten dazu sind in ihrer Dreistigkeit verblüffend ehrlich.
„Kurzfristig werden deshalb neue Kredite notwendig sein. Mittel- und langfristig wird es nicht ohne Kürzungen und Umschichtungen im Haushalt gehen. Um nennenswerte Summen zu erreichen, wird man auch an das Rentensystem herangehen müssen. […]
Es war die ältere Generation, die es versäumt hat, in den vergangenen Jahrzehnten ausreichend in unsere Sicherheit zu investieren. Stattdessen hat sie die Friedensdividende konsumiert. Sie hat es zudem versäumt, das Rentensystem zukunftssicher zu machen. Deshalb wäre es schwierig, wenn die Älteren nun ihren Beitrag zur Stärkung der Verteidigung verweigern würden. Zumal die Jüngeren ja schon die Kredite bedienen müssen, die dafür jetzt notwendig werden.“
–Moritz Schularick im SPIEGEL-Interview
So denkt ein deutscher Ökonom Jahrgang 1975 heutzutage. Die Dreistigkeit dieser Denkweise ist freilich für Normaldenkende unerträglich. Doch wer denkt heute noch normal? Beim SPIEGEL offenbar niemand, kritische Nachfragen blieben aus. Dabei sind Schularicks Ausführungen selbst dann wirr und schlichtweg falsch, wenn man einmal die „Rüstungslogik“ herauslässt. Unser Rentensystem ist ein in sich geschlossenes Umlagesystem, bei dem Mitglieder Anwartschaften erwerben. Diese Anwartschaften kann man nicht einfach so mir nichts, dir nichts als variable Staatsausgaben in die Rüstung umlenken.
Es ist auch Unsinn, hier einen Generationenkonflikt zu spinnen. Nicht nur die Jüngeren müssen Kredite bedienen, auch die Rentner selbst, zahlen sie doch selbstverständlich auch direkte und indirekte Steuern, aus denen diese Kredite bedient werden. Ein Vorziehen des Renteneintrittsalters würde übrigens ganz nebenbei nicht die „Alten“, die laut Schularick ja so viel falsch gemacht haben, als sie ihre „Friedensdividende“ kassierten, belasten, sondern ausschließlich die „Jüngeren“.
Aber was soll man da noch ernsthaft sagen? Das ist der ewig gleiche alte Wein, der nun in neuen Schläuchen aufgetischt wird. Die momentan in bestimmten Kreisen angesagte Forderung nach höheren Rüstungsausgaben wird instrumentalisiert, um das Rentensystem weiter unter Beschuss zu nehmen und der Privatisierung der Rente Vorschub zu leisten. Waren es sonst die „Lohnnebenkosten“, der „demografische Wandel“ oder der „Fachkräftemangel“, so ist es jetzt auch noch die „Bedrohung durch Russland“, die dafür herhalten muss, das Rentensystem unter Beschuss zu nehmen.
Als kleine Erinnerung am Rande – nicht, dass das irgendwas mit dem Thema zu tun hätte: Als Deutschland 1957 die jetzige Form der Umlagefinanzierung im Rentensystem verankerte, hatte Deutschland 4,1 Prozent Rüstungsausgaben. Dass der SPIEGEL da keine kritischen Nachfragen stellt, ist verständlich, hat er doch auch bei allen anderen Angriffen auf das Rentensystem nicht nur mitgemacht, sondern diese Angriffe selbst (mit)eröffnet.
Dennoch verschlägt die Dreistigkeit einem den Atem. Wir haben zwei vollkommen absurde Debatten – die der geforderten Hochrüstung und die der Kürzung der Renten. In beiden Debatten führt Schularick absurde Forderungen ins Feld. Doch Minus mal Minus ist ja bei dieser Argumentführung nicht gleich Plus. Was übrig bleibt, ist der Eindruck, dass wir uns mittlerweile vollends in einem Tollhaus befinden, in einer postfaktischen Ära, in der Ökonomen jeden Unsinn verbreiten können und Journalisten ihnen nicht widersprechen, sondern ganz im Gegenteil sogar die passende Plattform dafür bieten. Als kritischer Ökonom und Journalist weiß man gar nicht mehr, wo man da mit seiner Kritik überhaupt noch ansetzen soll – Tollhaus eben. Aber vielleicht ist dies ja der tiefere Sinn solcher Interviews, so sie denn überhaupt einen Sinn haben – die letzten „Normaldenkenden“ glauben zu machen, sie seien die Verrückten. Doch seien Sie sich gewiss, liebe Leser. Es ist genau umgekehrt.
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